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Wind River (Thriller mit Renner und Olsen)

Begonnen von StS, 28 Mai 2017, 20:22:38

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StS



Director: Taylor Sheridan
Starring: Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Gil Birmingham, Jon Bernthal, Julia Jones, Kelsey Asbille, James Jordan

The film follows a rookie female FBI agent (Olsen) who teams up with a veteran, local game tracker with a haunted past (Renner) to investigates a murder on a remote Native American Reservation in the hopes of avenging the girl's death.

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...Qualitätsware nimmt man doch immer gern.  :D
Hat ja gerade in Cannes gut gepunktet, der Film.
"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

MMeXX

Zitat von: StS am 28 Mai 2017, 20:22:38Hat ja gerade in Cannes gut gepunktet, der Film.
Die Kritik von Rüdiger Suchsland liest sich eher solide/mäßig. Bin aber auch gespannt.

StS

"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

vodkamartini

Taylor Sheridan war noch nicht fertig mit seiner Grenzbegehung. Zum Glück für den Kinozuschauer. Nach Mexiko (Sicario) und Texas (Hell or High Water) zieht es den momentan spannendsten Chronsiten inneramerikanischer Existenzkämpfe ins winterliche Wyoming.

,,Wind River" ist Sheridans drittes "Frontier-Skript", eine Herzensangelegenheit wie er sagt, die er deshalb auch unbedingt selbst inszenieren wollte. Heraus gekommen ist ein Regiedebut von geradezu archaischer Wucht. Ein bitterer gesellschaftspolitischer Kommentar zu den Schattenseiten des modernen Amerika. Auch hier sind die in einer kargen Ödnis gefangenen Menschen längst vom Fortschritt abgehängt, mindestens aber links liegen gelassen worden.
Der recht klassische Whodunit-Plot (es geht um die Ermordung eines Indianermädchens) ist ein kluger Schachzug Sheridans. Die Kriminalhandlung bildet das dramaturgische Grundgerüst, an dem er seine wahren Anliegen konsequent und sehr geschickt aufhängt. Der Film funktioniert ausgezeichnet als spannender Thriller, aber er ist weit mehr als das. Mit einer sehr genauen Beobachtungsgabe und einem tiefen Verständnis für ihre widrigen Lebensbedingungen, nähert sich Sheridan der Situation der amerikanischen Ureinwohner. "Wind River" ist somit vor allem eine feinsinnige Charakterstudie über die geschundene Seele der Native Americans, die den Kampf an der Frontier insbesondere mit sich selbst ausfechten. Die gnadenlose Natur des winterlichen Wyoming ist gewissermaßen das äußere Äquivalent für ihren inneren Überlebenskampf.

Jeremy Renner (als Wildlife-Ranger Lambert) ist das Gesicht dieser Tragik, ein Mann der zwischen den Ethnien steht, vom Leben gezeichnet und nur noch in der erbarmungslosen Natur er selbst. Man hat Sheridan vorgeworfen, das Schicksal der Indianer hier mal wieder aus weißer Sicht zu erzählen. Ein ungerechter Vorwurf, und nicht nur angesichts des grandioses Ergebnisses auch ein reichlich absurder. Sheridan war selbst lange Zeit ein Grenzgänger zwischen Reservat und dem ,,anderen Amerika", pflegt noch immer Kontakte dorthin. Er schreibt also über etwas, das er aus eigener Erfahrung kennt, aus seiner ganz persönlichen Perspektive.

Auch der Einwand, hier eiskalt berechnend das Avengers-Duo Renner und Olson auf Rachefeldzug zu schicken um so für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen, ist sowohl dem Regisseur wie auch seinen Darstellern gegenüber unfair. Hawkeye und Lambert mögen beide begnadete Jäger und Rächer sein, aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Lambert ist die geschundene Seele des Films und Renner meistert diese Herausforderung famos. In seiner Mimik spiegeln sich Schmerz, Trauer, Wut, Entschlossenheit, aber auch Liebe und Hoffnung. Nichts davon wirkt gekünstelt und für nichts davon braucht er viele Worte.

Es ist eine Schande, dass er bei den diesjährigen Nomierungen für den Oscar übergangen wurde. Dasselbe gilt für Autor und Regisseur Sheridan, Score, Kamera und den Film als Ganzes. Die Harvey Weinstein Company zeichnete für den Vertrieb verantwortlich und sollte hier wohl für den Skandal um seinen Gründer abgestraft werden. Eine recht kleingeistige, durchsichtige, unfaire Scharade und ein unschönes Beispiel für die Politisierung von Kunst. Einen besseren Film gibt es jedenfalls unter den diesjährigen - von mir gesehenen - Nominierten nicht, aber durchaus einige schlechtere. Das Filmjahr 2018 ist zwar noch jung, aber Taylor Sheridans Frontier-Abschluss wird nur schwer zu toppen sein. 9/10
www.vodkasreviews.de

There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

JasonXtreme

Ja geil, danke für den Abriss! Nachdem Sicario Hammer war, freue ich mich nun um so mehr auf Hell or High Water und natürlich auch diesen hier!
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

DisposableMiffy

Kann mich vodkamartinis Worten nur anschließen. Absolute Empfehlung für Freunde intelligenter Thriller.
letterboxd.com

Dumm geboren, nichts dazu gelernt und die Hälfte davon vergessen.

Hearing only what you wanna hear and knowing only what you've heard.

JasonXtreme

Da kann ich mich vodkamartini nur anschließen - gesichtet und ne 8,5 zück ich gerne! Ein klein wenig gefiel mir Sicario besser dramaturgisch, aber das ist jammern auf verdammt hohem Niveau! Darstellerisch top, die Kritik nicht mit dem Holzhammer vorgetragen, sondern fein gezeichnet, leise und doch laut. Die Sounduntermalung passt hier ebenso hervorragend wie bei Sicario schon, und die letzten 15 Minuten kamen dann doch ziemlich unerwartet daher.
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

Dr. Schnabel

Zitat von: JasonXtreme am 15 Februar 2018, 09:26:14
Da kann ich mich vodkamartini nur anschließen - gesichtet und ne 8,5 zück ich gerne! Ein klein wenig gefiel mir Sicario besser dramaturgisch, aber das ist jammern auf verdammt hohem Niveau! Darstellerisch top, die Kritik nicht mit dem Holzhammer vorgetragen, sondern fein gezeichnet, leise und doch laut. Die Sounduntermalung passt hier ebenso hervorragend wie bei Sicario schon, und die letzten 15 Minuten kamen dann doch ziemlich unerwartet daher.

DAS ist das, was mir so gefällt an Sheridan. Ich kann dieses Holzhammer-Ding bei Hollywood oder dem deutschen Gesellschafts-Film nicht ab. Und zwar je älter ich werde, desto weniger. Weil es so vorkauend und bevormundend ist.

"Wind River" ist für mich persönlich Anwärter auf den Film des Jahres.
... alias: Der Zerquetscher

StS

Hatte den schon vor einigen Monaten im Urlaub im Kino gesehen.
Starker Film und einer meiner Highlights 2017.
8,5/10
"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

PierrotLeFou

Ist ohne Frage ein starker Film, ich will den gar nicht kleinreden. "Sicario" gefiel mir besser, der ist inszenatorisch eine ganze Ecke souveräner und arbeitet dramaturgisch mMn auch etwas besser.

"Hell or High Water" habe ich bisher nicht gesehen; momentan habe ich den Eindruck, dass Sheridan Gefallen an verletzlichen Frauen und harten Männern hat.
Bei "Sicario" war es - und ich weiß nicht, ob es am Drehbuch lag oder daran, dass Villeneuve immer wieder sehr positiv konnotierte, edelmütige Frauengestalten in Szene setzt - zumindest so, dass die weibliche Hauptfigur die anständigste Figur, die dann erkennen muss, dass sie benutzt wird... (und die, das wäre der unschönere Aspekt, etwas illusorisch an ein Problem herangeht, das von harten "Machern" mit ganz eigenen Regeln bearbeitet werden muss... Aber dieser Aspekt tritt ja nie so klar zutage und wird eigentlich durch vielerlei Details doch eher entschärft...)

