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Wieviel "Wissen" ist Filmgenuß?

Begonnen von Intergalactic Ape-Man, 10 Februar 2010, 18:38:08

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Intergalactic Ape-Man

10 Februar 2010, 18:38:08 Letzte Bearbeitung: 11 Februar 2010, 15:43:48 von Intergalactic Ape-Man
Wir alle waren mal kleine Stöpsel und irgendwann hatten wir alle wohl ein Schlüsselerlebnis, welche uns das Medium Film nahe brachte. Aber unser Horizont war auch klein und so übten wohl schon naive Filme eine Magie aus, wie es heute kaum noch möglich wäre. Wir leben in einer sehr wissenschaftlichen Welt. Es ist ein leichtes, die Zaubertricks der Leinwand zu entschlüsseln. Man kann nun versuchen sich fallen zu lassen, oder man kann die Rezeption und Filmwahl anpassen.

Schon öfter fielen in Diskussionen beiläufig Schlagworte wie historischer Bezug oder Querverweise zu anderen Kunstformen. Künstler nutzen verschiedenste Inspirationen, von Psychologie über Oper bis zur Architektur. Das kann unwesentlich verarbeitet werden, jedoch auch etwas über den Künstler aussagen und der Künstler kann schließlich mit seinem Werk auch etwas aussagen wollen. Zur Kommunikation aber bedarf es eines gemeinsamen Zeichenvorrats. Der Zuschauer muß schließlich auch die Sprache des Künstlers wahrnehmen und verstehen können.

Ich interessiere mich für eure Meinung:
- Wieviel Grundwissen benötigt eigentlich der Filmgenuß?
   (Wie definiert ihr euren Filmgenuß?)
- Welcher Kenntnisstand ist erstrebsam?
- Wie intensiv erarbeitet ihr dieses Ziel selbst und welche Quellen dienen euch dabei?
   (Medien, Veranstaltungen, Museen etc.)
- Inwiefern beeinflußt dies eure Filmauswahl?

Umgekehrte Sichtweise:
- Wieviel "Wissen" und "Anspruch" von Seiten des Filmschaffenden wertet ihr als positiv?

Ich hoffe auf eine fruchtbare Diskussion mit unterschiedlichen Standpunkten, die vielleicht unser aller Horizont erweitert.

Edit: Fragen durch Punkte ergänzt, die sich aus der bisherigen Diskussion ergaben.

Eric

10 Februar 2010, 18:47:25 #1 Letzte Bearbeitung: 10 Februar 2010, 18:51:16 von Eric
Ich interessiere mich für eure Meinung:
- Wieviel Grundwissen benötigt eigentlich der Filmgenuß?
Filmgenuß benötigt KEINERLEI Grundwissen, da es meiner Meinung nach vollkommen wurst ist wie der Regisseur oder Drehbuchautor heißt oder welche Querverweise es in einem Film gibt. Hauptsache der Film (oder das Genre) macht einem selber Spass.


- Welcher Kenntnisstand ist erstrebsam?
Gar keiner. Der "normale" Kenntnissstand kommt irgendwie automatisch je mehr Filme man konsumiert. Irgendwann weiß man dann welcher Schauspieler noch wo mitgespielt hat oder welche Filme noch in der Vita des Regisseurs stehen, bzw. was genau er mit einer bestimmten Szenenkomposition ausdrücken möchte.
Wer versucht sein Film-Wissen ausschließlich über Bücher zu erarbeiten verliert irgendwann den Kontakt zum eigentlich Sinn des Films --> man soll unterhalten werden.


- Wie intensiv erarbeitet ihr dieses Ziel selbst und welche Quellen dienen euch dabei?
Machen meiner Meinung nach nur Nerds. Ich habe da die ziemlich einfache Einstellung dass mir ein Film entweder gefällt oder eben nicht...
Natürlich gibt es auch Filmfans die gerne einiges über ihr Lieblingsgenre wissen möchten. Das ist bei weitem nicht falsch. Aber es kommt da meiner Meinung nach auf eine gewisse Grenze an. Man kann sich auch "überlesen".

- Inwiefern beeinflußt dies eure Filmauswahl?
Gar nicht. Ein Hollywood-Popcorn-Actionfilm ala TRANSFORMERS oder T4 kann mich genauso begeistern wie z. B. DER PIANIST oder DEAR WENDY.
Die Mischung machts. Wie im richtigen Leben halt auch.


Ich denke, wenn ich mir einen Film erst "erarbeiten" müsste um ihn zu verstehen geht das am eigentlichen Thema FILM irgendwie vorbei.
Ich denke viele hier sehen das anders aber mich persönlich muss ein Film einfach unterhalten. Auf welcher Ebene er das macht spielt dabei keine Rolle.


MFG


ERIC
Liebe Ursula,
wünsch dir frohe Ostern, nen tollen Namenstag und nen guten Rutsch ins Jahr 1978!
Grüsse aus der Alzheimergruppe, deine Tante Günther!

Ich hasse Menschen, Tiere + Pflanzen. Steine sind ok.

ratz


Will mal nur zu Fragen 1 und 2 was Kurzes sagen.

