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Filmkritik im Internet

Begonnen von barryconvex, 20 August 2008, 11:23:23

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barryconvex

Der unmittelbare Anlaß, der Text Schnelles, ist nicht mehr brandaktuell, die Fragestellung schon:

"Das Kino braucht die Filmkritik. Auf Blogs kann es verzichten."

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0814/film/0008/index.html

Übersichtsseite:
http://www.perlentaucher.de/artikel/4845.html


Hedning

Dieser Text ist ja wohl an Arroganz und Elitarismus kaum zu überbieten. Da könnte der Autor genauso gut über das Phänomen herziehen, dass jemand, der überlegt, ins Kino zu gehen, erst mal seine Freunde über den Film befragt, statt die Ergüsse des gesalbten Criticus zu verschlingen. Zudem glaube ich nicht, dass die "unabhängigen, informierten" Kritiken verschwinden werden, denn wer das Hintergrundwissen der professionellen Kritiker für so wichtig erachtet, wird auch weiterhin deren Texte lesen und nicht seine Meinung nach dem Prolo-Gejubel über den neuesten Ballerfilm bilden. Zudem gibt es sicher jede Menge Autoren, die im Internet veröffentlichen und weitaus mehr Kenntnisse mitbringen als die meisten Journalisten, die Filmkritiken schreiben.

Crumby Crumb & the Cunty Bunch

Da fühlt sich jemand auf einem sinkenden Schiff und versucht noch alles mitzunehmen, was ihm vors Visier läuft.
Gänzlich unberechtigt ist seine Angst ja nicht, ich z.B. lese die Berliner Zeitung seit ich lesen kann und habe sie jetzt auch gekündigt, weil ich inzwischen keine Zeit und Muße mehr habe, sie jeden Tag zu lesen und auch alles online bekomme, wo man sich aus verschiedenen subjektiven Nachrichtenquellen eine objektive Wahrheit zurechtlegen kann.
Man kann ihn auch irgendwie verstehen, warum Journalismus studieren, wenn man dann um seinen Job bangen muß, weil wesentlich mehr unstudierte Leute ihren Senf online verteilen?
Ist das der Preis des Fortschrittes oder der zunehmenden Verblödung?
Auf eine gute Internetkritik kommen 100 (vielleicht sogar 10000 - das Internet ist ja groß) miserable, da muß man sich nichts vormachen, allerdings ist grade die Filmkritik ein mir sehr verhaßter Journalismusbereich, wie kann sich ein dahergelaufener Spinner anmaßen, anderen Leuten vorschreiben zu wollen, was gut sei und was nicht? Weil er studiert hat? Weil er die Qualifikation hat, Texte zu schreiben? Und nur weil er studiert hat, hat er automatisch Ahnung von Filmen? Das glaube ich kaum...
Grade in letzter Zeit habe ich in eben jener Zeitung häufig inhaltliche Fehler bemerkt, wenn z.B. David Ayer in der "Street Kings" Kritik als Regisseur von Training Day bezeichnet wird, oder Kathy Bates mit Kathy Baker verwechselt wird, geht für mich auch der letzte Funken journalistischer Glaubwürdigkeit verloren.
Und wenn man den Film gesehen hat, und dann doch bereit ist, sich mit einer Kritik auseinanderzusetzen, ist die Zeitung schon im Müll, während das Internet immer noch über genug Diskussionsmaterial verfügt.
Und, Hedning hat natürlich Recht, Leute die das anders sehen, und konstant lesen wollen, wie der neue deutsche Film in den Himmel gelobt wird, werden das wahrscheinlich auch weiterhin tun und das Internet dabei müde belächeln.
Aber wenn das mit der Zeit doch immer weniger werden, sollte sich Herr Schnelle überlegen, ob er nicht den falschen Beruf gewählt hat...
'Are you talkin' to me? You talkin' to me?' - Raging Bull, Pacino. Love that movie!