"Wind River" ist nun aber doch ein Film, der recht konventionell als "schwache Frau, starker Mann"-Buddy Movie funktioniert. (Natürlich wird der Heimvorteil Renners plausibel erklärt, aber darum geht es mir gar nicht; man kann auch eine gleichwertige Beziehung plausibel erklären... Und dass es am Rande auch ein Film über weibliche Opfer und männliche Täter ist, ist in dieser Beziehung unerheblich.)
Vielleicht würde mich das gar nicht so stören, wenn der Film nicht zumindest zweimal recht deutliche Anleihen beim Über-Thriller "Silence of the Lambs" machen würde, wo die weibliche Hauptfigur doch wesentlich besser wegkommt.

Ansonsten: Klar, interessant, kraftvoll verkörperte Figuren, sauber inszeniert, unterhaltsam, ein bisschen berührend, spannend, anklagend und eine der großen US-Ungerechtigkeiten behandelnd, die man ja recht erfolgreich aussitzen wollte... (oder es zumindest getan hat...)
Dass aber die Hintergründigkeit des Geschichte gleich zu Beginn offen zutage liegt und der Kriminalfall dann sehr simpel mit
Spoiler: zeige
 einer Massenvergewaltigung aufgelöst
wird, ist doch (trotz angerührter Täter-Motivationen) etwas enttäuschend. Dramaturgisch geschickt ist doch eher eine komplexere Auflösung einer weniger trivialen Tat, die eine Hintergründigkeit erst so richtig in den Film hineinführt... Das war zumindest - vom sinnigen Überraschungseffekt abgesehen, dass es
Spoiler: zeige
wirklich mehrere Täter gibt
- einfach ein - trotz spannender Schießerei - unspannendes Ende...
7-8 würde ich aber vergeben.

Zitat von: vodkamartini am 14 Februar 2018, 12:21:31Es ist eine Schande, dass er bei den diesjährigen Nomierungen für den Oscar übergangen wurde. Dasselbe gilt für Autor und Regisseur Sheridan, Score, Kamera und den Film als Ganzes. Die Harvey Weinstein Company zeichnete für den Vertrieb verantwortlich und sollte hier wohl für den Skandal um seinen Gründer abgestraft werden. Eine recht kleingeistige, durchsichtige, unfaire Scharade und ein unschönes Beispiel für die Politisierung von Kunst.
Angesichts der Sache, dass ein "Shape of Water" 13 Nominierungen (darunter Film und Regie) einheimst oder ein "Dunkelste Stunde" so gut wegkommt, kann ich das durchaus verstehen... Andererseits fehlt ein "Blade Runner 2049" in der Bester-Film-Rubrik ja ebenfalls.

Für sich genommen erscheint mir "Wind River" jedenfalls nicht sonderlich auszeichnenswert zu sein
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

McClane

Ein stark bebilderter Thriller, der vor allem durch seine famosen Leistungen und die aufgebaute Stimmung überzeugt: Hier wird das harte Leben der amerikanischen Ureinwohner, vor allem in Reservaten, nebenher geschildert, ohne dass Sheridan das Ganze zum Social-Problem-Film macht, der wahlweise mit dem mahnenden Zeigefinger oder gleich dem Holzhammer daherkommt. Das Ganze erinnert stark an die Indianerthriller (hier nur in der Schneevariante), die Anfang der 1990er kurz eine Marktlücke besetzten ("Halbblut", "Canyon Cop", "Sioux City" usw.) und hat mit Graham Greene auch einen Schauspieler jener Ära in einer markanten Rolle zu bieten. Jeremy Renner ist famos in der männlichen Hauptrolle, Elizabeth Olsen fast ähnlich gut und die Nebenakteure durch die Bank weg überzeugend - darunter auch Jon Bernthal, dem man eine wirklich gute Projektwahl in den letzten Jahren attestieren muss, auch wenn ich meine Zeit gebraucht habe, um mit ihm warm zu werden (vielleicht hab ich ihn nach der Rolle als Shane in "The Walking Dead" zu sehr als Arschloch vom Dienst gespeichert). Man muss freilich zugeben, dass die Auflösung des Falles fast schon banal erscheint, jetzt nicht superviel ermittelt wird, auch wenn die Recherchen immer wieder auf gesellschaftliche Missstände hinweisen. Dafür sind die Rückblende und das druckvolle finale Shoot-Out für einen starken Abgang verantwortlich. In meinen Augen der schwächste der Sheridan-Trilogie (am besten hat mir "Hell or High Water" gefallen, was angesichts der durchweg hohen Qualität nichts heißen muss. (7-7,5/10)

Übrigens krass, wie viele Leute (inklusive der Autoren für professionelle Filmmagazine) dem Irrtum erlegen sind, dass Sheridan hier angeblich sein Regiedebüt abgeliefert habe. Selbst der Wikipedia-Eintrag zu Taylor Sheridan behauptet im Anfangsparagraphen, dass "Wind River" sein Regiedebüt sei, obwohl später folgt, dass er vorher schon "Vile" drehte: https://en.wikipedia.org/wiki/Taylor_Sheridan Passt vielleicht nicht zur schönen PR-Legende, dass der Mann nach mehreren famosen Scripts gleich noch ein Knallerregiedebüt ablieferte, da stört ein (vermutlich nicht so doller) B-Horrorschinken schon den Mythos.
"Was würde Joe tun? Joe würde alle umlegen und ein paar Zigaretten rauchen." [Last Boy Scout]

"testosteronservile Actionfans mit einfachen Plotbedürfnissen, aber benzingeschwängerten Riesenklöten"
(Moonshade über yours truly)

vodkamartini

Ist doch super für Taylor, dass man sich an den überhaupt nicht erinnert.  ;)


Zitat von: PierrotLeFou am 28 Februar 2018, 02:21:49
"Wind River" ist nun aber doch ein Film, der recht konventionell als "schwache Frau, starker Mann"-Buddy Movie funktioniert.
Hab ich so extrem gar nicht empfunden und warum muss das negativ sein?

Zitat von: PierrotLeFou am 28 Februar 2018, 02:21:49
Zitat von: vodkamartini am 14 Februar 2018, 12:21:31Es ist eine Schande, dass er bei den diesjährigen Nomierungen für den Oscar übergangen wurde. Dasselbe gilt für Autor und Regisseur Sheridan, Score, Kamera und den Film als Ganzes. Die Harvey Weinstein Company zeichnete für den Vertrieb verantwortlich und sollte hier wohl für den Skandal um seinen Gründer abgestraft werden. Eine recht kleingeistige, durchsichtige, unfaire Scharade und ein unschönes Beispiel für die Politisierung von Kunst.
Angesichts der Sache, dass ein "Shape of Water" 13 Nominierungen (darunter Film und Regie) einheimst oder ein "Dunkelste Stunde" so gut wegkommt, kann ich das durchaus verstehen... Andererseits fehlt ein "Blade Runner 2049" in der Bester-Film-Rubrik ja ebenfalls.

Für sich genommen erscheint mir "Wind River" jedenfalls nicht sonderlich auszeichnenswert zu sein
Es geht mir um den Vergleich. Mich hat er mehr gepackt wie Shape of Water oder Die dunkelste Stunde. Dunkirk hat mir nicht gefallen und Get Out war zwar mal was anderes, aber für mich persönlich keinesfalls besser. Ist eindeutig ein Politikum - der hat ja bereits andere Auszeichnungen bekommen -, was bescheuert ist, weil man hier die Künstler für den Produzenten abstraft. Kann man von mir aus beim besten Film weglassen - falls Weinstein einen bekommen würde -, aber es gibt ja noch ein paar mehr Kategorien. Wenn ich da Renners Leistung z.B. mit der von Daniel Kaluuya vergleiche ... na ja
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PierrotLeFou

Zitat von: vodkamartini am  1 März 2018, 20:30:52
Ist doch super für Taylor, dass man sich an den überhaupt nicht erinnert.  ;)


Zitat von: PierrotLeFou am 28 Februar 2018, 02:21:49
"Wind River" ist nun aber doch ein Film, der recht konventionell als "schwache Frau, starker Mann"-Buddy Movie funktioniert.
Hab ich so extrem gar nicht empfunden und warum muss das negativ sein?

Nun, negativ ist das an sich sicherlich nicht... ich bin da auch nicht so schrecklich verbissen, aber angesichts der Tatsache, dass sowas ein Klischee ist und dass einer der besten Thriller, bei denen sich "Wind River" zumindest 2x bedient, in der Hinsicht wesentlich origineller war, sorgt zumindest dafür, dass ich nicht in Begeisterungsstürme ausbreche.

