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Anonymous (Emmerich geht Shakespeare nach)

Begonnen von StS, 9 April 2011, 09:49:05

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StS

Director: Roland Emmerich
Screenwriter: John Orloff
Starring: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, Joely Richardson, David Thewlis, Xavier Samuel, Sebastian Armesto, Rafe Spall, Edward Hogg, Jamie Campbell Bower, Derek Jacobi

Genre: Drama
Official Website: www.Anonymous-movie.com
Imdb

Set in the political snake-pit of Elizabethan England, "Anonymous" speculates on an issue that has for centuries intrigued academics and brilliant minds ranging from Mark Twain and Charles Dickens to Henry James and Sigmund Freud, namely: who was the author of the plays credited to William Shakespeare? Experts have debated, books have been written, and scholars have devoted their lives to protecting or debunking theories surrounding the authorship of the most renowned works in English literature. "Anonymous" poses one possible answer, focusing on a time when cloak-and-dagger political intrigue, illicit romances in the Royal Court, and the schemes of greedy nobles hungry for the power of the throne were exposed in the most unlikely of places: the London stage.

Trailer:
http://www.comingsoon.net/news/movienews.php?id=76055
"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

Chowyunfat2

Ausgerechnet jetzt, wo Emmerich mit seinem Enthüllungsfilm vor der Tür steht, muss ihm das ZDF mit der alten Marlowe-Theorie in die Hacken fahren :icon_lol:
Terra X: Das Shakespeare-Rätsel Heute abend 19:30 Uhr ZDF

StS

"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

StS

"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

Moonshade

Ist ja dürftig, dabei läuft der jetzt ja schon ein paar Tage.

Bin positiv überrascht worden, natürlich hat Emmerich so richtig an der Kostümspektakelstrippe gezogen, in der Tradition von "Shakespeare in Love", aber der Film entpuppt sich dann doch als überaus interessanter, wenn auch schwerer Brocken, der nicht nur Königs- und Bühnendrama, sondern auch gleich noch eine waschechte Tragödie ist, wie sie heutzutage eigentlich gar nicht mehr hergestellt wird.

Die Theorie hinter der Story (Edward de Vere als Autor, Shakespeare als Strohmann) ist sogar ganz schlüssig, der Ausbau in Richtung auf politische Intrigen und monarchische Strukturen sind natürlich zunehmend fiktiv, aber deswegen nicht weniger interessant - und die Bezüge zwischen den Stücken und der Filmrealität sind recht interessant geraten.
Aussstattung und Darsteller sind ausgezeichnet, also auch optisch ein Genuß - man sollte sich nur von Emmerichs typischen Elementen verabschieden, also die "grande catastrophe" findet nicht statt, der Film trägt sein Drama über die Dialoge. Und die gibts reichlich - und die Strukturen sind kompliziert.
Also nichts für Leute, die sich nur berieseln lassen wollen, dafür sind drei Zeitebenen und jede Menge uneheliche Kinder zuviel...

Saubere 7/10 von mir!
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

"Gebt dem Mann ein verdammtes Puppers!"

Fastmachine

19 August 2013, 11:31:44 #5 Letzte Bearbeitung: 19 August 2013, 13:54:08 von Fastmachine
Gerade gesehen und sehr positiv von Emmerich überrascht worden.

Sein eigenes Stammpublikum dürfte er damit aber schwer verstört haben, denn der weltenzerstörende Ka-Wumm hält sich in Grenzen. Auch ist der Film vergleichsweise komplex erzählt worden, ganz entgegen Emmerichs bisherige Gewohnheiten. Irritierender ist für mich die ressentimentgeladene Aufnahme bei der Kritik.

Da wird zunächst Emmerich seine Popcorn-Film-Laufbahn als Verfehlung ausgebreitet, um ihm dann fehlende Shakespearekenntnisse vorzuhalten. Man fasst sich an den Kopf. Da entblöden sich einige nicht, Shakespeare als geradezu Heiligen Gral darzustellen, den Popcorn-Emmerich mit finstersten Absichten geschändet hätte. Da reagieren einige (nicht wenige!) auf diesen Film so, wie die Kirche damals auf DAS LEBEN DES BRIAN reagiert hatte.

In der Tat, Shakespeare wird hier als wenig intellektueller, eher windiger Theaterunternehmer dargestellt. Und? Warum nicht? Historisch gesehen - obwohl derlei Erwägungen hier gar keine Rolle spielen - trifft das die Mehrheit der damaligen Theaterbetreiber durchaus nicht schlecht. Die meisten waren kaum mehr als bessere Jahrmarktsbudenbetreiber. Seit 200 Jahren gibt es daher Spekulationen um den angeblich "wahren" Verfasser von Shakespeares Werken. Die sind natürlich bis heute nie bewiesen worden.

