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Der Stummfilm - geschätzt, vergessen, verschollen und restauriert

Begonnen von Intergalactic Ape-Man, 25 Januar 2010, 19:43:57

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Reiben

Zitat von: PierrotLeFou am 28 Februar 2012, 17:14:46
...also keine qualitative Steigerung, sondern eine quantitative Steigerung der Mittel, Qualitäten zu erzielen...

Ich denke, dass trifft den Nagel auf den Kopf. Schön formuliert!
.mirrorS arE morE fuN thaN televisioN

vodkamartini

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 13:12:18

Zitat von: Reiben am 28 Februar 2012, 12:16:43

Man sollte aber nie vergessen, dass Stummfilme im Verhältnis zu Tonfilme beschränkt sind in ihrer Ausdrucksform. Tonfilme haben alle Ausdrucksmöglichkeiten, die Stummfilme auch haben, auch wenn sie sie nicht nutzen müssen. Das ist es glaube ich, was vodkamartini sagen wollte, und da kann man ihm nicht widersprechen.


Und das ist genau das verquere Mißverständnis, gegen das ich anzugehen versuche. Für solche Bemerkungen hätte Euch Fritz Lang die Ohren langgezogen (pun intended :icon_mrgreen:), und er hätte recht gehabt.
Man kann doch nicht rückblickend auf die einst zur Verfügung stehenden kulturellen Techniken schauen und aus heutiger Perspektive behaupten, sie seien beschränkt gewesen. Das ist allerplatteste Teleologie, die man gern den Kirchenvätern überlassen kann (nach denen ja alle Menschen vor Christi Geburt als Heiden in die Hölle, wenn auch inden äußersten Kreis, kommen – sie hatten halt Pech), die aber in einer zeitgenössischen Diskussion überhaupt nichts zu suchen hat.
Denn so gesehen wären unsere Seherfahrungen heutiger Filme auch total beschränkt, denn vielleicht werden ja in 50 Jahre Filme direkt ins Gehirn projiziert oder was weiß ich. DAnn können wir es auch gleich lassen und 50 Jahre warten - aber halt, angesichts der nächsten 50 Jahre sind wir ja dann schon wieder beschränkt!!!  :icon_eek:

Alles klar? Man muß die Kunst aus ihrer Zeit und mit den jeweils zur Verfügung stehenden Techniken betrachten, nicht von später aus. Dabei spielen persönliche Vorlieben überhaupt keine Rolle, sondern die Fähigkeit zur und Einsicht in eine angemessene historische Verortung.

So. Ende der heutigen Lektion.


Insgesamt ist mir dein Statement zu polemisch ("Kirchenväter ..."), zu überheblich ("verquere Mißverständniss", "Ende der heutigen Lektion") und auch an der Sache vorbei argumentierend.

Als Historiker weiß ich was du meinst, allerdings wirst du Wissen und Erfahrungen der Nachgeborenen niemals vollständig ausblenden können. Deshalb erfahren geschichtliche Quellen auch immwer wieder eine neue Deutung, obwohl sich an der Faktenlage nichts geändert hat. Prinzipiell sollte man versuchen vergangene Ereignisse aus der Zeit heraus zu betrachten und zu analysieren, sonst kommt man zu schiefen Urteilen. Vor allem muss man bei der Betrachtung berücksichtigen, was die Menschen zu jener Zeit nicht wussten bzw nicht wissen konnten. So weit, so gut.

In diesem Fall passt deine Argumentation allerdings nicht, da es hier nicht darum geht zu sagen "Stummfilme sind schlechter, weil sie keinen Ton (genauer keine gesprochenen Dialoge) hatten". Das wäre in der Tat platt und unsinnig, da es eben damals diese Möglichkeiten nicht gab. Trotzdem ist es richtig - und da geb ich Reiben durchaus recht - , dass der heutige Filme mehr Möglichkeiten hat, was sämtliche Instrumentarien über die der Stummfilm verfügte mit einschließt. Das Medium Film hat sich weiterentwickelt und so gesehen ist es durchaus richtig festzustellen, dass dem Stummfilm nur beschränke Mittel zur Verfügung standen die Realität oder irgendeine Fiktion abzubilden. Natürlich konnte er nichts dafür, da die Technik einfach nicht vorhanden war. Im übrigen bezweifle ich, was deine Behauptung impliziert, dass das nicht schon damals zumindest teilweise erkannt worden war. Schließlich wusste jeder, dass die Wirklichkeit (bei Filmen die versuchten dieser nahe zu kommen) nicht schwarz-weiß und ohne gesprochenes Wort daherkommt.

PierrotLeFou hat es weiter oben kurz und bündig zusammengefasst. Der heutige Film hat in der Summe mehr Möglichkeiten um Qualität zu erzeugen.

www.vodkasreviews.de

There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

pm.diebelshausen

28 Februar 2012, 18:50:17 #92 Letzte Bearbeitung: 28 Februar 2012, 19:00:29 von pm.diebelshausen
Und dennoch stehen ältere Filme jüngeren in nichts nach. Ich sehe Filme da anscheinend ganz anders als Reiben oder Discostu. Die Nähe zur Realität ist von vornherein eine Illusion und deshalb würde ich die nicht überschätzen. Letztlich ist Film eine Summe von Bildern, die auf etwas anderes verweisen.

Da ist mir völlig egal, ob man z.B. die Spezialeffekte der Stummfilmzeit als noch nicht so toll wie heute bezeichnen (und damit bewerten) kann: der Drache in den Nibelungen sieht aus wie ein Drache der Stummfilmzeit und ein Drache in "Beowulf" sieht aus wie einer von heute - beiden entnehme ich "Drache" und einige weitere Aspekte mehr. Dass da gar kein Drache ist ("Ceci n'est pas une pipe") ist in dieser Hinsicht unerheblich, denn ich sehe und verstehe, was mir der Film an dieser Drachenstelle erzählen will. Ob im Film jemand raucht oder nicht, ist wichtig, nicht ob die Zigarette "echt" aussieht, was sie sowieso nicht ist, denn ich kann sie nicht rauchen. Insofern kann ich ganze Welten von Filmen akzeptieren und mir erschließen, sofern sie für mich etwas zu bieten haben. Ansonsten stünde ich über den Filmdingen und wäre blind gegenüber der dem Film und dem Kino von Anfang an eigene und typische Leistungen, z.B. wenn ich die Filme zwischen 1895 und 1930 (in manchen Kulturen, ich habe es oben schon angeschnitten, auch später) als gehandicapt und lediglich in ihren Möglichkeiten beschränkt verstehe. Die Möglichkeiten sind nie das, was irgendeine Qualität oder irgendein Potenzial bedingt, sondern das, was aus jeweiligen Möglichkeiten gemacht wird, verdient die Aufmerksamkeit. Das sehe ich genau wie ratz.

Und ich würde auch widersprechen, dass Dialoge die Bildkraft nicht einschränken könnten: doch, doch, das Gelaber unnötiger Informationen kann wunderbar vom Bild ablenken und kann dazu führen, dem Bild schon bei der Herstellung wenig Aufmerksamkeit zu widmen. Das ist es ja gerade, dass mir seit der Revolution des Tonfilms nicht nur bestimmte Formen der Filmrezeption verschwanden, sondern sich auch Aufmerksamkeiten hinsichtlich verschiedener Bereiche filmischen Erzählens verschoben haben - ein Verlust, der möglicherweise durch all die tolle fortgeschrittene Technik von heute überhaupt nicht kompensierbar ist! Da sind durchaus Ausdrucksmöglichkeiten auf der Strecke geblieben, die der Tonfilm gegenüber dem Stummfilm nicht mehr hat. Das betrifft beispielsweise das akustisch-räumliche Erlebnis während einer klassichen Stummfilmvorführung. Das ist aber auch gerade das ästethische Erlebnis der Bildgestaltung und Qualität - bretzelte man einen Stummfilm so auf, dass er aussieht als wäre er heute gedreht: glaubt mir, es hätte nichts aber auch gar nichts gewonnen gegenüber flackernden Bildern. Auch die noch nicht entfesselte Kamera: dreht man heute mit solchen Einstellungen, stellt man sich geradezu provokant gegen überwiegend herrschende Kinokonventionen und Sehgewohnheiten, auch wenn man das vielleicht gar nicht beabsichtigt: diese Möglichkeit des filmischen Erzählens ist also eher abhanden gekommen, da sie in einem ganz anderen Kontext gesehen wird, als dass da der Tonfilm mehr Möglichkeiten geschaffen hätte.