Aber wie gesagt: 7-8 gebe ich gerne und etwas besser als Shape of Water und deutlich besser als die dunkelste Stunde war er auf jeden Fall. Aber wenn ich die besten Filme 2017 zusammentragen müsste, wäre er jetzt auch nicht unbedingt darunter...
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Dr. Schnabel

Zitat von: PierrotLeFou am  2 März 2018, 01:15:57
Nun, negativ ist das an sich sicherlich nicht... ich bin da auch nicht so schrecklich verbissen, aber angesichts der Tatsache, dass sowas ein Klischee ist und dass einer der besten Thriller, bei denen sich "Wind River" zumindest 2x bedient, in der Hinsicht wesentlich origineller war, sorgt zumindest dafür, dass ich nicht in Begeisterungsstürme ausbreche.

Aber wie gesagt: 7-8 gebe ich gerne und etwas besser als Shape of Water und deutlich besser als die dunkelste Stunde war er auf jeden Fall. Aber wenn ich die besten Filme 2017 zusammentragen müsste, wäre er jetzt auch nicht unbedingt darunter...

Ich finde es toll, dass du 7-8 Punkte gibst für "Wind River", obwohl er für dich nicht zu den besten Filmen des Jahres zählt. Ich werde nie verstehen, warum manche Filmkenner sich darin gefallen, absolut alles außer ein/zwei völlig abgedrehten Spartenfilmen zu zerlegen. Nee, echt. Daumen hoch!   :icon_cool:

Ansonsten sehe ich das allerdings eher wie vodkamartini. Ich fand "Wind River" extrem stark und - für mich - den besten Film seit einem Jahr.

Eine polit-philosophische Frage am Rande übrigens: Ist es möglich, dass Sexismus (beim Rassismus ist es dasselbe) eines Tages erst dann zu einem erträglichen Maße geschrumpft sein werden, wenn solche Dinge wie "In dem Film ist mir die Frau zu schwach im Vergleich zum Mann dargestellt" überhaupt keine Rolle mehr spielen werden. Und zwar deshalb nicht, weil es endlich egal sein wird, dass die "schwache" Figur dort eben eine Frau ist.  ;)

Ich selbst fand den Agent übrigens überhaupt nicht "schwach". Sie soll eine Berufsanfängerin sein und gerät an einen Profi. Einen Veteranen. Bei der Konstellation muss sie ihren Meister finden. Dieselbe Geschichte gibt es wie Sand am Meer auch mit zwei männlichen Hauptfiguren. Und da stört sie ja auch nicht. Ich fand die Olsen tough.
... alias: Der Zerquetscher

PierrotLeFou

Zitat von: Dr. Schnabel am  6 März 2018, 16:06:06Eine polit-philosophische Frage am Rande übrigens: Ist es möglich, dass Sexismus (beim Rassismus ist es dasselbe) eines Tages erst dann zu einem erträglichen Maße geschrumpft sein werden, wenn solche Dinge wie "In dem Film ist mir die Frau zu schwach im Vergleich zum Mann dargestellt" überhaupt keine Rolle mehr spielen werden. Und zwar deshalb nicht, weil es endlich egal sein wird, dass die "schwache" Figur dort eben eine Frau ist.  ;)

Sicherlich... Peter Fleischmann hat einmal gesagt, dass der einzelne Film kaum Ausgewogenheit enthalten könne, ein Programm von Filmen diese aber doch aufweisen solle. (Und beim Blick in die Genrefilmgeschichte habe ich nicht den Eindruck der Ausgewogenheit des Programms, weshalb ich dann auch Einzelfilmen ihre Schablonenhaftigkeit etwas ankreide. (Ich bin mir übrigens auch im Klaren, dass Ausgewogenheit nicht immer ein 50:50-Verhältnis benötigt...))

Nur ist es bislang natürlich so, dass das Team "starke Frau, schwacher Mann" ungleich seltener auftaucht als das Team "schwache Frau, starker Mann".
Und weil schon "Sicario" ähnliches - etwas ausgewogener - betreibt und deutlich der Demme zitiert wird, der aus dem Muster schon früh ausgebrochen ist, fällt es mir dann doch eher störend (als unoriginelles Muster) auf (zumal ja auch die Indianer-Frau wesentlich verletzlicher wirkt als der Mann).

Davon abgesehen lag mein nicht-restlos-begeister-Sein ja auch eher an der "Auflösung" und der etwas simplen Vermengung von Handlung & Aussage... ;)


Übrigens bin ich auch kein Freund irgendwelcher Power-Frauenfiguren (ob die nun auch noch sexy aussehen wie Tomb Raider oder Wonder Woman, oder normaler wirken).
Was ich mir wünschen würde, wäre eine ausgewogene Kinolandschaft, in der vermeintliche Schwäche (insbesondere bei schwachen Männern) nicht abgewertet und Stärke so enorm glorifiziert, mythisiert wird.
Es gibt aber eine Kinolandschaft, in der Tatkräftigkeit, emotionale Stabilität oder Unnahbarkeit und Selbstsicherheit als Stärke gepriesen werden (was mir meist einfach eine etwas simple, womöglich naive Sichtweise zu sein scheint, noch dazu weil sie sich an Zielgruppen richtet, die solch überdurchschnittliche Stärken nicht einmal im Ansatz erreichen); und da gibt es doch so ein paar Geschlechter-Klischeeschablonen; Geschlechter werden im Genrefilm nicht ohne Muster, Schablonen etabliert, als wäre das Geschlecht egal...
Und wenn dann einmal etwas gegen den Strich gebürstet wird, dann gibt es mitunter zB beim "Ghostbusters"-Reboot - das ich ja auch für eher misslungen halte - einen unverhältnismäßigen Shitstorm. (Zuschauer-Meinungen, nach denen eine dem Mann ebenbürtige Heroine ein ärgerliches Klischee sei, das auf Dauer nerve, bestätigen mich dann noch darin, dass die schwächere, beschützenswerte Frau doch ein gerne gebrauchtes, populäres Bild ist. Die Bond-Reihe lebt davon... (Ich mag sie dennoch sehr gerne. :icon_mrgreen:)
Das ist aber eine Diskussion, die ich gar nicht am Genrefilm festmachen will. Das Künstler-/Muse-Verhältnis lässt sich ebenso anführen...
Ich denke, dass man von einer Gesellschaft, in der es ganz und gar egal ist, ob Mann oder Frau XY sagt/denkt/tut/ist, noch weit entfernt ist. (Das wird man wohl auch nie ändern. Aber man kann zumindest drüber reflektieren: Und eine handfeste Erkenntnis muss für mich auch gar nicht dabei rumkommen. Mir reicht es, wenn es zu denselben Fällen viele, voneinander abweichende Sichtweisen gibt, die eben ein Feld der Wahrnehmungsmöglichkeiten bilden, in dem mich dann verorten bzw. zu dem ich mich dann positionieren kann.)
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

JasonXtreme

Also ich fand es bei WR auch keineswegs so, dass die Frau wirklich schwach dargestellt wurde. Sie war neu, sie war unerfahren, hatte durch ihren vorigen Standort keine passenden Kleider dabei. Aber sie stand doch nicht so weit hinter einem überstark gezeichneten Renner!? Der stammte halt von dort, die Wildnis war sein Job, er wuchs dort und in dem Wetter auf.... kennt die Menschen und Widrigkeiten eben. Da wäre auch jeder männliche Part der ihm zur Seite gestellt werden würde genauso dagestanden.

Ich will Dich nicht kritisieren PerrotLeFou! Deine Meinung in allen Ehren, die ist IMMER subjektiv, und sie sei Dir auch gegönnt. Wenn man das so aufdröseln will, wäre es dann aber FÜR MICH auch so, dass das nur Thema ist WEIL der Agent nunmal eine Frau war. Wenn man so will ist auch in der Paarung Gibson/Glover stets Glover die weit schwächere Gestalt was Körper/Willen und Können angeht, um nicht mit The Rookie und etwaig gleich angelegten Filmen weiterzumachen. Ich denke das Problem liegt hier wirklich darin, dass man sich an der Figur als FRAU reibt, weil das bei einem Mann nie thematisiert wurde.