CityHai3000

Zitat von: Der Crumb am 20 August 2008, 18:35:17[...]allerdings ist grade die Filmkritik ein mir sehr verhaßter Journalismusbereich, wie kann sich ein dahergelaufener Spinner anmaßen, anderen Leuten vorschreiben zu wollen, was gut sei und was nicht? Weil er studiert hat? Weil er die Qualifikation hat, Texte zu schreiben? Und nur weil er studiert hat, hat er automatisch Ahnung von Filmen? Das glaube ich kaum...[...]
Sehr schön gesagt, da bin ich völlig deiner Meinung.
Allerdings funktionieren viele Bereiche des täglichen Lebens, der Politik und der Wirtschaft genau so wie du es treffend beschrieben hast.
Für mich persönlich sind Filmkritiken wertlos. Daher ich trauere ich auch keinen literarischen Ergüssen irgendwelcher Feuilletongurus nach, da sie komplett meiner selektiven Ignoranz zum Opfer fallen :)

Ich wähle meine Filme nach meinem eigenem Geschmack und Gutdünken aus und beziehe interessante Infos und Anregungen aus der ofdb und diesem Forum. Gute Arbeit, Jungs :)

Roughale

Crumb for President!

Das hat mir aus der Seele gesprochen, ich lasse mich auch lieber von Leuten, deren Geschmack ich kenne und einzuordnen weiss motivieren, als von so einem gescheiterten Künstler, der seinen Frust nach mindestens drei Filmen am Tag in Worte fasst. Noch schlimmer ist es teilweise im Musikbereich (ich sag da mal nur "e- und u-Musik" Schwachsinn und die schlimmsten Labertaschen werden Feuilletonchef - siehe den Spinner beim Tagesspiegel...).

Man muss natürlich auch die Blog- oder Forenschreiber einzuschätzen wissen, denn oft sind die keinen Deut besser...

esta es la mejor mota
When there is no more room for talent OK will make another UFC

barryconvex

Zitat von: Hedning am 20 August 2008, 17:23:01
Dieser Text ist ja wohl an Arroganz und Elitarismus kaum zu überbieten.

Ja, Film = Kino und Journalismus = Print...

Die Argumentationskette ist schon haarsträubend, aber nicht neu, siehe das Lamentieren über mangelnden Respekt gegenüber "Qualitätsjournalismus" und die Frage, warum deutsche Filme so lieblos besprochen werden, mit dem Resultat, daß man bei der anstehenden RAF-Geschichte versucht, gleich bei den Redakteuren Kasse zu machen.

Goldig ist, daß ausgerechnet die gefährdetete Besprechung von europäischen Filmen in den USA hervorgehoben wird (ich kenne keine ausländischen DVDs oder Kinoplakate, auf dem ein deutscher Kritiker es wert wäre zitiert zu werden).

Ich hätte regelmäßiger gedruckte deutsche Kritiken gelesen, wenn diese nicht nur nicht die "Avantgarde" sondern in schöner Regelmäßigkeit um Jahre zu spät kamen (speziell in Hinsicht auf asiatische / südkoreanische Filme), weil es auf ein vermarktbares Produkt angewiesen ist (soviel zur verlängerten Werbung eines Mediums, das keine Werbung benötigt). Nicht ganz unkomisch daher der Hinweis, daß die beiden Nachrufe auf Regiegrößen zum besten gehörten, was die deutsche Filmkritik hervorgebracht hat.

Die Krönung ist dann natürlich, den SPIEGEL zu zitieren, der kürzlich seinen Kulturchef und selbsternannten Bloggerkönig wegen elitärer Umtriebe abgesägt hat.

Marcel

Das tollste ist ja wohl das Schickel – Zitat ,,Kritik ist keine demokratische Angelegenheit" Keine Ahnung wer der Kerl ist und was er so schreibt aber selten hätte ich einer Aussage vehementer widersprechen wollen. Was denn sonst bitte schön und natürlich zählt da die Meinung. Film ist zu allererst mal ein Erlebnis, er ist eine SINNESWAHRNEHMUNG, die mit Inhalten angereichert wird. Genau das scheinen viele sog. ,,professionelle Kritiker" nicht zu kapieren. Sie setzten Filme allzu oft mit Belletristik gleich, die bloßen Inhalt vermittelt.

