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Full Metal Jacket

Begonnen von McClane, 19 November 2004, 19:02:40

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McClane

In dem Film sagt Joker ja mehrmals "Sind sie John Wayne oder bin ich das?" oder im O-Ton "Is this you, John Wayne? Is it me?". Hat der Satz eine besondere Bewandnis (Zitat oder so) oder wiederholt Joker dabei nur seinen Witz aus dem Rekrutencamp?
"Was würde Joe tun? Joe würde alle umlegen und ein paar Zigaretten rauchen." [Last Boy Scout]

"testosteronservile Actionfans mit einfachen Plotbedürfnissen, aber benzingeschwängerten Riesenklöten"
(Moonshade über yours truly)

girlygirl220

Hallo,
Habe gelesen, dass der Film "Full Metal Jacket" auf VHS das Format hat 1,33:1 und auf Blu-Ray (Neuauflage mit schwarzem Cover) 1,85:1. Wollte nun fragen, ob bei der Blu-Ray gemattet wurde oder auf VHS gezoomt und wo sieht man jetzt mehr, oder sieht man bei der Widescreen seitlich mehr und bei der FullScreen oben und unten?? Hoffentlich kann mir da jemand mehr sagen,
Mfg...

Crumby Crumb & the Cunty Bunch

'Are you talkin' to me? You talkin' to me?' - Raging Bull, Pacino. Love that movie!

digdog

8 November 2010, 22:05:32 #3 Letzte Bearbeitung: 8 November 2010, 22:14:11 von digdog
Zitat von: McClane am 19 November 2004, 19:02:40
In dem Film sagt Joker ja mehrmals "Sind sie John Wayne oder bin ich das?" oder im O-Ton "Is this you, John Wayne? Is it me?". Hat der Satz eine besondere Bewandnis (Zitat oder so) oder wiederholt Joker dabei nur seinen Witz aus dem Rekrutencamp?

Dieser Satz hat insofern eine besondere Bewandniss, als das John Wayne und seine Filme ja in Amerika Kultstatus haben!
In genauem Bezug auf den Film "Full Metal Jacket" und die entsprechende Szene würde ich davon ausgehen, daß es sich bei diesem Satz um eine reine Provokation handelt, die dazu dient, den dramaturgischen Dialog anzuheizen.... ;)
Im übrigen sagt Joker diesen Satz nur einmal vollständig, daß 2te Mal kommt dann bereits der Drill Seargent ins Spiel....

pm.diebelshausen

Jetzt, wo digdog diese fast 6 Jahre alte Frage beantwortet hat, kann McClane endlich wieder ruhig schlafen.

Naja: was lange währt, wird endlich... wayne?

:D
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Crumby Crumb & the Cunty Bunch

Aber gut, daß mal John Waynes Kultstatus in den USA erläutert wird - war mir bisher eben so wenig bekannt, wie die Interpretation, daß Joker mit dem Spruch nur provozieren wollte. Hast Du eigentlich einen eigenen Autorenthread, DingDong?
'Are you talkin' to me? You talkin' to me?' - Raging Bull, Pacino. Love that movie!

Karotte84

John Wayne als bekennender Patriot und Republikaner galt dank seiner Meinung zu Militaer und Politik im Vietnamkrieg als umstrittene Person. Bei der schoenen Anrede von Gunnery Sergeant Hartman will Joker (wie hier ja schon gesagt wurde) offensichtlich provozieren. Einerseits durch ungehorsam (schlicht reinquatschen), andererseits durch John Waynes Persoenlichkeit. Eine Erklaerung fuer "Is it me?" koennte sein, dass er die beiden Saetze in John Wayne Imitation aufsagt (auch im deutschen?) und so nach dem ersten Satz als John Wayne sich der Absurditaet der Frage bewusst wird. Was dann wieder gut ins allgemeine Bild der Problematik der Identifikationsfindung des gesamten Films passt.

Dann noch fuenf Ecken weiter gedacht und wir haben evtl Stanley Kubricks eigentlichen Gedanken ;-).

tagchen

Zitat von: Karotte84 am  9 November 2010, 13:58:25
John Wayne als bekennender Patriot und Republikaner galt dank seiner Meinung zu Militaer und Politik im Vietnamkrieg als umstrittene Person. Bei der schoenen Anrede von Gunnery Sergeant Hartman will Joker (wie hier ja schon gesagt wurde) offensichtlich provozieren. Einerseits durch ungehorsam (schlicht reinquatschen), andererseits durch John Waynes Persoenlichkeit. Eine Erklaerung fuer "Is it me?" koennte sein, dass er die beiden Saetze in John Wayne Imitation aufsagt (auch im deutschen?) und so nach dem ersten Satz als John Wayne sich der Absurditaet der Frage bewusst wird. Was dann wieder gut ins allgemeine Bild der Problematik der Identifikationsfindung des gesamten Films passt.

Dann noch fuenf Ecken weiter gedacht und wir haben evtl Stanley Kubricks eigentlichen Gedanken ;-).

Wohn Wayne machte ja auch diesen Film "Die grünen Teufel" zum Thema Vietnam.

digdog

Zitat von: LeCrumb am  9 November 2010, 00:12:25
Aber gut, daß mal John Waynes Kultstatus in den USA erläutert wird - war mir bisher eben so wenig bekannt, wie die Interpretation, daß Joker mit dem Spruch nur provozieren wollte. Hast Du eigentlich einen eigenen Autorenthread, DingDong?

