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Call Me by Your Name (Luca Guadagnino)

Begonnen von PierrotLeFou, 2 März 2018, 02:34:46

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PierrotLeFou

2 März 2018, 02:34:46 Letzte Bearbeitung: 2 März 2018, 22:01:45 von PierrotLeFou
Call Me by Your Name (2017)



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Zitat von: https://ssl.ofdb.de/plot/295693,741711,Call-Me-by-Your-NameIm Norden Italiens, 1983: Der 17jährige Elio Perlman lebt im prächtigen Familienanwesen mit seinen Eltern. Sein Vater geht als Professor für Archäologie seiner Arbeit nach und für einige Zeit unterstützt ihn während des Sommers der amerikanische Student Oliver, der - nicht als erster Gast - vorübergehend bei den Perlmans einzieht.
Und gleichwohl sich Elio nicht sogleich öffnen kann und er noch dazu mit einer guten Bekannten erste sexuelle Erfahrungen sammelt, entsteht doch mit der Zeit eine wahre Liebesbeziehung zwischen ihm und dem bald eine Dekade älteren Gast. Oliver - wesentlich gefestigter und erfahrener als Elio - achtet zunächst noch darauf, nichts zu tun, was ihnen später zum Verhängnis werden könnte. Letztlich entwickelt sich aber doch eine handfeste Liebesbeziehung zwischen ihnen, die zwar keinesfalls das Missfallen von irgendjemandem auslöst, aber doch durch Olivers anstehende Rückreise und Elios Identitätsfindung getrübt wird.
Und so muss der anfangs leicht unsichere, aber sich souverän gebende Elio, dessen aufgeschlossenen Eltern ihm in finanzieller, intellektueller und emotionaler Hinsicht alles geben können, lernen, dass die Lebenserfahrung durchaus so einige Überraschungen parat hat...



Wer Tilda Swinton zu seiner Muse macht, muss einfach ein guter Mensch sein. "Call Me by Your Name" weist Guadagnino ebenfalls als beachtlichen Filmemacher aus, der wesentlich eigenständiger & menschlicher Filme dreht als sein bekannterer italienischer Kollege Sorrentino.

Zu Beginn sorgten die schönen, manchmal - trotz aller Natur - fast etwas sterilen Bilder gemeinsam mit dem auffälligen Soundtrack dafür, dass ich etwas voreingenommen war. Einen emotional tief berührenden Film habe ich da gar nicht mehr unbedingt erwartet, sondern eher einen interessanten, eigenwilligen Film wie "I Am Love".
Und dann ist das wieder einer dieser Filme, bei denen ich im Kino meine Backenzähne aufeinanderpresse, um nicht loszuheulen. Auslöser war ausgerechnet der lange Schlussmonolog von Michael Stuhlbarg, dessen Namen ich m Vorspann noch voller Verwunderung registriert hatte, um ihn dann hinter seinem Vollbart als liebster Familienvater der Filmgeschichte gar nicht wiederzuerkennen.

Zwar habe ich schon den Verdacht, dass der Film kaum mehr zu bieten hat als eine gewöhnliche heterosexuelle Liebesgeschichte, aber im Zusammenhang mit der Homoerotik kommen hier doch Angst und Scham ins Spiel (ohne dass es die bösen homophoben Schurken geben würde, an denen man sich anderswo stoßen könnte); und dennoch ist das bloß ein nebensächliches Elemente in einer Geschichte, die sowohl als Selbstfindung eines Homosexuellen(/Bisexuellen?) als auch als Coming of Age-Stoff bezeichnet nur unzulänglich wiedergegeben wäre... (So manches lässt sich auch auf heterosexuelle Partnerschaften im gereifteren Alter übertragen.)
Armie Hammer hat mich gar nicht einmal so sehr beeindruckt, aber Timothée Chalamet und Michael Stuhlbarg haben schon richtig starke Szenen (und Chalamet ist wirklich ausgesprochen attraktiv). Und Esther Garrell aus dem Garrell-Clan ist auch beeindruckend.

Abgesehen davon, dass es wirklich ein sehr einfühlsamer, verständnisvoller Film ist, der weder sülzig & kitschig, noch mit Feindbildern hantierend zum wütenden Problemfilm gerät, ist dieses wirklich überdurchschnittliche Liebesdrama ein höchst sinnlicher, saftiger Film. Ob nun Aprikosensaft getrunken, saftig in einen flaumigen Pfirsich gefickt, patschenden Schrittes barfuß über Steinböden geschritten, Sperma von der Brust gewischt, an Unterhosen gerochen oder im Gras gelegen wird: alles wirkt (dank bemerkenswerter Tonspur)  hyperrealistisch und dennoch zurückhaltend. [edit: Die Bergung einer antiken Statue und der sanfte Schneefall im Winter gehören vielleicht zu den bemerkenswertesten Einstellungen des Films.] Dabei wird der Film in intimeren Momenten deutlich, ohne vulgär zu sein: selbst die betagten Omas, die aus der vorherigen Vorstellung kamen, waren voll des Lobes. (Der Film hält sich im Grunde voll und ganz an die Statuen, die Stuhlbarg beschreibt: Sinnlich, als wollten sie einen verführen... (wollen sie es? Wer weiß...))