Neue deutsche Kinotalente werden genannt, Wernern Herzog (ähäm steht noch ganz am Anfang seiner Karriere der junge Spunt!!), Wim Wenders (ohne Worte) und Tom Tykwer (der noch am ehesten, wobei da auch festzuhalten ist, dass bei ,,Lola rennt" auch eindeutig die Form den Inhalt überwiegt und neben dem und ,,Das Perfum" auch zahlreiche kommerzielle Flops stehen).

ZitatDie professionelle Kritik setzt neue Trends und ästhetische Standards durch. Sie ist im besten Fall Avantgarde und entdeckt im Experiment von Heute den Mainstream von Morgen. Auch die Filmproduzenten brauchen diesen Dialog mit den Filmkritikern, die ihre historische Bildung und ihre ästhetische Entdeckerfreude einbringen und im Idealfall immer mehr Zuschauer dazu anregen können, ihren Kinobesuch als Wagnis zu sehen.

Ich glaub auch. Der Sience Fiction – Boom nach ,,Star Wars" in den späten 70er Jahren z. B. wäre nie denkbar gewesen, hätten nicht zahlreiche renommierte Kritiker die Meisterhaftigkeit dieses Werkes erkannt und der Öffentlichkeit kundgetan!!! Aber mal im Ernst. Trends und Standards werden vom Publikum durchgesetzt, und dieses macht vielleicht mal aus Experimenten Mainstream. Und Filmproduzenten scheren sich sicherlich mehr darum, ob die Zuschauerzahlen stimmen, als dass sie Dialoge mit Kritikern suchen.

Dabei bin ich der letzte, der dem Kino seinen Kunstanspruch streitig machen würde, obwohl man nicht vergessen sollte, dass dessen historischer Ursprung auf dem Jahrmarkt zu suchen ist. Dennoch kann JEDER Filme kritisieren, genauso wie er Opern, Gemälde und Bücher nach seinen Eindrücken beurteilen kann.
Und wenn Schnelle auf Vorbildung für professionelle Kritik besteht, sollte er nicht vergessen, dass es schon seit vielen Jahren eine ungeheure Medienvielfalt gibt, die es jedem Normalverbraucher erlaubt, sich umfassendes Wissen über Filme anzueignen Viele der Laienkritiker auf ofdb.de z. B. dürften über einen ähnlich großen Fundus an Filmen im Hinterköpfchen verfügen wie Schnelle und Konsorten.
Ich bin weit über die Fähigkeit rationalen Denkens hinaus entsetzt !

Intergalactic Ape-Man

Vielleicht wissen die Kritiker auch nicht mehr, worüber sie schreiben sollen, da die Demokratie den Mainstream bereits zerschlagen hat und Konzerne keine großen Präsente mehr für lobende Worte austeilen?  :icon_twisted:


barryconvex

Ich habe vor einiger Zeit im Zusammenhang mit Hollywood und Blockbustern einen Link zu einem Video eingefügt, das ein Mitschnitt eines Vortrages gehalten von einem US-Kritiker ist. Habe die URL nicht mehr im Kopf, zwei Aspekte wurden jedoch besonders hervorgehoben: Einerseits ist die Filmkritik erst seit (ca.) 20  Jahren selbstverständlicher Bestandteil praktisch jeder Zeitung geworden, wodurch das Feuiletton der "Großen" seinen Stellenwert eingebüßt hat, anderseits hat der Druck durch die Studios enorm zugenommen: Keine vorteilhafte Besprechung bedeutet dann möglicherweise keine Einladungen zu Pressevorführungen und Interviews mehr, wobei letztere ohnehin oft dadurch gelenkte sind, daß es Listen mit erwünschten oder unerwünschten Fragen gibt.

(Im Bereich der Computerspiele haben die Firmen besonders kräftig zugeschlagen und bei nicht positiv genug klingenden Besprechungen gleich Abmahnungen rausgeschickt.)