Mit dem Autorenthread bringst du mich tatsächlich auf ne Idee  :king: Ich hatte mal irgendwo gelesen, das noch heute Waynes Filme fester Bestandteil im Fach Patriotismus in Amerikas Schulen ist, kann leider den Link nicht mehr finden, dafür hier ein kleines Zitat von Tante Wiki:
ZitatWayne galt als die amerikanische Institution schlechthin und verkörperte die Ideale dieser Nation in sich wie keine andere Person zu dieser Zeit. Der britische Schauspieler Stewart Granger  sagte dazu: ,,Es gibt zwei Dinge, die man in Amerika tunlichst unterlassen sollte. Das erste ist die Freiheitsstatue anzupinkeln und das zweite, sich negativ über Wayne zu äußern!"

MMeXX

24 Juli 2013, 23:04:08 #9 Letzte Bearbeitung: 25 Juli 2013, 18:42:41 von MMeXX
Zitat von: manisimmati am 24 Juli 2013, 22:54:12
Full Metal Jacket

Ich kann mir nicht helfen, aber ein Meisterwerk habe ich hier beileibe nicht gesehen. Es gibt einige Glanzlichter: Der Drill von Hartman im ersten Teil des Films ist ordentlich zermürbend, und wie Lawrence langsam austickt, das ist schon krass. ABER: Ich fand gerade im ersten Teil vieles over-acted und kein Stück subtil. Klar, man könnte sagen, wie eben Hartmans Methode selbst. Und klar, es ist satirisch. Aber einen solchen Holzhammer hätt’s nun auch wieder nicht gebraucht. Ansonsten fand ich den Film … okay. Allerdings hat mich Kubrick nicht davon überzeugen können, mich tiefer mit Full Metal Jacket zu beschäftigen. Vielleicht muss ich den Film nochmal sehen. Momentan jedoch: nicht mehr als 7/10.

Hm, den ersten Teil finde ich eigentlich weniger satirisch. Zeigt sich ja auch gerade in den gewalttätigen Aktionen rund um Private Paula. Klar, bei den meisten Sprüchen lach ich auch. Aber das liegt eigentlich eher an der Tatsache, dass dieser ganze Drill so unfassbar erscheint. Diese ganze Unmenschlichkeit, die da zum Vorschein kommt.

Mr. Blonde

Overacting? Ich weiß ja nicht. D'Onofrios Darstellung z. B. könnte Heute sicherlich irgendwie übertrieben/klischeehaft wirken, allerdings wurde sie bis Heute auch zig Mal von anderen Darstellern wieder aufegriffen. Sein manischer Blick wirkt immer wieder unbequem, weil er eben doch das Aussehen eines Riesenbabys hat. Irgendwie würde ich höchstens Modine unterstellen, dass er zweitweise übertreibt, allerdings passt das nunmal zu Jokers Attitude.

Subtilität bei einem solchen Film finde ich auch unpassend. Dafür gab es auch schon Material, ob nun von Coppola oder Cimino.

7/10 ist aber immer noch eine faire Bewertung. Wenn man sich noch mit dem Film tiefer auseinandersetzt, wird das sicherlich wachsen.


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Discostu

Naja, also Overacting hat man bei Kubrick eigentlich immer. Ob nun Mr. Alexander in A Clockwork Orange, der alte Lyndon in Barry Lyndon oder Jack in The Shining. Es ging Stanley in seinen späteren Filmen nur selten darum, besonders naturalistisch zu inszenieren, sondern immer etwas überhöht. Deswegen hat er ja teilweise zig Takes aufgenommen, um den Moment zu erwischen, in denen die Schauspieler etwas liefern, das eben nicht gewöhnlich ist. Das muss man aber natürlich nicht mögen.

Aber ich verstehe nicht ganz, wie das gemeint ist, in der ersten Hälfte gebe es einen Holzhammer. Bezieht sich das jetzt nur auf das Schauspiel oder auch inhaltlich? Denn gerade inhaltlich finde ich Full Metal Jacket ausgesprochen subtil, da der Film eben keine so platte Anti-Kriegs-Moral vor sich herträgt, wie das einige Jahrzehnte davor in Paths of Glory noch der Fall gewesen ist. Sowohl der Krieg als auch die einzelnen Soldaten haben gute und schlechte Anteile in sich ("Die Dualität des Menschen. Das Ding von Jung, Sir!") und das Publikum muss sich selbst überlegen, welchen Standpunkt es zum Gezeigten einnehmen will. Ist am Ende
Spoiler: zeige
die Erschießung der Scharfschützin
denn nun ein Akt der Gnade? Oder ein Akt der Rache? Oder beides?

Also für mich ist Full Metal Jacket ein Meisterwerk und einer der besten Filme über das Thema Krieg überhaupt. Weniger als 8 Punkte kann ich da nicht akzeptieren.  ;)


manisimmati

Zitat von: Discostu am 24 Juli 2013, 23:29:46
Aber ich verstehe nicht ganz, wie das gemeint ist, in der ersten Hälfte gebe es einen Holzhammer.

Damit meine ich den Drill insgesamt. Wie der breit gewälzt wird. Irgendwann hat man verstanden, dass diese Art der Umgangsform lächerlich und unmenschlich ist. Nach einer Weile dachte ich nur noch: "Ja, hab's kapiert." Vielleicht verlange ich unberechtigterweise nach einer subtileren Botschaft. Oder aber ich sehe die Subtilität (noch) nicht. Wie Mr. Blonde gesagt hat: Da ist Luft nach oben, habe den Film bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen.

Dass Full Metal Jacket eine platte Anti-Kriegs-Moral vertritt, glaube ich auch nicht. Aber irgendwie wollte ich ... mehr. Könnte sein, dass ich eine falsche Erwartungshaltung hatte. Ich wollte, dass mir das Gezeigte so richtig an die Nieren geht. Und das ist nicht geschehen.

