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Filme für die Ewigkeit - die Ergebnisse

Begonnen von Dale Cooper, 15 März 2017, 14:06:36

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Mr Orange

13 September 2017, 19:58:04 #240 Letzte Bearbeitung: 13 September 2017, 20:00:52 von Mr Orange
Zitat von: PierrotLeFou am  9 Juli 2017, 15:49:06
Zitat von: Stefan M am  9 Juli 2017, 12:55:53
Ich habe in der vergangenen Woche bei meiner Amazon-Einkaufstour erstmals "mutig" zugegriffen und mir auf Verdacht Filme geschaut, die sonst so gar nicht in mein Raster passen, darunter auch "Belle de Jour" und "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" von Luis Bunuel, von dem mir bislang lediglich sein "Andalusischer Hund" und "Das goldene Zeitalter" zu Gesicht gekommen sind. Warum auch immer, da mich ja vor Jahren "Ein andalusischer Hund" ungemein fasziniert hat. Nun habe ich mir mal "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" vorgenommen - und was soll ich sagen? Wunderbar absurd, meist schreiend komisch, teilweise böse, aber irgendwie immer leichte Unterhaltung. Ein Grund, warum ich so lange mit der Kneifzange an Bunuel herangegangen bin, ist wohl auch der, daß ich höchste Sperrigkeit vermutete. Das war zumindest hier überhaupt nicht der Fall. Ich bin auf weitere Werke gespannt.

"Der diskrete Charme der Bourgeoisie" ist mir der liebste Bunuel... mit Abstand. Recht ähnlich funktionieren auch noch "Gespenst der Freiheit" und "Dieses obskure Objekt der Begierde". (Aber wesentlich lieber als diese beiden Titel mag ich dann doch sein Kammerzofentagebuch... und "Tristana", der vielleicht sein bösartigster Film ist... :D)

Mein Zweitliebster nach "Der Würgeengel". Ich liebe einfach dieses Surreale wofür Bunuel ja auch berühmt wurde und auf welchen eigentlich schlichten Prämissen seine Filme beruhen:
In diesem Fall sechs Mitglieder der Bourgeoisie, die sich einfach zum Abendessen treffen wollen, was jedoch durch immer brilliantere/absurdere Zwischenfälle verhindert wird.

@Stefan M:
Wenn du den mochtest, wird dir bestimmt auch der genannte Würgeengel und wahrscheinlich auch "Simon in der Wüste" gefallen. Letztgenannten findet man mit UT meine ich auch im Netz.

Zitat
Die ganze handwerkliche und künstlerische Finesse hat leider nichts daran ändern können, dass mir die Hauptfiguren schwer auf die Nerven gegangen sind. Catherine ist eine egozentrische Bratze mit gravierenden charakterlichen Defiziten und die Titelfiguren sind zwei naive Hornochsen, die sich von ihr nach Strich und Faden verarschen lassen (...).

Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen... exakt aus den von dir genannten Gründen hat mir der Film auch nicht zugesagt.
"Du, du, du...du bist ein Huhn!!!"

PierrotLeFou

14 September 2017, 01:06:36 #241 Letzte Bearbeitung: 14 September 2017, 01:17:23 von PierrotLeFou
Zitat von: Mr Orange am 13 September 2017, 19:58:04
Zitat von: DisposableMiffy am 13 September 2017, 19:17:38
Die ganze handwerkliche und künstlerische Finesse hat leider nichts daran ändern können, dass mir die Hauptfiguren schwer auf die Nerven gegangen sind. Catherine ist eine egozentrische Bratze mit gravierenden charakterlichen Defiziten und die Titelfiguren sind zwei naive Hornochsen, die sich von ihr nach Strich und Faden verarschen lassen (...).
Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen... exakt aus den von dir genannten Gründen hat mir der Film auch nicht zugesagt.

Was ist denn mit euch los...? :icon_razz:


Gut, ich kann das verstehen; Filme, deren Figuren sich auf eine Weise verhalten, welche meiner Moral gravierend widerstrebt (derweil sie eigentlich Sympathieträger für mich sein sollten), haben es bei mir auch etwas schwer, vollkommen gewertschätzt zu werden.


Im Fall von "Jules und Jim" habe ich eine ganz andere Haltung als ihr zu den Figuren. (Nur mal grob und unstrukturiert die wichtigsten Punkte, die für mich entscheidend sind, ohne dass ich da eine gerade, argumentierende Linie hineinbringen würde...)

Nehmen wir die Verkleidungsszene mit dem angeklebten Schnurrbart: Hier wird ja recht deutlich, dass diese sich anbahnende Liebe idealerweise mit derselben Intensität einstellen soll, welche die Freundschaft der beiden Männer auszeichnet. Dieses Wechseln des Geschlechts im Spiel stellt einen kurzen Moment der Freiheit dar, der sich im Alltag dann gleich wieder entzieht.