Von diesem Fortschrittsdenken halte ich auch nichts. Damit geht weit mehr Arroganz oder besser: Hybris einher als damit, in einem Filmforum Aussagen zu kritisieren, die einen überraschend eng gefassten Begriff von "Film" an den Tag legen. :O]
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

ratz

Oh je. Ich mache noch einen letzten Versuch, meinen Punkt zu erklären.

Vorher noch ein Dankeschön an pm., der immer wieder und ganz unpolemisch  ;) sehr richtige Argumente eingbracht hat.

Und ja, mein Stil ist sehr kraftvoll, wenn ich (m)eine Position vertrete. Nur keine Tränen! Das mit der Lektion war eher selbstironisch gemeint, weil ich schon viel mehr herumdoziert hatte, als mir lieb war.

Zitat von: Reiben am 28 Februar 2012, 14:38:25

Völliger Unsinn. Das ganze ist simpelste mathematische Mengenleere


So sehr ich Deine mathematische Expertise bewundere, so sehr zeigt sie mir auch, daß Du immer noch nicht verstanden hast, worum es mir geht. Vielleicht meine Schuld.

Zunächst: Stummfilme wurden nie stumm aufgeführt. Es gab immer Musik oder Kommentar dazu. Soviel zur Annahme, es habe keine begleitenden akustischen Reize gegeben (und wenn es in Ausnahmefällen einer tatsächlich stummen Vorführung halt die von pm. angesprochnene Publikumsatmosphäre gewesen ist).
Dann: Wo steht denn geschrieben, daß der Film möglichst viele Sinne ansprechen muß? Er begann als rein visuelles Medium. Als Bonus gab es Musik dazu. In Singing in the Rain wird schön gezeigt, daß man (Industrie und Publikum) zunächst überhaupt nicht überzeugt war, den Tonfilm zu benötigen. Wenn man Gequatsche hören wollte, ging man ins Theater, dem Film blieb das rein visuelle Primat vorbehalten. Kein Mensch hat damals hörbar gesprochene Dialoge vermißt - warum auch, dafür war Film einfach nicht gedacht. Und überhaupt: Der Tonfilm hat Dir zufolge "mehr Ausdruckselemente". Ja und? Wird dadurch mehr ausgedrückt? Wird durch ein kompliziertes Ölbild mit Collagen von Anselm Kiefer mehr ausgedrückt als durch eine einfache Kohlezeichnung von Käthe Kollwitz? Es ist einfach eine andere Technik mit eigenen Wirkmechanismen.

Das Wort, das Du und vodkam. in Bezug auf die Ausdrucksformen des Stummfilms verwendet, ist "beschränkt". Beschränkt heißt, der Film bräuchte etwas, was er nicht hat. Oder was was ihm verweigert oder vorenthalten wird, so daß er nicht richtig funktionieren kann.
Aber das ist doch nun gerade der Punkt: Stummfilm-Macher und -Rezipienten hätten, bevor sich am Horizont die Möglichkeit des Synchrontons abzeichnete, sich nie als beschränkt empfunden. Im Gegenteil, sie waren eigentlich mit der Auslotung der gerade entdeckten visuellen Grammatik noch gar nicht fertig. Die Russen z. B. stellten unglaubliche Sachen mit Zwischentiteln an. Der Film war stumm, aber das wurde nun mal als Eigenschaft des Mediums begriffen. Ein Gemälde macht ja auch keine Geräusche, warum sollte dann das bewegte Bild welche machen.

Spricht man von "Beschränkung" oder "man hatte nicht so viele technische Möglichkeiten", so ist eine Wertung impliziert: Wieviel besser wäre es, wenn etc. Und man vergleicht dabei Äpfel mit Birnen.

Und jetzt hab ich keine Lust mehr. Nur noch so viel:

Zitat von: vodkamartini am 28 Februar 2012, 17:49:40

Als Historiker weiß ich was du meinst, allerdings wirst du Wissen und Erfahrungen der Nachgeborenen niemals vollständig ausblenden können. Deshalb erfahren geschichtliche Quellen auch immwer wieder eine neue Deutung, obwohl sich an der Faktenlage nichts geändert hat.

Nur reden wir hier nicht von Fakten, sondern von einer Kunstform und dem Zugang zu ihr, der evtl. erlernt werden muß. Wer das nicht tut oder tun will, guckt, wie man sieht, wie das Schwein ins Uhrwerk, sollte sich dann aber auch mit Urteilen entsprechend zurückhalten.

Zitat von: vodkamartini am 28 Februar 2012, 17:49:40

Schließlich wusste jeder, dass die Wirklichkeit (bei Filmen die versuchten dieser nahe zu kommen) nicht schwarz-weiß und ohne gesprochenes Wort daherkommt.


Auweia. Also wenn für Dich der Film versucht, "die Realität oder irgendeine Fiktion abzubilden" bzw. "der Wirklichkeit nahezukommen", dann kann ich Dir die fehlenden narrationstheoretischen Grundlagen hier auch nicht nachreichen. Schade halt nur, daß Dir bei einem so kleinen Fensterchen so viel da draußen verlorengeht...

RoboLuster

28 Februar 2012, 23:51:30 #94 Letzte Bearbeitung: 28 Februar 2012, 23:57:00 von RoboLuster
Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Kein Mensch hat damals hörbar gesprochene Dialoge vermißt -

Als der Film rauskam, waren die Menschen erstmal völlig aus dem Häuschen, weil sie bewegte Bilder sehen konnten. Dialoge haben sie genauso wenig vermisst, wie ein Papagei den Urwald vermisst, nachdem er beim Züchter geschlüpft ist.^^

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
- warum auch, dafür war Film einfach nicht gedacht.

Sie haben es einfach erstmal nicht hinbekommen, Dialoge und Bilder anständig synchron laufen zu lassen.

Das habe ich jedenfalls so gelesen (nicht das mit dem Papagei) und auch so in Erinnerung gehabt.

:-)
https://youtu.be/RPQOMyyg9b8                          
"Shoot first, think never!" - Ash

manisimmati

29 Februar 2012, 00:00:02 #95 Letzte Bearbeitung: 29 Februar 2012, 00:12:12 von manisimmati
Zitat von: Reiben am 28 Februar 2012, 14:38:25
Formal:
Ausdruckselemente des Stummfilms = A
Ausdruckselemente des Tonfilms = B


A ist Teilmenge von B. (Denn alles was der Stummfilm kann, kann auch der Tonfilm, aber nicht umgekehrt.)

Diese Rechnung geht nicht ganz auf bzw. sie ist zu sehr auf die Technik fixiert. Eines nämlich geht dem Tonfilm mit Sicherheit ab; und das ist die Möglichkeit, authentische Stummfilme zu machen. Natürlich ist es dem Tonfilm theoretisch möglich, den Ton heraus zu streichen und "so zu tun", als sei er ein Stummfilm. Das ist dann aber immer deutlich als Stilmittel erkennbar, als bewusste Beschränkung, um etwas auszurücken. Heute kann niemand mehr ernsthaft einen Film im Stile etwa eines Dr. Caligari drehen – weil dann jeder gleich "Hommage!" oder "Parodie!" oder "Nachmache!" rufen würde. Wir sind voreingenommen. Kurz: Was der Stumm- dem Tonfilm voraus hat, ist die Authentizität seiner Möglichkeiten. Kein "Stummfilm" aus der heutigen Zeit kann etwas anderes sein, als eine Simulation.

RoboLuster

29 Februar 2012, 00:17:48 #96 Letzte Bearbeitung: 29 Februar 2012, 00:22:20 von RoboLuster
Zitat von: manisimmati am 29 Februar 2012, 00:00:02
Heute kann niemand mehr ernsthaft einen Film im Stile etwa eines Dr. Caligari drehen – weil dann jeder gleich "Hommage!" oder "Parodie!" oder "Nachmache!" rufen würde. Wir sind voreingenommen.