Zitat von: Discostu am 24 Juli 2013, 23:29:46
Also für mich ist Full Metal Jacket ein Meisterwerk und einer der besten Filme über das Thema Krieg überhaupt. Weniger als 8 Punkte kann ich da nicht akzeptieren.  ;)

Aber ich hab doch schon auf 7 Punkte aufgerundet, weil es ein Film vom Meister ist. ;) Nee, wie gesagt: Gut möglich, dass das Teil nochmal auf 8 Punkte hoch rutscht. Kubrick-Filme brauchten bei mir schon immer einige Anläufe. Obwohl ich bei dem hier etwas skeptischer bin. Die Faszination fehlt ein bisschen. Egal, mal schauen.

PierrotLeFou

Zitat von: manisimmati am 25 Juli 2013, 00:00:33
Aber ich hab doch schon auf 7 Punkte aufgerundet, weil es ein Film vom Meister ist. ;) Nee, wie gesagt: Gut möglich, dass das Teil nochmal auf 8 Punkte hoch rutscht. Kubrick-Filme brauchten bei mir schon immer einige Anläufe. Obwohl ich bei dem hier etwas skeptischer bin. Die Faszination fehlt ein bisschen. Egal, mal schauen.

Da bist du (auch wenn ich FMJ gerade noch die 8 gegeben habe) aber nicht alleine... :icon_mrgreen:

Von Kubricks Filmen mag ich bloß noch "Fear and Desire" und "Tiger von New York" weniger gern als "FMJ". Der Film ist mir viel zu sehr von seinem Thema fasziniert ohne das - wie beispielsweise "A Clockwork Orange" - durch eine durchgängige Übersteigerung in die grelle, bewusst plakative Satire auszubügeln... Die (vom durchaus kommerziell orientierten Kubrick) auf Kultträchtigkeit angelegten Szenen wirken auf mich ähnlich unsensibel wie beispielsweise die ärgerlichen Surfbrett-Momente in "Apocalypse Now": beide Filme nehmen es als durchaus ambitionierte (und natürlich keinesfalls schlechte oder bloß mittelmäßige) Filme über den Krieg sehr bewusst in Kauf, dass ein auf Kriegsszenarien stehendes Publikum das gezeigte als unterhaltsames Faszinosum genießen kann. Da bin ich sicherlich auch durch die (Anti-)Kriegsfilmfans im persönlichen Umfeld geprägt, aber wenn mir Leute, die alle möglichen Panzer, Waffen und Uniformen rauf- und runterbeten können, immer wieder "FMJ", "AN", "Soldat James Ryan" usw. als Lieblingsfilme anpreisen und einen "17. Breitengrad" nicht mal im Traum anschauen würden oder bei Bergmans "Schande" oder Godards "Die Karabinieri" nach der Hälfte müde abwinken, dann weiß ich schon, was ich von den groß budgetieren (Anti-)Kriegfilmen des Genrefilms zu halten habe...
Und: ...klar, die moralische Beurteilung wird einem erschwert, aber dieses Erschweren wird einem trotzdem mit dem Holzhammer serviert... Und inmitten des dramaturgisch und inszenatorisch geradezu mathematisch komponierten Films bleibt die tiefe emotionale Bindung für mich persönlich leider auch teilweise auf der Strecke... (die Übergriffe auf den Außenseiter bilden da allerdings die Ausnahme...)
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Mr. Blonde

Zitat von: Discostu am 24 Juli 2013, 23:29:46
Naja, also Overacting hat man bei Kubrick eigentlich immer. Ob nun Mr. Alexander in A Clockwork Orange, der alte Lyndon in Barry Lyndon oder Jack in The Shining.

Mr. Alexanders Figur sehe ich eher im surrealistischen Rahmen. Erst, wenn ich die Darstellung und die Figur für sich alleine stehend betrachte, würde ich an Overacting denken. Bei Nicholson hingegen kann ich zustimmen, Overacting muss ja auch per se nichts schlechtes sein.


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RoboLuster

Zitat von: manisimmati am 25 Juli 2013, 00:00:33
Zitat von: Discostu am 24 Juli 2013, 23:29:46
Aber ich verstehe nicht ganz, wie das gemeint ist, in der ersten Hälfte gebe es einen Holzhammer.

Damit meine ich den Drill insgesamt. Wie der breit gewälzt wird. Irgendwann hat man verstanden, dass diese Art der Umgangsform lächerlich und unmenschlich ist. Nach einer Weile dachte ich nur noch: "Ja, hab's kapiert." Vielleicht verlange ich unberechtigterweise nach einer subtileren Botschaft.

Warum sollte man das "subtil" darstellen? Das ist kein unterschwelliges Kaffeekränzchen, die Rekruten werden gebrochen und bekommen eine Gehirnwäsche, um so neue Werte anzunehmen. Schließlich müssen die töten wollen, daran ist nichts subtiles, und um diesen Drill filmisch darzustellen, wäre Subtilität (wie stellst du dir das überhaupt vor?) vollkommen am Thema vorbei, und das wäre lächerlich.
https://youtu.be/RPQOMyyg9b8                          
"Shoot first, think never!" - Ash

PierrotLeFou

25 Juli 2013, 05:38:19 #16 Letzte Bearbeitung: 25 Juli 2013, 05:40:45 von PierrotLeFou
Zitat von: RoboLuster am 25 Juli 2013, 05:27:21
Zitat von: manisimmati am 25 Juli 2013, 00:00:33
Zitat von: Discostu am 24 Juli 2013, 23:29:46
Aber ich verstehe nicht ganz, wie das gemeint ist, in der ersten Hälfte gebe es einen Holzhammer.

