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(Familien-)Chroniken und Mehrteiler Industrialisierung bis Nachkriegszeit

Begonnen von pm.diebelshausen, 20 November 2009, 21:25:06

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pm.diebelshausen

Vielleicht könnt ihr mir ein paar Tipps geben, weil ich grade große Lust auf Filme/Fernsehmehrteiler habe, die sich mit der Zeit um 1900 bis etwa 1950 beschäftigen. Ein paar Titel sind mir namentlich schon bekannt, aber vielleicht könnt ihr da noch ein paar Worte zu sagen.

Was ich gut kenne und schätze (als Anhaltspunkte, was ich meine):

Heimat
Tadellöser & Wolff
Rote Erde
Die Manns


Danke schonmal!
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Tartüff

Erwin Strittmatters "Der Laden" ist Dir sicher bekannt?

http://www.ofdb.de/film/16468,Der-Laden
http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Laden_%28Film%29

Intergalactic Ape-Man


blade2603

"Jedes Publikum kriegt die Vorstellung, die es verdient." -Mario Barth
◾ Originalzitat von: Curt Goetz

(aus den Känguru Büchern)

pm.diebelshausen

21 November 2009, 12:19:40 #4 Letzte Bearbeitung: 21 November 2009, 12:23:48 von pm.diebelshausen
"Buddenbrooks" ist mir vom Buch her ein Begriff - kennt der jemand die verschiedenen Verfilmungen und deren Qualität? Die jüngste von Breloer scheint ja nach "Die Manns" eher eine große Enttäuschung gewesen zu sein. (Es gibt übrigens eine Arthaus-Box mit der '78er-TV-Serie und dem '59er-Kino-Zweiteiler, die ist in der ofdb noch nicht eingetragen.)

Könntet ihr noch was dazu sagen, warum ihr die Vorschläge nennt? Findet ihr die außerordentlich gut und wenn ja: warum denn?
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

PierrotLeFou

István Szabós "Ein Hauch von Sonnenschein" dürfte passen...
http://www.ofdb.de/film/17330,Sunshine---Ein-Hauch-von-Sonnenschein

Bei mir hat der schon automatisch gepunktet, weil ich generell Filme mag, in denen die Personen über Jahrzehnte altern und sterben und die Stimmung immer melancholischer wird...

Szabo ist da sicherlich nicht frei von manchmal etwas übermäßiger Sentimentalität, fängt sich aber dank düsterer Elemente auch wieder...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Tartüff

Ist schon länger her, dass ich "Der Laden" angeschaut habe. Da ich Strittmatter schätze, war ich gespannt auf die Verfilmung und weiß nur noch, dass sie als gute Umsetzung der Bücher absolut sehenswert ist.


Intergalactic Ape-Man

Zitat von: pm.diebelshausen am 21 November 2009, 12:19:40
Könntet ihr noch was dazu sagen, warum ihr die Vorschläge nennt? Findet ihr die außerordentlich gut und wenn ja: warum denn?

Jauche und Levkojen fand ich vor gefühlten hundert Jahren ganz gut, ich liebe aber Tadellöser & Wolf z.B. auch, daher würd ichs gern mal wieder sehen, um mir ein reiferes Bild davon machen zu können. Bisher war mir die DVD Anschaffung aber immer zu teuer. Ist sozusagen ein Suchlistenvergleich.  :icon_lol:

pm.diebelshausen

23 Mai 2011, 01:17:49 #9 Letzte Bearbeitung: 23 Mai 2011, 01:19:25 von pm.diebelshausen
Ich bin immer und weiterhin für derartige Filme zu haben. Wenn jemandem also noch etwas einfällt, ist dieser Thread keineswegs zu verstaubt.

Kürzlich habe ich den 3-Teiler Krupp - Eine deutsche Familie gesehen und bin über Benjamin Sadler und vor allem Iris Berben begeistert. Sie ist grandios darin und gibt dem Familienpsychogramm ganz schreckliche Züge. Die Ausstattung, Requisite, Garderobe und Maske sind hervorragend, allerdings gibt es ein paar Drehbuchschwächen und die Special Effects sind zwei-, dreimal ganz erbärmlich. Vor allem die drei oder vier Proforma-Szenen, in denen die Krupp-Familienperspektive zugunsten des Arbeitermilieus verlassen wird. Hätte man sich besser gespart. So wie sie da als Fremdkörper in diesem Film festpappen, sind sie extrem oberflächlich und plakatieren ihren Funktionscharakter bezüglich der kommunistisch-sozialistischen Kopomente des Zeitgeschehens vor '33. Sogar richtig peinlich ist die Szene, in der ein Arbeiter sich nicht sozialistisch-solidarisch zeigt, im Weggehen dann stolpert und nur durch die helfende Hand des Sozialisten vor einem schweren Unfall gerettet wird - das ist plumper als so mancher Versicherungswerbespott der 80er. Aber es gibt eben auch starke Szenen und insegsamt ist der Dreiteiler sehenswert und erfüllt genau, was ich in dieser Familienchroniken-Hinsicht gerne erhoffe.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

pm.diebelshausen

Möchte hier noch drei TV-Produktionen erwähnen, die ich in letzter Zeit gesehen habe:

Bauern, Bonzen und Bomben ist zwar keine Chronik, aber dafür ein hervorragender 5-Teiler, der im ganz kleinen Milieu das Ende der Weimarer Republik einfängt - mit sehr guten Dialogen und Humor. Besonders Siegfried Wischnewski hat mich als sozialdemokratischer Bürgermeister überrascht. Stellenweise ist der Produktion das Kammerspielartige anzumerken, besonders bei langen Innenraum-Einstellungen, aber andererseits sind viele Momente zutiefst filmisch. Vor allem wurden viele stumme Momente ausgehalten, statt sie in Monologen und Dialogen auszuformulieren. Sehr sehenswert.

Nicht sehenswert ist hingegen der 4-Teiler Die Elsäßer, auch wenn dieser wieder genau passt: eine Chronik mehrer elsässischer Familien von 1870 bis 1953. Ein spannendes Thema - aber leider eine unbedarfte Regie-Umsetzung. Platte Dialoge und unmotivierte Figuren: da wurde viel verschenkt. Im Gegensatz zu oben genannter Produktion findet diese hier zu keinem stimmigen Rhythmus. Insgesamt zu hektisch erzählt, vielleicht wäre ein 8-Teiler besser geraten. Zudem habe ich den Überblick über die Figuren verloren, da in der Besetzung teilweise arge Brüche vorhanden sind, damit ein Charakter älter wird. So bleibt man an der Oberfläche der Familiengeschichten und bekommt nur einen groben Eindruck von der Zerrissenheit des Elsass und seiner Bewohner in dieser Zeit.

Zur Zeit sehe ich Die Pawlaks von Wolfgang Staudte - wiederum keine Langzeitchronik. Dafür stimmungsvoll und nicht hektisch inszeniertes Arbeitermilieu im Ruhrgebiet des Jahres 1872. Nicht ganz so lässig wie Monks Bauern, Bonzen und Bomben, trotzdem interessant aufgrund der Einsichten in damalige Lebensbedingungen. Und allein wegen eines schönen Auftritts von Eberhard Feik sehenswert - und vor allem wegen seines umwerfenden Abgangs.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Chowyunfat2

Mir fiel eben der 2Teiler "Die Flucht" von 2006 ein, nicht direkt Chronik, aber er handelt von der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen durch die Russen:

http://www.ofdb.de/film/121110,Die-Flucht

Mein Vadder empfahl mir den, weil er so eine Flucht als Kind selbst mitgemacht hat, gesehen habe ich ihn aber noch nicht.

droog

Zitat von: pm.diebelshausen am 21 November 2009, 12:19:40
"Buddenbrooks" ist mir vom Buch her ein Begriff - kennt der jemand die verschiedenen Verfilmungen und deren Qualität?

Dazu verweise ich mal auf diesen ausführlichen Blog-Eintrag: http://oliblog.blogg.de/eintrag.php?id=2201

Ansonsten könnte dir vielleicht 'Das Spinnennetz' mit Ulrich Mühe und Armin Mueller-Stahl gefallen. Ist schon länger her, dass ich den gesehen habe und warum der mir damals gefallen hat kann ich leider nicht mehr an bestimmten Punkten festmachen aber Filme mit Ulrich Mühe kann man ja auch einfach wegen Ulrich Mühe sehen. Jedenfalls erstreckt sich die Handlung über mehrere Jahre ab 1918 (oder so um den Dreh).
Gibt aber meines Wissens nach leider keine DVD. 
http://www.ofdb.de/film/11707,Das-Spinnennetz
PEHDTSCKJMBA

pm.diebelshausen

Bei Die Flucht habe ich Sorge, dass das so ein seichtes Schmachterl ist - ähnlich wie (größtenteils) Dresden und sowas...

Wickis Spinnennetz klingt aber interessant - vor allem auch bei der Besetzung.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

pm.diebelshausen

Zitat von: pm.diebelshausen am  6 Juli 2011, 04:36:20
Zur Zeit sehe ich Die Pawlaks von Wolfgang Staudte - wiederum keine Langzeitchronik. Dafür stimmungsvoll und nicht hektisch inszeniertes Arbeitermilieu im Ruhrgebiet des Jahres 1872. Nicht ganz so lässig wie Monks Bauern, Bonzen und Bomben, trotzdem interessant aufgrund der Einsichten in damalige Lebensbedingungen. Und allein wegen eines schönen Auftritts von Eberhard Feik sehenswert - und vor allem wegen seines umwerfenden Abgangs.