Des Weiteren spiegelt es aber doch durchaus auch die Realität wider, dass die Frau in den im Film gezeigten Szenerien das Geschlecht darstellt, was hinter dem Mann steht - wenn man das so ausdrücken will. Bei den Indianern ebenso wie in diesen sozialen Gesellschaftsschichten. Das wissen wir doch auch, und die Frage ist doch MUSS das jetzt mit Gewalt geändert werden nur, dass es im Film kein falsches Bild abwirft, weil man das nicht so sehen soll und darf!? Das wäre doch genauso ein Quark. MUSS man jetzt das Frauenbild so ambivalent, positiv und wohlwollend wie nur irgendmöglich zeichnen, damit es der Gesellschaft (oder deren Blick auf einen Film) gerecht wird?
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

McClane

Zitat von: JasonXtreme am  7 März 2018, 12:22:13
Ich will Dich nicht kritisieren PerrotLeFou! Deine Meinung in allen Ehren, die ist IMMER subjektiv, und sie sei Dir auch gegönnt. Wenn man das so aufdröseln will, wäre es dann aber FÜR MICH auch so, dass das nur Thema ist WEIL der Agent nunmal eine Frau war. Wenn man so will ist auch in der Paarung Gibson/Glover stets Glover die weit schwächere Gestalt was Körper/Willen und Können angeht, um nicht mit The Rookie und etwaig gleich angelegten Filmen weiterzumachen. Ich denke das Problem liegt hier wirklich darin, dass man sich an der Figur als FRAU reibt, weil das bei einem Mann nie thematisiert wurde.

Ich hab jetzt auch kein Problem mit Olsens Figur, aber schon in zeitgenössischen Reviews zu Filmen wie "Lethal Weapon", "Nur 48 Stunden", "Mörderischer Vorsprung" usw. wurde ja darauf eingegangen, dass meistens der weiße virile Typ die Kampfmaschine ist, der Schwarze dagegen der etwas unfähigere, eher lustige Typ (die "Beverly Hills Cop"-Reihe war da eine Ausnahme). Man muss das nicht auf die Goldwaage legen, aber es nicht so, als die Diskussion einer neuen Hysterie geschuldet wäre.
"Was würde Joe tun? Joe würde alle umlegen und ein paar Zigaretten rauchen." [Last Boy Scout]

"testosteronservile Actionfans mit einfachen Plotbedürfnissen, aber benzingeschwängerten Riesenklöten"
(Moonshade über yours truly)

PierrotLeFou

7 März 2018, 16:58:34 #17 Letzte Bearbeitung: 7 März 2018, 17:27:40 von PierrotLeFou
Zitat von: JasonXtreme am  7 März 2018, 12:22:13
Also ich fand es bei WR auch keineswegs so, dass die Frau wirklich schwach dargestellt wurde. Sie war neu, sie war unerfahren, hatte durch ihren vorigen Standort keine passenden Kleider dabei. Aber sie stand doch nicht so weit hinter einem überstark gezeichneten Renner!? Der stammte halt von dort, die Wildnis war sein Job, er wuchs dort und in dem Wetter auf.... kennt die Menschen und Widrigkeiten eben. Da wäre auch jeder männliche Part der ihm zur Seite gestellt werden würde genauso dagestanden.

Ich will Dich nicht kritisieren PerrotLeFou! Deine Meinung in allen Ehren, die ist IMMER subjektiv, und sie sei Dir auch gegönnt. Wenn man das so aufdröseln will, wäre es dann aber FÜR MICH auch so, dass das nur Thema ist WEIL der Agent nunmal eine Frau war.
Kein Problem... ;)

Den Heimvorteil Renners hatte ich ja erwähnt:
Zitat von: PierrotLeFou am 28 Februar 2018, 02:21:49
"Wind River" ist nun aber doch ein Film, der recht konventionell als "schwache Frau, starker Mann"-Buddy Movie funktioniert. (Natürlich wird der Heimvorteil Renners plausibel erklärt, aber darum geht es mir gar nicht; man kann auch eine gleichwertige Beziehung plausibel erklären... Und dass es am Rande auch ein Film über weibliche Opfer und männliche Täter ist, ist in dieser Beziehung unerheblich.)

Ich will ja nicht auf die Geschichte ganz losgelöst von ihren Schöpfern blicken, sondern darauf hinweisen, dass da etwas entsprechend konstruiert worden ist. Wir können "Gravity" danebenstellen: Im Vergleich mit Clooney ist Bullock - gleichwohl tough - einfach unerfahrener und weit weniger souverän. Natürlich erklärt auch dieser Film das stimmig mit seiner größeren Erfahrung & Routine...
Und in "Sicario" erscheint die Frau - die "Frauenfilmer" Villeneuve sensibler zeichnet - auch als weltfremder und unerfahrener. Weshalb? Weil das Drehbuch sie ja auch als Neuling in solch eine Situation hineinschickt...
In "Baby Driver", der ja gleich noch so einer Driver-Klischeefigur nachzeichnet, ist es auch so, dass sein love interest wesentlich weniger bewundernswert ist, was besondere Fähigkeiten betrifft. Er selbst kann natürlich fast alles. Weshalb? Weil er gemäß Drehbuch natürlich der alleskönnende Superfluchtwagenfahrer ist...
In "Kong: Skull Island" kann der (männliche) Fährtensucher natürlich die wichtigeren Dinge, auf die es gerade ankommt, als die (weibliche) Fotografin (wobei ich den Film nicht mehr im Detail im Kopf habe, was auch für "The Mummy" gilt, wo Cruise immerhin mit seinem Image spielt und auch einmal in die Damentoilette geschickt wird, aber letztlich doch noch souveräner wirkt als die Dame an seiner Seite... (Die souveräne Dame des Films ist hingegen die böse Mumie).)
"Valerian and the City of a Thousand Planets"? Scheint ja noch ganz ausgewogen, aber wundert es mich, dass Laureline entführt und gerettet werden muss und nicht Valerian?
"On the Milky Road" hat den routinierten Mann, der sich ganz sicher durch Krieg und Krisen bewegt während die dumme Tröte an seiner Seite in die Luft fliegt und betrauert werden kann...
"Vaiana" spielt natürlich wieder mit der aufmüpfigen, eigensinnigen Frau, die auch durchaus etwas kann - aber das Figurenprofil zeichnet ganz selbstverständlich das Bild vom körperlich um ein vielfaches überlegenen Mann mit starken Armen...
Und die Superhelden: Thor, Hulk, Iron Man, Captain America, Ant Man, Spider Man, Doctor Strange, Black Panther... die erste Solo-Heldin kommt als "Captain Marvel" erst in einem Jahr. Und bei DC steht Wonder Woman zwischen Batman, Superman und Aquaman auch etwas allein da.

ZitatWenn man so will ist auch in der Paarung Gibson/Glover stets Glover die weit schwächere Gestalt was Körper/Willen und Können angeht, um nicht mit The Rookie und etwaig gleich angelegten Filmen weiterzumachen. Ich denke das Problem liegt hier wirklich darin, dass man sich an der Figur als FRAU reibt, weil das bei einem Mann nie thematisiert wurde.
Genau, wenn man auf gleichgeschlechtliche Buddy Movies schaut, hat man viele Gibson/Glover-Konstellationen mit Männern, die etwas lösen/reißen... und wenig Frau/Frau-Kombinationen. (Wenn man zwei Frauen hat, die sich zusammenschweißen, dann geht es mitunter um Thelma/Louise-mäßige Geschlechterfragen, da wird also die Geschlechtlichkeit gleich wieder explizit thematisiert.) [Und auf die Hautfarben-Thematik dieser Mann/Mann-Buddy Movies ist McClane bereits eingegangen. Die kann man übrigens auch bis in die 50er zurückverfolgen, wo progressivere Bilder dann auch mit Handlungen einhergingen, die Rassismus ausdrücklich zum Thema hatten.]
(Hängt ja alles auch ein bisschen damit zusammen, dass Frauen auf Regiestühlen - gerade im Mainstreambereich - auch erst im 21. Jahrhundert wirklich bemerkenswert zuzulegen beginnen. Hollywood hat mit vielen männlichen Regisseuren/Autoren nun einmal eine spezielle Perspektive; die Zeiten, in denen Frauen den Drehbuchsektor dominierten, sind seit Jahrzehnten vorüber...)


Ich will ja keinen dieser Filme niedermachen oder mich über diesen Umstand groß aufregen (auch wenn der Text etwas länger ausfällt), aber das sind schon erkennbare, über Jahrzehnte im Kino gepflegte Muster, die jetzt gerade zwischen "Black Lives Matter"- und "MeToo"-Debatten (die leider nicht sonderlich sachlich geführt werden) nennenswerten Gegenwind erfahren.

