Gemeinschaftsforum.com

OFDb => Allgemeine OFDb-Themen => OFDb-Autoren: Review-Forum => Thema gestartet von: Adam Kesher am 7 August 2008, 01:55:44

Titel: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 7 August 2008, 01:55:44
Nun habe auch ich mich dazu entschlossen, einen offiziellen Bereich zur Besprechung meiner Besprechungen einzurichten. Meine lang gehegten Bedenken, dass es mir an Zeit und Regelmäßigkeit fehlen könnte, den Pflichten eines Gastgebers in hinreichendem Maße nachzukommen, habe ich zwischenzeitlich abgelegt, denn das Gelingen einer guten Feier hängt letzten Endes auch nicht unbedingt vom ständigen Eingriff des Hausherren ab. Damit ist die Arena eröffnet für Lob und Tadel, für Anmerkungen und Fragen und jeden anderen Beitrag zur Sache oder zum Spaß!

Hier (http://www.ofdb.de/view.php?page=poster&Name=14065&Kat=Review) eine Liste meiner Besprechungen.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Hedning am 7 August 2008, 02:06:26
Hallo,

wie ich schon im Forum das eine oder andere Mal geschrieben habe, finde ich deine Interpretationsansätze stets lesenswert, wenn ihre Tragfähigkeit mir auch nicht jedes Mal ganz gesichert scheint. Daher habe ich dich auch abonniert. Viele Filme, die du rezensierst, habe ich auch gesehen bzw. beabsichtige sie noch zu sehen, was ein zusätzlicher positiver Faktor ist. Mit deinem "Telegrammstil" nimmst du eine ziemlich singuläre Stellung ein, was aber nicht nur eine sehr angenehme Abwechslung bewirkt, sondern auch eine ganz eigene Herausforderung an die Fähigkeit zum konzentrierten sprachlichen Ausdruck darstellt.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: McKenzie am 7 August 2008, 02:19:46
At last! Endlich, endlich. Darauf warte ich schon lange. :icon_mrgreen:
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Bretzelburger am 10 August 2008, 02:37:08
Ich schätze ja deine kurzen Texte, auch wenn mir manchmal die Begründungen fehlen. Aber deinen Text zu "Die durch die Hölle gehen" hättest du dir sinngemäss sparen können, da du ihn (auch in der Länge) aus den Zeitungen von 1978 hättest abschreiben können. Deine Sichtweise ist die naheliegendste und lässt - wie so oft - Ciminos Intentionen aussen vor.

Vollkommen richtig schreibst du, dass es um ein vorher-nachher geht, und den Protagonisten nicht bewusst wird, was sie da eigentlich tuen. Genau darin liegt Cinimos Botschaft, der sich nicht ohne Grund eine Stunde lang mit dem Leben "vorher" beschäftigt, dass keineswegs nur mit dem Gebrauch von Waffen zu tun hat.
Es geht um die Beschreibung der "einfachen" Leute, die für eine sinnlose Sache missbraucht werden, ohne das sie es merken und daraus Schlüsse ziehen. Im gesamten Film gibt es nicht ein kritisches Wort zum Krieg oder der amerikanischen Republik, was man Cimino vorgeworfen hat. Aber der Subtext verdeutlicht die Perfidität, die dahinter verborgen ist. Gerade durch den Verzicht auf Parolen, wird das deutlich.

Das "russische Roulette" hat ebenfalls eine doppelte Funktion. Einerseits dient es als Folter, andererseits handelt es sich um ein Spiel, das in Vietnam an der Tagesordnung war. Es verdeutlicht die zunehmende Distanz vor dem Wert des eigenen Lebens. Was ich darin nicht erkenne, sind irgendwelche Beurteilungen oder Gewichtungen. Auch in den USA ist der Wert des Lebens nicht mehr offensichtlich, einen Zustand den Cinimo verallgemeinert. Deine Worte über "gute" oder "falsche" Waffen, kann ich ebenfalls nicht innerhalb der komplexen Handlung nachvollziehen. Für solch ein Urteil bedarf es einer erheblichen Einschränkung des Films im Sinne der eigenen Erwartungshaltung und Vorurteile.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 11 August 2008, 00:03:10
Zitat von: Hedning am  7 August 2008, 02:06:26wie ich schon im Forum das eine oder andere Mal geschrieben habe, finde ich deine Interpretationsansätze stets lesenswert, wenn ihre Tragfähigkeit mir auch nicht jedes Mal ganz gesichert scheint. Daher habe ich dich auch abonniert. Viele Filme, die du rezensierst, habe ich auch gesehen bzw. beabsichtige sie noch zu sehen, was ein zusätzlicher positiver Faktor ist. Mit deinem "Telegrammstil" nimmst du eine ziemlich singuläre Stellung ein, was aber nicht nur eine sehr angenehme Abwechslung bewirkt, sondern auch eine ganz eigene Herausforderung an die Fähigkeit zum konzentrierten sprachlichen Ausdruck darstellt.

Danke für die Einschätzung! Wir haben in der Tat einen ähnlichen Geschmack und sollten bei Gelegenheit noch einmal ausführlicher sprechen. Mein ,,Telegrammstil" hängt übrigens damit zusammen, dass mir Filme tatsächlich eher in solchen Essenzen als in Einzelheiten haften bleiben.

Zitat von: McKenzie am  7 August 2008, 02:19:46At last! Endlich, endlich. Darauf warte ich schon lange. :icon_mrgreen:

Ich zittere bereits!

Zitat von: Bretzelburger am 10 August 2008, 02:37:08Aber deinen Text zu "Die durch die Hölle gehen" hättest du dir sinngemäss sparen können, da du ihn (auch in der Länge) aus den Zeitungen von 1978 hättest abschreiben können.

Keiner zieht schneller als du: Kaum ist die Besprechung veröffentlicht, schon kommt die Rückmeldung! Es stimmt schon, dass ich nicht der erste bin, der sich kritisch zu dem Film äußert. Aber da die kritischen Stimmen doch deutlich in der Minderzahl sind, dachte ich, dass es nicht schaden kann, meine Ansichten zu formulieren und Interessierten zur Verfügung zu stellen.

Zitat von: Bretzelburger am 10 August 2008, 02:37:08Deine Sichtweise ist die naheliegendste und lässt - wie so oft - Ciminos Intentionen aussen vor.

Ob meine Sichtweise besonders naheliegend ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Auf jeden Fall scheint sie deutlich seltener zu sein als deine, wie die hohen Wertungen in der OFDb und IMDb nahelegen. Nach Ciminos Absichten frage ich tatsächlich nicht, denn ich finde es müßig und spekulativ, darüber zu grübeln, was der Macher gewollt haben könnte, wenn ich doch sehen kann, was das fertige Werk erreicht.

Zitat von: Bretzelburger am 10 August 2008, 02:37:08Vollkommen richtig schreibst du, dass es um ein vorher-nachher geht, und den Protagonisten nicht bewusst wird, was sie da eigentlich tuen. Genau darin liegt Cinimos Botschaft, der sich nicht ohne Grund eine Stunde lang mit dem Leben "vorher" beschäftigt, dass keineswegs nur mit dem Gebrauch von Waffen zu tun hat. Es geht um die Beschreibung der "einfachen" Leute, die für eine sinnlose Sache missbraucht werden, ohne das sie es merken und daraus Schlüsse ziehen.

Ich spreche durchaus nicht nur von Waffengebrauch, sondern auch von Provinzbewohnern, die mit dem Erhalt ihres bescheidenen Glücks beschäftigt sind. Im Übrigen halte ich die ausführlichen Schilderungen der privaten Lebensumstände der Hauptfiguren aber für einen Trick des Filmes: Sie sollen uns emotional vereinnahmen und das Geschehen so weit naturalisieren, dass wir den Erzähler und seinen Einfluss nicht mehr spüren und dem Eindruck erliegen, reine Natur zu beobachten, sodass die unterliegende Propaganda nicht mehr auffällt, weil sie ganz in der vermeintlichen Selbstverständlichkeit des schlicht Gegebenen aufgeht. Gerade um diesen Trick zu entschleiern, finde ich es wichtig, sich nicht von den Längenverhältnissen des Filmes die Ausführlichkeitsanteile eines kritischen Kommentars diktieren zu lassen. Erst wenn ich hinter die emotionale Tarnfassade blicke, fallen mir die selbstgerechten Verzerrungen des Filmes auf.

Zitat von: Bretzelburger am 10 August 2008, 02:37:08Im gesamten Film gibt es nicht ein kritisches Wort zum Krieg oder der amerikanischen Republik, was man Cimino vorgeworfen hat. Aber der Subtext verdeutlicht die Perfidität, die dahinter verborgen ist. Gerade durch den Verzicht auf Parolen, wird das deutlich.

Ich weiß nicht, wer Cimino das Fehlen kritischer Parolen vorgeworfen hat; ich war es jedenfalls nicht. Meine Kritik gilt dem auf richtiges und falsches Verhalten ausgerichteten Kriegsbild, dem Rassismus und der vorgetäuschten Selbstkritik, die in Wahrheit den Feind umso teuflischer erscheinen lassen soll.

Zitat von: Bretzelburger am 10 August 2008, 02:37:08Das "russische Roulette" hat ebenfalls eine doppelte Funktion. Einerseits dient es als Folter, andererseits handelt es sich um ein Spiel, das in Vietnam an der Tagesordnung war.

Meine Quellen besagen, dass russisches Roulette im Vietnamkrieg nicht vorkam. Letztlich ist es mir aber gleich, ob es sich um eine authentische Rekonstruktion oder eine Metapher handelt. Spannend finde ich, wie man hier dem Naturalisierungseffekt, von dem ich weiter oben gesprochen habe, bei der Arbeit zusehen kann: Die bruchfreie emotionale Nachvollziehbarkeit der Figuren verleitet uns zu einer passiven Wahrnehmung, die uns das Dargebotene selbstverständlich erscheinen lässt, sodass wir annehmen, russisches Roulette müsse ,,an der Tagesordnung" gewesen sein. Ob dem so war oder nicht, ist letztlich gleich. Entscheidend ist: Wir halten es für gegeben und denken nicht mehr darüber nach, welchen Zweck es im Kontext der Erzählung erfüllt, nämlich die Vietcong zu dämonisieren.

Zitat von: Bretzelburger am 10 August 2008, 02:37:08Deine Worte über "gute" oder "falsche" Waffen, kann ich ebenfalls nicht innerhalb der komplexen Handlung nachvollziehen. Für solch ein Urteil bedarf es einer erheblichen Einschränkung des Films im Sinne der eigenen Erwartungshaltung und Vorurteile.

Mir geht es mehr um den Gebrauch der Waffen, nicht so sehr um die Waffen selbst. Wie der Film die Beurteilung vom richtigen und falschen Gebrauch vornimmt, hast du im Grunde selbst in deiner Besprechung sehr treffend geschildert:

Zitat von: BretzelburgerWer sich an den dargestellten "Russisch Roulette"-Szenen noch etwas delektieren kann, muß schon recht abgestumpft sein, denn was hier vor allen Dingen dargestellt wird, sind die extremen Ängste, das völlige Verlieren der Selbstkontrolle, die seelische Vernichtung der Protagonisten.

Ich stimme dir völlig zu: Der Film zeigt die Handlung so, dass man sie nur abstoßend finden kann. Einer zweiten, widersprüchlichen Regung (etwa Faszination) gesteht er keinen Platz zu. Darin liegt bereits die Wertung: Was wir sehen, fühlt sich abstoßend an und muss daher falsch sein; und falsche Taten werden bekanntlich von Schuldigen begangen, in diesem Fall – nicht überraschend – die Vietcong. Ich empfinde das nicht nur als unangenehme und verfehlte Stimmungsmache. Es überzeugt mich vor allem auch nicht, denn als McLuhan-Anhänger glaube ich nicht, dass es darauf ankommt, wie wir die Objekte gebrauchen, sondern dass wir sie überhaupt haben.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 11 August 2008, 04:34:43
Dass du einen Autorenthread eröffnet hast, erstaunt mich, ich dachte ehrlich gesagt, du stündest immer ein wenig über den Dingen. :icon_mrgreen:

Dass ich deine kleinen Besprechungen mag, habe ich schon diverse Mal betont. Sie zählen für mich zu den wertvollsten Beiträgen in der ofdb mit den interessantesten Gedankenansätzen - die aber auch immer nur Ansätze bleiben.

Hier im Forum gehe ich mit deinen Aussagen zunehmend weniger konform, insbesondere die Riefenstahl-Debatte hat mir einiges an Verwunderung abgerungen, aber das nur nebenbei bemerkt.

Was mir im Übrigen besonders zusagt, ist die in deinen Reviews mitunter ausgeprägte Lust an der Ideologiekritik, die mich zu der Annahme bringt, dass du offenbar keinen filmwissenschaftlichen Background hast (obwohl deine Schreibe das vermuten ließe), was ich persönlich sehr begrüße.

Zum aktuellen Thema kann ich nur ein weiteres Mal festhalten, dass ich deine Stimme in der ofdb für sehr wichtig halte. Ich finde THE DEER HUNTER ebenso rassistisch wie raffiniert, aber das hat bislang kein Autor so richtig teilen wollen. Es gäbe da sehr viele Beispiele, jüngst erst fiel mir CRASH auf, den wir beide in einer Schar von 9-10/10-Bewertungen eher als Holzhammerfilm wahrgenommen haben, damit aber eine absolute Minderheit bilden.

PS: Ich wäre einmal gespannt, ob du deine kritische Haltung aus THE DEER HUNTER auch bei ähnlichen zeitgenössischen Filmen aufrecht erhalten kannst, z.B. DELIVERANCE. ;)
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Bretzelburger am 11 August 2008, 15:19:50
Zuerst Mal ganz allgemein zu deiner Erläuterung und deinen Reviews. Deine Begründung ist (zumindest für mich) deutlich aussagekräftiger und länger als deine Review. Mir ist schon klar, dass du mit deinen kurzen Texten und deiner "Nicht-Bewertung" gerne nonkonformistische Züge annimmst, aber dir muss auch klar sein, dass durch diesen Individualismus deine Aussagekraft leidet.

