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Loveless / Nelyubov (B, D, F, RUS 2017, Regie: Andrey Zvyagintsev)

Begonnen von PierrotLeFou, 20 März 2018, 21:22:02

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PierrotLeFou

20 März 2018, 21:22:02 Letzte Bearbeitung: 20 März 2018, 21:35:29 von PierrotLeFou
https://ssl.ofdb.de/film/299038,Loveless
http://www.imdb.com/title/tt6304162/



Zitat von: https://ssl.ofdb.de/plot/299038,743031,LovelessRussland, 2012. In den Medien wird über die aktuellen Weltuntergangstheorien debattiert. Zhenya und Boris haben sich nach jahrelanger Ehe nichts mehr zu sagen, wenn man von verletzenden Gehässigkeiten einmal absieht, welche hauptsächlich von Zhenya kommen, die Boris bloß geheiratet und sein Kind geboren haben will, um von ihrer Mutter wegzukommen. Die gemeinsame Wohnung soll verkauft werden, Besichtigungen für Interessenten laufen schon, die Scheidung nimmt auch ihren Gang und beide haben längst neue Lebensgefährten gefunden...
Der Leidtragende ist ihr gemeinsamer Sohn Alyosha: Der berufstätige Vater mag das Sorgerecht nicht übernehmen, die Mutter will sich dieser Verpflichtung auch nicht stellen - das nenne man Gleichberechtigung. Er soll ins Internat, quasi als Vorgeschmack auf die Armee. Beide ahnen nicht, dass der Junge diese Idee und den begleitenden lautstarken Streit der Eltern mitverfolgt.
Zhenya hat jedoch scheinbar nur Augen und Ohren für ihr Image in den sozialen Netzwerken, Boris' größte Sorge besteht darin, dass seine orthodoxen Arbeitgeber von seiner Scheidung erfahren könnten.
Und dann ist Alyosha schließlich eines Tages verschwunden: ausgerissen, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Die Polizei kann nur allmählich tätig werden, ein ehrenamtliches Such- und Rettungsteam kommt zum Einsatz. Ohne einander näher zu kommen, müssen sich Zhenya und Boris noch einmal miteinander bei der Suche nach ihrem Sohn arrangieren. Und zur Krimkrise wird dieses Gesellschaftsporträt schließlich enden...

Gerade im Kino gesehen. Sehr seltsam: Einerseits ist es vielleicht Zvyagintsevs figurenreichster Film inmitten mehrstöckiger Wohnblocks, andererseits nimmt Einsamkeit hier ganz besonders großen Stellenwert ein. Das beginnt schon sehr früh im Film, als der Vater dicht an dicht gedrängt mit anderen Leuten im Fahrstuhl steht, ohne dass die Personen Blickkontakt miteinander haben würden, derweil die Mutter in der Straßenbahn steht, wo sie wie jeder andere beinahe ausschließlich mit ihrem technischen Gerät kommuniziert...
Es herrscht weitgehend ein Klima der Lieblosigkeit, insbesondere in der gescheiterten Beziehung der Hauptfiguren, die so sehr auf dem Rücken ihres Sohnes aufeinander herumhacken, bis dieser schließlich die Flucht ergreift.
Auf der Suche nach ihm können sie einander noch ein bisschen mehr zusetzen - teilweise richtig fies jenseits jeder Schicklichkeit -, aber über weite Strecken arbeiten sie dann doch eher unabhängig voneinander mit dem Leiter des Suchteams...
Und bald zeichnet sich ab, dass der verschwundene Junge hier
Spoiler: zeige
sowenig nochmals auftauchen wird wie die verschwundene Frau in Antonionis "L'Avventura"... Und auch die Beziehung zwischen den Elternteilen entwickelt sich nicht mehr: Am Ende sind wenige Jahre vergangen, der Sohn ist scheinbar nicht mehr aufgetaucht, die neuen Beziehungen münden ihrerseits gerade in furchtbare Tristesse...


Es ist schon beachtlich, mit welcher Wucht Zvyagintsev hier ein (russisches) Gesellschaftsbild entwirft, in welchem es zwischen Statusdenken & Materialismus einerseits, restriktiven Werten andererseits bloß wenig Spielraum für echte Menschlichkeit gibt, welcher dann auch noch regelmäßig zum Schauplatz wirklich böser Vorwürfe und Schuldzuweisungen verkommt.
Die Frau ist diesmal bei Zvyagintsev eine ganze Spur negativer konnotiert als der Mann, welcher auch stärker als sie als (schuldiger) Leidender durch den Film wandelt. (Dafür bleibt bei ihr offen, ob sie bloß weitergibt, was sie durch ihre eigene Mutter erfahren hat...) Und ein paar Selfie- & Smartphone-Bashings sind dann doch etwas aufdringlich, aber ansonsten ist dieses Gesellschaftsporträt doch recht ausgewogen: Die Steckbriefe werden durchaus registriert und gelesen, es hilft halt bloß nichts... und die ehrenamtlichen Sucher(innen) zeigen durchaus Engagement. Es ist also nicht alles schlecht, aber es gibt eben krasse Schieflagen - und vor allem Selbstbetrug, Zweckbeziehungen und Liebschaften, die eigentlich doch eher aus egoistischen Motiven heraus fortbestehen (bis sie endlich scheitern). Und noch ein paar Schuldzuweisungen hier, ein wenig Rachsucht dort...

Arvo Pärts "Silouans Song" und wundervolle Kameraaufnahmen machen daraus einen manchmal wundervoll elegischen, manchmal klirrend-kalten Film... Und wenn dann auf der Leinwand ganz selten doch einmal alle Dämme brechen und die Tränen fließen, dann wird das ziemlich nüchtern und erbarmungslos eingefangen.
Ist auf jeden Fall ein recht schwergewichtiges Filmerlebnis, was auch zu erwarten war. Hat mir sehr gefallen, dicke 8/10...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

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