Man hat vergleichsweise ausgewogene Verhältnisse noch im Horrorfilm mit seinen Final Girls (Still, Shallows, 31) und bei jenen Autorenfilmern, die im Ruf stehen, besondere Frauenporträts abzuliefern (ZB Villeneuve, Almodovar). (Wobei "besonders" noch nicht viel sagt: Im Autorenfilm, vor allem bei von Trier, aber auch bei Villeneuve oder Almodovar, gibt es auch ein großes Interesse an reinen, aufopferungsvollen, empathischen Frauenfiguren, bei denen innere Größe und Schwäche/Unsicherheit miteinander verschmelzen.)

Dann hat man natürlich noch die ganzen historischen Filme, in denen Frauen häufig als schwächer gezeichnet werden können, weil die Emanzipation vor den 70er Jahren weit weniger weit war: "Shape of Water" und "Tree of Life" greifen traditionelle Geschlechterrollen auf und Malick überhöht die sogar unzulässig zum natürlichen Regelfall (wenn sich der Film auch als männlicher Bewusstseinsstrom schauen lässt): Und das sind dann wieder Frauen, die keinesfalls stark oder durchsetzungsfähig sind, sondern sich durch Empathie auszeichnen.
Und im Biopic-Sektor muss man erst einmal große, starke Frauen auftreiben: All the Money in the World, Snowden, Nixon, W., Darkest Hour, Steve Jobs, Darkest Hour... Spielberg hat nun - inmitten von Debatten, die den Stoff arg aktuell werden ließen, und in Rekordzeit - "The Post" vorgelegt. Und eine richtig starke Frau hat man natürlich auch dort nicht, sondern eine schnell auch einmal unsichere Frau, die gerade lernt, stark zu sein: Aber sie triumphiert immerhin und flaniert in einer denkwürdigen Szene gegen Ende des Films vor einer ganzen Gruppe von Frauen vorbei, die zu ihr aufsehen. Und Frears hat - ebenfalls vor dem Hintergrund aktueller Debatten - "Victoria und Abdul" gedreht... [Der Historienfilm reproduziert ja zwangsweise überkommene Rollenbilder, die dann aber im populären Kino umhergeistern; Biopics über gewichtige weibliche Staatsmänner - Staatsfrauen - wird man natürlich in den nächsten Jahrzehnten kaum bekommen können. 2070 oder 2090 wird dann vielleicht auch der Historienfilm andere Bilder zeichnen. (Wobei Historienfilme über die MeToo-Bewegung sicher schon in zehn Jahren möglich sein könnten...) Aber der Historiefilm hat ja naturgemäß auch das Glück, dass er Überkommenes präsentiert und ggf. mit der Aktualität vergleicht; da bräuchte es schon simple Gemüter, die den unreflektiert auf die Gegenwart übertragen; dennoch festigen diese Biopics das Verständnis von Traditionen, die - das war halt schon immer so - kompetente Männer in wichtigen Positionen ließen; höchstens einmal Ausnahmefrauen. Und dieses Traditionsdenken spielt ja durchaus eine nicht geringfügige Rolle in der Vorstellung davon, wie Gegenwart sein sollte.]
Ansonsten fallen mir Larrains "Jackie" und Herzogs "Queen of the Desert" ein, die nun aber auch schon nicht mehr völlig in einen Mainstreamsektor fallen... (Herzog vielleicht, Larrain eher nicht.)

Die starken, gleichwertigen, charismatischen, souveränen Frauenfiguren, die die populäre Filmlandschaft der letzten Zeit so anbietet, stammen entweder von Frauen ("Die Verführten", "Suffragette", "Die Tänzerin") oder nehmen sehr direkt auf solche Geschlechterfragen Bezug: "Ghostbusters", "The Girl With All the Gifts", "It"... "Alien: Covenant" vielleicht noch, der wohl die Weaver-Tradition wahren wollte und den männlichen Anführer mit dem Holzhammer als inkompetenten Typen dastehen lässt).

"Conjuring 2" und "Three Billboards" bleiben dann im Mainstream-Bereich eigentlich fast schon über, wobei man auch dem Billboards-Film zuschreiben könnte, dass er sich als Kommentar (auch) zu solch einer Geschlechter-Debatte positioniert.



ZitatDes Weiteren spiegelt es aber doch durchaus auch die Realität wider, dass die Frau in den im Film gezeigten Szenerien das Geschlecht darstellt, was hinter dem Mann steht - wenn man das so ausdrücken will. Bei den Indianern ebenso wie in diesen sozialen Gesellschaftsschichten. Das wissen wir doch auch, und die Frage ist doch MUSS das jetzt mit Gewalt geändert werden nur, dass es im Film kein falsches Bild abwirft, weil man das nicht so sehen soll und darf!? Das wäre doch genauso ein Quark. MUSS man jetzt das Frauenbild so ambivalent, positiv und wohlwollend wie nur irgendmöglich zeichnen, damit es der Gesellschaft (oder deren Blick auf einen Film) gerecht wird?
Ich weiß nicht, ob Gibson/Glover-Buddy Movies und "Wind River"/"Gravity"die Realität wiedergeben. Und ein "Tree of Life" will seinem Rollenbild ja auch Allgemeingültigkeit zukommen lassen und ist damit ein wirklich auch reaktionärer Film.
Aber ich kann den Punkt schon verstehen und hatte den weiter oben ja auch angecshnitten:
Zitat von: PierrotLeFou am  6 März 2018, 21:08:57
(Und beim Blick in die Genrefilmgeschichte habe ich nicht den Eindruck der Ausgewogenheit des Programms, weshalb ich dann auch Einzelfilmen ihre Schablonenhaftigkeit etwas ankreide. (Ich bin mir übrigens auch im Klaren, dass Ausgewogenheit nicht immer ein 50:50-Verhältnis benötigt...))
Natürlich gab es in früheren Dekaden weniger weibliche Cops und sie sind noch immer eine (allerdings nicht mehr kleine) Minderheit und ich halte es auch nicht für wichtig, überall 50:50-Verhältnisse durchzusetzen, bin kein Feind der Frauenquote und denke, dass die Filmwelt auch nicht perfekt wäre, wenn sie 50:50-Verhältnisse behaupten würde, wo diese nicht existieren.

Aber irgendwelche "Expendables"-Filme entsprechen nun einmal auch nicht der Realität. Männer sind nur äußerst selten wie Stallone-, Schwarzenegger-, Lundgren-, Staham-, Li-Actionfilm-Figuren (wobei es sicher ein paar gibt, die es gerne wären). Im Kino sitzen doch überwiegend Herrschaften, die hätten mit 40 Liegestütz bereits zu kämpfen...
Dass in Filmforen mehr Männer agieren, würde ich nicht leugnen. Dass es zB mehrheitlich Paare gibt, in denen sich der Mann berufen fühlt, im Falle eines aggressiven Angriffs schützend vor der Frau Platz zu nehmen, wäre eine Theorie, die ich jetzt auch nicht bekämpfen wollen würde, halte ich durchaus für möglich, wobei sich meine Erfahrungen diesbezüglich in engen Grenzen bewegen, ich sehe zuwenig Prügeleien. (Und ob die Quote der erfolgreichen Verteidigungen dann auch mit der Quote der erfolgreichen Verteidigungen auf der Leinwand übereinstimmt, lasse ich einmal offen...)

Aber letztlich sind die Frauen und die Männer, die ich kenne, keine fest unterscheidbaren Blöcke. Der populäre Film arbeitet hingegen mit Gewichtungen und Schablonen, die in der Fülle doch ein verzerrendes Bild liefern. Wenn ich mit jetzt nen ganzen Haufen Pedro Costa-, Claire Denis-, Nanni Moretti-, Jim Jarmusch-, Tran Anh Hùng-Filme nehme, dann bekomme ich dort zumindest eine Fülle von Rollenbildern geboten, die mit meiner Lebensrealität wesentlich mehr gemeinsam hat als es bei dem großen Haufen der Thriller-/Action-Filme der Fall ist.
(Womit ich nicht sagen will, dass nicht auch Costa, Denis, Moretti, Jarmsch, Hùng ihre Schablonen haben... die haben halt andere Vorzüge und auch andere Nachteile...)