Vollste Zustimmung hier. :respekt:

Das trifft ja schon auf Filme zu, wo eine Person gegen eine Gruppe von Bösewichten, einen (ausweglosen) Kampf bestreitet. Dann ist immer von einem "Die Hard Rip-Off" die Rede. Auch wenn ein Affe mit Schreibmachine auf diese Idee hätte kommen können, darf man das so nicht mehr verfilmen.


Zitat von: manisimmati am 29 Februar 2012, 00:00:02
Diese Rechnung geht nicht ganz auf bzw. sie ist zu sehr auf die Technik fixiert. Eines nämlich geht dem Tonfilm mit Sicherheit ab; und das ist die Möglichkeit, authentische Stummfilme zu machen. Natürlich ist es dem Tonfilm theoretisch möglich, den Ton heraus zu streichen und "so zu tun", als sei er ein Stummfilm. Das ist dann aber immer deutlich als Stilmittel erkennbar, als bewusste Beschränkung, um etwas auszurücken.

Sehe ich auch so, ein Stummfilm kann eine verständliche Handlung durch Bilder und Musik transportieren, während ein Tonfilm ohne Ton, dazu meistens nicht in der Lage ist.

Als beschränkt könnte man sie imo beide betrachten, ein Stummfilm kann nicht komplexe Handlungen mittels Dialog wiedergeben, und ein Tonfilm kann seine Handlung zumeist nicht ausschließlich durch seine Bildsprache ausdrücken. :icon_lol:
https://youtu.be/RPQOMyyg9b8                          
"Shoot first, think never!" - Ash

pm.diebelshausen

29 Februar 2012, 00:43:07 #97 Letzte Bearbeitung: 29 Februar 2012, 00:49:34 von pm.diebelshausen
Langsam wird in der Diskussion für mich deutlich, dass es eigentlich weniger um Stummfilme geht als um die grundlegendere Auffassung darüber, was Film ist bzw. zu sein hat. Je nach Neigung zur Beantwortung dieser Frage haben es dann z.B. Stummfilme (aber wahrscheinlich auch andere Filmkonzepte) schwer oder sie werden mit offenen Augen empfangen. Damit verbunden sind auch Vorstelungen von Fortschritt - ebenfalls eine viel grundlegendere Frage der Weltsicht als die der Stummfilmrezeption.

Eine sich objektiv gebende Aussage über das angeblich zweifellos größere Potenzial heutiger Filme gegenüber Stummfilmen z.B. aufgrund der zur Verfügung stehenden Technik halte ich wirklich für widerlegbar und widerlegt. Natürlich gibt es Filme, die so wie sie sind zwar heute, aber nicht in den 20ern hätten umgesetzt werden können - das liegt an technischer Entwicklung, das liegt aber auch an so etwas wie Zeitgeist. Wer als Filmgeschichtenerzähler Interesse an einer bestimmten Darstellung hat, der schafft sie innerhalb der bestehenden Möglichkeiten. Manchmal weitet er diese Möglichkeiten etwas über das bereits Bestehende aus (dann bewegt sich die Kamera in einer Einstellung von "Metropolis" eben doch, weil sie es muss, oder es werden Kameratechniken entwickelt wie bei visuellen Tüftlern Kubrick, Cameron oder Jackson) und manchmal beschränken sie ihre Möglichkeiten absichtlich (z.B. Coppola in seinem "Dracula", der gerade mit sog. veralteten Techniken gearbeitet hat - und ja: alles ruft "Hommage!" - sehr gutes Argument von manisimmati). Oder sie gehen eine Menge Kompromisse ein, aber wie auch immer, was entsteht hat seine Berechtigung und es daran zu messen, was zu anderer Zeit an anderem Ort entsteht oder entstanden ist, tut dem Kunstwerk an sich Unrecht. Wer einmal einen Stummfilm mit (mindestens passabler) Livemusik oder gar einem Kinoerzähler (der keineswegs einen fehlenden Ton ersetzt oder vorwegnimmt, sondern den Film im Kontext des zuschauenden Publikums begleitet, kommentiert, pointiert und dabei keinem festgezurrten Drehbuch folgen muss!) erlebt hat, kann dieses Erlebnis als etwas zu schätzen wissen, was nach Invention des Synchrontons kaum mehr unbefangen möglich ist.

Und wenn wir schon so nett beisammen sitzen: falls Jemand Guy Maddin noch nicht kennt, dem Stummfilm aber auch nach 1930 eine fröhliche Chance statt Missmut geben möchte, der sollte sich dessen Filme unbedingt mal ansehen, denn Maddin fängt da an, wo der Stummfilm zum Aufhören verdonnert wurde. Der wird aber nie einen Oscar bekommen, nicht aus Nostalgie und nicht wegen Innovation, sondern allein schon weil er Kanadier ist.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

vodkamartini

29 Februar 2012, 00:54:55 #98 Letzte Bearbeitung: 29 Februar 2012, 00:58:14 von vodkamartini
Das oh je kann ich nur zurückgeben. Dein Statement zeigt mit, dass du auch meines nicht verstanden hast, offenbar auch gar nicht verstehen willst, weil du in deienr Bewunderung, Liebe, oder was auch immer zum Stummfilm keine diesbezüglich kritische, oder anders geartete Meinung gelten lässt.

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Nur keine Tränen!
Keine Sorge, so wichtig ist mir das Thema nicht.

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05Das mit der Lektion war eher selbstironisch gemeint, weil ich schon viel mehr herumdoziert hatte, als mir lieb war.
Hat niemand von dir verlangt.

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Kein Mensch hat damals hörbar gesprochene Dialoge vermißt - warum auch, dafür war Film einfach nicht gedacht.
Woher weißt du, dass damals kein Mensch Dialoge vermisst hat? Gibt es diesbezüglich Erhebungen, Umfragen etc.? Quelle? Oder denkst du dir das einfach nur?

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Das Wort, das Du und vodkam. in Bezug auf die Ausdrucksformen des Stummfilms verwendet, ist "beschränkt". Beschränkt heißt, der Film bräuchte etwas, was er nicht hat. Oder was was ihm verweigert oder vorenthalten wird, so daß er nicht richtig funktionieren kann.
Hat niemand hier behauptet, dass der Stummfilm ohne Ton nicht richtig funktionieren kann. Das wird von dier hinein interpretiert.

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Aber das ist doch nun gerade der Punkt: Stummfilm-Macher und -Rezipienten hätten, bevor sich am Horizont die Möglichkeit des Synchrontons abzeichnete, sich nie als beschränkt empfunden.
Und wieder die Frage, woher willst du das wissen?

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Ein Gemälde macht ja auch keine Geräusche, warum sollte dann das bewegte Bild welche machen.
Das ist eine alberne Aussage. Immerhin haben bei den bewegten Bildern auch Menschen miteinander agiert und das hat auch schon damals recht häufig über Worte stattgefunden, aber lassen wir das.

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Zitat von: vodkamartini am 28 Februar 2012, 17:49:40

Als Historiker weiß ich was du meinst, allerdings wirst du Wissen und Erfahrungen der Nachgeborenen niemals vollständig ausblenden können. Deshalb erfahren geschichtliche Quellen auch immwer wieder eine neue Deutung, obwohl sich an der Faktenlage nichts geändert hat.

Nur reden wir hier nicht von Fakten, sondern von einer Kunstform und dem Zugang zu ihr, der evtl. erlernt werden muß. Wer das nicht tut oder tun will, guckt, wie man sieht, wie das Schwein ins Uhrwerk, sollte sich dann aber auch mit Urteilen entsprechend zurückhalten.
Und da ist sie wieder, die (im übrigen sehr deutliche) Überheblichkeit. Zum Glück hast du den vollen Durchblick. Gratuliere. Im übrigen hast du den hier unpassenden Vergleich mit der Historie als erster aufgebracht.


Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Zitat von: vodkamartini am 28 Februar 2012, 17:49:40

Schließlich wusste jeder, dass die Wirklichkeit (bei Filmen die versuchten dieser nahe zu kommen) nicht schwarz-weiß und ohne gesprochenes Wort daherkommt.