Am Ende schneiden die Pawlaks aber leider nicht so gut ab - die Handlung ist im Ganzen zu dürftig und oberflächlich und das Ende ist keines. War offensichtlich für mehr Folgen oder Staffeln geplant - Vieles bleibt in der Luft hängen. Von Vorteil sind aber viele Details im Zeitkolorit (z.B. das Volksfest) und der enthaltene Humor und manche auffallende Auftritte.
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pm.diebelshausen

17 April 2012, 01:18:02 #15 Letzte Bearbeitung: 17 April 2012, 01:20:12 von pm.diebelshausen
Ich reiche nach:

Ringstraßenpalais über die neureiche Unternehmerfamilie Baumann und ihre Liaison mit derer von Artenberg in Wien. Die Serie beschreibt Aufstieg und Fall des Wiener Bürgertums inmitten der großen politischen Ereignisse zwischen 1867 und den 80er Jahren des 20. Jahrunderts. Das Ganze hat deutliche Schwächen, vor allem auch in Maske und Schauspiel, und manches ist seicht, aber der erzählerische Bogen ist so weit gespannt, dass in der Gesamtschau doch ein sehenswertes und kontinuierliches Bild entsteht.

Die Chronik der Familie Nägele ist ein Klassiker mit dem unschlagbaren Schwaben-Duo Willy Reichert/Oscar Heiler. Irgendwo auf der Grenze zwischen Volkstheater, Regionalhumoreske, Firmengeschichte und Bild des Zeitenwandels von 1900 bis 1965. Da mogelt sich ein Cleverle durch die deutsche Geschichte und natürlich steht der Witz im Vordergrund und die allzu heikel-düsteren Themen dieser Zeit werden nur in Nebensätzen und verdeckten Spitzen angekratzt. Dennoch werden viele Aspekte lebendig und Spontaneität und Timing im Spiel können hier Spaß machen. Sehr sympathisch. Und eine Erinnerung daran, wie deutsches Fernsehen mal war.

Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

pm.diebelshausen

8 Mai 2012, 21:45:27 #16 Letzte Bearbeitung: 8 Mai 2012, 21:51:30 von pm.diebelshausen
Die DDR-Produktion Die gläserne Fackel verbindet in sieben Teilen die Geschichte der Zeiss-Werke in Jena mit der fiktiven Geschichte der Familie Steinhüter - und das Ganze zwischen ca. 1866 und 1986. Manches daran ist schwach, anderes wiederum sehr sehenswert, z.B. die Ausstattung hinsichtlich des techischen Wandels der Werke oder das Schauspiel Jürgen Reuters als Ernst Abbe und Walfriede Schmitts als Karoline Steinhüter. Die Identifikation der Arbeiter mit dem Betrieb war hier ähnlich außergewöhnlich wie z.B. bei Krupp in Essen. Der Mehrteiler folgt also der Unternehmensgeschichte, der Familiengeschichte und den Zeitenwenden zugleich. Dabei wird die nach und nach stattfindende Verwässerung des nach Abbes Tod geschaffenen Stiftungsgedankens durch den sich durchsetzenden Kapitalismus betont, allerdings gerät die Geschichte nach Kriegsende und der Neuaufstellung des Unternehmens als VEB arg unkritisch. Da muss man die Serie aus ihrer Entstehungszeit heraus verstehen, was eine zusätzliche, spannende Dimension eröffnet: die Produktion entstand 1989 und wurde im Oktober und November dieses Jahres ausgestrahlt - eine Zeit, in der viele DDR-Bürger sich eher auf der Straße als vor dem Fernseher einfanden.

Und dann noch Klemperer - Ein Leben in Deutschland. Da ist zwar vom minutiösen und damit beeindruckenden Sprach- und Gesellschaftschronisten Klemperer, wie man ihn aus seinen Tagebüchern kennt, nicht allzu viel übrig geblieben, aber der 12-Teiler ist durchaus sehenswert. Allein schon wegen Matthias Habichs Darstellung, mit der er eine nuanciert ausdifferenzierte Figur entwirft, in der doch der baffe Beobachter in seiner Schrulligkeit, seinem Missmut, seinem Witz, seinem Staunen und seiner Kindlichkeit stets sichtbar bleibt. Er hat mich wirklich beeindruckt. Dieses Bild der Zeit zwischen 1933 und 1945 wirkt durch seine, aber auch die anderen Schauspielleistungen sehr natürlich und nichtmal an den wenigen Stellen überzogen, wo das eigentlich der Fall ist. Für meine Begriffe eine starke Serie, die man nicht an der zugrundeliegenden Literatur messen sollte, zumal die Serie keinen Hehl daraus macht, reichlich dazugedichtet zu haben.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

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