Tito

Zitat"Ein Kritiker ist auch ein Missionar"
Die Aussage finde ich am Besten!!! Wohl eher ein Kreuzritter auf seinem Zug nach Jerusalem oder ein Täufer, der seinen Glauben mit Gewalt verbreiten will oder die Spanische Inquisition!
Ich will es hier nicht nochmal breit-treten, Crumb hat das meiste schon gesagt. Warum sollte denn jemand auf das Pseudo-professionelle Gerede eines Dahergelaufenden hören?! Diese Welt ist anscheinend schon so aus den Fugen geraten, dass wir fü alles eine "professionelle" Empfehlung brauchen. Dabei sind doch diese "Profis" auch diejenigen, die auch "Schrott" als "Gold" verkaufen wollen, indem sie wundervolle Kritiken verfassen. Geschmäcker sind nun mal verschieden und das zeigt sich auch in den s.g. "Hass-Wellen" Blocks. Aber ein echter Filmfreund geht neutral in den Film, lässt sich berauschen ohne vorher eine Kritik gelesen oder sich eine Meinung gebildet zu haben. Wenn der Film dann "durchfällt", ist es eine professionelle Kritik. Und eben dieser Filmfreund kann, denke ich, schon ganz gut über eine Kritik und ihre Hintergründe entscheiden.

Da könnten wir ja gleich das gesamte Schulfach "Deutsch" um einige Jahre verkürzen, wenn es keine Interpretationsmöglichkeiten mehr bei einem Buch gibt und nur noch eine "wahre" Antwort existiert! Und ein Film ist nichts weiter als moderne Kunst, ein Buch zum Sehen und Hören!

Von Kritiken aus Zeitschriften und Zeitungen habe ich eh nie viel gehalten. Meistens schwimmen sie entweder auf einer Enthusiasmus-Welle mit oder sie greifen aktuelle Probleme auf und machen das Werk nieder (vom persönlichen Geschmack der Critici ganz zu schweigen). Bestes Beispiel sind doch die Oscar-Verleihungen (Mainstream-Kritik mit Verkaufseffekt). Schon seit Jahren gewinnen die meisten Filme und Darsteller nicht, die es verdient hätten. Stattdessen versucht man Marketing zu betreiben und den "Otto Normalkonsumenten" zu manipulieren. Genau wie diese "Selbstverherrlichung" der Filmindustrie sind auch die Kritiker der Presse. Objektives, professionelles Urteil, bah, dass ich nicht lache  :wallbash:
Mitlaufendes und pseudointelektuelles, möchtegern-kulturelles Geschwafel... Der Mensch hat 5 Sinne, die er nutzen sollte... keine Macht der Volksverdummung!

May The Fleas Be With You
Wir sind Polizeibeamte, für Gewalttätigkeiten wurden wir nicht ausgebildet.

lastboyscout

Zitat von: Tito am  5 September 2008, 18:17:00
Aber ein echter Filmfreund geht neutral in den Film, lässt sich berauschen ohne vorher eine Kritik gelesen oder sich eine Meinung gebildet zu haben.

Kann ich so leider nicht unterschreiben.
Vor allem im Bereich des asiatischen Films gibt es oft für Jahre keinerlei Möglichkeit, den Film aus einer Videothek zu leihen, weil eben das jeweilige Land (damals Deutschland, heute USA für mich) den Film noch nicht hat.
Runterladen aus dem Internet ist keine Option für mich.
Deswegen verlasse ich mich da schon auf Kritiken von Kumpels, die meinen Filmgeschmack kennen, und ich kenne natürlich deren ebenso.
Damit kann ich mir dann eine grobe Meinungen vom Film bilden und weiß, ob ich die Dollars wirklich investieren will um mir den Film zu importieren.
Bei ganz normalen Filmen, die überall erhältlich sind und ich nicht Jahre warten muß bis sie in der Videothek stehen oder ein Kumpel die DVD im Regal stehen hat, verzichte ich so gut wie immer darauf, ne Kritik zu lesen.
I`m a tragic hero in this game called life,
my chances go to zero, but I always will survive.
( Funker Vogt - Tragic Hero )