Und wie gesagt: Der Vorwurf richtet sich ja nicht an "Wind River" an sich, sondern an "Wind River" im Kontext seines filmischen Umfeldes. Und dann kann man sich auch schonmal an dem einen oder anderen Klischee stoßen... und den Film muss man dennoch nicht zerfetzen. (Und dem "Tree of Life", den ich wie gesagt teilweise für reaktionär halte, gebe ich ja auch seine 10 Punkte. "Kritik üben" hat mMn nicht automatisch mit "nicht mögen" zu tun... :D)
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Vince

Im Biopic-Genre seh ich aber schon ein paar mehr Kandidaten, auch mainstreamigere: Frida, Coco Chanel, La Vie En Rose, Die Queen, Diana, Elizabeth, Erin Brockovich... was man hier nun als Stärke interpretiert, ist natürlich Auslegungssache, gerade Biopics setzen es sich ja zum Ziel, wichtige Meilensteine der Gesellschaftsgeschichte, aber auch deren un- oder wenig beachtete Ereignisse an Personen zu knüpfen, was ja im Endeffekt bedeutet, dass die Hauptfigur eines Biopic grundsätzlich immer eine gewisse Art von Stärke (im Sinne von Relevanz) in sich trägt.

PierrotLeFou

7 März 2018, 19:46:30 #19 Letzte Bearbeitung: 7 März 2018, 19:58:34 von PierrotLeFou
Zitat von: Vince am  7 März 2018, 19:07:29Im Biopic-Genre seh ich aber schon ein paar mehr Kandidaten, auch mainstreamigere: Frida, Coco Chanel, La Vie En Rose, Die Queen, Diana, Elizabeth, Erin Brockovich...

Ja, wenn man das jetzt von Staatsoberhäuptern auf den Fall der Künstler, Polit-Aktivisten und den Sonderfall der Königshäuser erweitert, nehmen auch die Frauen zu. Und "Queen Christina" und "Madame Curie" hatte man natürlich auch schon in den 30ern.
Aber es ist natürlich so, dass vor der Emanzipationsbewegung in den 70ern und nochmals vor den Suffragetten in den 20ern die Zahl der mächtigen, einflussreichen Frauen vergleichsweise begrenzt ist. Und US-Präsidentinnen hatten wir zB nach wie vor nicht (wobei ich auf Mrs. Clinton auch gut hab verzichten können). Und der Historienfilm ist ja an die früheren Gegebenheiten gebunden und liefert zwangsläufig ein Gesellschaftsbild ab, das vergleichsweise "rückständig" aussieht (und eben ein Gefühl für Tradition bewirkt; und mächtige Männer in hohen Posten sind zB eine Tradition.)

https://ssl.ofdb.de/view.php?page=genre&Genre=Biographie

Erster Frauen-Titel auf Platz 24: Persepolis (Bezeichnenderweise ein Film, in welchem es um das Frausein geht. Es ist ja selten bei Biopics über Männer der Fall, dass ihr Mannsein thematisiert wird... es sei denn, sie sind Pornostars, Extremsportler, Transvestiten oder streben eine Geschlechtsumwandlung an... :icon_mrgreen:)

Es folgen noch (neben wenigen Filmen, die gemischtgeschlechtliche Gruppen behandeln, und den Paar-Filmen "Bonnie und Clyde" und "Heaven & Earth") "Christiane F.", "Monster", "The Miracle Worker", "Erin Brockovich", "Boys Don't Cry", "Desert Flower", "Frida", "Girl with a Pearl Earring", "Conviction", "Silkwood", "The Queen" und "Miss Potter"... Macht 13-15% der Filme aus. Und 33-38% dieser Filme hatten Frauen auf dem Regiestuhl. [edit: Bei den übrigen Filmen saß exakt einmal eine Frau als Koregisseurin neben einem Mann auf dem Regiestuhl: Macht etwa 0,6% der Fälle aus. (Etwas weniger.) Ich denke schon, dass die Gewichtung recht deutlich ist...]
(Wird in meiner persönlichen Genre-Übersicht auch nicht anders aussehen... eher schlechter, weil da moch wesentlich ältere Titel dabeisehen werden, bei denen der Anteil des Frauenbiopics noch geringer ausfallen wird.)

[Und Biopics sind ja nicht einmal mit Historienfilmen identisch, um die es ja eigentlich gehen sollte. Beim Historienfilm spricht man ja nicht einmal alleine vom Kino, wenn es um die weiblichen Hauptfiguren geht, sondern auch von der Geschichtsschreibung insgesamt. Das Biopic kann sich ja auch auf die Gegenwart bzw. die jüngste Vergangenheit beziehen - oder Figuren erfinden (Barry Lyndon). Trotzdem ist der Frauenanteil hier nicht gerade auffällig hoch.]
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

JasonXtreme

Danke für die ausgiebigen Ausführungen!  :icon_smile: das sehe ich im Großen und Ganzen ja alles ähnlich und vor allem auch ein. Aber wie Du schon sagst ist das ja auch der jeweiligen Dekade geschuldet, aus der ein etwaiger Film nun stammt. Sei mal dahingestellt, ob man mit Ripley in den 80ern dann ein weibliches Pendent zu all den superstarken Machosäcken schaffen wollte, oder man schlicht passender fand auch mal jemand weibliches einzusetzen. Teil 4 legt jedenfalls nahe, dass es eher ersteres gewesen ist  :icon_mrgreen:

Aber wie Du sagst. Wenn man mal drüber nachdenkt im persönlichen Umfeld und privaten realen Leben... also ich würde erfahrungsgemäß schon sagen, dass sich die Mehrheit der Beziehungen die Geschlechterrollen durchaus auch heute noch so aufteilen. Bei mir persönlich wäre es auch so, dass sich meine frau automatisch auf mich als Beschützer verlässt, was wir leider auch schon in einigen Situationen erfahren haben. Das liegt aber auch irgendwo in der Natur der Sache, die nun schon so grob seit Anfang der Menschheit so existiert und sich fortgesetzt hat über Jahrtausende. Nicht, dass ich das so gutheißen wollen würde. Ich sehe die meetoo Debatte in der Hinsicht aber auch als völlig falsch geführt, ebenso wie die damit wieder einhergehende Forderung nach der Frauenquote. Einerseits soll natürlich jede Frau die gleichen Chancen haben wie der Mann, alternativ erfüllt eine gesetzliche Quote nunmal auch nicht verlässlich die Qualifikation der Frau für die Stelle. Ganz klar wurden entsprechende Stellen von Männern dominiert und auch für diese etabliert und freigehalten - aber verbessert würde das mit einer Quote in meinen Augen leider auch nicht, und ein Patentrezept bleibt aus.

Im Film ist es für mich ähnlich. Ich persönlich beschäftige mich selten mit diesem Rollenbild der Frau, weil es mich bei einem Unterhaltungswerk nicht stört - außer es nimmt extreme Züge an. Wäre es dann aber nicht so, dass es auch falsch wäre durch künstlich geschaffene Rollenbilder starker Frauen ein falsches Gesellschaftsbild zu schaffen bzw. dieses formen zu wollen, weil man heute die starke und emanzipierte Frau sehen MUSS um ein anständiger Mensch zu sein? Und nochmal, ich bin ganz klar niemand der die Frau an den Herd binden will - ich bin froh, dass meine arbeiten kann, darf und es auch tut  :king: :icon_lol:
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

Dr. Schnabel

8 März 2018, 14:04:02 #21 Letzte Bearbeitung: 8 März 2018, 14:06:09 von Dr. Schnabel
Zitat von: PierrotLeFou am  6 März 2018, 21:08:57
Sicherlich... Peter Fleischmann hat einmal gesagt, dass der einzelne Film kaum Ausgewogenheit enthalten könne, ein Programm von Filmen diese aber doch aufweisen solle. (Und beim Blick in die Genrefilmgeschichte habe ich nicht den Eindruck der Ausgewogenheit des Programms, weshalb ich dann auch Einzelfilmen ihre Schablonenhaftigkeit etwas ankreide. (Ich bin mir übrigens auch im Klaren, dass Ausgewogenheit nicht immer ein 50:50-Verhältnis benötigt...))