Emmerich greift sich eine schon 100 Jahre alte Variante raus. Demnach hätte der weitgereiste und hochgebildete Herzog von Oxford die Werke anonym geschreiben. Um diese spekulative These wird ein Mantel- und Degenfilm voller Hofintrigen und Wendungen gestrickt. Ausnahmsweise erschafft Emmerichs CGI-Zirkus mal eine überzeugende, nicht übertriebene Vorstellung vom London um 1600. Die schauspielerischen Leistungen sind ebenfalls sehr ansprechend. Warum also der Kritikeraufstand?

Irgendwie scheint jeder eine Auseinandersetzung mit Shakespeares Werken zu erwarten. Die findet aber nur am Rande statt, so wie es nötig ist, um die Intrigenstory am Laufen zu halten. Nur: Warum soll das ein Fehler sein? Das hier ist keine Shakespeareverfilmung im Sinne von Olivier oder Branagh, sondern ein Mantel- und Degenfilm, der mit den "Drei Musketieren" mehr zu tun hat als mit einem Kunstfilm. Emmerich hat nie irgendetwas anderes versprochen. Verglichen mit den "Drei Musketieren" sogar sehr komplex.

Wie üblich in diesem Genre bleibt nach den letzten, schwindelerregenden Wendungen nichts übrig außer Schall und Rauch. Nein, kein elementares Shakespeare-Kunsterlebnis, sondern gut gemachter Budenzauber. Emmerich ist sicher kein anderer Regisseur geworden, aber hat für seine Verhältnisse tatsächlich was gewagt. Der beste Emmerich bisher. 7.5/10.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

Bluefox

Ich war ebenfalls sehr positiv überrascht. Rhys Ifans ist als "Verdächtiger" einfach grandios besetzt, die Story an sich ja nicht unbekannt und Emmerich hält sich angenehm zurück. Kein Film für Krawallbrüder. Beeindruckt haben mich auch die geschliffenen Dialoge und Wortduelle, das zeigt, daß es nicht alle 5 Minuten rumsen muß, um gut unterhalten zu werden.

Wanna

Ich schäme mich, dass ich noch nie von dem Film gehört habe. So schnell es geht werde ich nachholen den Film anzusehen...
Als unser Hund nachts zu bellen anfing, ging meine Mutter hinaus und stillte ihn. Die Nachbarn hätten sich sonst aufgeregt.

jororo

Gerade gesehen. Historisch natürlich totaler Mumpitz (allein, dass "Macbeth , der nur zu Zeiten der jakobitschen Herrschaft in England überhaupt Sinn macht und den unterstellten politischen Ansichten des Verfasers komplett zuwider läuft, schon deutlich vor Elisabeths Tod entstanden sein soll oder Richard III, nachweislich ein sehr frühes Stück, hier zu 1601 verschoben wird - ach, ja die ebenfalls nachgewiesenen Kollaborationen am Anfang (Two Gentlemen of Verona) und Ende (Two noble Kinsmen) der schriftstellerischen Tätigkeit des Verfassers (mMn  William Shakespeare) sind natürlich in diesem Gedankengebäude gar nicht zu erklären) ) mit unglaublichen Zufällen und Logiklücken (die Shakespearestücke wurden also schon vor Jahrzehnten am Hof aufgeführt, aber trotzdem dauert es 200 Jahre, bis irgend jemand die Urheberschaft in Zweifel zieht?) , wurde ich doch, nachdem ich mich vom Gedanken einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Shakespeare verabschiedet hatte, ganz gut unterhalten. Die Politplot unterhält ganz gut, die Figurenzeichnung bleibt natürlich total oberflächlich, aber immerhin hat der Film ein paar schöne Bilder.

Ach ja, kann mir wer erkären, warum ausgerechnet King Lear optisch noch mal hervorgehoben wird? Allein der Kontrast zwischen den Vater-Tochter-Beziehungen bei Shakespeare (vor allem King Lear, aber auch z. Bsp. A Winter's Tale oder The Tempest, der übrigens nachweislich nach Oxfords Tod entstand, aber wer kümmert sich schon um nackte Zahlen?) und der im Film dargestellten zwischen Oxford und sierner Tochter, zerlegt doch den Ansatz des films noch zusätzlich. Um den Film "überzeugend" (im Sinne von: historisch wahrscheinlich oder auch nur möglich) zu finden, darf man sich nicht länger als 5 Minuten mit Shakespeare befasst haben, um von einer "Phantasie"geschichte unterhalten zu lassen, muss man diese Kröte eben schlucken. Mir ist das, wie man merkt, nur teilweise gelungen.
Was bringen die ganzen PISA-Studien, wenn das Hessenabitur schon als Behindertenausweis anerkannt wird? (S. Hieronymus)