Die Monogamie: Vor der Eheschließung ist ja im Grunde schon bekannt, dass dieses Konzept nicht auf die Frau passen wird, das wird ja auch vorher angesprochen.

Die Männer: Beide sind gebildete, kunstbeflissene Freunde, die zuvor stets geteilt haben, dies bei Catherine nun allerdings nicht tun - gerade nun, als es darauf ankäme, weil diese nicht einfach bloß eine Dameneroberung, sondern ein gleichrangiger Freund in diesem Dreieck sein will.

Und daraus wird - wie ich finde - etwas sehr schönes: Ebenso wie sich der Film den damals herrschenden Vorgaben und Regeln des guten, konventionellen, traditionellen Filmemachens entzieht, ist diese Dreiecksbeziehung eigentlich eine freihheitliche Auflehnung gegen die einengende Konvention...
Was wäre denn nötig gewesen, um das Dreieck langfristig und glücklich aufrecht zu erhalten? Im Grunde bloß ein Abrücken von Monogamie und Heterosexualität... Heutzutage könnte man dieses Dreieck vermutlich viel eher mit einem "Friends with Benefits"-Happy End enden lassen...
Aber mit der Ehe und dem gestörten Dreieck wird auch die Inszenierung etwas strenger und unfreier, weniger wild und ungestüm. Ein melancholischer Film darüber (sozusagen), wie schwer es ist, sich erfolgreich einer allgemein herrschenden Konvention zu entziehen.

Die schweren charakterlichen Defizite nehme ich gar nicht wahr... Catherine ist egozentrisch, das ließe sich sicher attestieren. Aber gerade dadurch wird sie ja überhaupt erst (für beide Männer) interessant (und Egozentrik ist ja jetzt erst einmal noch keine Charakterschwäche). Jetzt kann man sie natürlich als recht verachtenswerte Figur empfinden, da sie am Ende einen
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 erweiterten Suizid begeht
. Das kann ich völlig verstehen. Aber letztlich ist sie ja auch diejenige, die sich am stärksten bemüht hat, die Konventionen zu überwinden (was für sie zugegebenermaßen auch am einfasten war, da sich ihr die Frage einer bisexuellen Existenz gar nicht stellt... andererseits ist sie allerdings auch wieder bereit, ihre Weiblichkeit durch Männlichkeit zu ersetzen...). Dass sie dann am Ende so verhängnisvoll agiert, folgt für mich nur konsequent daraus, dass sie am stärksten einer Utopie angehangen hat und damit am stärksten enttäuscht wurde. (Klar,
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Suizide, inbesondere erweiterte,
kann man durchaus moralisch verurteilen - wobei ja fraglich bleibt, ob
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ihrer beider Tod fest von ihn eingeplant worden war oder vielmehr dem Schicksal überlassen werden sollte
-, aber man kann ja auch mitleidig auf diese Reaktion auf ein Scheitern blicken.



Zitat von: DisposableMiffy am 13 September 2017, 19:17:38
Dass die beiden eng befreundet sein sollen, wird anhand des Umgangs der beiden miteinander allerdings überhaupt nicht greifbar, finde ich. Dazu kommt noch, dass durch das Siezen Distanz geschaffen wird, wo keine sein sollte (Zumindest in den deutschen UT bzw der Synchro. Ob das im Französischen auch so ist kann ich mangels Sprachkenntnis nicht sagen). Vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich die Distanzlosigkeit des Englischen diesbezüglich inzwischen zu sehr verinnerlicht habe.
Zur Synchro: Die nimmt sich in der Tat einige Freiheiten und fügte teilweise Äußerungen an Stellen ein, wo im Original gar nichts zu hören ist. Wie das mit dem Siezen war, weiß ich jetzt nicht. Angesichts der Handlungszeit habe ich mit dem Siezen zwischen Freunden keinerlei Probleme... Holmes und Watson siezen sich in den klassischen deutschen Übertragungen.

Für mich werden beide Figuren ausreichend so eingeführt, dass ich an deren Freundschaft nicht zweifeln muss... Ich brauche keinen Freundschaftsbeweis in Form einer Tat; Wäre wohl eine Grundsatzfrage: Er gibt sich wahre Freundschaft über eine innere, tiefere Verbundenheit (die sich dann allenfalls noch mit Worten objektivieren, von außen darstellen lässt), oder muss wahre Freundschaft an äußerlichen handlungen gemessen werden können? (Identität lässt sich ja ähnlich schwer klären: Ich kann A denken, B sagen und C tun, und schon zerfallen Innen- und Außenwahrnehmung meiner Identität ganz gehörig...)