Okay. Klingt für mich alles nachvollziehbar.  :exclaim:

Zitat von: PierrotLeFou am  6 März 2018, 21:08:57
Übrigens bin ich auch kein Freund irgendwelcher Power-Frauenfiguren (ob die nun auch noch sexy aussehen wie Tomb Raider oder Wonder Woman, oder normaler wirken).
Was ich mir wünschen würde, wäre eine ausgewogene Kinolandschaft, in der vermeintliche Schwäche (insbesondere bei schwachen Männern) nicht abgewertet und Stärke so enorm glorifiziert, mythisiert wird.
Es gibt aber eine Kinolandschaft, in der Tatkräftigkeit, emotionale Stabilität oder Unnahbarkeit und Selbstsicherheit als Stärke gepriesen werden (was mir meist einfach eine etwas simple, womöglich naive Sichtweise zu sein scheint, noch dazu weil sie sich an Zielgruppen richtet, die solch überdurchschnittliche Stärken nicht einmal im Ansatz erreichen); und da gibt es doch so ein paar Geschlechter-Klischeeschablonen; Geschlechter werden im Genrefilm nicht ohne Muster, Schablonen etabliert, als wäre das Geschlecht egal...
Und wenn dann einmal etwas gegen den Strich gebürstet wird, dann gibt es mitunter zB beim "Ghostbusters"-Reboot - das ich ja auch für eher misslungen halte - einen unverhältnismäßigen Shitstorm. (Zuschauer-Meinungen, nach denen eine dem Mann ebenbürtige Heroine ein ärgerliches Klischee sei, das auf Dauer nerve, bestätigen mich dann noch darin, dass die schwächere, beschützenswerte Frau doch ein gerne gebrauchtes, populäres Bild ist. Die Bond-Reihe lebt davon... (Ich mag sie dennoch sehr gerne. :icon_mrgreen:)
Das ist aber eine Diskussion, die ich gar nicht am Genrefilm festmachen will. Das Künstler-/Muse-Verhältnis lässt sich ebenso anführen...

Ich verstehe dich.

Das Problem ist halt, dass fast niemand (und auch ich nicht) beispielsweise einen Minenräumer im Irak sehen möchte, dessen Hauptproblem nicht die täglich von ihm zu entschärfenden Sprengkörper, sondern seine sexuelle Identität ist. Will ich einen Film über eben etwa ein Gender-Problem (um es deutlich zu machen), dann will ich das nicht verquickt sehen mit einem teuren Kriegs-Setting. Aber genau das wäre vermutlich sogar aus dem Leben gegriffen. Der Dramaturgie täte es aber einen Abbruch. Jedenfalls für mich. Was ich sagen will, so sehr da was dran ist, was du ansprichst, gibt es Gründe, warum besonders Genrefilme nicht tausend Fässer aufmachen, sondern ihren Fokus beschränken.
... alias: Der Zerquetscher

Hitfield

14 Oktober 2018, 03:34:57 #22 Letzte Bearbeitung: 14 Oktober 2018, 03:36:36 von Hitfield
99¢ VoD Erstsichtung

Sehr gelungenes Thrillerdrama mit toller Besetzung, Kamera und Atmosphäre. Teilweise ziemlich bedrückend, aber wie subtil hier gesellschaftliche Probleme (in den Indianerreservaten) aufgegriffen werden, hat mir sehr gefallen. Ein krasser Gegensatz zum deutschen Film, wo Sozialkritik stets mit dem Vorschlaghammer verabreicht wird. Der Score passt ebenfalls ausgezeichnet.

Übrigens erinnerte mich der Film sehr an einen seit fast einem Vierteljahrhundert nicht mehr gesichteten Film - "Halbblut" mit Val Kilmer. Erstaunlich, wie selten die indigenen Völker Nordamerikas im US-Kino präsent sind, sofern es sich nicht um Western oder Filme handelt, die in der Vergangenheit spielen ("Windtalkers", "Lone Ranger" etc.). Eine plot keyword-Suche bei der IMDb ergab auch keine Treffer. Gibt es denn wirklich keine indianischen/indigenen Autorenfilmer?

Ich habe aber auch zwei Kritikpunkte: Elizabeth Olsen ist top, aber ihre Frauenrolle (überfordert, auf Hilfe angewiesen) recht altmodisch angelegt, auch wenn es gut erklärt wird, warum sie so unvorbereitet ist (
Spoiler: zeige
wurde vom FBI abkommandiert, weil sie gerade am nächsten zum Reservat war
). Da waren wir schon Anfang der 90er mal weiter mit Jodie Foster als FBI-Agentin in "Das Schweigen der Lämmer". Auch fand ich die Auflösung (
Spoiler: zeige
Massenvergewaltigung
) nach all dem Vorlauf und Subtext zu banal. Das gibt gut einen Punkt Abzug.

Dennoch sehr sehenswert. 7,5 / 10
"All those moments will be lost in time, like tears in the rain."

elpadro

14 Oktober 2018, 06:30:21 #23 Letzte Bearbeitung: 14 Oktober 2018, 06:32:29 von elpadro
Der Ausgeglichenheit des Forums zuliebe hier mal eine 5/10-Sicht auf den Film, dessen Sichtung aber schon ein Jahr her und von der nicht mehr viel hängen geblieben ist.
Daher nur kurz und knapp:

So eindrucksvoll die plötzliche Gewalterruption auch sein mag, so spannend der Aufbau der Szene und die Ausgeliefertheit der Beteiligten auch dargestellt ist - völlig rausgerissen hat mich die Erinnerung an die Physikvorlesung, in der unser Professor zum Impulserhaltungssatz immer gerne die wegfliegenden Ganoven in Actionfilmen genannt hat. Hier dann Masse Kugel x Geschwindigkeit Kugel = Masse Mensch x Geschwindigkeit Mensch,eine Gleichung, die beim angenommen unelastischen Zusammentreffen zweier Körper erfüllt bleibt.
Da ist also per se nix mit umherfliegenden Menschen.
Als Ausweichbewegung auf einen Schlag oder Einschlag einer Kugel bspw. kann zwar ein Zurückspringen des Getroffenen als Reflex stattfinden und diesen weiter beschleunigen, was Peckinpah, Woo & Co. noch halbwegs erklärbar macht, aber so, wie in Wind River die Leute durch die Luft geschleudert werden ist das einfach absolut lächerlich. Hätte die Szene nicht nötig gehabt.

Und die letzten 10 Minuten
Spoiler: zeige
mit der Kriegs- bzw. Trauerbemalung
fand ich im reinen Wortsinn dermaßen in-your-face "Mitleid AN", dass ich mich nur noch geschämt hab, im Kino sitzen geblieben zu sein. Hingen hoffentlich nicht heimlich Kameras, die das Sitzenbleiben aufgenommen und dem Regisseur fälschlicherweise impliziert hätten können, ich sei jetzt zu Tränen gerührt gewesen.
Irgendwie war das ähnlich wie bei" No Country for old Men", wo am Schluss dann unbedingt auch noch so eine ewig lange (gefühlt) "gib mir nen Oscar"-Szene den Abgang komplett versauert hat.

Daher, wie eingangs erwähnt, bei mir nur 5/10.

Ps: Indianer werden nicht gezwungen, in Reservaten zu leben. Was ihnen historisch vor zig Generationen angetan oder weggenommen wurde, ist sicherlich schlimm, wenngleich auch sie nicht unbedingt zimperlich waren. Aber irgendwann ist vielleicht auch mal gut und man kann aus der selbstgewählten Parallelgesellschaft auch mal austreten.
Der Staat und die Gesellschaft machen es diesen Völkern nicht schwer, Fuß zu fassen. Es liegt an ihnen, etwas draus zu machen.
Ich habe drüben ein paar Jahre gearbeitet, und wir hatten einen indianischstämmigen Ingeniuer, der nebenbei auch zu berichten wusste, dass er 0 Dollar für Health Insurance zahlt, da das Teil der Reparationsleistungen der Regierung sei (zumindest in Oklahoma). Sprich, er wurde sogar finanziell ohne eigenes Zutun nicht nur gleich, sondern wesentlich besser behandelt.
Dieser persönliche Bezug zum Thema spielt vielleicht auch eine Rolle bei meiner schlechteren Bewertung des Filmes.
"Hey Asshole, I'm talking to you!"
"You're not, you're talking to yourself."
Moon 44

JasonXtreme

Die Meinung zum Film ok, ist ja ne subjektive Sache - wenngleich ich da herumfliegende, weil getroffene, Personen nicht als Maßstab hernehme, denn das war ja nur EINE Szene im Film. Da dürfte man die von Dir genannten Beispiele ala Pekinpah etc. alle nur noch mit 2/10 werten.