Auweia. Also wenn für Dich der Film versucht, "die Realität oder irgendeine Fiktion abzubilden" bzw. "der Wirklichkeit nahezukommen", dann kann ich Dir die fehlenden narrationstheoretischen Grundlagen hier auch nicht nachreichen. Schade halt nur, daß Dir bei einem so kleinen Fensterchen so viel da draußen verlorengeht...

Vielleicht solltest du mal genauer lesen, was geschrieben steht, bzw. dir mal die Mühe machen nachzuzuschauen auf welche deiner Behauptungen hier Bezug genommen wurde. Was ich versuchte zu erklären ist Folgendes: Die Menschen sehen auf der Leinwand andere Menschen, die miteinader in Kontakt treten und sich austauschen bzw. aufeinander reagieren. Nur eine Unterhaltung im Sinne eines hörbar gesprochenen Dialogs findet nicht statt. Dass dies niemand aufgefallen ist bzw. keiner vermisst hat, kan ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Aber vielleicht bringst du mir ja diesbezüglich ein paar Quellen, dann lass ich mich gern vom Gegenteil überzeugen.
Anders ausgedrückt: Deine ganze Argumentation fusst auf einer einzigen These, nämlich dass damals niemand - weder Macher noch Konsumenten - den Stummfilm in irgendeiner Form eingeschränkt gesehen hat, weil Farbe und gesprochene Dialoge fehlten (ja, ich weiß trotz meiner beschränkten Sichtweise durchaus, dass es Musik und auch Off-Kommentare gab). Das ist zunächst eine eine reine Behauptung bzw. Annahme deinerseits, die du bisher in keiner Weise belegen konntest.  

Zitat von: ratz am 28 Februar 2012, 23:25:05
Und jetzt hab ich keine Lust mehr.
Da sind wir endlich einer Meinung.

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There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

vodkamartini

Zitat von: pm.diebelshausen am 29 Februar 2012, 00:43:07
Langsam wird in der Diskussion für mich deutlich, dass es eigentlich weniger um Stummfilme geht als um die grundlegendere Auffassung darüber, was Film ist bzw. zu sein hat. Je nach Neigung zur Beantwortung dieser Frage haben es dann z.B. Stummfilme (aber wahrscheinlich auch andere Filmkonzepte) schwer oder sie werden mit offenen Augen empfangen. Damit verbunden sind auch Vorstelungen von Fortschritt - ebenfalls eine viel grundlegendere Frage der Weltsicht als die der Stummfilmrezeption.
Da stimme ich zu. Mich stört nur der in einigen Statements deutlich hörbare Unterton , dass andere Sichtweisen als "beschränkt" abgekanzelt werden und man damit dasselbe tut, was man den angeblichen "Stummfilm-Ignoranten" vorwirft.
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pm.diebelshausen

29 Februar 2012, 01:14:58 #100 Letzte Bearbeitung: 29 Februar 2012, 01:18:42 von pm.diebelshausen
"Beschränkt" nicht im klinischen Sinne, sondern in dem Sinne, dass da Filmfreunde sind, denen aufgrund der kommunizierten Haltung eben eine Menge tolle Sachen entgehen.

Deine Argumentation steht derzeit auf sehr wackligen Füßen, vodka, weil Du Dich darauf zurückziehst, ratzens Gegenposition die Belegbarkeit abzustreiten (ist ja nicht die erste Diskussion, bei der Du wenig nachlegst, wenn Du Gegenfeuer bekamst). Dem Argument "Stummfilm ist nichts (für mich), weil er nicht die tolle Möglichkeit hatte so zu sein wie heutige Filme" wurden von mehreren Seiten, auch von ratz - blick mal hinter die Polemik -, wie ich finde gute Argumente entgegengebracht. Klar, wenn einem etwas nicht passt oder schmeckt oder gefällt, dann ist das erstmal so, aber man kann doch auch mal was in Bewegung bringen und manchmal, ich habe das jedenfalls schon oft erlebt, kann man sich selbst eines besseren Belehren lassen und das war für mich immer eine Erweiterung meines Horizontes, also eine Bereicherung und nicht eine Beschränkung.

Gerade da es ja anscheinend um grundlegende Filmauffassungen geht, steht schließlich dann auch die allgemeinere Frage nach der Qualität von Meinungen bezüglich anderer Filme im Raum. Ich denke, das war, was ratz so überrascht und erschreckt hat, weil er so eine Stummfilm-Aussage von Dir nicht unbedingt, sondern ein breiteres Sehspektrum erwartet hätte.

Dass es Euch beiden jetzt schon wieder keine Lust mehr macht, finde ich bescheuert, denn da zeigt sich nun wirklich ein sehr enger Horizont bei Euch beiden, der nichtmal dazu reicht, sich zünftig zu streiten. Wozu sind wir denn hier? Also ich mach noch eine Weile weiter, meine Herren und die Dame. Bring it on!
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

manisimmati

Zitat von: vodkamartini am 29 Februar 2012, 00:54:55
Anders ausgedrückt: Deine ganze Argumentation fusst auf einer einzigen These, nämlich dass damals niemand - weder Macher noch Konsumenten - den Stummfilm in irgendeiner Form eingeschränkt gesehen hat, weil Farbe und gesprochene Dialoge fehlten (ja, ich weiß trotz meiner beschränkten Sichtweise durchaus, dass es Musik und auch Off-Kommentare gab). Das ist zunächst eine eine reine Behauptung bzw. Annahme deinerseits, die du bisher in keiner Weise belegen konntest.
Ich finde diese Annahme eigentlich fast schon evident. Natürlich können wir rückblickend behaupten, dem Stummfilm habe der Ton "gefehlt". Aber doch nur, weil wir heute wissen, dass er dazu kam. In fünfhundert Jahren werden die Filmfans wohl auch denken: "Wie konnten die sich mit dieser Grütze bloss zufrieden geben?" Hat uns das zu interessieren? Damals, als es die DVD neu gab, habe ich ziemlich gestaunt über deren Auflösung. Eine bessere Bildqualität konnte ich mir weder vorstellen, noch habe ich sie mir gewünscht. Na gut, vielleicht fehlt mir ja die Phantasie, aber so war's. :icon_mrgreen:

Zitat von: pm.diebelshausen am 29 Februar 2012, 00:43:07
Und wenn wir schon so nett beisammen sitzen: falls Jemand Guy Maddin noch nicht kennt, dem Stummfilm aber auch nach 1930 eine fröhliche Chance statt Missmut geben möchte, der sollte sich dessen Filme unbedingt mal ansehen, denn Maddin fängt da an, wo der Stummfilm zum Aufhören verdonnert wurde.
Danke für den Hinweis, werde mal rein schauen. :respekt:

Discostu

Zitat von: pm.diebelshausen am 29 Februar 2012, 00:43:07
Langsam wird in der Diskussion für mich deutlich, dass es eigentlich weniger um Stummfilme geht als um die grundlegendere Auffassung darüber, was Film ist bzw. zu sein hat.

Den Eindruck habe ich auch. Wer Filme eher als bewegte Gemälde wahrnimmt hat natürlich eine andere Einstellung zu Stummfilmen als jemand, für den es eher ein aufgezeichnetes Theaterstück ist. Das wird vor 100 Jahren aber auch schon so gewesen sein, weswegen die Frage, ob den Zuschauern damals etwas gefehlt hat, genauso wenig zu beantworten ist, wie ob Menschen heute was mit Stummfilmen anfangen können. Kommt einfach auf die jeweilige Person an. Und keine dieser Ansichten ist richtig oder falsch.