Und sonst? (Etwas assoziativer als sonst, der Mocca-Liör ballert ganz schön...) Ich hatte (und habe) ein wenig die Furcht, dass Guadagninos Suspiria-Remake ein bisschen steril werden könnte; wer weiß, aber nachdem "Call me..." doch recht ergreifend war, gleichwohl stilistisch ein Wiedererkennungswert herrscht, bin ich umso mehr guter Dinge. (Es wird sich zeigen, ob Guadagnino auch Terror/Horror beherrscht, aber falls dem so ist, wird "Suspiria" sicher großartig, wenn auch etwas weniger ekstatisch/delirierend als das Original...)
Überhaupt: In blau-rosa-farbenen (Außen-)Disco-Szenen, inmitten italienischer Altbauten und zu nostalgischen Klängen wird hier ein italienisches Kino zelebriert, das ich seit den letzten bemerkenswerten it. Genrefilmklassikern in den mittleren 80ern kaum mehr wahrgenommen habe. Der war sogar italienischer als so ziemlich alles, was ich von Nanni Moretti usw. seit den 90ern gesehen habe. [edit: gut, Tornatore ist mitunter ähnlich beeindruckend ausgefallen]
Das reicht noch hin bis zu den kleinsten Details: Beim Betrachten habe ich wieder gefühlt, dass man mir bloß ein 35 Jahre altes piu- oder macabro-Heftchen in die Hände zu drücken bräuchte, um mich kurzzeitig rundum glücklich zu machen.
[edit: auch mit Bunuels Tod und mit Bettino Craxi sorgt der Film für eine Menge Zeitkolorit. (Von Musikvideos ganz zu schweigen...) Und nebenbei gibt es in diesem Zusammenhang noch ein so derartig gesprächsbedürfitiges Paar, dass man das fast schon als selbstironische Parodie des it. Kinos auf sich selbst auffassen könnte...]

Wer Liebesfilme mag oder ausgesprochen auf italienische Filme steht, wer Erotikfilme schätzt oder einfach vollendete Formen zu schätzen weiß, sollte den ruhig mitnehmen...

Dass Guadagnino schon ein Sequel plant, habe ich vor der Sichtung noch als kommerzielle Überlegung verworfen; nun muss ich doch sagen, dass sich da nicht bloß spannende Ansätze anbieten würden, sondern dass ich ne Fortsetzung auch wirklich sehr gerne sehen würde...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Butzemann

Oh, nach diesem (Eingangs-)Posting weiß ich gar nicht was ich schreiben soll, zumal ich die ganzen Bezüge gar nicht herstellen kann.

Ich erzähl einfach was drumherum, vielleicht geht das auch so ;)

Ich hab den Text hier gelesen, dann kamen die Oscars, dann hörte ich mir viele Stücke von Sufjan Stevens an, stellte weiterhin fest, das ich in jüngerer Vergangenheit wenig italienische Produktionen sah (letzens erst Across the River) und wollte schlussendlich den Film sehen.

Und wie das nunmal so ist, wer zu langsam ist, dem bestraft das Leben: Keine Vorstellung mehr in meiner Region. Ich fand mich schon damit ab, den Film daheim mal zu sichten, da tat sich das Schicksal hervor und schrie mir quasi ins Gesicht. Denn auf Besuch bei den Eltern lief der Film heute als "letzte Chance" in einem Programmkino in der Nähe.

Es war kalt, schneite und zum Glück erbarmte sich sogar meine Freundin (mag wenig Dramen im Kino) den sich mit mir anzusehen, obwohl ich auch allein gefahren wäre, aber so ist es natürlich nochmal schöner.

Und ich kann mich den Worten PierrotLeFou's nur anschließen.

Denn nach dem etwas erschreckenden und auch nervigen Intro tat sich mir der Sommer aus 1983 auf. Ich tauchte ein und sah dem Treiben zu, weinte sogar, lustigerweise auch an der Stelle wo PierrotLeFou die Zähne zusammenbeißen musste und die 132 Minuten vergingen wie im Flug. Ich wurde nur, wie beim Intro auch, mit unsanften Klavierklängen ab und zu aus der Bahn geworfen, dazu etwas merkwürdige Schnitte hier und da, die Szenen etwas unrund aussehen ließen, aber alles in alllem war dies ein sehr schöner, intensiver, intelligenter und ausgesprochen sinnlicher Film. Und das schöne ist, ich hab von Luca Guadagnino noch nichts gesehen und freu mich die weiteren Werke zu sichten.

sehr starke 9/10
Version 2.0 [ http://blog-plus.de ]

Heimkino [ http://www.bluray-disc.de/blulife/heimkino/butzemann ]


"Von all den Dingen die mir sind verloren gegangen, hab ich am meisten an meinen Verstand gehangen"

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