Ein Bewertungssystem mit 10 Punkten hat immer etwas oberflächliches an sich, weshalb ich es mir schon lange abgewöhnt habe, Filme ohne Review zu bewerten. In Kombination mit einem Text hat diese Bewertung aber durchaus zusätzliche Aussagekraft. Ich kann deiner Haltung gegenüber dem "Deer Hunter" z.B. nicht ablesen, ob der Film damit bei dir völlig durchfällt oder ob du ihm gewisse Qualitäten noch zuweist. Mr.VV's Notorik, Filme, die ihm politisch oder in ihrer gesellschaftlichen Aussage nicht passen, mit der Niedrigstnote abzustrafen, hat auch etwas konsequentes an sich. Man bekommt einen Eindruck von der persönlichen Haltung des Verfassers über den Text hinaus, der sonst immer Interpretationen zulässt. Ich habe einen Film wie "The Flock" deshalb auch nur 1 Punkt gegeben, weil mir seine Selbstjustiz-Vorstellungen gegen den Strich gingen, während ich im Text durchaus gewisse Qualitäten erwähnte. Mit meiner Bewertung wollte ich verdeutlichen, dass solche Qualitäten bei der implizierten Aussage für mich keine Rolle spielen. Du vertrittst zwar eine Meinung, aber so richtig daran festmachen kann man dich nicht.

ZitatKeiner zieht schneller als du: Kaum ist die Besprechung veröffentlicht, schon kommt die Rückmeldung!
Reiner Zufall, da ich kurz zuvor selbst eine Review geschrieben hatte.

ZitatEs stimmt schon, dass ich nicht der erste bin, der sich kritisch zu dem Film äußert. Aber da die kritischen Stimmen doch deutlich in der Minderzahl sind, dachte ich, dass es nicht schaden kann, meine Ansichten zu formulieren und Interessierten zur Verfügung zu stellen.
ZitatIch finde THE DEER HUNTER ebenso rassistisch wie raffiniert, aber das hat bislang kein Autor so richtig teilen wollen.
Ich bezog mich nicht auf die OFDb, sondern auf zeitgenössische Kritiken. Die sahen das sehr ähnlich zu euch. Auch wegen "Das Jahr des Drachen" wurde Cimino später wiederholt Rassismus vorgeworfen. Die vielen positiven Kritiken in der OFDb haben mit dieser Diskussion auch nichts zu tun. Niemand bezieht sich dabei auf politische Hintergründe, sondern der Tenor liegt auf "Der Anfang ist langweilig, aber dann wird es geil". Nicht zuletzt deshalb schrieb ich auch den von dir zitierten Satz.

ZitatIm Übrigen halte ich die ausführlichen Schilderungen der privaten Lebensumstände der Hauptfiguren aber für einen Trick des Filmes: Sie sollen uns emotional vereinnahmen und das Geschehen so weit naturalisieren, dass wir den Erzähler und seinen Einfluss nicht mehr spüren und dem Eindruck erliegen, reine Natur zu beobachten, sodass die unterliegende Propaganda nicht mehr auffällt, weil sie ganz in der vermeintlichen Selbstverständlichkeit des schlicht Gegebenen aufgeht.

ZitatEiner zweiten, widersprüchlichen Regung (etwa Faszination) gesteht er keinen Platz zu. Darin liegt bereits die Wertung: Was wir sehen, fühlt sich abstoßend an und muss daher falsch sein; und falsche Taten werden bekanntlich von Schuldigen begangen, in diesem Fall – nicht überraschend – die Vietcong. Ich empfinde das nicht nur als unangenehme und verfehlte Stimmungsmache. Es überzeugt mich vor allem auch nicht, denn als McLuhan-Anhänger glaube ich nicht, dass es darauf ankommt, wie wir die Objekte gebrauchen, sondern dass wir sie überhaupt haben.

Das sind Begründungen, die mir in deinem Text fehlten. Das Schöne an gegensätzlichen Meinungen ist ja, dass man sich nicht nur die Haltung um die Ohren haut, sondern diese so begründet, dass sie auch zum Nachdenken anregt. Ich musste z.B. nachschlagen, wer "McLuhan" ist, und habe so wieder etwas gelernt.

Keine Frage - die "Russisch Roulette"-Variante ist fragwürdig, weil sie so sicherlich nicht den Realitäten in der Kriegsgefangenschaft entsprach. Sehr wohl aber den zivilen Gepflogenheiten, deren Schilderungen den dritten Teil bestimmen. Aus meiner Sicht wollte Cimino damit nicht die Vietnamesen verunglimpfen, sondern nahm es als Metapher für den völligen Verlust von Selbstkontrolle. Jeder, der mich kennt, weiß, wie empfindlich ich auf rassistische und einseitige Schilderungen reagiere, aber deine (und Mr.VV's) Interpretation der unterschwelligen Propaganda erkenne ich nicht. Adjektive wie "raffiniert" werden immer gerne hinzugezogen, wenn man etwas erkennen will, was die "Masse" nicht erkennt. Ich sehe in dem Film keinerlei Lobpreisungen eines "gerechten Krieges" ,sondern nur Sinnlosigkeit, Ausbeutung von ahnungslosen Menschen und Zerstörung.

Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: filmimperator am 11 August 2008, 18:28:57
Auch von mir etwas verspätet noch ein Herzliches Willkommen an den Film-im-Film-Regisseur aus "Mulholland Drive"  ;)!

Auch ich begrüße generell deine originelle Art, im Telegramm-Stil Reviews zu Filmen zu schreiben, habe jedoch generell auch einige Kritikpunkte, die ich gerne vorbringen möchte:

1.) Du varriierst deinen Stil nie wirklich. Aus der Stichprobe an Reviews, die ich von dir soeben gelesen habe, trifft nachfolgendes beinahe ausnahmslos immer zu: 2 bis 4 Zeilen Handlungsrekonstruktion, 10 bis 12 Zeilen Filmkritik, die kurz Stärken und Schwächen beschreibt, wobei du darin bisweilen zu einem bemüht komplexen Satzbau neigst, der überladen wirkt (Extrembeispiel: Deine "Für eine Handvoll Dollar"-Kritik, die effektiv aus 4 Sätzen besteht, wobei der dritte sich über etliche Kommas hinweg über 8 Zeilen hinzieht. Ohnehin solltest du Zeichensetzungen überdenken - mir ist in der Hinsicht noch deine Besprechung zu "Angst über der Stadt" negativ im Gedächtnis geblieben, wo du mit Semikolons nur so um dich schmeißt, anstatt einfach einmal einen Punkt zu setzen). Damit hast du zwar einen hohen Wiedererkennungswert, scheinst aber nicht sehr flexibel zu sein, obwohl das insbesondere bei besonders herausragenden bzw. besonders miesen Filmen imho durchaus angebracht wäre. Dann könntest du - wie schon angeklungen - deine durchdachten Denk-Ansätze auch weiter ausbauen zu echten Interpretationen, über die man diskutieren kann.

2.) Warum bewertest du eigentlich nicht? Ich finde das generell eine sinnvolle Methode, den leser abseits eines ansprechenden Texts darauf hinzuweisen, wie man selbst einen Film findet. Und dass du keine Reviews schreibst, die am Ende keinerlei Schluss darauf ziehen lassen, wo die Schwächen und Stärken eines Films liegen, dürfte ja unbestritten sein. Allerdings fehlt dann eben - wie Bretzelburger schon ansprach - die Richtung, in welche man dich und deine Meinung zu einem Film einordnen kann. Du findest gewisse Dinge gut, andere schlecht, begründest sie aber nicht wirklich (was bei längeren Reviews besser möglich wäre), was die Aussagekraft deiner Reviews extrem abschwächt. Deine persönliche Haltung kommt nicht wirklich deutlich heraus und man hat den Eindruck, du wüsstest selbst nicht, ob du einen Film nun gut oder schlecht fandest bzw. wie du selbst abgesehen von als objektiv angegebenen Beobachtungen über einen Film denkst.

Du sollst dich jetzt mit meinen Zeilen nicht vor den Kopf gestoßen fühlen, sondern sie bitte als Anregungen begreifen und mich würde mal interessieren, wie du darüber denkst...
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 11 August 2008, 18:42:11
Zitat von: filmimperator am 11 August 2008, 18:28:57
Und dass du keine Reviews schreibst, die am Ende keinerlei Schluss darauf ziehen lassen, wo die Schwächen und Stärken eines Films liegen, dürfte ja unbestritten sein.

Eine absolute Aussage von absoluter Falschheit. Im Großen und Ganzen ist mir z.B. bei Keshers Reviews sehr wohl bewusst, wo für ihn "die Schwächen und Stärken eines Films liegen".
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: filmimperator am 11 August 2008, 18:48:21
@ Vega:

Erst gründlich lesen, dann drüber nachdenken und dann schreiben: Doppelte Verneinung = Bejahung. Ebenso hätte ich schreiben können "Dass du Reviews schreibst, die am Ende Schlüsse darauf ziehen lassen, wo die Schwächen und Stärken eines Films liegen, dürfte ja unbestriiten sein.". Aber schön, dass du mir vollkommen überflüssig auf den Leim gegangen bist. Auch du bist also nicht fehlerfrei...

Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Chili Palmer am 11 August 2008, 22:59:41
Zitat von: filmimperator am 11 August 2008, 18:28:57
Ohnehin solltest du Zeichensetzungen überdenken - mir ist in der Hinsicht noch deine Besprechung zu "Angst über der Stadt" negativ im Gedächtnis geblieben, wo du mit Semikolons nur so um dich schmeißt, anstatt einfach einmal einen Punkt zu setzen).

Bevor Mr. Kesher darauf antwortet, möchte ich einwerfen, dass ich kürzlich im SZ-Magazin einen interessanten Beitrag über das Aussterben des Semikolons gelesen habe.
Darin wurde der zunehmende Hauptsatzstil in deutschen Texten und das jämmerliche Internet-Dasein des Strichpunkts als Smileyhälfte beweint. Zu Recht, wie ich finde. Semikolon-Setzer sind die letzten großen Helden; verhindere also bitte nicht Adams Kreuzzug für eine bessere Welt. Auch wenn dieser mitunter so ruppig wie in "Angst über der Stadt" geführt werden muss.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Hedning am 11 August 2008, 23:06:32
Zitat von: filmimperator am 11 August 2008, 18:28:57Ohnehin solltest du Zeichensetzungen überdenken - mir ist in der Hinsicht noch deine Besprechung zu "Angst über der Stadt" negativ im Gedächtnis geblieben, wo du mit Semikolons nur so um dich schmeißt, anstatt einfach einmal einen Punkt zu setzen).

Ich finde die Semikola in der angesprochenen Kritik richtig am Platz. Sie verbinden  ein paar zusammenhängende Sätze in sinnvoller Weise nach Art einer Aufzählung.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 12 August 2008, 11:34:41
Danke für eure Beiträge.

Zum Aufbau meiner Rezensionen: Da habe ich tatsächlich eine Routine entwickelt, an der ich mich entlang taste. Die kurze Inhaltsangabe ist wie ein Verdichtungsprozess für mich, durch den ich herausfinden kann, was für mich eigentlich den Kern und damit das Thema eines Filmes ausmacht. Das finde ich durchaus spannend, denn ich glaube, dass – gerade wenn Knappheit geboten ist – derselbe Film von unterschiedlichen Zuschauern höchst verschiedene Zusammenfassungen erhielte. Für ungeduldige Leser trenne ich die Inhaltsangabe vom Rest der Besprechung ab, damit sie gegebenenfalls sofort zum Hauptteil springen können. Die Interpretation und Beurteilung folgt keinem festen Schema, sondern spricht von den Aspekten, die mir persönlich im Zusammenhang mit dem jeweiligen Film besonders wichtig oder bemerkenswert erscheinen.

Zur Punktebewertung: Da kann ich tatsächlich nicht besonders viel mit anfangen, schon gar nicht mit einem 10-Punktesystem. Mir würden ein Hoch-, ein Quer- und ein Tiefdaumen völlig genügen. Das Abwägen und Aufsummieren verschiedener Teilaspekte zu einer feinstufigen Note liegt mir nicht, denn das Gelingen eines Filmerlebnisses setzt sich für mich nicht aus solchen Teilerfolgen zusammen. Ich könnte mir wohl ein System überlegen, meine Empfindungen auf das Punktesystem umzulegen; doch ich wäre nie glücklich mit der Ziffer und meine Vergabe würde wahrscheinlich verdächtig nach einem Missbrauch des Bewertungssystems aussehen.

An Mr. Vincent Vega: Selbstverständlich stehe ich nach wie vor über den Dingen und habe diesen Thread nur aus dem Grund eröffnet, aus dem auch das geheime Stockwerk in ,,Kamikaze 1989" eingerichtet wurde: um die Intelligenzelite mit sich selbst zu beschäftigen, damit sie nicht versehentlich auf die Idee kommt, an wirksamen Stellen gestalterisch aktiv zu werden. Im Übrigen freue ich mich gleichermaßen über deinen Zuspruch wie deine Kritik und hoffe, dass ich mich bei der Entlarvung besonders problematischer Titel auch in Zukunft auf deine Komplizenschaft verlassen kann. Über meine Haltung zu ,,Beim Sterben ist jeder der Erste" (ich merke sehr wohl, dass du mich auf die Probe stellen willst) sprechen wir, wenn ich meine Gedanken zu Papier gebracht habe. Die Riefenstahl-Debatte habe ich übrigens auch als besonders knifflig in Erinnerung, denn mit jedem neuerlichen Erklärungsversuch von einem der Beteiligten schien sie nur immer rätselhafter zu werden.