Discostu

Zitat von: manisimmati am 29 Februar 2012, 01:17:54

Ich finde diese Annahme eigentlich fast schon evident. Natürlich können wir rückblickend behaupten, dem Stummfilm habe der Ton "gefehlt". Aber doch nur, weil wir heute wissen, dass er dazu kam. In fünfhundert Jahren werden die Filmfans wohl auch denken: "Wie konnten die sich mit dieser Grütze bloss zufrieden geben?" Hat uns das zu interessieren? Damals, als es die DVD neu gab, habe ich ziemlich gestaunt über deren Auflösung. Eine bessere Bildqualität konnte ich mir weder vorstellen, noch habe ich sie mir gewünscht. Na gut, vielleicht fehlt mir ja die Phantasie, aber so war's. :icon_mrgreen:

Also mir fehlen CGI-Effekte die von echten Aufnahmen nicht zu unterscheiden sind. Nur, damit das für eine ähnliche Diskussion in 100 Jahren mal festgehalten ist!

vodkamartini

Zitat von: Discostu am 29 Februar 2012, 01:20:06
Wer Filme eher als bewegte Gemälde wahrnimmt hat natürlich eine andere Einstellung zu Stummfilmen als jemand, für den es eher ein aufgezeichnetes Theaterstück ist. Das wird vor 100 Jahren aber auch schon so gewesen sein, weswegen die Frage, ob den Zuschauern damals etwas gefehlt hat, genauso wenig zu beantworten ist, wie ob Menschen heute was mit Stummfilmen anfangen können. Kommt einfach auf die jeweilige Person an. Und keine dieser Ansichten ist richtig oder falsch.
Das meinte ich.
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pm.diebelshausen

Naja, für vodkas Infragestellung spricht, dass immerhin beständige Bestrebungen vorhanden waren, dem Film Ton zu geben. So weit kann ich da mitgehen. Aber man darf wiederum nicht vergessen, dass das Bestrebungen einiger weniger Filmschaffender waren, nicht gleichzusetzen mit Bedürfnissen der Filmkonsumenten! Die Tagebuchaufzeichnungen mit den Einträgen "Wann kommt denn nun endlich mal ein Tonfilm?" fehlen ebenso.

Ich denke auch, dass mit gesundem Menschenverstand abzuleiten ist, dass in der Stummfilmzeit kein Ton vermisst wurde. Ich habe weder das Handy noch das Internet vermisst, als es sie noch nicht gab. Dennoch hatte in vodkas und Reibens Sinne die Kommunikationstechnologie noch nicht die Möglichkeiten von heute. Schlechter? Besser? Fortschritt? Für mich gibt es bei solchen Fragen eigentlich nur die Antwort "anders". Es wird was gewonnen und zugleich was anderes verloren - wenn man schon mathematisch denken will, dann kommt am Ende alles in einer Gleichung auf Null raus. Mehr als vorher gibt es in dieser Welt nicht. Aber das ist nun wirklich weit vom Stummfilm weg und kann gerne in den Philosophiethread verschoben werden.

Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

vodkamartini

Zitat von: pm.diebelshausen am 29 Februar 2012, 01:14:58
"Beschränkt" nicht im klinischen Sinne, sondern in dem Sinne, dass da Filmfreunde sind, denen aufgrund der kommunizierten Haltung eben eine Menge tolle Sachen entgehen.

Deine Argumentation steht derzeit auf sehr wackligen Füßen, vodka, weil Du Dich darauf zurückziehst, ratzens Gegenposition die Belegbarkeit abzustreiten (ist ja nicht die erste Diskussion, bei der Du wenig nachlegst, wenn Du Gegenfeuer bekamst). Dem Argument "Stummfilm ist nichts (für mich), weil er nicht die tolle Möglichkeit hatte so zu sein wie heutige Filme" wurden von mehreren Seiten, auch von ratz - blick mal hinter die Polemik -, wie ich finde gute Argumente entgegengebracht. Klar, wenn einem etwas nicht passt oder schmeckt oder gefällt, dann ist das erstmal so, aber man kann doch auch mal was in Bewegung bringen und manchmal, ich habe das jedenfalls schon oft erlebt, kann man sich selbst eines besseren Belehren lassen und das war für mich immer eine Erweiterung meines Horizontes, also eine Bereicherung und nicht eine Beschränkung.

Gerade da es ja anscheinend um grundlegende Filmauffassungen geht, steht schließlich dann auch die allgemeinere Frage nach der Qualität von Meinungen bezüglich anderer Filme im Raum. Ich denke, das war, was ratz so überrascht und erschreckt hat, weil er so eine Stummfilm-Aussage von Dir nicht unbedingt, sondern ein breiteres Sehspektrum erwartet hätte.

Dass es Euch beiden jetzt schon wieder keine Lust mehr macht, finde ich bescheuert, denn da zeigt sich nun wirklich ein sehr enger Horizont bei Euch beiden, der nichtmal dazu reicht, sich zünftig zu streiten. Wozu sind wir denn hier? Also ich mach noch eine Weile weiter, meine Herren und die Dame. Bring it on!
Ich weiß schon, was er meint. Ich verschließe mich dieser anderen - aus heutiger Sicht fremdartigen - Filmsprache und bin dadurch engstirnig bzw. unaufgeschlossen. Die Wahrheit ist ist nicht ganz so simpel. Ich habe schon einige Stummfilme gesehen - nagle mich jetzt nicht fest welche - und konnte mich nie so recht dafür erwärmen. Mich hat dabei vor allem die oftmals übertriebene Mimik und Gestik der Darsteller gestört bzw. nicht gefallen, was natürlich bis zu einem gewissen Grad notwenig war. Vielleicht sollte ich mir mal wiedr einen ansehen, um zu überprüfen, ob es mir heute noch immer so geht.
Trotzdem habe ich Probleme mit der Aussage, dass damals niemand etwas vermisst, oder hinterfargt hat. Wie gesagt, das glaube ich einfach nicht, kann es aber ebenfalls nicht belegen.
www.vodkasreviews.de

There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

PierrotLeFou

Zitat von: vodkamartini am 29 Februar 2012, 01:04:45
Zitat von: pm.diebelshausen am 29 Februar 2012, 00:43:07
Langsam wird in der Diskussion für mich deutlich, dass es eigentlich weniger um Stummfilme geht als um die grundlegendere Auffassung darüber, was Film ist bzw. zu sein hat. Je nach Neigung zur Beantwortung dieser Frage haben es dann z.B. Stummfilme (aber wahrscheinlich auch andere Filmkonzepte) schwer oder sie werden mit offenen Augen empfangen. Damit verbunden sind auch Vorstelungen von Fortschritt - ebenfalls eine viel grundlegendere Frage der Weltsicht als die der Stummfilmrezeption.
Da stimme ich zu.

Ich denke ja, dass "Film" als Oberbegriff letztlich alles umfasst, was irgendwann mal als "Film" präsentiert wird... ein Film mit bewegten Bildern und Tönen ist für mich (!) damit nicht filmischer als ein Film ohne Töne (zB. Dreyers Jeanne D'Arc - man muss natürlich leise sein, sonst hört man die Stille nicht), ein Film ohne bewegte Bilder (zB. Markers "La jetee", Godards "Letter to Jane") oder ein Film ohne Bilder (zB. Jarmans "Blue", Ruttmanns "Weekend", Santos "Mahlzeit")... Das ist meines Erachtens alles gleichermaßen filmisch, ich denke nicht, dass eine Form der anderen vorzuziehen ist.

Ich bin daher froh über das Entstehen des Tonfilms ohne ihn zugleich dem Stummfilm gegenüber als überlegen anzusehen... und so wie ich das sehe, nehmen da Ratz und Vodkamartini eigentlich einen sehr ähnlichen Standpunkt ein und die Differenz liegt meiner Ansicht nach im Gebrauch der Worte... ("beschränkt" klingt natürlich recht polemisch und reizt zur Erwiderung... Ein Tauber lässt sich vermutlich auch nicht gerne als "beschränkt" bezeichnen, bloß weil ihm da ein Sinn fehlt... :icon_mrgreen:)

(Für mich macht dieses mit/ohne Bild/Ton auch nicht den ganz großen Unterschied aus, den man im Kino so antreffen kann - da scheint mir etwa das Verhältnis Animationsfilm/"Real"-Film viel interessanter zu sein: früher hatte man einen echt angemalten Hintergrund mit echten Miniaturmodellen vor der Kamera, heute habe ich nach der Kamera erzeugte CGI-Effekte, die dann mit abgefilmten Material gemischt und als Realfilm verkauft werden... diese Vermischung von Animationsfilm und Realfilm halte ich für den - gerade auch angesichts mangelnder theoretischer Beschäftigung mit diesem Thema - folgenschwereren Wechsel in der Filmgeschichte, während mir dieser Stumm-/Tonfilmbruch dagegen weniger drastisch erscheint... aber gut, das gehört jetzt nicht in diesen thread...)