What is your pleasure, sir? This is mine:
http://www.dvdprofiler.com/mycollection.asp?alias=lastboyscout

Bretzelburger

Ich habe weder etwas gegen Kritiken im Feuielleton noch im Internet, so lange sie gewisse Qualitätsstandards aufweisen. Wobei es mir egal ist, ob es sich dabei um blosse Meinungsäußerungen oder fundierte Abhandlungen handelt, so lange der Autor schlüssig seine Meinung wiedergeben kann, und weder in Fan-Geschrei noch abstruse Detailinformationen verfällt. Der jeweilige Geschmack ist dabei auch sekundär, weil mir so mancher Film schon zugesprochen hat, wenn Autor X ihn verdammte. Man sollte seine Informationen nicht nur von Menschen gleicher Meinung und ähnlicher Schreibweise einholen. Deshalb empfinde ich sowohl die Verdammung der Blogger in der "Berliner Zeitung" als auch den Gegenschlag zu den "arroganten Intellektuellen" als fragwürdig, weil beides nur von wenig Selbstbewusstsein zeugt.

Tatsächlich zeugen die Filmbeiträge im Internet oft von deutlich mehr Fachwissen als in den Zeitungen, weil man spürt, dass hier viele Autoren mit großem Engagement an die Sache herangehen, während viele Artikel in den Print-Medien schnell aufgesetzt werden mussten. Allein was ich von dem Spiegel-Filmkritiker zu deren Ausgabe von Antonionis "Die rote Wüste" lesen musste (und knappe Zeit kann dafür kein Argument sein), zeugt von großem Mangel an Fachkenntnis. So gesehen tut es den Autoren in den Zeitungen gut, wenn ihnen der Wind um die Ohren bläst und ich erkenne im Artikel der "Berliner Zeitung" schon viel vom berühmten Pfeifen im Dunklen.

Was ich allerdings hier wieder in den Antworten lesen durfte, bestätigt leider so manche These aus der "Berliner Zeitung". Sich über deren Arroganz aufzuregen, halte ich für legitim, aber das wieder als Rundumschlag gegen deutsche Filme oder missliebige Regisseure zu nutzen, ist ein Armutszeugnis. Im Grunde stellt man sich dabei auf die gleiche Ebene wie der Zeitungsautor - mit der jeweils angenommenen Rückendeckung gleichgesinnter Genossen lässt sich schön gegen den Anderer austeilen, bravo!

Ähnliches gilt für das gänzliche Ignorieren von Filmkritik, denn damit bleibt man nur in seinem eigenen Sumpf stecken. Selbstverständlich kann man auch im Freundes- und Kollegenkreis gute Tipps über bisher nicht Gekanntes erhalten (und das ist Filmkritik sicherlich vorzuziehen), aber auch diese Informationen sind endlich. Ich habe teilweise Neues an Stellen entdeckt, auf die ich zuvor niemals gekommen wäre. Deshalb halte ich Filmkritik für wichtig und vor allem interessant und unterhaltend. Der Irrtum in der "Berliner Zeitung" liegt nicht darin, dass er sagt, dass viele Regisseure und Filme ohne die Kritiker nicht bekannt worden wären, sondern das er meint, dass dafür nur in den Print-Medien die Voraussetzungen vorhanden wären. Das ist falsch, denn in den Print-Medien findet man zunehmend nur noch Hurra-Rufe als Unterstützung für Werbestrategien, während es im Internet viel unabhängigere Meinungen gibt, die sich gerade mit den Nischen und vergessenen Filmen und Regisseuren intensiv auseinandersetzen.


Tito

Zitat[...] nur in den Print-Medien die Voraussetzungen vorhanden wären. Das ist falsch, denn in den Print-Medien findet man zunehmend nur noch Hurra-Rufe als Unterstützung für Werbestrategien [...]
Meine Rede, gerade das habe ich gemeint. Eine annähernd lückenlose Information bekommt man nicht durch wenige Berichte, sondern nur durch das Anhäufen mehrerer, unabhängiger Medien. Erst deren Summe ergibt einen fast einheitlichen Durchschnittswert, was man aber immer noch selbst dann austesten sollte. Vielleicht hätte ich oben nicht so pauschalisieren sollen... NATÜRLICH gibt es in Print-Medien genauso gute wie schlechte Kritiken (gleiches gilt auch für's Internet). Aber der Versuch, nur diese Prints als legitim und "richtig" darzustellen und andere Quellen als "schlecht" ab zu urteilen, dass nervt gewaltig. Es erweckt den Anschein, dass sich da eine Zunft aus ihrem Sumpf ziehen will...