An Bretzelburger: Eigentlich bemühe ich mich nicht besonders darum, unangepasst zu wirken, sondern nur möglichst unverstellt meine Gedanken zu notieren. Wenn das auf dich unangepasst wirkt, so vielleicht deshalb, weil wir in vielen Fragen sehr verschiedene Einschätzungen und Herangehensweisen haben, auch in formalen: Der Umfang unserer Besprechungen könnte kaum gegensätzlicher ausfallen. Was die zeitgenössische Rezeption von ,,Die durch die Hölle gehen" anbelangt, so sollte man neben den kritischen Stimmen nicht die zahllosen Lobeshymnen und Auszeichnungen verschweigen, mit denen der Film schon seinerzeit bedacht wurde. Die IMDb listet immerhin fünf Oscars, 16 weitere Auszeichnungen und 19 Nominierungen. Dass meine Ausführungen dir geholfen haben, meine Position besser nachvollziehen zu können, freut mich natürlich. Deine Fragen und Anmerkungen haben mich darauf gebracht und ich wäre beim Verfassen der Besprechung wahrscheinlich nicht von selbst darauf gekommen. Am russischen Roulette stört mich übrigens die faktische Unwahrscheinlichkeit nicht im Geringsten, im Gegenteil: Mir kommt Kino immer dann dubios vor, wenn es vorgibt, Realität wiederholen zu können. Zudem käme ich nie auf die Idee, dem Film Kriegseuphorie oder auch nur -legitimierung vorzuwerfen. Sehr wohl aber eine einseitige, ressentimentgeladene Schuldzuweisung gegen den Feind zur Beruhigung des amerikanischen Gewissens: ,,Krieg ist furchtbar, aber an uns hat es nicht gelegen.", sagt der Film und richtet es so ein, dass der konsensfähige erste Teil der Aussage so begeisterten Zuspruch erhält, dass der schäbige zweite Teil kaum noch auffällt.

An filmimperator: Dass ich zur Hypotaxe neige, ist eine völlig berechtigte Anmerkung, und ich werde deinen Hinweis zum Anlass nehmen, mich noch einmal unter verschärfte Selbstbeobachtung zu stellen. Ich kann allerdings bereits jetzt androhen, dass ich sprachliche Einfachheit nur insofern befürworte, als sie nicht auf Kosten der gedanklichen Komplexität geht. Apropos: Über deine doppelte Verneinung bin ich übrigens ebenfalls gestolpert, vielleicht weil du gleich darauf noch einmal davon sprichst, dass du oftmals nicht mit Bestimmtheit herauslesen kannst, ob mir ein Film nun gefallen hat oder nicht. Das wundert mich einigermaßen und ich würde gerne wissen, ob dir vielleicht ein konkretes Beispiel einfällt?

An die Freunde des Semikolons: Ich werde es auch in Zukunft einsetzen, aber mit Bedacht.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: filmimperator am 12 August 2008, 12:41:32
Zitat von: Adam Kesher am 12 August 2008, 11:34:41
Zur Punktebewertung: (...) Das Abwägen und Aufsummieren verschiedener Teilaspekte zu einer feinstufigen Note liegt mir nicht, denn das Gelingen eines Filmerlebnisses setzt sich für mich nicht aus solchen Teilerfolgen zusammen.

Die Frage ist dann nur: Wann ist ein Filmerlebnis in deinen Augen gelungen? Vielleicht wäre - wenn du dich schon dem gängigen Bewertungssystem verweigerst - ein abschließendes Urteil gut, dessen Abstufung du dir selbst überlegen könntest. Etwa "Überragend", "Gut", "Mittelmäßig", "Mäßig", "Schlecht"...


Zitat von: Adam Kesher am 12 August 2008, 11:34:41
An filmimperator: Dass ich zur Hypotaxe neige, ist eine völlig berechtigte Anmerkung, und ich werde deinen Hinweis zum Anlass nehmen, mich noch einmal unter verschärfte Selbstbeobachtung zu stellen. Ich kann allerdings bereits jetzt androhen, dass ich sprachliche Einfachheit nur insofern befürworte, als sie nicht auf Kosten der gedanklichen Komplexität geht.

1. Satz:  :respekt:
2. Satz: Nachvollziehbar und verständlich.


Zitat von: Adam Kesher am 12 August 2008, 11:34:41
Apropos: Über deine doppelte Verneinung bin ich übrigens ebenfalls gestolpert, vielleicht weil du gleich darauf noch einmal davon sprichst, dass du oftmals nicht mit Bestimmtheit herauslesen kannst, ob mir ein Film nun gefallen hat oder nicht. Das wundert mich einigermaßen und ich würde gerne wissen, ob dir vielleicht ein konkretes Beispiel einfällt?

Ein Beispiel: Deine "RoboCop"-Kritik:

ZitatMit faszinierender tricktechnischer Perfektion erweckt Paul Verhoeven eine ebenso fesselnde wie barbarische Zukunftsvision zum Leben, in der sich die Angst vor einem völlig aus den Fugen geratenen Verbrechenswachstum mit den unheilvollen Befürchtungen des Frankenstein-Mythos verbindet. Mit einigem Geschick arbeitet Verhoeven Fragen über den Machbarkeitswahn der Wissenschaft, das Ethos der Verbrechensbekämpfung und die Automatisierung menschlicher Abwägungsprozesse ein.

Klingt ja sehr vielversprechend. Also bisher bewegen wir uns auf der Ebene eines hervorragenden Films... Aber dann schreibst du:

ZitatVergleichsweise plump erscheinen dagegen die satirischen Seitenhiebe gegen die Meinungsmache der Medien sowie die unseriösen Werbe- und Kommerzpraktiken im Politbetrieb.

Ok, also relativiert sich jetzt der gute Eindruck ein... Aber:

ZitatDie gerissene Inszenierung, die mutwillig zwischen blanker Heroisierung und schmerzhafter Entlarvung umherschleudert, kann leider unter dem relativierenden Eindruck der gedankenlos zum Einsatz gebrachten, mitunter billigen Konsenslacher ihr verunsicherndes Potenzial nicht gänzlich entfalten.

Mhhh... nun doch alles in allem doch noch gut oder wie? Also ich kann deine Meinung zum Film jetzt nicht wirklich einordnen. Und das ist eben das Problem: Du sprichst - wie gesagt - Stärken und Schwächen eines Films an (das ist der Kern meiner doppelten Verneinung), sagst aber nicht darüber aus, wie schwer sie wiegen und deine Einschätzung des Films beeinträchtigen. Das kann man eben ganz simpel mit einer Notenvergabe vermeiden oder man muss anderweitig seine Bewertung zum Ausdruck bringen (siehe meinen Vorschlag oben), was natürlich mit einer gewissen Plumpheit in der Sprache einhergeht, weil ein Satz immer darauf hinaus laufen würde/müsste...
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Bretzelburger am 12 August 2008, 21:28:24
Zitat von: Adam Kesher am 12 August 2008, 11:34:41
An Bretzelburger: Eigentlich bemühe ich mich nicht besonders darum, unangepasst zu wirken, sondern nur möglichst unverstellt meine Gedanken zu notieren. Wenn das auf dich unangepasst wirkt, so vielleicht deshalb, weil wir in vielen Fragen sehr verschiedene Einschätzungen und Herangehensweisen haben, auch in formalen: Der Umfang unserer Besprechungen könnte kaum gegensätzlicher ausfallen.
Ich hatte den Eindruck von gewolltem Nonkonformismus keineswegs im Vergleich zu meiner Person (was ich sowieso für eine sehr eingeschränkte Sichtweise hielt), sondern durch deine streng eingehaltenen Regeln - quasi ein Mann mit Prinzipien.

Die Unterschiede zwischen uns sind keineswegs so eklatant wie du sie hier hinstellst, genauso wie die Gemeinsamkeiten mit Mr.VV in Sachen Oberschlauheit (wobei ich natürlich nicht beurteilen kann, wer mehr davon mitgekriegt hat). Tatsächlich gibt es nur wenige Filme, die wir gemeinsam besprochen haben und dank deiner fehlenden Bewertung ist es zumindest ein gewisser Aufwand, um festzustellen, wie unterschiedlich wir Filme einschätzen. Bei "Der Tod kommt zweimal" liegen wir z.B. auf einer Ebene, während Mr.VV den Film zu seinen Hassobjekten hinzufügte. Auch "Das Leben der Anderen" schätzt du ähnlich wie ich ein.

Auffällig hinsichtlich des oben zitierten Satzes ist aber auch wieder, dass du dich einer Bewertung enthältst. So kann ich nicht einschätzen, ob für dich lange Reviews auch einen Gewinn bedeuten, weil du diese Art von Texten so vehement vermeidest, abgesehen davon, dass ich es schon wieder skurril finde, mir von dir - wenn auch indirekt - anzuhören, wie lang meine Texte sind, während mir McKenzie immer vorwirft, zu kurz zu sein. Um den Opponenten zu dir zu geben, halte ich meine Texte allerdings auch für zu kurz.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 14 August 2008, 00:54:46
An filmimperator: Danke, an dem Robocop-Beispiel konnte ich deine Ratlosigkeit sehr gut nachvollziehen. Ich werde mich darum bemühen, in Zukunft deutlicher zwischen den verzeihlichen und den gravierenden Schwächen zu unterscheiden und einen klareren Gesamteindruck zu formulieren. Hier (http://www.ofdb.de/review/36259,311886,Vergewaltigt-hinter-Gittern) ein erster Versuch. Danke vielmals für den Hinweis; damit hast du mir sehr geholfen! (Und Robocop ist natürlich ein feiner Film.)

An Bretzelburger: Stimmt schon: Die individuellen Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten hängen ganz vom Thema ab und entsprechend wechselhaft und flüchtig sind die Meinungsallianzen. Bei De Palma kommen wir beide ins Gespräch, bei Haneke wende ich mich an Mr. Vincent Vega und kaum ist von Riefenstahl die Rede, sollte ich mich besser schleunigst vor euch beiden in Sicherheit bringen und Copfkiller um Rückendeckung ersuchen. Aber dass wir nur selten die gleichen Filme besprechen und dies obendrein auf höchst verschiedene Weise tun, lese ich schon als Hinweis auf eine gewisse Gegensätzlichkeit. Das meine ich übrigens keineswegs als versteckten Denkanstoß oder gar indirekte Kritik, ganz im Gegenteil: Ich lese deine Texte mit Interesse und Gewinn, gerade weil sie sich von meinen eigenen so fundamental unterscheiden. Schließlich bin ich nicht auf der Suche nach Gleichheit, sondern nach Austausch und Bereicherung. Bei Gelegenheit komme ich noch einmal ausführlicher darauf zurück.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Hedning am 30 September 2008, 00:28:54
Hallo Adam Kesher,

zu den "Toten Augen von London":

ZitatEinige erstaunliche Kameraeinfälle zeugen zwar von der Experimentierfreude der Regie; doch das Drehbuch erweist sich leider als unspektakulärer Dutzendkrimi, der jenseits der Täterfrage und einiger Garstigkeiten nicht viel zu bieten hat und die Blindenbande nur als schillernden Blickfang verbrät, ohne näher auf die naheliegende Beunruhigung einzugehen, dass die von der Gesellschaft verstoßenen Blinden im Grunde gute Karten für einen Vergeltungsschlag hätten, denn im Unterschied zu den Sehenden sind sie bei Nacht und Nebel nicht gehandikapt.

Das ist m. E. ein Aspekt, der bei diesem Film gerade sehr deutlich hervortritt und entscheidend zur bedrohlichen Wirkung der betreffenden Szenen beiträgt, wobei die Physis von Ady Berber natürlich noch entscheidend mitspielt. Ich finde es sehr auffällig, wie die Blinden hier als Bodensatz der Gesellschaft vorgestellt werden, das wird schon in der ersten Überfallszene deutlich, wo sich der "blinde Jack" dem Opfer aus einer Art Keller o. ä., d. h. deutlich "niedriger stehend", nähert - noch drastischer visualisiert der Film das dann, als Jack auf einer Müllkippe entsorgt wird... Ich meine mich zu erinnern, dass ich damals als Kind bei der ersten Begegnung mit dem Film fürchtete, die Kamera werde noch mal auf die Leiche herunterfahren, und so geschah es dann auch. Hilfe! Was ich an dem Film auszusetzen hätte, wären die in meiner Sicht wieder mal nicht funktionierenden Späße zwischen Fuchsberger und Arent, trotzdem einer der besten Wallace-Filme.



Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 30 September 2008, 13:06:33
Ich habe das Thema der ,,blinden Rache von unten" auch deutlich verspürt und die Beispiele, die du anführst, zählen für mich neben den zerstörten Glühbirnen zu den stärksten Momenten des Filmes. Aus zwei Gründen habe ich den Aspekt aber eher als Tünche denn als ernstgemeinte Unheimlichkeit wahrgenommen: Der erste ist wie schon in ,,Die Bande des Schreckens" der scharfsichtige Inspektor, vor dessen Deduktionsvermögen jede Schauerlichkeit gnadenlos zerbröselt. Da wollte ich mich hier nicht wiederholen, eingestandenermaßen zu dem Preis, dass Leser, die die andere Besprechung nicht kennen, auf den Hinweis verzichten müssen. Der zweite Grund verrät sehr viel über das Ende und ich habe mich daher entschlossen, ihn nicht weiter auszuführen. Meines Erachtens hebt sich die Unheimlichkeit der Blindenbande dadurch auf, dass...

... sie sich nicht selbst organisieren, sondern bloß Handlanger eines raffgierigen Sehenden sind. Wie schaurig hätte ich es gefunden, wenn sie tatsächlich Sehende in ihre Gewalt gebracht hätten, die ihnen bei ihren Überfällen den Wagen lenken müssen, den Rest ihres Daseins aber in Finsternis bei Wasser und Brot fristen.

