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Der Golem, wie er in die Welt kam

Begonnen von nofx-total, 14 November 2009, 16:31:51

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nofx-total

Hallo,

ich weiß nicht, ob ich hier mit meinem Anliegen richtig gelandet bin, aber ich versuchs mal in diesem Forum. Ich habe vor kurzem Paul Wegeners ,,Der Golem, wie er in die Welt kam" aus dem Jahre 1920 auf ARTE gesehen. Ich muss gestehen, dass ich von dem Film ziemlich beeindruckt war. Unglaublich, was in den 20er Jahren bereits auf diesem Gebiet geleistet wurde, z. Bsp. hinsichtlich Schauspielerei und der wunderbaren Bauten. Ich wollte nun mehr Details wissen zur Entstehung des Films.

Vor dem Film waren einige Texttafeln als Erläuterung vorangestellt bezüglich des Restaurationsprozesses. Leider wirkten die Angaben sehr verworren auf mich, besonders bezüglich der Viragierung des Ausgangsmaterials. Es wurde eine damalige Kopie 2002 viragiert, soll wohl heißen (aufs Neue?) eingefärbt. War denn das Original überhaupt eingefärbt? Hier gibt es den ,,Golem..." komischerweise in S/W zu begutachten:

http://www.youtube.com/watch?v=1gK-MSeD7HY

War das evtl. vor der Restauration? Kann ja sein, dass die Farben von damals im Laufe der Jahrzehnte derart nachgelassen haben, dass eine ungewollte S/W-Fassung draus geworden ist, keine Ahnung. Kenne die Technik des Einfärbens nicht genau, musste wohl aber damals manuell und für jede Kopie extra gemacht werden. Kann das denn sein, dass dann auch unterschiedlich gefärbte Exemplare im Umlauf waren? Jedenfalls behauptet dieser Filmkritiker, dass der Film schon damals gefärbt war.

http://www.filmzentrale.com/rezis/golemat.htm

Noch mal kurz zusammengefasst meine Frage:

War ,,Der Golem,..." im Original monochrom-farbig?

Sonst würde ja die nachträgliche Viragierung in der Neuzeit wohl keinen Sinn machen, da man Wegeners künstlerische Intention unterwandert hätte. Das gezeigte Video lässt mich allerdings ratlos zurück.   

Würde mich auch über seriöse Quellenangaben freuen
Vielen Dank

Gruß
nofx-total

Falls man meint, dass die Anfrage im Film-Id.-Forum besser aufgehoben ist, bitte verschieben!
"Ich schaue Filme kritisch, mit scharfem Auge und vor allem aufmerksam, plus ich habe Geschmack. Das ist die Formel." (Mr. Vincent Vega)

"Und wie das mit Formeln so ist, die kommen meistens relativ emotionsarm daher..." (Moonshade)

Dr. Phibes (Buurman)

Ich bin mir da auch nicht sicher, aber viele Filme, die ich früher mal in s/w gesehen habe, gibt es heute nur noch viragiert. Ob dadurch die Intention eines Paul Wegener zerstört wird, glaube ich nicht. Die Farben haben ja auch eine Bedeutung für einen Stummfilm (blau = Nacht, z.B. in Nosferatu). Mag sein, dass es technisch früher noch nicht möglich war, heute jedoch kein Problem.

Es wäre wirklich mal Zeit, dass der Golem komplett überarbeitet kommt, als auch Caligari. Dass es geht, zeigt ja Nosferatu. Da gibt es noch einige Perlen.

Intergalactic Ape-Man

Wenn bei der Restauration etwas neu viragiert wurde, hat es gemeinhin einen Grund. Es ist nichts ungewöhnliches, daß von einem Film sowohl reine s/w Rollen, als auch viragierte Fassungen im Umlauf waren. Der Grund insbesondere bei Farbfilmen oder sogar handcolorierten Kopien liegt auf der Hand. Es kostet einfach mehr. Nosferatu z.B. wurde imho auch im Restaurationsprozeß nachträglich wieder anhand von Archivdaten viragiert. Ob und wie Der Golem ursprünglich mal viragiert gewesen ist, könnte ich aus dem Stehgreif jetzt auch nicht sagen, aber das läßt sich bestimmt recherchieren. Falls sich niemand zwischendurch meldet, werde ich später noch einmal darauf zurückkommen.