Damit meine ich den Drill insgesamt. Wie der breit gewälzt wird. Irgendwann hat man verstanden, dass diese Art der Umgangsform lächerlich und unmenschlich ist. Nach einer Weile dachte ich nur noch: "Ja, hab's kapiert." Vielleicht verlange ich unberechtigterweise nach einer subtileren Botschaft.

Warum sollte man das "subtil" darstellen? Das ist kein unterschwelliges Kaffeekränzchen, die Rekruten werden gebrochen und bekommen eine Gehirnwäsche, um so neue Werte anzunehmen. Schließlich müssen die töten wollen, daran ist nichts subtiles, und um diesen Drill filmisch darzustellen, wäre Subtilität (wie stellst du dir das überhaupt vor?) vollkommen am Thema vorbei, und das wäre lächerlich.

Man könnte aber beispielsweise auf so aufdringliche Momente wie das Peace-Zeichen neben dem "Born to Kill" inklusive "Duality of Man"-Monolog verzichten (der auch dadurch nicht besser wird, dass er dann doch auf erheiternde Weise flach gehalten wird)... ;)

Bzw. - wenn es jetzt bloß um die erste Hälfte gehen soll - hätte man die Außenseiterfigur nicht so extrem anlegen müssen...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

RoboLuster

Es ging ihm ja um die Darstellung der Ausbildung.
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"Shoot first, think never!" - Ash

PierrotLeFou

25 Juli 2013, 06:13:05 #18 Letzte Bearbeitung: 25 Juli 2013, 06:23:30 von PierrotLeFou
Zitat von: RoboLuster am 25 Juli 2013, 05:51:01
Es ging ihm ja um die Darstellung der Ausbildung.

Auch da hätte man sich zurückhalten können: den unsportlichen, fetten und etwas debilen Außenseiter einen Krapfen verstecken zu lassen (den er dann vor allen anderen essen muss, während sie Liegestütze machen), ist einerseits nachvollziehbar... so kommt man schnell auf die Gruppendynamik die man darstellen will, in der dann wirklich jeder mal mit Handtuch und Seife auf den grundsätzlich Unschuldigen einschlägt. Andererseits ist gerade das eine dieser auf Kultträchtigkeit getrimmten Szenen, die sich auf ein groteskes und dennoch denkbares Szenario stützt... Ich empfinde das eher als relativ plump und unangemessen...


edit: natürlich konnte man 1987 noch nichts von Youtube wissen, aber dass diese Krapfen-Geschichte sich dazu eignet, dass man sie als kultige Nummer erinnert (so dass man sie heutzutage schlagartig als abgetrennten Videoclip findet, wenn man bloß nach Krapfen und FMJ googlet), sie als "Krapfen-Szene" erwähnen kann usw., das war auch 1987 klar. Für mich ist das eine unglaublich berechnende Nummer, die mehr danach schreit, dass sie und der Film in Erinnerung bleiben und als ungewöhnlich auffallen, als dass sie einer (durchaus auch subtil darstellbaren) Gruppendynamik oder Ausbildungstortur gerecht wird... so gerne ich Kubrick auch mag, aber in solchen berechnenden Momenten (die ja auch seine eigenständig vorgenommenen Kürzungen eigener Filme auszeichnet) wird er mir dann doch unsympathisch...
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Mr. Blonde

Naja, nun kann ja Kubrick nichts dafür, wenn die Leute daraus "Kult" gemacht haben. Inwieweit will er das denn berechnet haben?

Ich finde die ganze Marterung von Pvt. Pyle furchtbar und sehe darin auch nichts kultverdächtiges. In meinem Bekanntenkreis würde da auch niemand zu abfeiern. Leute, die das witzig (oder kultig) finden oder denen es echten Spaß macht (das Lachen, als Äußerung der Unsicherheit gegenüber der Härte, ist nicht gemeint), haben dann ganz andere Probleme.


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PierrotLeFou

Zitat von: Mr. Blonde am 25 Juli 2013, 07:12:36
Naja, nun kann ja Kubrick nichts dafür, wenn die Leute daraus "Kult" gemacht haben. Inwieweit will er das denn berechnet haben?

Ich finde die ganze Marterung von Pvt. Pyle furchtbar und sehe darin auch nichts kultverdächtiges. In meinem Bekanntenkreis würde da auch niemand zu abfeiern. Leute, die das witzig (oder kultig) finden oder denen es echten Spaß macht (das Lachen, als Äußerung der Unsicherheit gegenüber der Härte, ist nicht gemeint), haben dann ganz andere Probleme.

Na gut, Berechnung ist vielleicht der falsche Begriff, weil es da ja auch um ein "Bauchgefühl" geht... Aber egal, ich bleibe mal bei dem Begriff, weil ein berechnendes Verhalten ja nicht nach mathematischen Regeln an eine maximale Zahl von Unbekannten gebunden ist.
Ich denke schon, dass Kubrick irgendwie berechnend vorgegangen ist (ansonsten hätte es gar keinen Sinn gehabt, dass er z.B. seine Filme umschneidet... ganz davon abgesehen, gehört ein Mindestmaß an Berechnung natürlich zu jedem Regisseur: Filme - und Genrefilme ganz besonders! - lassen sich nicht drehen, ohne dass zuvor Erwartungshaltungen und reaktionen eines Publikums eingeplant werden...)