Noch eine kleine Anmerkung zur Frage danach, was Film für einen ist: Kracauers "Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit" ist übrigens ein angenehm zu lesender und lesenswerter Versuch, das Filmische des Films aufzudecken... ich bin zwar kein Freund von einer solch "favorisierenden" Herangehensweise (ich frage mich bis heute, was es für Kracauer letztlich bedeutet, wenn ein Film unfilmischer ist als ein anderer...), aber die Argumentation des Buches ist insgesamt doch sehr erstaunlich und hilfreich... :D
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

pm.diebelshausen

Zitat von: vodkamartini am 29 Februar 2012, 01:33:34Vielleicht sollte ich mir mal wiedr einen ansehen, um zu überprüfen, ob es mir heute noch immer so geht.

Aber dann tu Dir den Gefallen und sehe ihn weniger als Vertreter des Typus "Stummfilm", sondern als Film. Allein der Gebrauch des Wortes "Stummfilme" suggeriert ja irgendwie Einheitlichkeit ("Kennste einen, kennste alle"), was genauso Quatsch wäre, wie einen Krimi zu sehen und dann Krimis abzulehnen. Das ist ja auch, was ich von der Wirkung des "Artist" befürchte.

Zitat von: vodkamartini am 29 Februar 2012, 01:33:34
Ich habe schon einige Stummfilme gesehen - nagle mich jetzt nicht fest welche - und konnte mich nie so recht dafür erwärmen.

Klingt halt doch nach einer sehr oberflächlichen Beschäftigung. Auch dieses wiederkehrende Argument mit der Mimik. Das kann man nur so sehen, wenn man (noch) nicht viel gesehen hat. Auch da sind Stummfilme aus unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedlich.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

RoboLuster

29 Februar 2012, 10:47:51 #109 Letzte Bearbeitung: 29 Februar 2012, 10:58:10 von RoboLuster
Zitat von: PierrotLeFou am 29 Februar 2012, 02:06:19
die Differenz liegt meiner Ansicht nach im Gebrauch der Worte... ("beschränkt" klingt natürlich recht polemisch und reizt zur Erwiderung... Ein Tauber lässt sich vermutlich auch nicht gerne als "beschränkt" bezeichnen, bloß weil ihm da ein Sinn fehlt... :icon_mrgreen:)

vodkamartini hat auch nie behauptet, der Stummfilm sei beschränkt, die technischen Möglichkeiten waren damals sehr wohl noch nicht soweit, sie haben es nicht hinbekommen! Habe ich gestern schon geschrieben. Bilder - Synchronspur - nix passen! Von daher hat sich der Stummfilm auf seine technischen Möglichkeiten beschränkt.

Heute ärgert sich doch auch keiner darüber, wenn gesagt wird, die Autos von früher waren auf "was weiß ich wieviel PS" beschränkt und sagt, die wollten halt nur nicht schneller fahren. Oder, Schwarz Weiß Fernseher waren nicht beschränkt auf Schwarz Weiß, ne, die wollten bloß keine Farbe.

Und ein Tauber muss sich auch auf seine restlichen Sinne beschränken, denn er kann nicht hören, und der Stummfilm beschränkt sich auf die Bildsprache und Musik, später mit eingefärbten Szenen, Off-Sprecher usw. Das ist halt so, beschränkt heißt dabei nicht Horizont beschränkt.
https://youtu.be/RPQOMyyg9b8                          
"Shoot first, think never!" - Ash

Mayoko

Zitat von: PierrotLeFou am 28 Februar 2012, 17:14:46
Aber Vorsicht scheint mit geboten bei der Rede vom Vorteil, den Mayoko anspricht: Ich denke, der Vorteil ist nicht der, dass der Tonfilm bessere Filme hervorbringen kann als der Stummfilm, sondern der Vorteil liegt darin, dass der Film insgesamt nun mehr Möglichkeiten hat, sehr gute Filme hervorzubringen... also keine qualitative Steigerung, sondern eine quantitative Steigerung der Mittel, Qualitäten zu erzielen...
Was anderes wollte ich mit dem genannten "Vorteil" auch gar nicht sagen.  :icon_mrgreen:
War vielleicht etwas missverständlich von mir formuliert.

Na ja, was das Wörtchen "beschränkt" angeht: Ich glaube sehr wohl, dass es früher Menschen gab, die in gewissen Szenen eines Films gerne Ton gehört hätten, oder gerne bunte Bilder gesehen hätten. Nur die Möglichkeiten für diese technischen Errungenschaften waren einfach noch nicht so weit, bzw. nicht ausgereift genug.
Eigentlich liegt es aber auf der Hand, das sich der Film so "weiterentwickeln" musste, wie er heute ist. Mit Ton und bunten Bildern. Schließlich nimmt der Mensch die Welt in dieser Form eben wahr. Es war also nur ein logischer Schritt, das es so kommen musste.
Ich denke auch, dass durch das effektive Nutzen aller Mittel und Möglichkeiten, der Effekt einer perfekten Illusion verstärkt wird. Dadurch wirkt das Fiktive zunehmend immer realer. Ist das jetzt wirklich gut so? Ich weiß es nicht...
Und vielleicht geht genau deshalb vielen der Zauber des Films allmählich ab.

Don´t worry, be happy!

pm.diebelshausen

29 Februar 2012, 11:48:57 #111 Letzte Bearbeitung: 29 Februar 2012, 11:55:34 von pm.diebelshausen
Mit den Autos hast Du nun ein sehr schönes Beispiel gebracht, Robo. Denn es mag ja sein, dass es Menschen gab, die gerne noch schnellere Autos wollten (sicherlich die, die in ihnen fuhren), aber im städtischen Straßenverkehr wurden seinerzeit auch mit für heute lächerlichen PS und km/h Verkehrstote produziert. Viele waren nicht in der Lage, mit diesen neuen Geschwindigkeiten umzugehen, noch schnellere Autos, wären sie technisch möglich gewesen, 250 oder 500 PS hätten eine katastrophale Lebensbedrohung dargestellt.

Zurück zum Thema Film: lebensgefärdend ist da zwar nichts, aber Dein Beispiel bringt jetzt noch einen weiteren Aspekt hinzu, nämlcih den der Gewöhnung. Selbst wenn ich Fortschritt in Frage stelle (vor allem hinsichtlich eines zunehmenden "besser als vorher"), sind krasse Entwicklungssprünge für das Gewöhnungstier Mensch vielleicht gar nicht so gut. Der nach vielen technisch unterschiedlichen Versuchen des Tonfilms letztlich doch recht plötzliche Sprung zum Lichttonverfahren hat eine gerade stattfindende Entwicklung (ratz sprach ganz richtig von der Auslotung der gerade entdeckten visuellen Grammatik) regelrecht abgetötet und da blieb einiges auf der Strecke, was nicht von der neuen Vorstellung, wie Film zu funktionieren habe, fortgeführt wurde. Aber noch etwas anderes: der Auto-Vergleich passt gut zu meinem Hinweis, dass das Bedürfnis technischer Fortentwicklung mehr das der Entwickler als der Konsumenten ist. Konsumiert wird, was es gibt, kaum einer sagt sich: "Ich sehe keine VHS-Tapes solange es keine Blu-rays gibt, denn die werden ein viel, viel besseres Bild haben".