Dennoch kann ich die Schauer, die der Film dir über den Rücken gejagt hat, gut nachvollziehen, und ich wünschte, ich hätte dasselbe Erlebnis gehabt.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Schlombie am 13 Oktober 2008, 12:59:53
Hi, zunächst einmal allgemein muss ich sagen, dass Deine Reviews zu meinen bevorzugten gehören, einfach weil sie in kurzer Form die Dinge (meist analytische) direkt auf den Punkt bringen und dies auf anspruchsvolle Art geschrieben.
Nun lese ich selten Reviews von Dir, die mir lückenhaft erscheinen, bzw. bei denen ich glaube, dass etwas besonders wichtiges fehlt. Jetzt bin ich allerdings wieder auf ein solches gestoßen bei Deiner Besprechung zu "Die City Cobra". Es ist lange her, dass ich diesen sah, aber ich habe noch in Erinnerung, dass der Charakter Stallones höchst fragwürdig war. Ich erinner mich an eine besonders zutreffende Szene in einem Bus, in der Stallone eine bedrohte alte Dame von irgendwelchen Gaunern befreit, sich dabei aber ebenso wie der letzte Asoziale verhält und somit keinen Deu besser ist, als die Verbrecher. Das einzige was Du allgemein zu den Figuren schreibst ist die dürftige Figurenzeichnung. Ein Verweis auf die diesmal besonders fragwürdige naive Anwendung des stallonischen Weltbildes Gut und Böse, ganz besonders in der von ihm verkörperten Figur, wäre sicherlich angebracht gewesen.
Und wo ich schon mal in Dein Thread reingeschneit bin eine Frage zu Deinem "The Game"-Review. Ich kann Dir nur zustimmen, dass die Auflösung arg konstruiert ist, eben weil sich nicht alle Schritte vorhersehen lassen, wie Du schon so passend betont hast. Klar geht ein Film damit (etwas) kaputt. Ich fand das fertige Werk ansonsten allerdings sehr spannend und auch gut erzählt. Ist der Film mit seinem Ende bei Dir persönlich komplett durchgefallen? Wie fandest Du die restliche Inszenierung? Das wird mir in Deinem Text leider nicht klar und würde mich doch sehr interessieren.
Noch etwas: Dein Review zu "Pin" hat mir besonders gut gefallen, eben wegen Deinem Schluß, in dem es darum ging, was uns Pin noch mehr hätte näher bringen können. Schön, dass Du ihn da personifizierst.
Das soll für heute reichen. Mach weiter so, und hör bloß nicht auf Dir gegebene Tips wie: Bitte benote die Filme, oder bitte wähle einen flexibleren Schreibstil.

Gruß
Schlombie
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 13 Oktober 2008, 22:29:48
Danke vielmals für die ausführliche Rückmeldung! Grundsätzlich nehme ich jede Anregung ernst, denn die Möglichkeiten, sich zu verbessern, sind endlos. Andererseits weiß ich, dass mir nicht jede Art, über Film zu sprechen liegt, und dass nicht viel gewonnen ist, wenn ich mir anzutrainieren versuche, was andere viel besser können.

Zu ,,Die City-Cobra": Selbstjustiz-Filme sind für mich Kino des Zwiespalts und insofern erwarte ich nicht unbedingt, dass sie mir den Unterschied zwischen richtigem und falschem Verhalten erklären. Ich rechne sogar mit einer Diskrepanz zwischen meinen eigenen Wertvorstellungen und denen der Hauptfigur, denn darin liegt doch das Salz in der Suppe: dass ich mit einer Situation konfrontiert werde, in der das Abschaffen von Unrecht mit der Begehung von weiterem Unrecht verbunden ist und wenigstens ein Teil von mir den Regelverstoß trotz aller Bedenken verlockend findet. Wenn das gelingt, habe ich ein Problem, aber ein ausgesprochen produktives: Was taugen unsere Verhaltensregeln, wenn sie im Grenzfall versagen, und wer will den Tätern die Tat verübeln, wenn unsere Maßnahmen nur für die meisten, aber nicht für alle Fälle gemacht sind? Ich erwarte an der Stelle gar keine Lösung, sondern begnüge mich schon mit der Anregung, die ich aus dem Dilemma beziehe. Dass ,,Die City-Cobra" in diesem Punkt wegen allerlei Unstimmigkeiten nicht weit kommt, macht den Film für mich nicht zwangsläufig moralisch problematischer, sondern eher belangloser.

Zu ,,The Game": Da ergeht es mir etwas anders als dir, denn bei dem Film habe ich bereits nach wenigen Minuten das Gefühl, verstanden zu haben, dass ich den Rest der Laufzeit damit verbringen werde, dabei zuzusehen, wie der Hauptfigur die falschen Werte (Karriere) ausgetrieben und die richtigen (Familie und Freunde) beigebracht werden. Ich finde das ausgesprochen langweilig, und zwar aus zwei Gründen: erstens weil ich das Fazit (Menschen zählen mehr als Geld) ebenso offensichtlich wie banal finde und zweitens weil es von Anfang an feststeht und folglich keinen Spielraum für Überraschungen lässt. Der Film fühlt sich für mich wie ein endlos langer Vertreterbesuch an, den ich über mich ergehen lassen muss, obwohl ich das beworbene Produkt längst gekauft habe. Damit ist er das genaue Gegenstück zu einem gelungenen Selbstjustiz-Film: Er bestätigt das Offensichtliche, statt mich mit seltenen Gedanken in Kontakt zu bringen.

Zu ,,Pin": Ich finde das einen hübschen und spannenden Film, auch wenn er die Abgründe der menschlichen Seele ein bisschen zu systematisch angeht und große Angst vor jedem Anflug von Wildheit zu haben scheint. Freut mich sehr, dass die Besprechung dir gefallen hat! Bei solchen Titeln habe ich manchmal das Gefühl, ich schreibe nur für mich und ein paar Zufallsleser, die sich verlaufen haben.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: RoboLuster am 13 Oktober 2008, 22:35:00
ZitatDie City Cobra". Es ist lange her, dass ich diesen sah, aber ich habe noch in Erinnerung, dass der Charakter Stallones höchst fragwürdig war. Ich erinner mich an eine besonders zutreffende Szene in einem Bus, in der Stallone eine bedrohte alte Dame von irgendwelchen Gaunern befreit, sich dabei aber ebenso wie der letzte Asoziale verhält
Beschriebene Szene ist aber aus "The Specialist"
Unnötig ich weiß, konnte mich aber nicht beherrschen ;-P
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Schlombie am 14 Oktober 2008, 00:50:54
Wenn das stimmt ist es nicht unnötig. Passen könnte es auch, habe beide Filme ungefähr zur selben Zeit das eine und letzte mal gesehen. *g

Ob nun City Cobra oder Specialist: Ich glaube nicht dass sich Stallone in besagter Szene als klassischer Selbstjustiz-Rächer sieht. Ich glaube er will da der ehrliche Retter der Schwachen sein, dem seine Tat auf selbem Niveau gar nicht bewusst ist. Das macht die Figur schon filmisch fragwürdiger als den klassischen Selbstjustiz-Helden, der für einen solchen Film nun mal so sein muss wie er ist (fragwürdig, mit seinen Taten aber dafür da Diskussionen auszulösen, die viele nicht so gerne führen möchten). Ich denke nicht dass Stallones Rolle da mit einem Dirty Harry vergleichbar wäre, wohl dem Prototyp der Selbstjustiz, da sich die Rächer doch im Normalfall in solchen Filmen ihrer gesellschaftlich abseits stehenden Rolle bewusst sind. Stallones Rollen sollen jedoch immer für den kleinen Mann stehen, bürgernah, und das auch in der besagten Busszene, aus welchem der beiden Filme auch immer. *g

Gruß
Schlombie
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: RoboLuster am 14 Oktober 2008, 03:13:23
Ehrlich gesagt fand ich besagte Szene einfach nur zum wegschmeißen, so dämlich ist die,
und ich mag den Stallone und seine Filmrollen.
Mir kommt die Szene eigentlich wie eine Karrikatur auf solche Rollen vor, kommt sie ja auch nicht wirklich ernst rüber.
Immerhin schmeißt Sly einen der Rowdys (keine Gangster oder so) zum Schluss auch einfach durch
das Fenster vom Buss und setzt sich dann selbstzufrieden hin während der Busfahrer losfährt... :icon_lol:
Ist schon fast Judge Dredd style.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Schlombie am 14 Oktober 2008, 08:58:05
Selbstverständlich ist diese Szene lustig, ich hatte allerdings nicht das Gefühl, dass sie dies freiwillig ist. Aber wenn ich mich schon im Film irre möchte ich mich da auch nun nicht halbwissend drin versteifen. *g

Gruß
Schlombie
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: RoboLuster am 14 Oktober 2008, 13:28:59
Allein die Tatsache das er überhaupt mit'm Buss fährt.
Aber du denkst gar nicht so verkehrt, ich wusste auch nicht was ich bei der Szene fühlen sollte,
fällt sie doch irgendwie komplett aus dem Rahmen des Films. Denke aber sie sollte das ganze etwas
auflockern und die Zuschauer dazu bringen, am nächsten Tag, zu sagen: "Hey hast du Gestern gesehn,
wie wie der Stallone den Punk durch die Busscheibe geworfen hat? Das war echt geil."
Nur haben sie sich da etwas im Jahrzehnt geirrt.
(Wobei fraglich ist obs nicht auch für die 80er zu doof gewesen wäre, die City Cobra fährt ja auch nicht mit'm Buss ;) )
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Hedning am 10 November 2008, 16:47:27
Wie ich sehe, hast du dich mit "See no evil" alias "Stiefel, die den Tod bedeuten" eines meiner Lieblingsfilme angenommen, über den ich mich vor Urzeiten in aus meiner heutigen Sicht ziemlich unzulänglicher Form in der OFDb geäußert habe. Den positiven Bemerkungen kann ich mich natürlich voll und ganz anschließen, wobei gerade die von dir angesprochene Einleitung, die den potentiellen Mörder als von Gewalt-Inhalten umgeben zeigt, durch ihre Steigerung, die auch durch die auf ihrem Höhepunkt geradezu brutale Filmmusik getragen wird, ein kleines filmisches Meisterstück für sich bildet. Mich haben aber immer auch die kleinen Details, aus denen der Film das Bild des vorangeganenen Geschehens zusammensetzt, fasziniert, wie der verwaiste Rasenmäher, eine herumrollende Patronenhülse, die Scherben u. a., d. h. wie hier sozusagen kleine Dinge eine Geschichte erzählen.) Ebenso weist du auf den durch die Blindheit der Hauptfigur erwachsenden Wissensvorsprung des Zuschauers hin (was wohl nie so grausig umgesetzt sein worden dürfte wie hier, allein wenn man daran denkt, auf welche Weise Sarah entdeckt, was passiert ist). Man könnte auch sicher noch was über die Rolle der Zigeuner schreiben, die bürgerliche Voreingenommenheit von Sarahs Onkel, die Selbstjustiz durch Steve und andere Dinge. Jedenfalls danke für die wie immer anregende und mit wichtigen Beobachtungen aufwartende Kritik.

Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 10 November 2008, 18:09:42
Danke für die Rückmeldung! Die Rolle der Zigeuner ist in der Tat interessant, wie überhaupt die Tatsache, dass der Film sich entscheidet, nicht nur ein Zwei-Personen-Duell zu bleiben, sondern auch eine gesellschaftliche Miniatur zu werden. Ich hatte kurz in Erwägung gezogen, auf die Rolle der Zigeuner einzugehen, da sie deutlich mehr sind als eine falsche Fährte und vom Film keineswegs als missverstandene Gutmenschen verklärt werden, sondern auch als eine Gemeinschaft mit bedrohlichem Potenzial erscheinen. Letztlich habe ich mich zwar doch dagegen entschieden, würde es aber dennoch sehr begrüßen, wenn ein anderer Autor sich diesem Aspekt noch einmal zuwenden und ihn vertiefen würde, denn wie so oft ist auch zu diesem Film noch längst nicht alles gesagt. Wer weiß, vielleicht kitzelt es sogar dich selbst, den eigenen Text (der viel besser ist, als du hier zugeben magst) noch einmal zu überarbeiten und um eine solche Betrachtung zu erweitern?
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Hedning am 10 November 2008, 20:33:04
Die Zigeuner erscheinen wirklich sehr ambivalent (ein sehr zweideutiger Moment ist bspw. die Ohrfeige, die die Mutter Sarah gibt; die Kurzschlussreaktion ihres Sohns ist immerhin fast nachvollziehbar).

Ich müsste wirklich noch mal was längeres dazu schreiben, kommt sicher irgendwann.

Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 11 November 2008, 12:06:40
Die Ohrfeige ist in der Tat ein Schlüsselmoment in der Charakterisierung der Zigeuner, der mir auch zu denken gegeben hat. Ebenfalls bemerkenswert finde ich, dass die Zigeuner im Krisenfall nicht Aufklärung suchen, sondern Rückzug. Es bleibt völlig unklar, ob sie doch ein eigenbrötlerisches Pack sind oder nur aus schlechten Erfahrungen gelernt haben. Ich mochte zudem, dass die Mutter den Sohn mit Sarah ziehen lässt, obwohl sie genau spürt, dass er nicht vorhat, was er gegenüber Sarah vorgibt.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: McKenzie am 11 Januar 2009, 05:50:00
Ich bin gerade über deinen Text zu DAS LEBEN DER ANDEREN gestolpert (aus irgendeinem Grund war er mir bisher nicht aufgefallen) und mit großer Genugtuung nickend gelesen. In bewunderungswürdig pointierter Weise rechnest du mit der einigermaßen unerträglichen Scheinheiligkeit des Ganzen allumfassend in diesem kurzen Absatz ab - mehr Worte muss man eigentlich darüber gar nicht verlieren, ganze Arbeit. Vielleicht nicht von der Schärfe, die ich wählen würde (kurz: Einen Tack zu gutmütig, sozusagen  :icon_mrgreen:), doch zehnmal anregender, wertvoller und im positiven Sinn unverfrorener als die ermüdende Masse blind-enthusiastischer Lobpreisgesänge der populistischen Filmkritik, die sich bei diesem mustergültig zusammengebastelten Bewerbungsfilm für Hollywood nach deutscher Art meist auf die "herausragende filmische und darstellerische Leistung sowie den Appell an Humanismus unter inhumanen Umständen" (Ein Schelm, wer arges dabei denkt) stürzen und dabei völlig vergessen, zum Kern der Sache, wie der Film ihn selbst zu sehen vorgibt, zu kommen.