Aber generell würde ich Szenen, die in einem weitestgehend ernsten Film plötzlich groteske oder absurde Töne anschlagen, durchaus verdächtigen, einen kultigen, gewitzten, cleveren Regieeinfall auszustellen (was bei vielen Themen und in vielen Genres ja auch unproblematisch ist). In "Apocalypse Now" ist das noch extremer (Wagnermusik, Napalm am Morgen, Surfbrett) und da nehme ich im Kino immer (ok, d.h. 2x) sehr viele Chaoten wahr, die das cool finden (und auch im Alltag immer wieder variieren, indem sie beispielsweise jeden x-beliebigen Geruch am Morgen zu lieben vorgeben usw.)...
Es geht ein bisschen in die Richtung von Rivettes Kritik an Pontecorvos "Kapo" (die ich - ohne "Kapo" gesehen zu haben - in dieser Vehemenz grundsätzlich allerdings nicht teilen würde): dass man nämlich nur Verachtung für einen Menschen empfinden könne, der sich angesichts eines tragischen Ereignisses für eine ausgeklügelte Kamerahandhabung entscheidet. Mir geht es jetzt eher um die Entscheidung, in die Dramaturgie einen kleinen, ungewöhnlichen Höhepunkt zu packen, der sich ein wenig abhebt: das kann etwas bizarres in einem sehr ernsten Film sein oder etwas sehr unerwartetes & schockierendes (etwa der Selbstmord in Hanekes "Caché") und daran ist zunächst auch gar nichts auszusetzen...
In einem (Anti-)Kriegsfilm (und in einigen anderen Fällen) scheint es mir dabei allerdings überaus unangemessen zu sein, eine kleine Kuriosität zu präsentieren (etwa einen dümmlichen, bemitleidenswerten Fettsack, der vor allen Augen auf einer erhöhten Position einen Krapfen essen muss, während die anderen singend Liegestütze machen müssen), die dann mit ihrem Anstrich des Ungewöhnlichen bei einem Großteil des Publikums in Erinnerung bleiben wird... es fällt mir wirklich schwer zu glauben, dass Kubrick nicht davon ausgegangen sein könnte, dass diese Szene sich als besonders einprägsam und "kultig" erweisen würde.
Bei Coppola und "Apocalypse Now" stößt mir das auch auf: es sind ja Szenen, die durchaus ihren Sinn haben... aber sie haben auch etwas effekthascherisches an sich. (Aber gut, natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass die Filmemacher aus allen Wolken fallen und ganz überrascht sind, dass da ein fragwürdiger Kult um bestimmte Szenen oder Filme entsteht: ist ja bei "American History X" so gewesen und da fällt es mir ebenfalls unglaublich schwer zu glauben, dass man nicht damit gerechnet hat, dass das zu einem kleinen Kultfilm der Neonazis werden würde...)

Natürlich kommt es immer auf den Einzelfall an; und im Grunde mag ich es sogar sehr gerne, wenn Filme etwas sehr unangemessenes machen, unmoralisch wirken oder auf andere Weise irritieren, weil sie den Zuschauer damit ja durchaus herausfordern. Aber bei "FMJ" habe ich bloß den Eindruck, dass er den einfachen Zusammenhang, auf den er hinauswill (dass der Ausbilder eine Person immer stärker zum Außenseiter degradiert), mit einer etwas absurden Überhöhung aufmotzt, die ein kleines - zu Kult gelangtes - Highlight darstellt... (Im Rahmen einer Komödie oder Satire würde mir das kaum aufstoßen... aber in einem überwiegend doch eher ernsten und durchaus auch sensibelen Film scheint mir dass doch eher unsensibel, plump, unnötig und geschmacklos zu sein.)
Aber wie gesagt: für einen guten Film halte ich FMJ dennoch. :icon_mrgreen:
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Mr. Blonde

25 Juli 2013, 09:34:37 #21 Letzte Bearbeitung: 25 Juli 2013, 09:36:34 von Mr. Blonde
Das klingt so, als wärest Du der Meinung, manche Menschen müssten sich Filme erst richtig erarbeiten und solche Szenen wie "I love the smell of napalm in the morning." seien so simpel und kernig, dass es leicht fällt, den Film deshalb zu mögen. Aber gerade diese Szenen würden nicht die gänzliche Qualität des Films ausmachen, nur weil sie einfach herausstechen und leichter zu fassen sind. So ungefähr?

Wenn ich das mal umstellen darf: Don't hate the Kubrick, hate the player.  :icon_mrgreen:

Ich kann aber wirklich nichts kultiges daran erkennen, wenn ein "Fettsack" bis zum Erbrechen gedmütigt wird und zwar auf einem sehr wohl plumpen, aber eben realistischem Level. Sowas passiert ständig (und wenn wir dabei schon nur ans Mobbing an sich denken) und wenn so ein Film auch dadurch zum Kult geworden ist, der solche Probleme aufzeigt, dann finde ich das gut. Dann darf und muss es eigentlich plump sein, damit es keinem entwischt. Was nun einige Chaoten mit Filmen anstellen, liegt aber nicht in der Verantwortung der Filmemacher, die immer nur eine gewisse Richtung vorgeben können.

Mittlerweile hasse ich das Wort Kult wirklich.


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Discostu

@PierrotLeFou: Ich finde es interessant, dass du Kubrick im Endeffekt genau das vorwirfst, was sein Ziel war: Einen Kriegsfilm zu machen, der das Thema als ein Phänomen behandelt, ohne eine Wertung vorzugeben. Natürlich können so einen Film dann sowohl Militär-Fans abfeiern als auch Pazifisten, aber das ist dann ja kein Zeichen für das Scheitern des Films.