Die Menschen der 20er waren noch damit beschäftigt, sich an den modernen Straßenverkehr zu gewöhnen: im Jahr 1929 gab es in Deutschland 5867 Verkehrstote, im Jahr 2011 waren es 3991. Einen Vergleich dieser Zahlen müsste man natürlich stark differenzieren, aber für das Anzeigen einer deutlichen Tendenz reicht das immernoch aus. Film war jung, das Kino war noch jünger, vieles, was es neuerdings zu sehen gab, hatte man noch nie gesehen. Und jetzt komme ich wieder auf die allgemeine Grundhaltung gegenüber Film: dass wir heute zu den Menschen gehören, die Stummfilme aufgrund der Gewöhnung für unattraktiv halten können, ist nachvollziehbar. Wir sehen da Dinge, die wir längst gewöhnt sind. Aber, ich sag mal, da vermisse ich dann einen Rest kindlichen Staunens und mehr noch ein gewisses Distanzvermögen zu sich selbst und die Infragestellung eines womöglich zu kurzsichtigen oberflächlichen verallgemeinernden Blickes. Erstens könnte man auch die Art des Schauspiels in der Stummfilmzeit als etwas Fremdes und Andersartiges seinerseits wieder spannend und faszinierend finden - klappt aber nicht, wenn man zu sehr darauf bedacht ist, womit man bereist was anfangen kann, und umgekehrt sich selbst vernagelt. Darüber kann man wie gesagt - Geschmacksfrage - streiten. Aber mehr noch: es wäre einfach ein Trugschluss, wenn man meinte, man habe sich an all die Schauwerte und Emotionswerte der Stummfilme gewöhnt und sie hätten einem gegenüber neuen Filmen nicht zu bieten.

Filme sind etwas Ganzheitliches und damit insofern nah an der Realität (wenn auch weit, weit von ihr entfernt), als dass sie hochkomplexe und zahlreiche Informationen und Reize bergen, die man nichtmal bei einem Mal sehen gänzlich erfassen könnte. Kennen wir doch alle hier, dass ein Film auf einen zu unterschiedlichen Zeiten aus unterschiedlichsten Gründen völlig anders wirken kann. Und das ist nun wirklich nicht abhängig vom technischen Stand zur Zeit seiner Entstehung. Das ist die eigene Disposition, Film wird geschaffen, wenn man ihn siehtnicht durch die Technik, die zur Verfügung stand oder hätte oder nicht hätte zur Verfügung stehen können. Autos mit 20 PS, s/w-Fernsehen, Film ohne Tonspur reichten aus, hatten alle Möglichkeiten, zu begeistern und wenn das jemand heute nicht mehr so erleben kann oder will, dann ist es nicht dem Mangel an Technik seinerzeit oder den Filmen vorzuwerfen. Dann muss man sich doch fragen, warum man Film toll findet, aber zu einem riesigen Korpus an Filmen keinen Zugang hat.


EDIT: Die frage nach der "perfekten Illusion", die Mayoko anspricht, stellt sich für mich keineswegs aus der Perspektive des Films: Illusion ist letztlich ein Potenzial des Zuschauers, der sich illusionieren lässt. Der sich gerne illusionieren lässt. Wer Distanz schafft, z.B. um noch professioneller Reviews schreiben zu können, versagt sich dem Zauber des Kino-Staunens. Ist bei Erwachsenen ja angeblich eine Tugend, sachlich und objektiv und so weiter zu sein, auch wenn es um Film geht. Ich appeliere da viel mehr an den Ursprung unseres Filmstaunens und unserer Illusionierbarkeit: das ist das Staunen des Kindes, das sich noch nicht hat gewöhnen können, für das alles spannend ist und für das vor allem alles lebendig und real ist. Völlig Wurst, ob ein Film in den 20ern gezeichnet wurde oder sich möglichst "real" aufgrund modernster Technik gibt (vgl. Pierrot oben): das Staunen-Können ist die Grundlage, sonst hat man tatsächlich wenig Spaß an einem Film.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

ratz

Zitat von: Discostu am 29 Februar 2012, 01:20:06

Wer Filme eher als bewegte Gemälde wahrnimmt hat natürlich eine andere Einstellung zu Stummfilmen als jemand, für den es eher ein aufgezeichnetes Theaterstück ist. Das wird vor 100 Jahren aber auch schon so gewesen sein, weswegen die Frage, ob den Zuschauern damals etwas gefehlt hat, genauso wenig zu beantworten ist, wie ob Menschen heute was mit Stummfilmen anfangen können. Kommt einfach auf die jeweilige Person an. Und keine dieser Ansichten ist richtig oder falsch.

Das ist doch eigentlich ein schöner Schiedsspruch. Obwohl ich mit dem Zündeln angefangen hab, bin ich jetzt doch etwas streitmüde, aber ich denke, mein Punkt ist klargeworden. Ich finde es falsch, den Stummfilm als quasi amputierten Vorgänger des Tonfilms zu sehen, dem zum "richtigen" Ausdruck etwas entscheidendes fehlt. Es ist eine vollwertige, eigenständige Kunstform mit ganz eigenen Spezifiken. Diese muß man sich vielleicht erst zueigen machen, aber es ist wie immer mit der Kunst: Nur wenn man investiert, wird man belohnt.
Den Filmen Murnaus, Langs, Dreyers und vieler anderer ist eine künstlerische Souveränität spürbar, die sie absolut gleichwertig neben berühmten Beispielen des frühen oder heutigen Tonfilms stehen läßt (Renoir z.B. wäre als Stummfilmer wohl nicht glücklich geworden, oder Scorcese).

Klar gibt es wie immer den Mainstream, der stets nach neuen Möglichkeiten geifert, die totale Berieselung zu komplettieren (man erinnere sich an Rubbelblättchen mit Gerüchen im Kino). Das war gewiß zu Stummfilmzeiten auch so, und so hat ja dann auch das Publikum nach Tonfilmen verlangt. Die Mühelosigkeit ist immer attraktiver und beliebter als die Anstrengung, zu abstrahieren, Dinge selbst und für sich zu vervollständigen oder weiterzudenken. Nur weil der Stummfilm den Ungeübten diese Anstrengung etwas mehr abverlangt, ist er deswegen nicht "beschränkt", sondern eine Filmsprache, die man erlernen kann.

@vodka: Ja, mein Ton mag manchmal etwas herablassend sein, besonders wenn jemand in meinen Vorgarten pißt, aber das steckst Du doch weg  :icon_mrgreen:

cu, r.

Discostu

Zitat von: PierrotLeFou am 29 Februar 2012, 02:06:19
(Für mich macht dieses mit/ohne Bild/Ton auch nicht den ganz großen Unterschied aus, den man im Kino so antreffen kann - da scheint mir etwa das Verhältnis Animationsfilm/"Real"-Film viel interessanter zu sein: früher hatte man einen echt angemalten Hintergrund mit echten Miniaturmodellen vor der Kamera, heute habe ich nach der Kamera erzeugte CGI-Effekte, die dann mit abgefilmten Material gemischt und als Realfilm verkauft werden... diese Vermischung von Animationsfilm und Realfilm halte ich für den - gerade auch angesichts mangelnder theoretischer Beschäftigung mit diesem Thema - folgenschwereren Wechsel in der Filmgeschichte, während mir dieser Stumm-/Tonfilmbruch dagegen weniger drastisch erscheint... aber gut, das gehört jetzt nicht in diesen thread...)

Auch wenn es Off-Topic ist: Da sehe ich ehrlich gesagt gar keinen wirklichen Bruch. Schon in den Frühzeiten des Films hat es Matte Paintings gegeben, die im Nachhinein mit dem abgefilmten Material gemischt wurden und auch andere Effekte wurden erst in der Nachbearbeitung erzeugt. Und dass Schauspieler mit Zeichentrickfiguren agieren ist auch schon ein alter Hut. Heute sind sie halt nicht gezeichnet sondern computeranimiert.

PierrotLeFou

Zitat von: Mayoko am 29 Februar 2012, 11:32:55
Zitat von: PierrotLeFou am 28 Februar 2012, 17:14:46
Aber Vorsicht scheint mit geboten bei der Rede vom Vorteil, den Mayoko anspricht: Ich denke, der Vorteil ist nicht der, dass der Tonfilm bessere Filme hervorbringen kann als der Stummfilm, sondern der Vorteil liegt darin, dass der Film insgesamt nun mehr Möglichkeiten hat, sehr gute Filme hervorzubringen... also keine qualitative Steigerung, sondern eine quantitative Steigerung der Mittel, Qualitäten zu erzielen...
Was anderes wollte ich mit dem genannten "Vorteil" auch gar nicht sagen.  :icon_mrgreen:
War vielleicht etwas missverständlich von mir formuliert.

Ich wollte auch nichts unterstellen, aber ohne Erklärung kann das Wort "Vorteil" durchaus falsch verstanden werden...