Danke dafür!  :respekt:
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 11 Januar 2009, 06:08:19
Na ja, im Großen und Ganzen haben die "richtigen" Leute (sprich: Presse) ihn auch entsprechend "richtig" zerfetzt, diesen Mülllfilm.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: McKenzie am 11 Januar 2009, 07:33:27
Dann ist mir irgend etwas entgangen, bisher habe ich Verrisse (wenn überhaupt...) nur aus der P.-Fraktion wahrgenommen, ansonsten wird geschwärmt, dass sich die Balken biegen. Ich könnte jetzt wieder anfangen, mich über diesen schleimigen Grütze-Haufen des ekelhaften Graf Florian Armleuchter von und zu Donnersquark, zukünftig Ron Howard II, auszulassen, aber der Überlegene schweigt.  :king:

Nimm außerdem die Presse nicht in Schutz, sonst holt dich die böse Bärenmutti.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 11 Januar 2009, 14:01:22
Zitat von: McKenzie am 11 Januar 2009, 07:33:27
des ekelhaften Graf Florian Armleuchter von und zu Donnersquark, zukünftig Ron Howard II.  :king:

Pardon, McK, aber einen zweiten Ron Howard haben wir mit David Fincher und seinem A BEAUTIFUL MIND PART II nun bereits gefunden. ;)
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 11 Januar 2009, 20:53:32
Besten Dank für den Zuspruch, der mich angesichts seiner Überschwänglichkeit beinahe ein bisschen in Verlegenheit bringt. Immerhin war die Besprechung in erster Linie (wie unschwer zu erkennen) einem spontanen Bedürfnis nach Unmutsbekundung geschuldet.

Bei der Gelegenheit habe ich mich noch einmal des Filmes entsonnen und mir wurde wieder gewahr, dass wir hier vermutlich tatsächlich nicht nur einem entbehrlichen, harmlos-blöden Film gegenüber stehen, sondern einem durchaus prekären Machwerk, das Auseinandersetzung vortäuscht, aber Entsorgung praktiziert.

Das ist schon ein ziemlicher Ärger; nur gut, dass es so viele andere Filme gibt, die darauf warten, geschaut zu werden!
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Schlombie am 29 April 2009, 11:32:33
Hallo Adam,

nach längerer Zeit gibt es mal wieder Grund Dich im Thread besuchen zu kommen.

Zunächst einer für den ich ursprünglich nicht reinspringen wollte, da ich ihn nicht näher benennen kann: Ich hatte den Eindruck, dass Deine Besprechungen zu Lethal Weapon 1 - 3 stilistisch etwas unter Deinem Niveau ausgefallen sind, zumindest lasen sie sich schlichter, auch wenn die Aussagen, die in ihnen getätigt wurden, wieder echte Adam Kesher-Gedanken sind.

Der eigentliche Grund meines Besuches ist aber die Besprechung zum 4. Teil dieser Reihe. Dass ich den Film selber sehr unterhaltsam fand, erwähne ich nur mal nebenbei und soll nicht wichtig für den Kritikpunkt sein. Aber ich kann nicht nachvollziehen, was Du für Aussagen aus dem Film herausselektiertst. Ich hatte überhaupt nicht den Eindruck, dass die Verantwortlichen etwas dementsprechendes beabsichtigten. Letzten Endes toben sich doch alle Beteiligten nur auf den dünnen Grundlagen und der sehr dünnen Geschichte aus, um das bisher bewährte Rezept in einer Extreme zu übertreiben, dass alles nur noch Spaß sein soll. In meinen Augen wird gerade was die Familienentwicklungen angeht, nur das weitergesponnen, was in den Filmen zuvor gesät wurde.

Stattdessen vermisste ich eine andere wichtige Beobachtung (eigentlich schon ab Teil 3). Dass Mel Gibsons Rolle zunächst durch Suizid und später nur durch seinen alltäglichen Wahnsinn so risiko- und gewaltbereit ist, ist denk ich mal ok. Warum jedoch sein Partner von Film zu Film gewaltbereiter wird, wird überhaupt nicht erklärt und macht ohnehin wenig Sinn. Da Teil 4 jeden bisherigen Punkt ins Extreme hochschaukelt, wird dies gerade in diesem Teil noch einmal besonders deutlich, und darüber hätte ich eher mit einer Bemerkung von Dir gerechnet. Die Bereitschaft zu unnötigen Gewalttaten von einer Figur, zu der es keinen Sinn macht, nicht einmal komödiantisch gesehen.

Dass der Film seine familiären Werte weiterspinnt finde ich nicht nur konsequent, es passt ja auch zu der Wirkung, die der fertige Film einem schlußendlich geben will. Man ist so warm mit den Figuren geworden, dass sie fast wie Freunde wirken. So freut man sich doch beispielsweise enorm, wenn auch der sonst ausgestoßene Leo Getz am Ende in die große "Familie" aufgenommen wird, eine Familie, die von Folge zu Folge immer neuen (und immer interessanten) Zuwachs bekommen hat.

Meiner Meinung nach interpretierst Du in diesen Funfilm viel mehr rein, als er wahrscheinlich erzählen will. Unter aufgedrückter Familienmoral verstehe ich was anderes.

Gruß
Schlombie
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 30 April 2009, 23:02:40
Danke für deine Einschätzung, Schlombie! Da muss ich unbedingt noch einmal drauf zurückkommen, wenn ich etwas mehr Zeit habe. Unterdessen hoffe ich, dass der etwas ältere Text, den ich gerade für reif befunden und eingestellt habe, nicht auch von meiner jüngsten Stilarmut befallen wurde.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 5 Mai 2009, 17:04:06
Und jetzt das ganze noch einmal mit etwas mehr Muße:

Mit ,,Lethal Weapon 4" ist das so eine Sache, denn wenn ein Unterhaltungsfilm mich nicht unterhält, dann frage ich mich natürlich im Nachhinein, woran das gelegen haben könnte. Warum fühle ich mich von den Figuren genervt? Warum langweilen mich die Actionsequenzen? Warum fesselt mich die Handlung nicht?

Was die familiären Entwicklungen angeht, so glaube ich, dass unsere Beobachtungen gar nicht so weit auseinander liegen, denn wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du die Tendenz zur harmonischen Familienbildung ebenfalls wahrgenommen, auch wenn du sie eher an der Eingliederung von inoffiziellen Mitgliedern wie Leo festmachst als an Riggs' und Murtaughs Vorbehaltsüberwindung. Ich habe mir meine Besprechung noch einmal aus der Distanz besehen und fand die Beschreibung von Riggs' und Murtaughs familiären Entwicklungen eigentlich verständlich und auch in Einklang mit dem, was der Film zeigt. Vielleicht bin ich betriebsblind gegenüber meinem Text? Auf jeden Fall hast du mich schon mal darauf gebracht, dass ich den vierten Teil deutlicher als Weiterentwicklung der Tendenzen des dritten Teiles kennzeichnen sollte und ich habe meinen Text diesbezüglich überarbeitet.

Letztlich scheint mir die Diskrepanz in unserer Wahrnehmung eher darin zu bestehen, dass ein Aspekt, der für mich sehr entscheidend ist, für dich eher nebensächlich ist. Wenn du schreibst, die Übertreibung des Rezepts solle nur noch Spaß machen, so deutet sich bereits in dem kleinen Wörtchen ,,nur" an, dass diesmal weniger drinsteckt als früher. Vielleicht ist dieser Mangel genau das, was mir fehlt und am Ende den Spaß verdirbt?

Was Murtaughs wachsende Gewaltbereitschaft angeht, so glaube ich, dass sie nur eine Seite eines gegenseitigen Annäherungsprozesses ist: So wie Riggs lernt, ein bisschen ausgeglichener zu werden, so lernt Murtaugh, ein bisschen wilder zu werden. Mir leuchtete diese Entwicklung ein und ich hatte eigentlich keine Bedenken, auch wenn ich die Gewalt im vierten Teil – ebenso wie den Aberwitz – ziemlich aufgesetzt finde; in meinen Augen ist beides der Reihe zur Gewohnheitsfassade geworden.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Schlombie am 5 Mai 2009, 17:23:10
Hi Adam!

Die Sache mit dem "nur" dürfte stimmen. Irgendwie steckt in Teil 4 weniger drin, und aus dem wenigen macht man möglichst viel. Wenn der Film Dich nicht unterhält ist er, wie Du schon sagst, irgendwo gescheitert, eben weil er mehr nicht leisten will/kann/soll.

Wo ich noch etwas Probleme mit habe, ist die Aussage, Teil 4 märe moralisch familienorientiert. Das würde stimmen, wenn er das bewährte bisherige Rezept auf den Kopf stellen würde. Aber Leo will seit je her anerkannt werden, Freundschaft erleben, und auch bei Riggs ist der Wunsch nach Familie nichts neues mehr. Ich finde schon, dass sich dies zwischen den Zeilen von Teil 1 deutlich macht. Das extreme Klammern an der verstorbenen Ehefrau, die schwarze Ersatzfamilie des Partners, ... Das ist in meinen Augen eine deutliche Position, so dass ich Riggs Drang ins Familienleben in Teil 4 eben gar nicht simsalabim moralisch empfinde. Diese Entwicklung ist eher typisch für Riggs, einem Mann, der kurzfristig von seinem Weg abkam (siehe die Suizidgedanken) und somit nur die Weiterführung des bisher Gezeigten. Wenn man da etwas kritisieren will, müsste man es bereits bei Teil 1 ansetzen. Letztendlich war jeder Teil  familienorientiert und diesbezüglich etwas moralisch angelegt. Das Einbringen von Familie im Actionfilm machte aber auch den großen Unterschied zu Konkurrenzprodukten aus.

Dass Murtaughs Gewaltbereitschaft zum gegenseitigen Annähern gedacht ist, ist mir schon bewusst. Ich finde es lediglich einfach falsch konzipiert. Es passt nicht zur Figur. Er nähert sich Riggs ja bereits mit loserem Mundwerk und einer allgemein unverkrampfteren Art als zuvor. Die Gewaltbereitschaft erscheint mir dazu zusätzlich zu aufgesetzt.

Deinen überarbeiteten Text lese ich demnächst mal. Vielleicht dazu dann bald mehr.

Gruß
Schlombie
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 5 Mai 2009, 18:23:54
Ich kann deine Einschätzung gut nachvollziehen und teile sie mit Abstrichen sogar. Ich würde allerdings einwenden, dass die Reihe viel komplexer und auch spannender war, solange die Figuren Suchende statt Angekommene waren, denn so blieb ungewiss, ob ihr Streben falsch war oder vielleicht doch die Welt ungerecht. Jetzt da sie angekommen sind, ist alles klar: Sie hatten recht und der Kampf um das gemütliche Nest hat sich gelohnt. Das macht für mich den moralischen Impetus aus: Der letzt Teil sagt uns, worauf es im Leben ankommt. Die ersten beiden Teile haben ein Problem präsentiert und zu eigenen Einschätzungen angeregt.

Wegen der Textänderungen musst du dich übrigens nicht eigens bemühen, denn sie sind hauchdünn im Vergleich zu deinen Einwänden. Wenn es mir gelingen sollte, klarer zu sehen, gehe ich vielleicht noch einmal beherzter in den Text. Danke dir auf jeden Fall schon mal für deine wie immer bereichernden Anmerkungen!
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: McKenzie am 13 Juni 2009, 01:11:42
http://www.ofdb.de/review/17907,363789,Tote-pflastern-seinen-Weg

ZitatHat sich hier jemand an italienischer Popkultur vergriffen, der damit etwas überfordert war? Ich habe die Befürchtung, dass der Gangster- und Polizeifilm TOTE PFLASTERN SEINEN WEG nicht als das war genommen wurde, was er ist: Pure Unterhaltung. Ungläubig habe ich gestern feststellen müssen, dass einer der besten Beiträge des Genres, von User Adam Kesher grob fahrlässig in Frage gestellt wird. (...)

etc., etc., pp.

:dodo:

Ich finde, du solltest den User anschreiben und ihn in deinen Thread einladen - er scheint zwar nicht zu deiner Geisteshaltung mit all ihren m. E. unleugbaren Widerspruechen (auf die ich oefter zu sprechen kaeme, wenn ich mir mehr Muehe mit Online-Diskussionen geben wuerde und mehr Zeit haette) durchgedrungen zu sein   :icon_mrgreen:, aber kein voellig nichtsahnender Heide, von daher koennte dabei durchaus Fruchtbares entstehen.  :icon_mrgreen:
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 15 Juni 2009, 00:31:26
Gute Güte, danke für den Hinweis! Wie wunderlich: eine Besprechung, die sich beinahe mehr an meinem Text abarbeitet als an dem Film selbst – das finde ich schon einigermaßen überraschend und sogar ein bisschen schmeichelhaft, zumal der Autor auch noch auf meine anderen Texte anspielt. Ob ich ihn jetzt deswegen gleich ins Forum einladen sollte, ist freilich die Frage. Er scheint noch gar nicht registriert zu sein und es wäre mir unangenehm, wenn er sich am Ende zu Debatten oder gar Rechtfertigungen genötigt fühlen würde, auf die er überhaupt keine Lust hat.