https://www.youtube.com/watch?v=jQJ8Pofd_X8

Fastmachine

22 August 2013, 00:26:33 #9 Letzte Bearbeitung: 22 August 2013, 11:16:43 von Fastmachine
Meiner Meinung nach verbaut man sich den Zugang zum Film, wenn man ihn so angeht. Das ist keine Biografie Shakespeares, keine "wahre" Historienverfilmung und auch keine "Erklärung" der Shakesperschen Dramen.
Dies ist eine Geschichts- und Kunstfiktion über die Shakespearsche Welt, über Kunst und Wirklichkeit, über das Verschwinden des Autors im Werk - etwa wie DAS LEBEN DES BRIAN eine Fiktion über das Leben Jesu, den Nahostkonflikt und Monumentalfilme aus Hollywood ist, die sich manchmal auch über vermeintlich sichere Überlieferungen lustig macht.
Die Fiktion vom "wahren" Shakespeare ist wie BRIAN nur der Aufhänger für dieses Spiel.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

vodkamartini

Ich fand ihn ebenfalls gut und auch ich sehe in ihm keinen historischen Spielfilm der Anspruch auf Authentizität erhebt. Emmerich - und wer hätte ihm das zugetraut - inszenierte ein Drama in historischem Gewand das in erster Linie unterhalten will - ohne dabei platt zu sein. Der Film verfolgt damit ähnliche Ziele wie die Bühnenstücke Shakespeares und verwendet dazu ganz ähnliche Zutaten: Liebe, Intrigen, Verrat, Inzest, Betrug und Mord. 8/10
www.vodkasreviews.de

There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

Fastmachine

22 August 2013, 01:13:57 #11 Letzte Bearbeitung: 22 August 2013, 13:05:52 von Fastmachine
Es scheint, als hätte sich ausgerechnet Emmerich, der bisher immer die Bedürfnisse seines Zielpublikums fest im Blick hatte, zwischen alle Stühle gesetzt.

Für Popcorn-Fans zu verschachtelt, für Kunst-, Theater- und Shakespeareliebhaber zu unauthentisch bzw. zu wenig kunstbeflissen.
Zudem beging Emmerich (bzw. das Drehbuch) die für weite Teile der Kritik wohl unverzeihliche Sünde, statt Shakespeare, den "Mann aus dem Volke" in den Mittelpunkt zu stellen, nun ausgerechnet einen Aristokraten als "Helden" oder genauer Hauptfigur handeln zu lassen. Auch spielt "Das Volk" nur eine Statistenrolle bei den politischen Kämpfen. Woran man merkt, dass Publikum und Kritik sich weder um historische Realitäten (die waren für das "Volk" in England um 1600 sehr finster), noch um irgendeine Art von Offenheit bemühen, wenn es um Fiktionen geht, die nicht eigene Ressentiments und Wunscherfüllungsfantasien bedienen.

Klar, junger Mann (Shakespeare) vom Lande (Stratford) kommt in die große Stadt (London), trifft auf ein Establishment (Adel) und mischt alle auf, um am Ende als Sieger das Mädchen mit nach Hause zu nehmen. So hätte man es wohl gerne gesehen.

Ehrlich gesagt, das habe ich schon sooft gesehen, das brauche ich nicht nochmal. Warum kann man sich nicht einmal auf was anderes einlassen? Und entgegen einigen Kritikern, die den ideologischen Hammer besonders selbstgewiss niedersausen ließen, geht es hier nicht um eine "Verherrlichung des Adels" zulasten des "Volkes". Auch wird der fiktive "wahre" Shakespeare, der Herzog von Oxford, eben nicht verklärt. Sondern
Spoiler: zeige
 er scheitert in jeder Beziehung, politisch, menschlich und litararisch. Am Ende ist selbst sein Angedenken ausgelöscht, was er resigniert akzeptiert, angesichts seiner fatalen Lebensbilanz. Trotz bester Voraussetzungen, trotz Intelligenz, Talent, Titel und Vermögen verkennt der Herzog wie blind die Wirklichkeit
. Es ist ein fatalistisches, ja manchmal dunkles Bild der politischen Wirklichkeit, was hier gezeigt wird. Am Ende ist man fast froh, die Welt Shakespeares um 1600 zu verlassen. Sie ist tot. Das Werk lebt allein, auch ohne wirklich scharfes Bild von seinem Verfasser. Denn die Einsichten, die im Werk stecken, sind größer als diejenigen, die dem vermeintlich "wahren" Shakespeare persönlich je zuteil wurden. Und: Was er in seinen Werken wusste, realisierte er nicht in seinem eigenen Leben.

Wie "wahrscheinlich" die These eines "wahren" Verfassers historisch ist, spielt für das, was der Film vermitteln will, keine Rolle. Der Verzicht auf eine wirklich ungebrochen sympathische Identifikationsfigur, auf eine irgendwie glückliche Liebesgeschichte ist für jemanden wie Emmerich mehr als erstaunlich, musste er doch die Auswirkungen auf den Publikumserfolg ahnen.

Und nur, falls es da Missverständnisse gibt: Nein, privat als Shakespeareleser und -liebhaber glaube auch nicht an die Theorie von einem "anonymen" Verfasser  ;)
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

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