Zitat von: PierrotLeFou am 25 Juli 2013, 09:08:15
Aber generell würde ich Szenen, die in einem weitestgehend ernsten Film plötzlich groteske oder absurde Töne anschlagen, durchaus verdächtigen, einen kultigen, gewitzten, cleveren Regieeinfall auszustellen (was bei vielen Themen und in vielen Genres ja auch unproblematisch ist).

[...]

(Im Rahmen einer Komödie oder Satire würde mir das kaum aufstoßen... aber in einem überwiegend doch eher ernsten und durchaus auch sensibelen Film scheint mir dass doch eher unsensibel, plump, unnötig und geschmacklos zu sein.)

Diese strikte Trennung von Genres funktioniert bei Kubricks Filmen aber nicht. Dr. Strangelove ist auch nicht ganz so zum kaputtlachen, wie er vielleicht sein könnte, weil der Film sich grundsätzlich mit einem sehr ernsten Problem beschäftigt, das an sich ja gar nicht besonders witzig ist. Umgekehrt haben die Filme von ihm, die nicht konkret als Komödie oder Satire konzipiert sind, so gut wie immer auch eine groteske und humorvolle Ebene. Gerade in FMJ wird das, zumindest bis zum Zeitpunkt der Konfrontation mit dem Sniper, immer wieder deutlich (vor allem durch Jokers Witze, aber auch durch durch Meta-Humor wie die Szene über "Vietnam: The Movie"). Und durch diese humorvolle Ebene bekommen einzelne Szenen natürlich auch einen Kult-Charakter.

Natürlich ist es beispielsweise einem Film wie Komm und Sieh hoch anzurechnen, dass er es schafft, das Thema Krieg auf eine Art und Weise zu behandeln, dass da wirklich kein Panzer-Fan sich irgendwie dran erfreuen kann, sondern einen wirklichen Anti-Kriegsfilm darstellt. Aber dieses Ziel wollte Kubrick schlicht nicht erreichen.

manisimmati

25 Juli 2013, 15:18:17 #23 Letzte Bearbeitung: 25 Juli 2013, 15:26:39 von manisimmati
Zitat von: Discostu am 25 Juli 2013, 13:05:35
@PierrotLeFou: Ich finde es interessant, dass du Kubrick im Endeffekt genau das vorwirfst, was sein Ziel war: Einen Kriegsfilm zu machen, der das Thema als ein Phänomen behandelt, ohne eine Wertung vorzugeben. Natürlich können so einen Film dann sowohl Militär-Fans abfeiern als auch Pazifisten, aber das ist dann ja kein Zeichen für das Scheitern des Films.

Aber irgendwas muss uns doch der Film über den Krieg sagen, oder nicht? Wird er einfach so dahingestellt, als Erfahrung, "neutral"? Wenn es darum ging, war es bei mir eine eher dumpfe Erfahrung.

Zitat von: RoboLuster am 25 Juli 2013, 05:27:21
Warum sollte man das "subtil" darstellen? Das ist kein unterschwelliges Kaffeekränzchen, die Rekruten werden gebrochen und bekommen eine Gehirnwäsche, um so neue Werte anzunehmen. Schließlich müssen die töten wollen, daran ist nichts subtiles, und um diesen Drill filmisch darzustellen, wäre Subtilität (wie stellst du dir das überhaupt vor?) vollkommen am Thema vorbei, und das wäre lächerlich.

Guter Einwand. Ich verstehe schon, dass bei einem solchen Inhalt "formale Samthandschuhe" unpassend sind. Das Marschieren, der Gesang, die Gebete, das alles hat einen bestimmten Rhythmus; und das hat schon was. In einem nächsten Schritt würde ich mich dann aber fragen, was der erste Teil überhaupt sollte. Was wollte Kubrick damit erreichen? Wollte er uns das Gefühl für einen Drill vermitteln? Okay, ist ihm gelungen. (Teilweise.) Wollte er, dass wir uns mit dem schikanierten Lawrence identifizieren? Wenn ja, hat das bei mir nicht funktioniert. (Wegen dem, was ich nach wie vor als Overacting bezeichnen würde. Und wegen der fehlenden psychologischen Tiefe.) Zuletzt: Was ist die Botschaft des ersten Teils? Dass einen solche Drills emotional fertig machen? Dass sie absurd sind? Schön und gut, aber da hätte ich mir noch etwas mehr an Substanz gewünscht.

EDIT: Ehm ja, und natürlich das, was PierrotLeFou gesagt hat. :icon_mrgreen:

Der zweite Teil ist dann wesentlich komplexer und offener für Interpretationen. Übrigens, und um mal was Positives zu sagen: Den "Dokumentarfilm im Film" fand ich ganz grossartig inszeniert.

Wir sind uns wohl alle darin einig, dass Full Metal Jacket ein guter Film ist. Aber ich persönlich werde in ihm wohl nie ein Meisterwerk sehen. Dafür muss man mir was anderes geben. Ich glaube immer mehr, dass mir Kubricks Art, Filme zu machen, nicht besonders liegt. (Könnte auch daran liegen, dass ich bei ihm die Messlatte sehr hoch anlege.)

Discostu

Zitat von: manisimmati am 25 Juli 2013, 15:18:17Aber irgendwas muss uns doch der Film über den Krieg sagen, oder nicht?