Aber da ich dich gerade am Wickel habe, würde ich natürlich zu gerne wissen, wo du ,,unleugbare Widersprüche" in meiner Geisteshaltung auszumachen glaubst. Ich wäre überaus neugierig, bei guter Gelegenheit ein paar Details zu erhalten!
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Hedning am 15 Juni 2009, 11:09:42
Das Problem an der Kritik seitens Sergio-Garrone ist m.E. vor allem sein Abzielen auf den Begriff "Unterhaltung" bzw. "Pure Unterhaltung". Das Wort sagt natürlich erst mal jedem was, aber m.E. löst es sich inhaltlich, sobald man es zu greifen versucht, in Nichts oder Unkenntlichkeit auf. Man tut Kunst zudem grundsätzlich keinen Gefallen, wenn man sie in "ernste" und "unterhaltende" Beiträge aufspaltet, wie das insbesondere bei der Musik leider gerne praktiziert wird. Insofern finde ich deinen (@Adam Kesher) Ansatz ja so interessant, "Unterhaltungsfilme" bzw. das "Bauchkino", wie Sergio-Garrone sagt, nach den Kriterien zu hinterfragen, die gewöhnlich eher als dem "E"-, "Autoren-" usw. -kino angemessen betrachtet werden. Nämlich der inhaltlichen Substanz, um das mal vereinfacht auszudrücken.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: McKenzie am 15 Juni 2009, 23:35:24
Pardon, aber ich moechte mir derzeit beim besten Willen keine epische Online-Diskussion aufbuerden, denn mir steht der Kopf momentan ganz woanders in meinem "britischen Leben". Prinzipiell gebe ich Hedning recht, was deine "Vorzuege" als Kritiker angeht, aber hin und wieder kratze ich mir verwundert den Kopf ueber eine, wie es scheint, dezidiert feindselige Haltung gegenueber renommierten "E"-Filmen, die gegenueber den angeblichen "U"-Filmen ploetzlich mit dem Schwert der spaeten Gerechtigkeit zu "Z"-Filmen degradiert werden und denen mit der Leichtigkeit, die die angeblichen "U"-Filme so selbstverstaendlich mitbringen, ploetzlich etwas pauschalistisch eine Angestrengtheit unterstellt wird, wie sie m. E. den von den "E"-Kritikern mehr als "E" empfundenen angeblichen "U"-Filmen, denen du haeufig ebenfalls gewogen bist, gleichermassen anhaftet.

:icon_mrgreen:

Eines schoenen Abends, wenn ich meinen gordischen Knoten hier entwirrt habe und mich endlich wieder entspannt genug fuehle, nehme ich mir vielleicht die Muse, bis dahin...

PS: Warum gibt es von dir eigentlich nur so verhaeltnismaessig wenige Reviews zu klassischem Hollywood-Kino der 30iger bis 50iger Jahre?
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 17 Juni 2009, 22:25:36
An Hedning: Die Spaltung von Film in Unterhaltung und Anspruch scheint in der Tat ein Dauerthema bei Diskussionen über Kino zu sein, das mit schöner Regelmäßigkeit wieder auftaucht und nach Stellungnahmen verlangt. Wir hatten hier im Forum schon verschiedentlich Diskussionen dazu und jüngst erst hat Seeßlen das Thema wieder aufgegriffen (siehe hier (http://www.gemeinschaftsforum.com/forum/index.php/topic,104069.msg802766.html#msg802766)), freilich nicht, um – wie du sehr treffend angemerkt hast – die Unterscheidung an sich infrage zu stellen, sondern um sich gegen Fundamentalismus zu verwenden.

Mir geht es da ähnlich wie dir: Warum sollte ich an das sogenannte Unterhaltungskino nicht dieselben Fragen stellen wie an das, was man sich gemeinhin unter anspruchsvollem Kino vorstellt, wenn ich doch mit ebenso ergiebigen Antworten belohnt werde? Im Übrigen gebrauchen Sergio-Garrone und ich bestimmte Begriffe verschieden, was zu Verwirrung führen kann: Das was er unter ,,Unterhaltung" oder ,,purer Unterhaltung" versteht, nenne ich ,,Zerstreuung" oder auch ,,Ablenkung", denn bei Unterhaltung gehe ich davon aus, dass sie nicht nur Laut gibt, sondern mir auch etwas sagt.

An McKenzie: Nur kein Eile, ich wollte dich durchaus nicht aus deinem britischen Alltag herausreißen. Zumindest ahne ich aber bereits, worauf du hinauswillst. Mir scheint da allerdings eine Sichtweise zugrunde zu liegen, die schon ziemlich entschieden vom unweigerlich Meisterlichen am Kunstwerk ausgeht: Erst ist da die unbestreitbare Qualität und dann kommt der Zuschauer, der sie entweder erkennt und würdigt oder verkennt und in Abrede stellt. Degradiere ich denn wirklich nachträglich ein Meisterwerk, nur weil mir ein Film nicht gefallen hat, der viele andere Anhänger hat?

Das klassische Hollywood-Kino der 30er bis 50er Jahre ist übrigens leider tatsächlich eine der vielen eklatanten Lücken in meinem Besprechungsschaffen. Eine Erklärung ist, dass ich mich damit weniger beschäftige und auch auskenne als mit anderen Gebieten des Kinos. Eine andere, dass ich in manchen Gefilden auch lieber Tourist bleiben möchte, statt mich zum Reiseleiter hochzuarbeiten. Aber wer weiß, so etwas kann sich immer ändern.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 7 September 2010, 06:16:09
Bin stark überrascht von Deiner Kurzeinschätzung zu AMER, nachdem ich bei Cinefacts über folgenden Kommentar des geschätzten korken aka. dorkheimer gestoßen bin, der - was ich noch nie bei ihm vernehmen konnte - die Höchstnote vergab:

Zitat von: DorkheimerAMER - eine furiose strukturale Verdichtung der visuellen und taktilen Ästhetiken italienischer Fetisch-Krimis der 70er Jahre. Oder auch: der endgültige Giallo, um nicht zu sagen: dessen positive Aufhebung. Hab am Ende vor Glück fast geweint! Meisterwerk! (10/10)

Überrascht auch insofern, als Du ja deutlich kennzeichnest, dass selbst Giallo-Freunde sich abwenden dürften.

Muss den Film sehen!
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: McKenzie am 12 September 2010, 05:24:11
Ja, Adam, dein AMER-Kommentar geht wirklich gar nicht, irgendwie. Habe ihn ein paar Mal gelesen und finde ihn gleichbleibend verbohrt und überdeutlich von einer falschen Erwartungshaltung sowie einem grundsätzlichen Missverständnis post-postmoderner filmästhetischer Prozesse geprägt. Darüber hinaus lassen sich die meisten deiner Argumente gegen den Film auf ca. 50 % des italienischen Genrekino der 70iger selbst anwenden.  ;) Und die Vorstellung, dass du mit gehaltvolleren Originalen wahrscheinlich u. a. die Filme von Sergio Martino (maßlos überschätzt, der Mann) meinst, finde ich ziemlich verdächtig. Aber da kommt natürlich wieder Geschmack ins Spiel.

Ich fand den Film jedenfalls total toll, den Giallo-Aspekt gar nicht so wichtig (weil der Film gar kein Giallo ist) und seine beiden Macher sind einfach zwei extrem liebenswerte Individuen, mit denen ich in München gerne länger geplaudert hätte als nur 20 Minuten.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
An Mr. Vincent Vega: Dorkheimers Wortgewandtheit nimmt mich einmal mehr für seine Sichtweise ein; aber teilen mag ich sie nicht: Die ,,visuellen und taktilen Ästhetiken" des Giallo sind meiner Meinung nach mit bestimmten Erzählabsichten verkoppelt, mit denen das Kino gewisse ekstatische Eruptionen zu erklären gelernt hat. Die bloße Aneinanderreihung dieser Bilder und Klänge führt in ,,Amer" nicht zu einer Verdichtung, sondern zu einer Verflüchtigung, die ebendiese Erzählmittel überflüssig macht. Darin sehe ich keine ,,positive Aufhebung", sondern bloß aufgesetzte Kunsthandwerkelei. Meine Mutmaßung, dass der Film auch Giallo-Kenner nicht interessieren dürfte, ist natürlich gemogelt. Das kann ich streng genommen gar nicht wissen und ich behaupte es nur, weil es mir hilft, meine persönliche Meinung auszudrücken. Dass der Film allenthalben als Werk wahrgenommen wird, dass unbedingt geguckt und besprochen werden sollte, wundert mich ehrlich gesagt sehr. Ich hatte nur mit enttäuschter Vorfreude unter Kennern und irritierten Blicken unter Außenstehenden gerechnet. Da bin ich jetzt tatsächlich sehr gespannt, welche Wirkung der Film auf dich haben wird!

An McKenzie: Mich stört an ,,Amer" nicht, dass der Film kein Giallo ist, sondern dass er nicht gelungen ist. Den Film im Giallo-Kontext zu besprechen, finde ich nur natürlich angesichts der Zutaten, aus denen er bereitet ist. Den Hinweis, dass viele Gialli an denselben Schwachpunkten kranken, die ich ,,Amer" vorwerfe, verstehe ich ehrlich gesagt nicht, und zwar aus zwei Gründen: Erstens macht die Existenz misslungener Gialli ,,Amer" nicht besser. Und zweitens fiele mir tatsächlich kein einziger Giallo ein, der nur aus einer Bebilderung von subjektiv verzerrt wahrgenommenen Alltagsbegebenheiten besteht – mein Hauptkritikpunkt an ,,Amer". Die Nettigkeit und den Enthusiasmus der Macher finde ich übrigens sehr sympathisch. Nur gefällt mir deswegen ihr Film nicht unbedingt besser.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: McKenzie am 15 September 2010, 00:51:30
Zitat von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
Mich stört an ,,Amer" nicht, dass der Film kein Giallo ist, sondern dass er nicht gelungen ist.

Wann ist ein Film gelungen?

Zitat von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
Den Film im Giallo-Kontext zu besprechen, finde ich nur natürlich angesichts der Zutaten, aus denen er bereitet ist.

Das schon, aber...

Zitat von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
Den Hinweis, dass viele Gialli an denselben Schwachpunkten kranken, die ich ,,Amer" vorwerfe, verstehe ich ehrlich gesagt nicht, und zwar aus zwei Gründen: Erstens macht die Existenz misslungener Gialli ,,Amer" nicht besser.

... irgendwie hast du hier etwas ganz falsch verstanden. "Misslungene" (Das sind so Begrifflichkeiten, die eine gewisse Verselbstständlichung subjektiver Rezeption darstellen - immer riskant) Gialli gibt es natürlich wie Sand am Meer, auch wenn ich aufgrund meiner Obsession mit dem Metier nicht besonders streng mit ihm umspringe und erst bei solchen Kalibern wie IL SORRISO DELLA IENA oder L'ASSASSINO E ANCORA TRA NOI anfange, wirklich zu schimpfen. Das habe ich aber gar nicht gemeint. Was ich gemeint habe sind die Strukturen der  kreativen Prozesse und stilistischen Kettenreaktionen, die damals in der italienischen Filmindustrie stattgefunden haben und die sich nicht nur an den Gialli sondern auch an den Sandalenfilmen, Agentenfilmen, Western, Polizei- und Sexploitationfilmen ablesen lassen.

Ich darf im folgenden dein Review auseinandernehmen:

ZitatEin ebenso angestrengter wie anstrengender Bilderbogen, der keine Handlung im klassischen Sinne erzählt, sondern verschiedene Stadien einer missglückten Frauwerdung zu illustrieren versucht.

Den gleichen Satz könnte man auf zahllose (und ich meine wirklich zahllose) italienische Exploitation- und Genrefilme zwischen 1965 und 1980 anwenden, im Fall des Giallo würde er m. E. aber z. B. perfect Mario Caianos L'OCCHIO NEL LABIRINTO beschreiben, dem ich zufällig kürzlich ein schriftliches Loblied beschert habe, welches du vielleicht schon gelesen hast. Nachdem ich besagten Text geschrieben hatte, fiel mir auf, dass ich, hätte ich zu AMER etwas geschrieben, etwas sehr vergleichbares, bzw. in einem sehr vergleichbaren und vom Film vorgegebenen Stil geschrieben hätte. Auch das kürzlich von mir extrem genossene und besprochene gialleske Psychodrama (ich persönlich kann nie bei DEM "Giallo" bleiben - Giallo, das ist einfach vieles aber ganz sicher nicht eine einfach identifizierbare Struktur, Form, etc. - sowieso betreiben wir Nicht-Italiener eine totale Verzerrung des Begriffs, aber das ist wieder ein ganz anderes Thema) LE TUE MANI SUL MIO CORPO, bei dem man von dem Versuch, non-narrativ eine missglückte "Mannwerdung" zu illustrieren, sprechen könnte.

Angestrengt und anstrengend - so empfinde ich mein geliebtes italienisches Genrekino zwar fast nie, aber ich weiß leider, wer es oft so empfindet...

ZitatMit nicht enden wollenden Nahaufnahmen von Augen, Klingen, Lederhandschuhen und anderen modischen Details aus dem Stilrepertoire des Giallo bebildert der Film die Fehlentwicklung der Hauptfigur,

...nicht selten sind das Leute, denen meines ganz persönlichen Erachtens nach die wesentlichste Faszination des italienischen Genrekinos verschlossen geblieben ist: Nämlich seine Formlosigkeit, die Beliebigkeit seiner narrativen Elemente (denen du, das habe ich schon bemerkt, einen wesentlich höheren Stellenwert beimisst), die an keinerlei dramaturgische, wohl aber an psychologische Regeln gebundene Spontaneität, mit der Elemente, Klischees, Figuren, Milieus, Stereotype Figuren, Filmgeschichtliches Bewusstsein, Filmgeschichtliche Ignoranz (!) und natürlich vor allem stilistische Details und Nuancen ineinandergefügt werden in einer Unberechenbarkeit, die einen feuilletonistischen Begriff wie "Stilrepertoire" eigentlich tunlichst verbietet. Allerdings hausiere ich mit solchen Überlegungen bei jemandem, der den Gialli von Sergio Martino, die ich persönlich inzwischen für unterhaltsam-attracktives, aber letztlich eher risikoscheues Formelkino halte, soviel Euphorie entgegenbringt, vielleicht an der falschen Adresse.