Zitat[...] auf Kritiken von Kumpels, die meinen Filmgeschmack kennen, und ich kenne natürlich deren ebenso.
Damit kann ich mir dann eine grobe Meinungen vom Film bilden [...]
So war das auch nicht gemeint. Eine grobe Meinung muss man sich ja irgendwie bilden. Man geht ja nicht in einen Film, der einen vom Thema gar nicht interessiert. Viele bilden sich die erste Meinung durch Trailer und Teaser... und die Meinungsbildung über Freunde ist gut (auch ich nehme Flmtipps von Freunden an und bin oft angenehm überrascht, es sind für mich eben Empfehlungen und keine Kritiken an sich). Wie Du bereits gemerkt hast, klappt es aber nur, wenn der Geschmack sich ähnelt. Aber es geht mir doch nicht primär um das "Appetit-Holen". Sondern darum, dass Zuschauer den Film bloß aufgrund schlechter Kritik meiden und um den "Boykott", den die Kinos an den Tag legen (nur wenige bis keine Aufführungen, da sie nicht genug Geld einspielen).
Was ich sagen will: man kann Kritiken lesen und sollte es, gute und schlechte (aber viele unterschiedliche), aber eine ebdgültige Meinung sollte man nur fällen, wenn man das Werk betrachtet hat. Sonst wären wir lediglich Maschinen, die das tun, was von ihnen erwartet wird.

ZitatVor allem im Bereich des asiatischen Films gibt es oft für Jahre keinerlei Möglichkeit...
Das Problem habe ich zum Glück nicht. Ein Kumpel fliegt drei mal im Jahr nach Hongkong und Schanghai und deckt sich mit DVDs zu. Seine Sammlung bietet so ziemlich alles, was China, Japan, Korea und Co. so zu bieten haben.

May The Fleas Be With You
Wir sind Polizeibeamte, für Gewalttätigkeiten wurden wir nicht ausgebildet.

Chili Palmer

"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

subhero

Nun ja, auch wenn ich Seeßlen noch besonders viel abgewinnen konnte, wird sich dies dadurch noch weniger ändern.  Anderseits hat er aber auch Recht. Das Niveau vieler Filmbesprechungen, von Kritiken möchte man gar nicht sprechen, ist teils weit unter dem, was man noch als ernsthafte Betrachtung eines auch noch so schlechten Films, bezeichnen möchte.

Hedning

Zitat von: Chili Palmer am 14 Juni 2009, 14:39:14

http://www.filmzentrale.com/essays/aliensversusmonstersgs.htm

Ich glaube nicht, dass man Filmkritik derart in zwei Lager unterteilen kann. Außerdem frage ich mich, was er bezüglich der "Popcorn-Filmkritik" mit dem Vorwurf meint, dass sie (teilweise bzw. tendenziell) "korrupt" sei.

Sarge

Ich vermute, er meint den Einfluss von Labels und Verleihern auf die Kritiken in "Popcorn"-Medien, an deren journalistischer Unabhängigkeit manchmal durchaus zu zweifeln ist.

barryconvex

Der Seeßlentext bringt sehr viele Aspekte gut auf den Punkt, die oben schon genannt wurden. Daß er "korrupt" nicht näher erläutert, macht nichts, denn Beispiele gibt es genug, zum Beispiel in Form von reinen Promotionvorabberichte zur Premiere mit dem Hinweis, daß der eigentliche Film zur Besprechung noch nicht gezeigt wurde.

Bretzelburger

Zitat von: Hedning am 15 Juni 2009, 11:27:42Ich glaube nicht, dass man Filmkritik derart in zwei Lager unterteilen kann.