Der Film zeigt, dass Soldaten abgerichtet werden müssen, um im Krieg zu funktionieren. Er zeigt, dass sie heutzutage aber (im Gegensatz zu den Kriegen im 18. Jahrhundert [siehe Barry Lyndon] und zum Ersten Weltkrieg [siehe Wege zum Ruhm]) keine Roboter sein sollen, die willenlos in den Tod marschieren, sondern, dass sie Killer sein sollen, die individuelle Entscheidungen treffen und taktisch klug agieren. Er zeigt, dass für die Ausbildung die Ziele, zu denen diese Killer dann eingesetzt werden, unwichtig sind (weshalb Hartman sich positiv über Amokschützen äußert und dann selbst Opfer eines solchen wird). Er zeigt, dass die Soldaten dazu abgerichtet werden, alles Weibliche als feindlich wahrzunehmen und in sich selbst abzutöten (solange sie dies nicht schaffen, werden sie als "ladies" und "cocksucker" beschimpft). Er zeigt, dass die Soldaten, die im Vietnamkrieg kämpfen, nicht begründen können, warum sie dies tun, weil die Gründe für das Töten nicht Teil ihrer Ausbildung gewesen sind. Er zeigt, dass auch innerhalb der Militärmaschinerie jeder die Wahl hat, möglichst menschlich zu agieren (Joker), unmenschlich zu agieren (der Hubschrauberschütze) und, dass es natürlich eine große Grauzone dazwischen gibt (z.B. Animal Mother, ein rassistischer Macho, der aber auch Mut und Treue zu seinen Kameraden zeigt). Was uns die Schlussszene sagen soll, da gibt es viele Möglichkeiten:
Spoiler: zeige
Ist Rafterman nun auch zu einem herzlosen Killer geworden, oder zeigen seine hysterischen Macho-Sprüche eher, wie schlimm sein Mord für ihn eigentlich ist? Hat sich Joker für seinen Freund gerächt oder hat er Gnade gezeigt? Hat er nun symbolisch endgültig seine weibliche Seite getötet oder hat er stattdessen gezeigt, dass er nicht bereit ist, vermeintlich weibliche Eigenschaften wie Mitgefühl zu unterdrücken?


Also ich finde, der Film erzählt ziemlich viele interessante Dinge über den Krieg.

Zitat von: manisimmati am 25 Juli 2013, 15:18:17
Was ist die Botschaft des ersten Teils?

Was ist die "Botschaft" von Lolita, 2001, Clockwork Orange, Barry Lyndon, Shining und Eyes Wide Shut? In Kubricks Filmen nach einer Botschaft zu suchen, ist meist ein eher sinnloses Unterfangen. Kay Kirchmann hat daher sein Buch über Kubrick auch passenderweise Das Schweigen der Bilder genannt.

Zitat
Ich glaube immer mehr, dass mir Kubricks Art, Filme zu machen, nicht besonders liegt.

Das kann natürlich sein und ist bei mir, wie man wohl merkt, genau anders herum. Von daher ist mein ganzes Geschreibe auch vollkommen überflüssig, denn entweder Zuschauer und Film resonieren oder eben nicht. Es gibt vermutlich auch ungefähr 100 Argumente warum Vertigo ein Meisterwerk ist. Mich hat er trotzdem persönlich nicht angesprochen.

manisimmati

Zitat von: Discostu am 25 Juli 2013, 18:31:55Der Film zeigt, dass Soldaten abgerichtet werden müssen, um im Krieg zu funktionieren. Er zeigt, dass sie heutzutage aber (im Gegensatz zu den Kriegen im 18. Jahrhundert [siehe Barry Lyndon] und zum Ersten Weltkrieg [siehe Wege zum Ruhm]) keine Roboter sein sollen, die willenlos in den Tod marschieren, sondern, dass sie Killer sein sollen, die individuelle Entscheidungen treffen und taktisch klug agieren. Er zeigt, dass für die Ausbildung die Ziele, zu denen diese Killer dann eingesetzt werden, unwichtig sind (weshalb Hartman sich positiv über Amokschützen äußert und dann selbst Opfer eines solchen wird). Er zeigt, dass die Soldaten dazu abgerichtet werden, alles Weibliche als feindlich wahrzunehmen und in sich selbst abzutöten (solange sie dies nicht schaffen, werden sie als "ladies" und "cocksucker" beschimpft). Er zeigt, dass die Soldaten, die im Vietnamkrieg kämpfen, nicht begründen können, warum sie dies tun, weil die Gründe für das Töten nicht Teil ihrer Ausbildung gewesen sind. Er zeigt, dass auch innerhalb der Militärmaschinerie jeder die Wahl hat, möglichst menschlich zu agieren (Joker), unmenschlich zu agieren (der Hubschrauberschütze) und, dass es natürlich eine große Grauzone dazwischen gibt (z.B. Animal Mother, ein rassistischer Macho, der aber auch Mut und Treue zu seinen Kameraden zeigt). Was uns die Schlussszene sagen soll, da gibt es viele Möglichkeiten:
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Ist Rafterman nun auch zu einem herzlosen Killer geworden, oder zeigen seine hysterischen Macho-Sprüche eher, wie schlimm sein Mord für ihn eigentlich ist? Hat sich Joker für seinen Freund gerächt oder hat er Gnade gezeigt? Hat er nun symbolisch endgültig seine weibliche Seite getötet oder hat er stattdessen gezeigt, dass er nicht bereit ist, vermeintlich weibliche Eigenschaften wie Mitgefühl zu unterdrücken?

Danke für diese Antwort, sehr interessant! Vor allem das mit dem Weiblichen ist mir so gar nicht ins Auge gesprungen. Mir fällt auch gerade auf, dass es neben den zwei Prostituierten und
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der Scharfschützin
sonst gar keine Frauen im Film gibt? Eine ziemlich selektive Darstellung unseres stärkeren Geschlechts ...