edit: Die (wohl autobiographische) Literaturvorlage dürfte an der Literarizität des Films auch ihren Anteil haben. (War bei Truffaut häufiger der Fall, wenn mein Gedächtnis mich da jetzt nicht trügt... letzter Truffaut-Gesamtwerk-Marathon liegt rund zehn Jahre zurück...) Eine Kluft von Wort und Bild ist aber durchaus Nouvelle Vague-typisch und wird besonders bei Godard, aber auch bei Robbe-Grillet und Resnais im stärker verfolgt (wobei letztere ja nochmals eine eigene Sparte in der Nouvelle Vague bildern), wohingegen sich Truffaut immer stärker an konventionellere Formen der Literaturverfilmung heranmachte... In "Fahrenheit 451" kulminiert das dann ja: Sprache wird verherrlicht, das Schauen wird verdammt. Das Wort-/Bild-Verhältnis in der Nouvelle Vague wäre sicher ein spannendes Thema für einen langen Essay oder eine umfangreiche Arbeit...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

DisposableMiffy

Zitat von: PierrotLeFou am 14 September 2017, 01:06:36Die schweren charakterlichen Defizite nehme ich gar nicht wahr... Catherine ist egozentrisch, das ließe sich sicher attestieren. Aber gerade dadurch wird sie ja überhaupt erst (für beide Männer) interessant (und Egozentrik ist ja jetzt erst einmal noch keine Charakterschwäche). Jetzt kann man sie natürlich als recht verachtenswerte Figur empfinden, da sie am Ende einen
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 erweiterten Suizid begeht
. Das kann ich völlig verstehen. Aber letztlich ist sie ja auch diejenige, die sich am stärksten bemüht hat, die Konventionen zu überwinden (was für sie zugegebenermaßen auch am einfasten war, da sich ihr die Frage einer bisexuellen Existenz gar nicht stellt... andererseits ist sie allerdings auch wieder bereit, ihre Weiblichkeit durch Männlichkeit zu ersetzen...). Dass sie dann am Ende so verhängnisvoll agiert, folgt für mich nur konsequent daraus, dass sie am stärksten einer Utopie angehangen hat und damit am stärksten enttäuscht wurde. (Klar,
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Suizide, inbesondere erweiterte,
kann man durchaus moralisch verurteilen - wobei ja fraglich bleibt, ob
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ihrer beider Tod fest von ihn eingeplant worden war oder vielmehr dem Schicksal überlassen werden sollte
-, aber man kann ja auch mitleidig auf diese Reaktion auf ein Scheitern blicken.

Ich finde sie sehr manipulativ, mein Eindruck war, dass sie die beiden gegeneinander ausspielt. Klar, dass muss man sich ja nicht gefallen lassen (zu dumm um dies zu merken, sind beide nicht gewesen), dennoch fällt es mir schwer, ihr das nicht negativ auszulegen. 

Spoiler: zeige
Ich sehe den erweiterten Suizid durchaus problematisch, sie deswegen moralisch zu verurteilen ginge mir aber zu weit. Immerhin war das eine Aktion, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie nicht nur aus Berechnung geschah.

Mein Problem liegt eher darin, dass der Film eigentlich schon zu Ende war und mir der 3-Jahre(?)-später-Nachklapp recht losgelöst vom Rest der Geschichte zu sein schien


Zitat von: PierrotLeFou am 14 September 2017, 01:06:36Zur Synchro: Die nimmt sich in der Tat einige Freiheiten und fügte teilweise Äußerungen an Stellen ein, wo im Original gar nichts zu hören ist. Wie das mit dem Siezen war, weiß ich jetzt nicht. Angesichts der Handlungszeit habe ich mit dem Siezen zwischen Freunden keinerlei Probleme... Holmes und Watson siezen sich in den klassischen deutschen Übertragungen.

Ich habe OmU geguckt. Die Synchro habe ich nur kurz bemüht um zu hören, ob auch da wie in den UT das "sie" verwendet wurde. Unterscheidet das Französische denn zwischen "sie" und "du"?

Zitat von: PierrotLeFou am 14 September 2017, 01:06:36Für mich werden beide Figuren ausreichend so eingeführt, dass ich an deren Freundschaft nicht zweifeln muss... Ich brauche keinen Freundschaftsbeweis in Form einer Tat; Wäre wohl eine Grundsatzfrage: Er gibt sich wahre Freundschaft über eine innere, tiefere Verbundenheit (die sich dann allenfalls noch mit Worten objektivieren, von außen darstellen lässt), oder muss wahre Freundschaft an äußerlichen handlungen gemessen werden können?

"Sichtbare" Freundschaftsbeweise brauche ich auch keine, die innere Verbundenheit reicht völlig. Hier habe ich sie nur leider nicht wahrnehmen können.

Zitat von: PierrotLeFou am 14 September 2017, 01:06:36Eine Kluft von Wort und Bild ist aber durchaus Nouvelle Vague-typisch [...]

Also ein bewusst eingesetztes Stilmittel. Wie gesagt, ich fand es irritierend, aber das ist dann mein Problem und kein Versagen des Films.
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