Dr. Phibes (Buurman)

Das wäre interessant. Bei Nosferatu bin ich mir 100%ig sicher, mal eine s/w-Fassung im TV gesehen zu haben, beim Golem aber bislang nie.

Intergalactic Ape-Man

Doch, der lief früher in den Dritten s/w, wenn mir meine Erinnerung keinen Streich spielt.  :icon_smile:

nofx-total

14 November 2009, 22:46:51 #5 Letzte Bearbeitung: 14 November 2009, 22:49:54 von nofx-total
Zitat von: Dr. Phibes (Buurman) am 14 November 2009, 21:22:38
Das wäre interessant. Bei Nosferatu bin ich mir 100%ig sicher, mal eine s/w-Fassung im TV gesehen zu haben, beim Golem aber bislang nie.

Bist du dir sicher bezgl. Nosferatu? Hier meine ich, dass dieser schon damals eingefärbt war, siehe auch

http://www.ofdb.de/view.php?page=text&fid=2868&rid=71931

Aber ok., kann natürlich sein, dass es auch s/w-Kopien neben der gefärbten gab und die im TV lief...

Zitat von: Dr. Phibes (Buurman) am 14 November 2009, 21:00:39
Es wäre wirklich mal Zeit, dass der Golem komplett überarbeitet kommt,

Wie meinst du das? Ich fand die zuletzt gezeigte Version auf Arte eigentlich sehr gelungen.
Aber danke erst mal für eure Mühe, werde auch noch weitersuchen...
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Intergalactic Ape-Man

Zitat von: nofx-total am 14 November 2009, 16:31:51
http://www.filmzentrale.com/rezis/golemat.htm

Da steht doch sogar:

ZitatDeshalb sind seine bevorzugten Ausdrucksmittel Subjektivität, Dunkelheit und das Grelle: Auch die 1920 verwendeten Filmeinfärbungen sind rekonstruiert worden. Der Stummfilm ,,Der Golem.." war (wie viele andere Filme auch), entgegen landläufiger Meinung, nicht schwarzweiss, er war bunt, und dadurch noch einmal so expressionistisch.

Ferner:

ZitatDie Restaurierung ,,basiert im wesentlichen auf einer Kopie, die das Museum of Modern Art in New York 1936 von der Ufa aus Berlin bekam. Der Haupttitel hat sich in dieser Kopie erhalten. 16 Zwischentitel und sechs Inserts wurden von Filmmuseum München originalgetreu nach einer von Gosfilmofond in Moskau verwahrten Kopie restauriert. Der Text der übrigen – im Original nicht überlieferten – Zwischentitel orientiert sich an einer Zensurkarte von 1931, der des Vorspanns am Programm zur Uraufführung 1920 im Berliner Ufa-Palast am Zoo. Die Färbung basiert auf einer in der Cineteca Italiana Mailand erhaltenen viragierten Kopie der italienischen Fassung. Die Kopierarbeiten wurden von der Cineteca del Comune di Bologna durchgeführt." (Filmvorspann)
Kopie: 35mm, 1953,5 m (= ca. 95'30", bei vorgeschlagenen 18 Bilder pro Sekunde) / Originallänge: 1922 m (Zensur 1920), 1764 m (Zensur 1931), 1961 m (fsk 1995)
Kopierwerk: L'Immagine Ritrovata, Bologna
TV-Sendungen: Arte, 28.2.2002 (angekündigt als ,,Welturaufführung")
Anmerkung: Ab 1989 werden Vorstufen dieser Restaurierung gezeigt, etwa im Dezember 1989 im Filmmuseum München, wo DER GOLEM ,,in einer neuen Kopie des Museums of Modern Art in New York" (Süddeutsche Zeitung, 11.12.1989) läuft. Am 29.6.1990 begleitet Ulrich Rügner die Aufführung einer rekonstruierten Kopie im Kommunalen Kino Frankfurt am Main und legt dabei die ursprüngliche Musik von Hans Landsberger zu Grunde (Frankfurter Rundschau, 21.6.1990). Im Rahmen des Lumière-Projekts war auch eine Komposition von Marco Dalpane auf Grundlage der überlieferten Fragmente von Landsbergers Musik vorgesehen.
Und auch besonders
Zitat[...]eine 1995 in der Cineteca Italiana gefundene viragierte Nitrokopie, die ,,vom Kameranegativ des Films zur Zeit seiner ersten Kinoauswertung Anfang der 20er Jahre gezogen worden war[...]
siehe http://www.filmblatt.de/index.php?aid=36