Zitat von: Discostu am 25 Juli 2013, 18:31:55Was ist die "Botschaft" von Lolita, 2001, Clockwork Orange, Barry Lyndon, Shining und Eyes Wide Shut? In Kubricks Filmen nach einer Botschaft zu suchen, ist meist ein eher sinnloses Unterfangen. Kay Kirchmann hat daher sein Buch über Kubrick auch passenderweise Das Schweigen der Bilder genannt.

Das stimmt schon. Natürlich ist die Frage "Was wollte uns der Regisseur damit sagen?" manchmal eine verfehlte, und bei Kubrick eh. Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, wenn mich die Bilder anschweigen. Nun ist es aber bei diesem Film so, dass ich "gefühlsmässig" überhaupt keinen Anschluss fand. (Anders, als etwa bei 2001 oder The Shining.) Ich war nicht dazu in der Lage, die Stimmung oder das Visuelle auf mich wirken zu lassen. Deshalb habe ich mich auf rationale Erklärungen zurückgezogen – wie ich zugeben muss, nur halbherzig. Eben, weil mir Kubrick keinen Anstoss gegeben hat, mich tiefer mit der Sache zu beschäftigen.

Zitat von: Discostu am 25 Juli 2013, 18:31:55Von daher ist mein ganzes Geschreibe auch vollkommen überflüssig, denn entweder Zuschauer und Film resonieren oder eben nicht.

Neeiin, das ist doch nicht überflüssig! Finde die Diskussion sehr spannend. Auch, wenn mich der Film nicht zu 100% angesprochen hat; bin immer dazu bereit, mich belehren zu lassen. Das ist dir hier schon ein bisschen gelungen. Bin schon auf dem Weg zur Besserung. ;)

PierrotLeFou

Zitat von: Mr. Blonde am 25 Juli 2013, 09:34:37Wenn ich das mal umstellen darf: Don't hate the Kubrick, hate the player.  :icon_mrgreen:

Ich kann aber wirklich nichts kultiges daran erkennen, wenn ein "Fettsack" bis zum Erbrechen gedmütigt wird und zwar auf einem sehr wohl plumpen, aber eben realistischem Level. Sowas passiert ständig (und wenn wir dabei schon nur ans Mobbing an sich denken) und wenn so ein Film auch dadurch zum Kult geworden ist, der solche Probleme aufzeigt, dann finde ich das gut. Dann darf und muss es eigentlich plump sein, damit es keinem entwischt. Was nun einige Chaoten mit Filmen anstellen, liegt aber nicht in der Verantwortung der Filmemacher, die immer nur eine gewisse Richtung vorgeben können.

Ich möchte nochmals betonen, dass es mir nicht um die Demütigung allein geht, sondern um das absurde Ausmaß: der pummelige, debilde Paula steht Krapfen essend in der Mitte (auch noch aus leichter Froschperspektive gefilmt), während die anderen - rechts und links von ihm aufgereiht (schön symmetrische Bildkomposition!) - singend (!) ihre Liegestütze machen müssen. Das ist ziemlich überzeichnet... und ich denke, das hätte für Kubricks Zwecke nicht sein müssen. Warum entscheidet er sich nun für so eine Szene? Weil sie im Gedächtnis bleibt und den Film zu etwas besonderem macht...? Das wäre jetzt die einzige Lösung, die mir einfällt: denn sein Anliegen (die greifende Gruppendynamik zu präsentieren) hätte er auch genauso unangenehm, aber weniger "speziell" umsetzen können. Für mich ist es eine etwas eitle Entscheidung eines längst zu Kultstatus gelangten Regisseurs, der mit dieser Szene weniger einem inhaltlichen Anliegen folgt, als vielmehr der Sicherung seiner ausgefallenen, besonderen Stellung als herausragender, ungewöhnlicher Regisseur...
Das (und noch viel mehr) darf er ja auch... Ich finde es nur ein bisschen schade.
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Mr. Blonde

Mobbing kennt aber eben keine Grenzen (siehe Siegburg-Mord) und natürlich wirkt sowas übertrieben und absurd für die meisten rational denkenden Leute. Sicherlich hat Kubrick dies eingefangen und gleichzeitig hyperstilisiert. Da wirkt das Grauenvolle gleich wieder hübsch komponiert und künstlerisch (von mir aus auch künstlich), aber dieses Motiv zieht sich ja auch durch A Clockwork Orange oder Shining. Es ist einfach grotesk, bei mir hat das damals sehr gewirkt.

Nun könnte man ihm unterstellen, er wollte mit solchen Szenen die Erwartungen erfüllen und seinen Status bestätigen, völlig legitim. Tarantino macht das seit fast zwanzig Jahren. Ich würde eher meinen, dass diese Szenen einfach typisch Kubrick sind und er nicht anders konnte. Nur wissen werden wir das nie und das finde ich schade.  :king:


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RoboLuster

26 Juli 2013, 03:38:34 #28 Letzte Bearbeitung: 26 Juli 2013, 03:45:39 von RoboLuster
Paula hätte nicht dick sein müssen, das wäre etwas subtiler im Rahmen, einen Krapfen hätte jeder schmuggeln können, ich hab sowas selbst schon gemacht. ;)

Am Ablauf der Szene, hätte sich nichts geändert, außer dass ein sportlicher, gutaussehender Supersoldat... äh Moment, den hätten sie vielleicht wirklich nicht durchgeknüppelt.^^

Es lag schon sehr am Einfluss des Drill Sargents, man kennt das doch, Rudelmentalität. Außerdem hat es den Gruppenzusammenhalt gestärkt. Psychologisch narürlich wichtig, Paula war perfekt dafür.
https://youtu.be/RPQOMyyg9b8                          
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