Zitat von: Discostu am 29 Februar 2012, 12:26:26
Zitat von: PierrotLeFou am 29 Februar 2012, 02:06:19
(Für mich macht dieses mit/ohne Bild/Ton auch nicht den ganz großen Unterschied aus, den man im Kino so antreffen kann - da scheint mir etwa das Verhältnis Animationsfilm/"Real"-Film viel interessanter zu sein: früher hatte man einen echt angemalten Hintergrund mit echten Miniaturmodellen vor der Kamera, heute habe ich nach der Kamera erzeugte CGI-Effekte, die dann mit abgefilmten Material gemischt und als Realfilm verkauft werden... diese Vermischung von Animationsfilm und Realfilm halte ich für den - gerade auch angesichts mangelnder theoretischer Beschäftigung mit diesem Thema - folgenschwereren Wechsel in der Filmgeschichte, während mir dieser Stumm-/Tonfilmbruch dagegen weniger drastisch erscheint... aber gut, das gehört jetzt nicht in diesen thread...)

Auch wenn es Off-Topic ist: Da sehe ich ehrlich gesagt gar keinen wirklichen Bruch. Schon in den Frühzeiten des Films hat es Matte Paintings gegeben, die im Nachhinein mit dem abgefilmten Material gemischt wurden und auch andere Effekte wurden erst in der Nachbearbeitung erzeugt. Und dass Schauspieler mit Zeichentrickfiguren agieren ist auch schon ein alter Hut. Heute sind sie halt nicht gezeichnet sondern computeranimiert.

Hm, das könnte jetzt eine Diskussion werden, die womöglich in einen anderen thread verschoben werden müsste... aber antworten möchte ich trotzdem: Gegen Matte Paintings habe ich gar nichts einzuwenden, die sind lange Zeit ganz problemlos totaler Bestandteil des Realfilms gewesen, insofern es sich um sinlich wahrnehmbare Tricks vor der Kamera handelte... und die Montage im Bild, die einige gefilmte Szenen zu einer einzigen zusammenschweißt, ist letztlich auch kein Problem, da hat man bloß die Montage innerhalb der Einstellung, eine Collage aus real abgefilmten Objekten oder Malereien.

Die Computeranimation jedoch ist direkt mit dem Animationsfilm verbunden: hier wird nichts mehr zunächst ausgenommen und anschließend mit anderen aufgenommenen Bildern zusammenmontiert, sondern hier werden aufgenommene Bilder mit Bildern verbunden, die niemals aufgenommen worden sind.

Schauspieler in Aktion mit Animationsfiguren stellen ja einen Sonderfall der Realfilm/Animationsfilm-Mischung dar, insofern sie das Nebeneinander beider Typen ausdrücklich thematisieren. Da halte ich eine Mischung aus Darstellern und CGI-Figuren durchaus für brauchbar, da das Verhältnis bereits das Thema ist. In der Regel scheint es aber das Ziel zu sein, die Grenze zwischen Animation und Realfilm deutlich zu verwischen, man strebt ja in der Regel keine CGI-Effekte an, die sich überdeutlich als solche zu erkennen geben... Der Animationsfilm gerät hier zum Mittel des Realfilms, die extreme Distanz zwischen diesen Formen wird an keiner Stelle reflektiert... mit der Folge, dass der Realfilm seinerseits mehr und mehr zum Animationsfilm verkommt: von abgefilmter und montierter Wirklichkeit (zu der Matte Paintings ebenso gehörten wie Miniaturmodelle usw.) kann keine Rede mehr sein, wenn man es mit digital konstruierten Bildern zu tun hat, die das Ziel anstreben, wie real abgefilmte Bilder zu wirken.

Natürlich gab es schon vor der CGI-Technik Beispiele für solch unreflektierte Mischungen: gezeichnete Details in Realfilmen, die nicht den Eindruck von Zeichnungen erwecken sollten (etwa einige Vögel in Hitchcocks Birds) - das war aber eher die Ausnahme, während dasselbe Prinzip heute eher schon die Regel ist... zudem meine ich solch "flüchtige" Details, die man ohnehin kaum wahrnehmen kann, vernachlässigen zu können: unsichtbare, "ungreifbare" Elemente (zB. Lichterscheinungen & bewegte Objekte, die sich schneller bewegen als man sie mit dem Auge verfolgen kann) machen sich in der Praxis ohnehin nicht bemerkbar...
Aber wenn ich mir "Jurassic Park", "300", "Alice in Wonderland", "HdR", "Sucker Punch" etc. so ansehe, dann habe ich da Filme, die gleichzeitig aus zwei völlig grundverschiedenen Medien bestehen (Realfilm und Animationsfilm) und so vermixt werden, dass die Grenze dazwischen verwischt werden soll... aber ein ästhetisches Konzept, eine erklärende Filmtheorie liegt diesen Filmen nicht zugrunde... und ich kann bisher nicht anders, als diese Mischung als "unbekümmert" anzusehen... Diese Filme sind natürlich nicht "unfilmisch", das will ich gar nicht sagen: aber sie übersehen völlig die zwei grundverschiedenen zugrundeliegenden Medien...
Ich muss gestehen, dass ich daher nun auch kein CGI-Fan bin, aber paradoxerweise habe ich mit deutlich als CGI erkennbaren CGI-Effekten überhaupt keine Probleme: diese Filme, die als vollständige Animationsfilme oder als Mischfilme aus Realfilm und deutlich als CGI ausgewiesenem Animationsfilm letztlich die Grundlage des Animationsfilms keinesfalls verwischen, die nicht Animationsfilm und Realfilm "in eins setzen", stellen auch keine theoretischen Problemfälle dar. ("Enter the Void" kann da einige Szenen aufweisen, die ich in dieser Hinsicht sehr bewundere... wenngleich er auch einige enthält, die mir dann wieder weniger schmecken...)

Und wenn dann ein James Cameron ganz naiv daherkommt und zum Thema CGI verlauten lässt, man würde ja - hätte man sich jemals auf einem Filmset befunden - wissen, dass Film niemals "echt" war, dann greift er da ganz gehörig zu kurz: natürlich sind Rückprojektion, Bluescreen, Matte Paintings und all diese Techniken immer schon Illusion gewesen, damals aber setzte sich das Bild aus den Dingen VOR der Kamera zusammen (wenn auch mitunter nachträglich noch ineinandermontiert), heute geben sich Filme als Realfilme aus, die auf Material zurückgreifen, das niemals vor irgendeiner Kamera existiert hat... (Das ist der springende Punkt, und gerade dass Leute wie Cameron, die die Filmtechnik und den Film revolutionieren wollen, von der Medientheorie oder einer Philosophie des Film(en)s gleichzeitig ganz offenkundig eine so erstaunlich geringe Ahnung haben, halte ich für eine fatale Entwicklung der letzten Jahre...) Besonders bizarr wird es dann, wenn von Trier das Konzept versiegelter Zeit aufgreift und gleichzeitig auf das das VOR-der-Kamera teilweise verzichtet... da hat dann das Konzept ne ziemliche Schieflage. (Aber gut, Kino ist vor allem ne Kommerzfrage und wenn die Leute Filme sehen wollen, in denen zwischen Vor-Bild und Bild und Bildbearbeitung kaum noch eine Unterscheidung mehr stattfindet, dann ist das halt leider so...)
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Kayfabe

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pm.diebelshausen

Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

PierrotLeFou

Zitat von: pm.diebelshausen am 11 März 2012, 17:27:01
Na endlich - da freu ich mich drauf.  :respekt:

Ja, das finde ich auch recht schön...



aber die Freude wird natürlich dadurch getrübt, dass auf DVD dann eine "fast vierstündige" Version Coppolas vorliegt, obwohl der Film inzwischen mit über 5 1/2 Stunden als restaurierte Fassung vorliegt... (gut, angesichts der unterschiedlichen Vorführgeschwindigkeiten schrumpft der Unterschied dann nochmal auf ne 3/4-Stunde zusammen...)  :icon_sad:
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Kayfabe

Ich hatte ja schon so etwas in der Art befürchtet. Aber gibt es überhaupt echte Alternativen (mit der längeren Restauration?) zu der kommenden Veröffentlichung?
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