Zitatspreizt Augenblicke der Irritation bis ins Unendliche, fetischisiert jede noch so geringfügige Episode aus ihrem Leben zu einem absurd übersteigerten Ausbruch der Sinne

Dito. Beschreibst du da jetzt AMER oder vielleicht doch einen der von mir so vergötterten Giulio Questi-Filme oder gar einen der berüchtigten Filme von Alberto Cavallone? Sicherlich bewegen wir uns hier nicht mehr auf dem Terrain des durchschnittlichen "Giallo" wie wir ihn beschreiben, doch auch hier korrespondiert die Attitüde mit der der italienischen Filmemacher, die meist sehr viel halbherziger bis gar nicht die absurde Trennung von Autoren- und und Genrekino vollzogen haben (ja, ich weiß dass ich das inzwischen schon sehr oft geschrieben habe, aber ich werde nicht müde werden, es zu betonen). Genausowenig wie ihre ebenfalls sehr angenehme Gewohnheit, freizügig voneinander zu klauen, einander zu geben, einander zu verbiegen usw. bis Begriffe wie "Autorenschaft", "Initialzündung" oder "filmgeschichtliche Entwicklung" nur noch abgleiten.
Einen Ausbruch der Sinne kann man außerdem doch kaum übersteigern, schließlich ist sinnliche Wahrnehmung subjektiver als die meisten anderen Faktoren innerhalb einer Filmrezeption, vielleicht der subjektivste von Allen - ich persönlich meine z. B.: Je mehr, desto besser - ein "zuviel" ist zumindest mir bisher noch nicht untergekommen ein "zuwenig" hingegen sehe ich überall.

"Augenblicke der Irritation bis ins Unendliche zu spreizen" - wenn ich nicht wüsste, was für einen Film du da besprichst, würde ich dich jetzt sofort mit wässrigem Mund attackieren und fragen "Welcher Film denn?!"

Abgesehen davon ist Fetischismus natürlich nicht jedermanns Sache, das ist verständlich. Aber als Cineast, der seine Seele dem Kino überschrieben hat, bin ich natürlich ein 100 %iger Fetischist und fühle mich von AMER komplett verstanden (allerdings nicht nur als Cineast, sondern auch als sexuelles Geschöpf).

Zitatnd spekuliert dabei ganz offensichtlich auf den Applaus der Giallo-Kenner, die angesichts der deplatzierten und reichlich überstrapazierten Bilder und Klänge rasch müde abwinken dürften.

Und wieder meine ich, dass Adjektive wie "deplaziert" oder "überstrapaziert" im Bezug auf Klang und Erscheinung der Gialli (und nicht nur der Gialli allein, wie Cattet und Forzani ja u. a. auch in unserem Interview erwähnen) eigentlich deplaziert sind, denn es sind Einschränkungen, Abgrenzungen, Kontrollpunkte - und im Bezug auf Genrespezifische Filmsprache und Strukturen steht dieses Kino m. E. über dergleichen und entzieht sich damit verbundenen Kategorien. Ich spreche dabei von der Gesamtheit, von dem Resümee, das mir 5 Jahre exzessiver Beschäftigung mit der Materie und alleine über hundert tatsächlichen Gialli sowie zahlreichen Hybriden, im Kopf herumschwebt. Ich halte somit als unbescheiden selbsternannter "Giallo-Kenner" (für den du dich ja eigentlich auch halten musst, deiner Formulierung nach zu urteilen) AMER für einen absolut kongenialen Film, der allerdings, da er außerhalb des filmgeschichtlichen Kontextes und der Filmindustrie, die diesen Kontext geschaffen hat, steht, auch auf deren geringfügigen Vorlagen und Tendenzen nicht mehr bestehen muss. Er ist befreit von gewissen, letzten Endes doch ganz trivial kommerziellen Ideen und wird dafür von dir prompt mit dem Adjektiv "kunsthandwerklich" geadelt, das ich persönlich bei all meiner hoffnungslosen, ewigen Liebe zu dieser Form ohne Bedenken sofort auf eine ganz erkleckliche Anzahl klassischer Gialli anwenden würde. Kunsthandwerk ist aber letztlich etwas tendenziell kommerzielles, wenn ich mich nicht täusche.

ZitatDie Originalmusikstücke, die der Film seinen Vorbildern entlehnt, rufen sehr viel gelungenere Arbeiten in Erinnerung, in denen Inszenierung und Erzählabsicht eine organische Einheit bilden, eine Qualität, von der ,,Amer" meilenweit entfernt ist.

Und jetzt das Aus. Inszenierung und Erzählabsicht als organische Einheit?
Bitte erkläre mir, was du unter "Erzählabsicht" verstehst.

Und dann wäre es vielleicht hilfreich, wenn du zusätzlich erklären würdest, warum Inszenierung und Erzählabsicht in AMER zu keiner "organischen Einheit" (prinzipiell finde ich es ja immer sehr schön, wenn man in Filmbezogenen Texten "organisch" verwendet und der indirekten Behauptung, LA POLIZIA CHIEDE AIUTO, dessen Musik im Film mehrfach verwendet wird, sei sehr viel "gelungener" pflichte ich natürlich ohne wenn und aber bei) finden. Für mich war er tatsächlich ein absolut homogener Film, der in seiner Inszenierung - aus der er ausschließlich besteht - all das transportiert, wovon er erzählen möchte. Im Wesentlichen ist das auch nicht viel mehr als eine "misslungene Frauwerdung" (ich liebe diese Formulierung, du hast es eben einfach drauf) aber das reicht ja auch schon. Jedenfalls finde ich die Darstellung einer misslungene Frauwerdung in Giallo-Sprache wesentlich interessanter als die Darstellung einer misslungenen und daher redundanten Whodunitwerdung in Filmen wie LA CODA DELLO SCORPIONE oder  LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH.

Zitat von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
Die ,,visuellen und taktilen Ästhetiken" des Giallo sind meiner Meinung nach mit bestimmten Erzählabsichten verkoppelt, mit denen das Kino gewisse ekstatische Eruptionen zu erklären gelernt hat. Die bloße Aneinanderreihung dieser Bilder und Klänge führt in ,,Amer" nicht zu einer Verdichtung, sondern zu einer Verflüchtigung, die ebendiese Erzählmittel überflüssig macht. Darin sehe ich keine ,,positive Aufhebung", sondern bloß aufgesetzte Kunsthandwerkelei.

Eine These von den visuellen und taktilen Ästhetiken des Giallo als trendig-hipper Style-Würze und Vorgänger der Videoclip-Ästhetik, als Tarnkappe steinalter, Anfang der 70iger schon fast unzeitgemäßer Genrekonventionen - würde dich eine solche These schockieren? Ich wäre bei allem Fanboytum in der Lage, sie aufzustellen, aus all den oben genannten Gründen, die solche Begrifflichkeiten immer nur partiell zulassen und m. E. auch einer der Hauptgründe sind, warum die tatsächlich filmwissenschaftliche Beschäftigung mit dem italienischen Genrekino stagniert und stagniert und immer die gleichen Filme und Filmemacher heranzieht - man will sich auf der sicheren Seite halten, denn auf der anderen lauert ein chaotischer Sumpf. Abermals unbescheiden würde ich dir glatt unterstellen, dass du einfach noch viel mehr Gialli sehen müsstest, um meine Argumentation zu verstehen. "Würde". Ich weiß natürlich, dass mir das absolut nicht zusteht. Es ginge mir dabei tatsächlich vor allem darum, meine Sichtweise zu erklären, bzw. vielleicht sogar zu rechtfertigen und vor dem Verdacht der Willkürlichkeit zu bewahren.

Zitat von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
Und zweitens fiele mir tatsächlich kein einziger Giallo ein, der nur aus einer Bebilderung von subjektiv verzerrt wahrgenommenen Alltagsbegebenheiten besteht

Erster Gedanke: PARANOIA von Umberto Lenzi!
Zweiter Gedanke mit etwas mehr Überlegung: ORGASMO von Umberto Lenzi!  :icon_lol:
Dritter Gedanke nach längerer Überlegung: Alltagsbegebenheiten? Für dich vielleicht, für die Protagonistin von AMER und seine Schöpfer bestimmt nicht. Ich weiß nicht, ob ich es als Mädchen alltäglich fände, von einem rollenden Ball zu einer Gruppe von jugendlichen Bikern geführt zu werden, die mir mit ihren Blicken mein Sommerkleid ausziehen wollen. Welche Alltagsbegebenheiten denn überhaupt? Das verstehe ich einfach nicht, wenn ich mir den Film ins Gedächtnis rufe. Die Szene in der Metzgerei vielleicht? Die ist doch ein Ausbund an Obszönität und damit nicht alltäglich.  :icon_mrgreen:
Weitergehend bedingt doch eine abstrakte Inszenierung nicht zwangsläufig den Schluss, dass die inszenierte Wahrnehmung verzerrt ist, oder?

Zitat von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
Die Nettigkeit und den Enthusiasmus der Macher finde ich übrigens sehr sympathisch. Nur gefällt mir deswegen ihr Film nicht unbedingt besser.

Natürlich nicht. Allerdings kam ich nicht umhin, meine eigene Wertschätzung für den Film ein wenig anzuheben, nachdem ich 10 Minuten lang ganz privat von Giallo-Fan zu Giallo-Fan geschwärmt habe. Die beiden beuten eben nicht aus oder verbiegen wie du m. E. ein Stück weit suggerierst, sondern sie konzentrieren und, ja, verherrlichen. Amüsanterweise musste ich beim Lesen deines Textes sofort an den von mir sehr geschätzten MANHATTAN BABY von Lucio Fulci denken, bei dem ich einst einmal dachte "Junge, so langsam müsste er dieser ständigen Zooms und Close ups auf Augen doch überdrüssig werden?". Bei einer kürzlichen Neusichtung empfand ich diese Exzessivität und Ausschließlichkeit der Inszenierung als ihren wesentlichsten (neben vielen anderen) Vorzug.

Zitat von: Adam Kesher am 13 September 2010, 20:39:42
Meine Mutmaßung, dass der Film auch Giallo-Kenner nicht interessieren dürfte, ist natürlich gemogelt. Das kann ich streng genommen gar nicht wissen und ich behaupte es nur, weil es mir hilft, meine persönliche Meinung auszudrücken. Dass der Film allenthalben als Werk wahrgenommen wird, dass unbedingt geguckt und besprochen werden sollte, wundert mich ehrlich gesagt sehr. Ich hatte nur mit enttäuschter Vorfreude unter Kennern und irritierten Blicken unter Außenstehenden gerechnet. Da bin ich jetzt tatsächlich sehr gespannt, welche Wirkung der Film auf dich haben wird!

All das hat mich mindestens ebenso sehr überrascht, einschließlich meiner eigenen Freude am Film, von dem ich mir ungefähr das versprochen habe, was du in deiner Kritik beschreibst.  ;) :icon_mrgreen: Übrigens habe ich einen Kritikpunkt an AMER, den ich bewusst erst jetzt erwähne: Die gesamte erste Episode habe ich in ihrer Argento- und Bava-Verhaftung als eher redundant empfunden. Tatsächlich stützt sich meine Begeisterung beinahe ausschließlich auf das zweite und das letzte Drittel, die das erste völlig vergessen machen.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 15 September 2010, 23:49:43
Zitat von: McKenzie am 15 September 2010, 00:51:30Angestrengt und anstrengend - so empfinde ich mein geliebtes italienisches Genrekino zwar fast nie, aber ich weiß leider, wer es oft so empfindet...

Wer'n?
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 16 September 2010, 02:29:02
Du liebe Zeit, wie konnte ich nur annehmen, dass ich mit ein paar läppischen Zeilen meinen Standpunkt zu diesem Film zur Zufriedenheit aller Beteiligten (das heißt: zu deiner Zufriedenheit, McKenzie) würde klären können?

Ich will der Reihe nach versuchen, mich noch etwas deutlicher zu erklären:

Wann ist ein Film gelungen? Wenn du mich fragst, ist ein Film gelungen, wenn er mir gefällt. Wenn du jemand anderen fragst, ist er gelungen, wenn er der betreffenden Person gefällt. Wir reden hier – versteht sich – über Geschmacksurteile und die sind subjektiv und individuell verschieden.

Kenne ich genügend Gialli? Natürlich nicht. Ich kenne viel zu wenige Gialli. Ich kenne überhaupt zu wenige Filme und mit jeder neuen Entdeckung – sei sie positiv oder negativ – revisioniert sich meine Haltung zu allem zuvor gesehenen – oft kaum merklich, nicht selten aber auch ganz fundamental. Insofern sind diese niedergeschriebenen Momentaufnahmen persönlicher Einschätzungen natürlich hochgradig riskant und alles andere als beständig. Aber sie sind auch die Chronik eines Prozesses, der sich aus zweierlei Entwicklungslinien zusammensetzt: meiner anhaltenden Beschäftigung mit Film und meiner anhaltenden Arbeit an Texten über meine Beschäftigung mit Film.

Braucht ein Film eine Handlung? ,,Amer" – so sehe ich das – ist eine bloße Illustration psychologischer Zustände. Der Hauptfigur widerfährt nichts; niemand tut ihr etwas an; niemand hilft ihr; und sie selbst unternimmt auch nichts, außer zu schauen und sich zu wundern. Mich stört daran nicht, dass das untypisch für Gialli oder das Kino überhaupt ist; mich stört daran, dass es mir betulich vorkommt und mich langweilt. Kurzum: Ja, ich glaube ein Film braucht eine Handlung, jedenfalls wenn er mir gefallen will.

Was verstehe ich unter Erzählabsicht? Mit Erzählabsicht meine ich das, worauf ein Film hinaus will. (Dabei – das nur am Rande – spielt es natürlich keine Rolle, ob der Film diese Absicht bewusst oder unbewusst, vorsätzlich oder ganz zufällig anstrebt.) Das kann zum Beispiel die Weitergabe einer erwähnenswerten Nachricht sein, die Herausarbeitung einer Botschaft oder Moral oder auch nur das Stellen einer Frage.