Zitat[...]basierend auf der einzig bekannten erhaltenen viragierten Kopie des Films, die erst vor wenigen Jahren vom Search-for-Lost-Films-Team des Projects Lumière in der Cineteca Italiana in Mailand entdeckt wurde.
siehe http://www.filmhistoriker.de/magazine/golem_dvd.htm

Interessant fand ich, daß in den auf Filmportal.de zitierten zeitgenössischen Kritiken die Virage keinerlei Erwähnung findet. Auch bei Kracauer hab ich nichts dazu gefunden. Das Lumière-Projekt jedenfalls gibt die Murnau Stiftung auch als Restaurierung des Films an, weshalb die sich deckenden zusätzlichen Daten nicht sonderlich abwegig sind. http://www.murnau-stiftung.de/de/03-01-00-restauration-1.html

Auch die gestalterische Nähe zu Das Cabinet des Dr. Caligari, welcher restauriert ebenfalls viragiert im Umlauf ist und offenbar auch in dieser Form uraufgeführt wurde:
ZitatUraufführung: 26.02.1920, Berlin - Marmorhaus
Format: 35 mm, s/w+viragiert, stumm
Länge: 1703 m
siehe http://www.ms-trade-eu.de/berichte/caligari_internet_v01.pdf
deutet darauf hin, daß eine damalige Virage von Der Golem, wie er in die Welt kam nicht unwahrscheinlich ist.

Die Wikipedie lehnt sich sogar so weit aus dem Fenster:
ZitatDas heute bekannte Schwarzweißbild war in diesem Sinne lange Zeit sogar eher die Ausnahme bzw. ein markierter Fall.
Des weiteren heißt es bezüglich des Farbverlustes:
ZitatAußerdem ist zu bedenken, dass der Negativstreifen durch häufiges Abspielen die Tonung verliert, sodass nur noch das farblose Material verbleibt.
siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Tonung

Das wiederholt sich hier:
ZitatErst mit Aufkommen des Tonfilms trat dieses Farbverfahren in den 30er Jahren den Rückzug an. Die Tonspur litt unter den Farbbädern und der Film wurde wieder schwarz-weiss.
Und die frühen Farbfilme sind nur dank aufwändiger Restaurationen wieder in Farbe zu bestaunen. Die damals verwendeten Farben waren nicht sehr dauerhaft und verblichen schnell, weshalb farbige Stummfilme anachronistisch wirken und ein heutiges Publikum um so stärker überraschen und faszinieren.
Siehe http://www.arte.tv/de/film/Kurzschluss/07--Dezember/1035438,CmC=1035434.html

Dr. Phibes (Buurman)

@nofx
Die jetzige DVD scheint nicht wirklich das wahre zu sein, wenn man sich einige Kritiken durchliest. Aber ich glaube, da geht noch mehr, wenn es z.B. die Murnau-Stiftung machen würde. Das gleiche bei Caligari. Auch hier wäre eine Deluxe-Edition dringend notwendig.

@ape-man
Danke für die ausführlichen Infos.

nofx-total

http://www.senseofview.de/review/509

Auch hier habe ich noch einen Verweis gefunden auf die damalige Aufführung in Farbe.

(Der Link stammt übrigens aus der OFDb  :wallbash:)

@Ape-Man
Vielen Dank nochmal für deine umfangreiche Recherche, besonders auch die Ausführungen zu "Das Cabinet des Dr. Caligari"
werde ich noch mal in Ruhe lesen, da mich der expressionistische Film auch allgemein interessiert.

Gruß
nofx-total
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