So verstehe ich Seeßlens Text gar nicht. Er unterteilt nicht, sondern nennt bewusst plakativ zwei gegensätzliche Ausgangspunkte von Filmkritik, deren Unversöhnlichkeit er ja gerade bemängelt. Die jeweilige Abgrenzung von einander erzeugt durch Ignoranz letztlich Nichtwissen. Völlig zurecht kritisiert er, dass "intellektuelle" Kritiker sich erst gar nicht mit dem populären Kino auseinandersetzen, während Anhänger des Popcorn-Kinos jede intellektuelle Attitüde schon von weitem ablehnen. Beides verdummt, da man nur eingleisig fährt.

Aber er spricht ja nicht nur von den Kritikern, sondern von den Filmemachern selbst, die sich im Dschungel der jeweiligen Vorurteile nur noch schwer zurecht finden. Der von Seeßlen genannte "John Rabe" ist ein gutes Beispiel. Eine anspruchsvolle Thematik wurde mit den Mitteln des populären Kinos umgesetzt, was den Film letztlich scheitern liess. Dabei ist der Film keineswegs schlecht und absolut professionell umgesetzt, aber das Lavieren zwischen intellektuellem Anspruch und massentauglichem Erzählen funktioniert beim Publikum nicht. Mir persönlich wurde das Thema letztlich zu aufgeweicht angefasst, so dass mich das Geschehen emotional nicht berührte. Die Art wie man Emotionen schürt, berührt ja fundamentale Standpunkte. Boulevardzeitungen und Wochenblätter leben von der täglichen emotionalen Aufregung, die Gefühle entstehen lässt, ohne dass man selbst betroffen ist. In dieser Art vermittelt auch "John Rabe" seine Emotionen, was sicherlich der Tatsache geschuldet war, möglichst viele Zuschaeur in einen Film zu locken, der schildert wie 300000 Menschen ermordet wurden.

So weit empfinde ich Seeßlens Gedanken schon als richtig, aber sein wichtigster Satz ist meiner Meinung nach der, dass Kritiker immer unwichtiger werden. Denn die Frage muss sich jeder Kritiker gefallen lassen, wie weit er - egal ob Profi oder Amateur - überhaupt Einfluss nehmen kann. Was nützt es, einen Film wie "John Rabe" als Konglomerat zwischen verschiedenen Interessen zu vermitteln, wenn die Zuschauer ihn entweder trotz gewisser Unterhaltungselemente noch als zu "deutsch (und/oder) anstrengend" , andere ihn wegen seiner anbiedernden Haltung als zu wenig komplex ablehnen. Es stellt sich die Frage, ob man nicht nur als Stichwortgeber für eine Leserschaft dient, deren Zustimmung man vorher schon kennt. Das muss nicht immer die zahlenmässig größte Gruppe sein, so mancher Kritiker fühlt sich auch in seinem kleinen Anti-Biotop sehr wohl. Letztlich ist deshalb auch der ohne pekuniäre Ziele schreibende Filmkritiker ein Abhängiger und im Seeßlenschen Sinne "korrupt".

Es ist eben am Schwierigsten (und da nehme ich mich nicht raus), wenn man versucht, jeden Film aus einer persönlichen Haltung heraus zu beurteilen, die sich dank ihrer Offenheit gegenüber allen Genres ständig weiter entwickelt. Das erfordert neben dem Ansehen von Kinofilmen auch eine weit verzweigte Beschäftigung mit dem Medium sowie angrenzenden Kunstrichtungen und ist damit schlicht zeitlich aufwendig. Das in Gänze zu leisten ist kaum möglich, aber man kann auch aus Texten von Autoren, die sich nur einem Thema (das sie am besten kennen) verschreiben, dass sie auch Respekt vor anderen Meinungen haben und das ihr Blick wach geblieben ist für unterschwellige Haltungen und sie nicht allein alles dem Vergnügen oder (je nach Standpunkt) einem gesellschaftlichen Ansatz unterordnen. Darauf sollte es meiner Meinung nach ankommen.

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