Die Sache mit den Indianern... naja gezwungen werden sie nicht, wenn sie aber auf dem Land leben wollen was ihnen eigentlich mal gehörte, dann sind sie dazu schon gezwungen. Man kann jetz hin und her philosophieren, ob nicht in der heutigen Zeit (hier, in den USA oder anderen Ländern denen es "gut geht") jeder seines Glückes Schmied ist, und ob ein Indianer im Trailerpark leben muss.... da kommen wir aber doch recht schnell an einen Punkt an dem es nicht darum geht, dass die Health Insurence vom Staat getragen wird - das wird sie hier auch, und auch hier gibt es Menschen (nicht der "ich will weil ich faul bin" Hartzie) denen es entsprechend schlecht geht, und die nicht aus der Misere herauskommen aus eigener Kraft.

Im Grunde ist es nach wie vor ein Frevel was mit den Ureinwohnern dort gemacht wurde, und genauso wie es auch heute noch keine wirkliche Gleichberechtigung Schwarzen gegenüber gibt (die müssen doch nicht in Compton oder etwaigen Ghettos leben!), genauso wird auch diesen Menschen heute noch Unrecht getan - und wirkliche Chancen räumt dort drüben jeglichen Leuten außer Weißen ja auch keiner groß ein. Und ja, ich war bereits in den USA, und wenn man ehrlich ist, und die rosarote Brille von Washington oder Uptown-Vierteln mal außen vorlässt, dann sieht man das auch. Kann so eine Meinung nicht annähernd nachvollziehen.

Sorry fürs OT - no offense, jedem seine Meinung.
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

Hitfield

Zitat von: JasonXtreme am 15 Oktober 2018, 13:23:12
Im Grunde ist es nach wie vor ein Frevel was mit den Ureinwohnern dort gemacht wurde, und genauso wie es auch heute noch keine wirkliche Gleichberechtigung Schwarzen gegenüber gibt (die müssen doch nicht in Compton oder etwaigen Ghettos leben!), genauso wird auch diesen Menschen heute noch Unrecht getan - und wirkliche Chancen räumt dort drüben jeglichen Leuten außer Weißen ja auch keiner groß ein. Und ja, ich war bereits in den USA, und wenn man ehrlich ist, und die rosarote Brille von Washington oder Uptown-Vierteln mal außen vorlässt, dann sieht man das auch. Kann so eine Meinung nicht annähernd nachvollziehen.

Ich kann das auch nicht nachvollziehen. Die Ureinwohner oder First Nations gehören immer noch zu den am meisten und stärksten diskriminierten Bevölkerungsgruppen der USA wie eine Harvard-Studie und -Umfrage im letzten Jahr gezeigt hat. Die Diskriminierung durchzieht alle Lebensbereiche - von der Job- und Wohnungssuche bis zur Behandlung durch die Polizei und Behörden:

https://www.npr.org/sections/health-shots/2017/12/12/569513449/forum-examining-discrimination-against-native-americans
https://intercontinentalcry.org/groundbreaking-research-reveals-depth-of-discrimination-against-native-americans/

Ob nun ein Indianer in einem Bundesstaat im Jahr 10.000$ für die Krankenversicherung spart, ist da nicht wirklich repräsentativ (und ich bezweifle mal, dass sich die Befreiung auch auf die deductibles bezieht. Nur weil man in den USA eine Krankenversicherung hat, heißt das nicht, dass mit den ca. 800 US$ im Monat schon alle Kosten bei Untersuchungen und Behandlungen abgedeckt sind. Man muss bei Behandlungen teilweise Zehn- oder Hunderttausende Dollar selber im Voraus bezahlen und dann hoffen, dass die KV die Übernahme wegen verschwiegener Vorerkrankungen nicht ablehnt. Zu einer Vorerkrankung kann schon Akne in der Jugend zählen, die die Versicherung dann einfach mal als Hautkrebs einstuft, ohne es beweisen zu müssen usw.).

Auch kann ich das Argument nicht nachvollziehen, denen gehe es im Prinzip viel besser als allen anderen, sie seien nur zu faul, um zu arbeiten. Ich bin seit diesem Jahr seit immerhin 25 Jahren immer mal wieder in den USA - teils auch zur Arbeit, teils mit längeren Aufenthalten - und immer wieder schockiert, wie extrem Minderheiten und die Mittelschicht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten tagtäglich diskriminiert wird. Als Bleichgesicht nordischen Typs ist mir das lange gar nicht so richtig aufgefallen, weil es eben meistens Dinge sind, die man eben nicht mitbekommt wie z. B. täglich dreimal von der Polizei gestoppt zu werden etc.

Wie auch immer. Sorry fürs Ausschweifen. Was das Herumwirbeln durch die Schüsse angeht, fand ich das gar nicht so auffällig.
Spoiler: zeige
Vor dem Trailer hielt sich das doch sehr in Grenzen, die meisten sacken eher zusammen. Nur einer im Trailer wird durch das Hochgeschwindigkeitsgeschoss(?) herumgewirbelt.
Wenn wir das jetzt als Maßstab anlegen, müsste ich alle Actionfilme von John Woo über Walter Hill bis Chuck Norris/JCvD/Dudikoff usw. abwerten.
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JasonXtreme

Dazu hätte ich immerhin noch eine Sache, die sich jetzt nicht zwingend mit dem Film beschäftigt... da wurde meine ich keiner mit einer Schrotflinte umgepumpt. Ein Bekannter meines Vaters ist Jäger und wurde mal von einer fehgeleiteten Schrotladung umgehauen - und der erzählte es fühlte sich auch genauso an. Als ihn das traf fühlte es sich an als würde ihn jemand von vorn mit voller Wucht umstumpen. Schmerzen gabs erstmal keine durch den Schock, in angesicht des Bluts kam das dann langsam durch. Es geht also mit Schrot durchaus beispielsweise. Beim Rest kann ich da nicht mitreden, wäre aber ja nur logisch, wenn ein Geschoss nur weiches Material wie Fleisch und Muskeln trifft, dass es quasi ohne Hinderniss niemanden umwirft. Bei Schüssen gegen härtere Teile oder wenn die Kugel steckenbleibt KÖNNTE das anders aussehen, siehe auch den Kopf von John F. Kennedy im Zapruder Video (ja ich weiß, es wurde ZU KEINER ZEIT von vorne auf ihn geschossen ;))
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

elpadro

16 Oktober 2018, 00:58:02 #27 Letzte Bearbeitung: 16 Oktober 2018, 03:36:23 von elpadro
Jungs, ich wollte hier nicht eine Riesendiskussion über Native Americans auslösen.
In den letzten 100+ Jahren gab es zig unterschiedliche Ansätze, ein Zusammenleben zu gestalten - von Anerkennung als autonomes Volk mit eigenen Regeln und Gesetzen über Assimilationsanstrengungen und wieder zurück zur Förderung des parallelgesellschaftlichen Lebens.
Es gibt Stämme, die ganz bewusst völlig in ihrer uralten Kultur leben wollen, nicht zur Wahrung von Landansprüchen o.Ä.
Wer bewusst indigene Schulen betreibt, in denen kein Englisch gelehrt wird oder Eltern teils angehalten werden, kein Englisch zu Hause zu sprechen, dann ist es nicht Schuld der übrigen Gesellschaft, dass sich dieselben Menschen diskriminiert oder ausgeschlossen fühlen (edit: die Zwangsassimilationsversuche wiederum haben dasselbe mit gleiche Mitteln nur umgekehrt versucht - das ist natürlich die Schuld der Regierungen)
Dass es diese Fälle anscheinend in großer Zahl gibt, darum ging es mir.
Bei dem Thema ist selbstverständlich nicht alles schwarz oder weiß.
Ich hatte mal diesen Wikipediaartikel gelesen, da kommt das völlig hilflose Rumgeeier beim Finden eines sinnvollen Konzeptes traurig-klar zum Vorschein: https://en.m.wikipedia.org/wiki/Cultural_assimilation_of_Native_Americans

Aber noch mal zu den Ballereien:
Wie z.B. die Polizistin am Anfang von "Und wieder 48 Stunden" durchs Fenster fliegt ist natürlich auch total bekloppt. Aber der Film nimmt sich ja insgesamt nicht so ernst, deshalb gibt's da auch keinen Punktabzug. Eher sogar noch einen als Bonus  :icon_mrgreen:
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