Kann ein Film einen Ausbruch der Sinne übersteigern? Damit ein Sturm mich umhauen kann, muss ich zuvor die Ruhe erlebt haben, die ihm vorausgeht. Wenn der Sturm mir von Anfang an ununterbrochen um die Ohren fegt, fange ich in kürzester Zeit an, ihn gar nicht mehr als Sturm wahrzunehmen, sondern nur noch als Grundrauschen, das mit zunehmender Gewöhnung immer leiser wird, bis es schließlich vollkommen verstummt und eins wird mit meinem Herzschlag, meinem Atem und all den anderen allgegenwärtigen Empfindungen, denen ich niemals entrinnen kann und die ich deswegen aufhöre, als etwas Bemerkenswertes wahrzunehmen. Genauso verhält es sich mit ,,Amer": Der Film entdeckt nicht das Besondere im Alltäglichen, sondern bläst jede Banalität so berechenbar zu einer exzentrischen Spezialität auf, dass mir diese ganze Parade irrer Eindrücke schon nach wenigen Minuten zum gleichförmigen Normalzustand wird, aus dem der Film sich dann nicht mehr herausbewegt, weder durch unerwarteten Verzicht, noch durch weitere Übersteigerung. Er ist in Hysterie erstarrt und ich sitze im Kino und langweile mich. Von einem wirkungsstrategischen Standpunkt würde ich also folgern, dass sich Sinnesausbrüche sehr wohl übersteigern lassen und ,,Amer" ist das beste Beispiel dafür. Und da sind wir auch gleich bei der Verzerrung: Das ästhetische Getue von ,,Amer" ist eine Verzerrung, weil es sich nicht aus innerfilmischen, erzählerischen Impulsen ableitet, sondern schlicht aus dem Drang der Macher, die so dringend und unbedingt wollen, eigentlich eher Wollen wollen, dass sie bereit sind, dem Film alles überzustülpen, was ihrer Stilwut Genüge tut. Sie erfüllen, was Argento immer so leichtfertig vorgeworfen wurde: Stil als Selbstzweck zu betreiben, ohne substanzielle Deckung.

Und sonst? Finde ich ,,Der Killer von Wien" sensationell, ,,Der Schwanz des Skorpions" mäßig und ,,Amulett des Bösen" ganz und gar unglücklich. Und dich wie immer sehr bereichernd (und ein bisschen drollig).
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 7 November 2010, 19:58:53
Habe gestern nach langer Zeit mal wieder SE7EN gesehen und bin eben über deinen Kommentar gestolpert.

ZitatEin hitzköpfiger weißer Polizist und sein besonnener farbiger Partner, die sich ähnlich wie in amerikanischen Kumpelfilmen erst zusammenraufen müssen, formen das erste von zwei großen Stereotypen, auf denen ,,Sieben" fußt. Das zweite ist der intellektuell brillante Psychopath, der mit sagenhaften selbstanalytischen Fähigkeiten und nie versiegender Plauderlust seine Weltsicht eifrig unters Volk bringt. Fincher verklebt die beiden Klischees mit einem Leim aus religiösen und literarischen Verweisen, die gedankliche Tiefe und kulturelle Deckung vortäuschen wollen, tatsächlich aber auf dem unbeholfenen Niveau einer schlecht abgeschriebenen Schulaufgabe bleiben. Den banalen Sinngehalt versucht er hinter einer ausgeklügelten Fassade aus schmuddeligem Szenenbild, düsterer Lichtsetzung und aalglatter Farbästhetik zu verbergen – ein allzu dürftiges Blendwerk, das nach dem Verklingen der allgemeinen Loblieder noch auffliegen dürfte.

Ohne jetzt eine der (hier im Forum erschöpften) Fincher-Diskussionen losbrechen zu wollen, möchte ich doch zumindest fragen, wieso und aus welchen Gründen du dich nur auf die (angeblichen) Stereotypen von gegensätzlichem Ermittlerduo und intellektuellem Killer beziehst bzw. was deine Anhaltspunkte dafür sind. Ich kenne keinen vergleichbaren US-Mainstream-Thriller vor SE7EN, der die sonst optimistische Aufklärerarbeit klassischer Polizeifilme in einem so negativen, unnützen und konsequent persönliches Leid heraufbeschwörenden Licht abbildet (insofern wird hier m.E. mit dem Klischee gebrochen, statt "zusammengeklebt", der Film ist außerordentlich demontierend). Müßig zu erwähnen, dass selbst schon im frühen US-Kino der 90er Filme wie SILENCE OF THE LAMBS den Typus vom intellektuellen Psychopathen mainstream-tauglich gemacht haben etc.pp., dennoch scheint es mir rückwirkend eher so, dass Finchers Kombination hier so neu erschien oder sich zumindest so neu präsentiert, dass eine ganze Welle ähnlich gelagerter Filme gleicher Formel in die Kinos schwimmte. Mal abgesehen davon, dass der Film inhaltlich kaum Neuland betritt, höchstens Altes clever zu etwas scheinbar Neuem verpackt (was an und für sich auch spannend sein kann, besonders 1995, auf dem Höhepunkt postmodernen Filmemachens), ist nicht zu leugnen, dass SE7EN den Thriller ästhetisch entscheidend veränderte. Der träge und faulige Look des Films, sein nihilistischer Weltentwurf (klug gespiegelt in den beiden Polizeifiguren) hatten und haben etwas Radikales, Bedrückendes, Auswegloses in den Mainstream-Thriller installiert, das zumindest (be)nennenswert ist. Insbesondere, wenn man den Film ein zweites mal schaut und er sich als fatalistische Erzählung erweist.

Ansonsten finde ich den Film mit Abstrichen gut gemacht, aber ebenfalls völlig überbewertet.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 7 November 2010, 20:55:20
Da legst du den Finger nicht ganz zu unrecht in die Wunde: Die Besprechung trägt meinen Frust über den Film noch in sich und kommt sicher zu leichtfertig daher, gerade für Leser, die meine Meinung nicht teilen und Interesse an einer Gegenansicht haben. Würde ich heute so nicht mehr schreiben.

Trotzdem stehe ich im Kern noch hinter dem Text: Das Ermittlerduo wirkt auf mich wie aus einem anderen Film geborgt, ohne dass es in seiner neuen Umgebung eine besondere Sinnfälligkeit für die Geschichte entwickeln könnte. Dass es statt eines vergnüglichen ein deprimierendes Abenteuer erlebt, nehme ich nicht als intelligenten Bruch des Klischees wahr, sondern als einen weiteren Beleg für die Fehlplatzierung. Den Verweis auf ,,Das Schweigen der Lämmer" kann ich gut nachvollziehen: In beiden Fällen erlebe ich die Psychopathen als ausgesprochen künstliche Demonstrationsfiguren, die an unserer Welt vorbeikonzipiert wurden, um den Inszenierungswünschen der Macher einen Aufhänger zu liefern. Als radikal erlebe ich den Film tatsächlich gar nicht; daran ist neben dem plapperfreudigen Psychopathen vor allem der hanebüchene Bibelbezug schuld, der aus ein paar geläufigen Schlagworten eine abstruse Tätermotivation konstruiert, die sich als gesellschaftliches Gutachten ausgibt, tatsächlich aber nur Vorwand für modische Tristesse ist. So wie sich mancher Zuschauer in die schicken Probleme der Schönen und Reichen einer Seifenoper hineinträumt, so habe ich hier das Gefühl, dass Fincher gerne hätte, dass die Probleme unserer Zeit so sind, wie der Film sie beschreibt, damit sie zu seinem ästhetischen Konzept passen. Statt ,,zusammengeklebt" könnte ich auch sagen, dass die Elemente zusammengewürfelt wirken. Die wiederholte Sichtung, die du für zuträglich hältst, habe ich dem Film übrigens zukommen lassen, allerdings bereits vor längerer Zeit. Ich glaube, ich habe ihn drei Mal gesehen, weil er bei mir nicht gezündet hat und ich mich wegen der Begeisterung um mich herum ziemlich fleißig bemüht habe, den Film doch noch gut zu finden. Leider ohne Erfolg.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Fastmachine am 7 November 2010, 21:14:21
Für deine Standhaftigkeit meinen Dank.

Deine Sätze formulieren sehr knapp, aber gewohnt schlaglichtartig erhellend, durchdringende Blicke auf das Tragwerk eines fragwürdig zusammengezimmerten Hauses, durch dessen modische Vorhangfassaden gutgläubige Käufer vom Bauherrn und seinen Maklern geblendet werden.

Würdest du längere Ausführungen bevorzugen, ich bin überzeugt, deine Blendlaterne brächte bei einem weiteren Gang durch das verwinkelte Filmgebäude weitere Befunde zu Tage.


   
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Chili Palmer am 7 November 2010, 21:30:45

Du verkennst die aktuelle Wohnsituation; manche würden sonstwas dafür geben, wenigstens in so einem Bau zu leben, zumal anderswo erst recht der Pfusch regiert. Außerdem kann man es sich auch da ganz gemütlich einrichten, wie ich nun schon seit "Alien³" beweise.  :icon_mrgreen:
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Mr. Vincent Vega am 7 November 2010, 21:59:53
Zitat von: Adam Kesher am  7 November 2010, 20:55:20Trotzdem stehe ich im Kern noch hinter dem Text: Das Ermittlerduo wirkt auf mich wie aus einem anderen Film geborgt, ohne dass es in seiner neuen Umgebung eine besondere Sinnfälligkeit für die Geschichte entwickeln könnte. Dass es statt eines vergnüglichen ein deprimierendes Abenteuer erlebt, nehme ich nicht als intelligenten Bruch des Klischees wahr, sondern als einen weiteren Beleg für die Fehlplatzierung.

Aber zwischen Vergnüglichkeit und Depression besteht ja schon ein Unterschied.

Wobei ich generell in Frage stellen möchte, ob SE7EN überhaupt ein konventionelles Ermittlerduo ins Zentrum seiner Handlung setzt. Der Film beginnt mit einem Pre-Title-Abschnitt, der ausschließlich die Freeman-Figur zeigt, als abgenutzten, trägen Polizisten kurz vor dem Ruhestand. Der Film positioniert diese Figur zum Träger der Handlung, was sich auch darin zeigt, dass Pitt kaum ein Eigenleben besitzt, weil dessen Taten stets als Abgleich zu Freeman genutzt werden und damit mehr ihn statt sich selbst charakterisieren. Bezeichnenderweise sind selbst die relevantesten Szenen mit Pitts Ehefrau jene, in denen sie mit Freeman zu sehen ist. Im Prinzip erzählt SE7EN die Geschichte eines alten Polizisten, der an der Welt verzweifelt, was ihm umso deutlicher erscheint, als sein Nachfolger schon in den Startlöchern steht. Schlussendlich schließt der Film mit Freeman, so wie er auch mit ihm begann. Es ist sein Film. Daran jetzt ein Beispiel für einen gescheiterten oder unoriginellen Buddy-Film erstellen zu wollen, finde ich unnötig und auch fragwürdig.

Was die Ausführungen zum erzwungenen Bibelkontext zur Veranschaulichung von Finchers finsterem Gesellschaftsbild angeht, stimme ich dir zu. Für mich wiegt da noch schlimmer, dass Fincher so kaltschnäuzig gesinnt scheint, kaum menschliche Nähe und Wärme in die Geschichte bringt und zu kühl und technisch inszeniert. Was ich an SE7EN aber bemerkenswert finde, davon abgesehen, dass er sehr wichtig und stilbildend ist für das Genre ist (:icon_mrgreen:), ist seine klare Formsprache, sein präziser Stil, seine schnörkellose Regie. Das hatte ich anders in Erinnerung, Fincher ist hier gar nicht so verspielt und maniriert, insofern liegt der Film auf einer ähnlichen Linie wie Finchers absolutes Meisterwerk ZODIAC und sein reifer aktueller Film SOCIAL NETWORK.

Ist schon ein sehr guter Regisseur und mir von den intellektuellen Bildermachern der 90er auch 1000mal lieber als Christopher Nolan.
Titel: Re: Autoren-Thread: Adam Kesher
Beitrag von: Adam Kesher am 14 November 2010, 12:25:47
An Fastmachine: Meinen Dank für deinen Dank! Bin übrigens erstmals in deinen Blog gestolpert – Kompliment, gefällt mir sehr gut!

An Chili: Selbst das betrüblichste Resümee bereitet aus deinem Mund Vergnügen!

An Vincent: Zwischen Vergnüglichkeit und Depression besteht zweifellos ein signifikanter Unterschied und ich werfe ,,Sieben" natürlich nicht vor, dass daraus keine Kumpelkomödie geworden ist (das wäre abstrus), sondern dass der Film sich – so sehe ich das zumindest – keine Gedanken bei der Rekrutierung seiner Hauptfiguren gemacht hat. Ihr Charakter oder vielmehr: ihre Chemie will nicht recht zur Handlung passen. Der Einwand, dass es sich gar nicht so sehr um ein Duo, sondern vielmehr um eine Hauptfigur mit einer Satellitenfigur handelt, ist berechtigt. Aber ob sich deswegen mein Gefühl der Unüberlegtheit und Beliebigkeit bei einer weiteren Sichtung legen würde? Und ob mir diese geringfügige Linderung über den Plapperpsychopathen und den religiösen Unsinn hinweghelfen würde? Ich wage es zu bezweifeln. Zumal ein alternder Polizist, der an der Welt verzweifelt, für mich noch keine überzeugende Geschichte ergibt. Entscheidend ist für mich nicht, was mit den Figuren passiert, sondern was mit mir als Zuschauer passiert. Und da ist in diesem Fall leider gar nichts passiert. Wenn ich nur an die Schlussbemerkung des Polizisten denke (von der hässlichen, aber dennoch rettenswerten Welt), möchte ich nur mit den Augen rollen. Angesichts solcher Schoten fällt es mir sehr schwer, irgendwelche nennenswerten Qualitätsunterschiede zwischen Fincher und Nolan auszumachen.
TinyPortal 2.0.0 © 2005-2020