Ich erkläre die Theorie immer so:
Jede Kunstform kann man ganz oberflächlich betreiben und/oder genießen, oder man verleiht ihr einen beliebig hohen Abstraktions- und Komplexionsgrad. Mit steigendem Komplexionsgrad des Kunstwerks steigt auch die Arbeit, die der Betrachter seinerseits investieren muß, um diesen zu erfassen. Und manche sagen, je mehr Arbeit sie hineinstecken müssen, um so höher ist dann der Genuß bei erfolgreicher Durchdringung (nicht: Entschlüsselung) des
Kunstwerks.

Praktisch für den Film:
Da gibt es nun also
1. Werke für den schnellen, direkten Genuß, ohne große Komplexität, mit maximaler Erregungserzeugung und Sensationsbefriedigung,
2. Filme, die beides miteinander verbinden, also sowohl schnell konsumierbar sind als auch für eine gründlichere Betrachtung lohnenswert sind, und
3. Filme, die den schnellen Genuß beim ersten Ansehen für ganz unwichtig oder sogar schlecht erachten und so komplex sind, daß man erst Arbeit investieren muß, um sie zu "verstehen".

Eric z.B. ist nun einfach ein gottloser und säuischer Epikureer, der klar formuliert, daß ihm die 1. und mit Einschränkungen die 2. Sorte die liebste ist, weil er keine Arbeit investieren will. Das ist sein gutes Recht. Ich selbst möchte keine der drei Sorten missen.

cu, r.


pm.diebelshausen

Meine Meinung: Filmgenuss kann immer stattfinden. Egal auf welchem Bildungsniveau, egal wieviel Vor- oder Kontextwissen. Prinzipiell reichen Augen (am Besten auch Ohren, aber es gibt ja auch Untertitel für Hörgeschädigte) und ein Film.

Alles Weitere ist beinahe soetwas wie Luxus. Kann möglicherweise mehr bereichern, als das "nackte" (werkimmanente) Ansehen, kann aber auch im Weg stehen. Da gibt es keine Patentlösung, Bildung schützt vor Torheit nicht, Naivität ebensowenig. Anders garantiert Naivität aber auch keine Torheit, Bildung ebensowenig. Kurz und mit Paul Feyerabend (in anderen Zusammenhang gebracht) gesagt: Anything Goes.

Filmgenuss wird weniger durch Grundwissen gehoben, als durch Offenheit, Wohlwollen und Neugier dem Film gegenüber.

Erstrebsam finde ich grundsätzlich keinen Kenntnisstand. Viel wichtiger und erstrebsamer sind soziale Kompetenzen, die helfen auch beim Filmsehen.

Andererseits bin ich seit Jahrzehnten dabei, mich weiter zu bilden, vergesse gleichzeitig aber auch wieder, deshalb nicht unbedingt ein Fortschritt - mehr eine Verlagerung. Ich liebe Dilletantismus als Gegenpol zu unserer durchprofessionalisierten Welt (mit diesem Begriff meine ich wahrscheinlich in etwa das selbe, was Ape mit "Wissenschaftliche Welt" bezeichnet). Das heißt nicht, dass ich ein Trash-Fan bin, bedeutet aber, dass ich auf vielen Gebieten, die mich interessieren, nicht zu tief ins "Professionelle" gehen will, sondern versuche, mir eine natürliche Naivität zu erhalten. Kinder staunen bedingungslos - das will ich immernoch. Kinder sind sehr fokussiert (zeitweise) und bauen Erlebtes (auch Filme) in ihre magische Phantasiewelt ein. Einen ähnlichen Zustand wieder zu erreichen halte ich für erstrebenswerter als hochgebildete Intellekt-Urteile. Dem widersprechen manche Dinge, die ich tue oder z.B. auch schreibe - aber ich habe kein Problem damit, mich als widersprüchlich zu aktzeptieren - auch das ein Gegensatz zur Welt der Wissenschaft und Professionalität (zumindest auf den ersten Blick - die moderne Physik beispielsweise hat ja bereits gelernt, mit Widersprüchlichkeiten zu leben).

Wie Ratz die Filme kathegorisiert, kann ich nicht teilen, denn es geht für mich viel mehr darum, worauf man sich wie einlässt. Da kann ein für andere eindeutig hingeworfener Film für den kurzen Genuss machhaltige Wirkung haben. Man muss einen Komplexitätsgrad nicht erfassen, kann am selben Film dennoch seinen Spaß haben. Die Frage ist stets eher, wieviel man investieren will. Ähnlich wie bei Menschen: keiner ist langweilig, wenn man genau hinschaut. Und damit wäre der Kreis zu den sozialen Kompetenzen geschlossen.

Interessantes Thema.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Intergalactic Ape-Man

Zitat von: Eric am 10 Februar 2010, 18:47:25
Wer versucht sein Film-Wissen ausschließlich über Bücher zu erarbeiten verliert irgendwann den Kontakt zum eigentlich Sinn des Films --> man soll unterhalten werden.

Und was ist z.B. mit Museen oder anderen Kulturveranstaltungen, Cons, Dokumentationen?

Moonshade


- Wieviel Grundwissen benötigt eigentlich der Filmgenuß?

Da müßte man "Filmgenuss" überhaupt erst mal definieren.
Für mich funktioniert "Genuss" an allererster Stelle immer dann, wenn ich nicht die Zaubertricks der Macher analysieren kann bzw. noch besser, wenn ich es gar nicht will. Dazu muß mich der Film an sich, die Geschichte, die Bilder, die Machart verzaubern, dann ist der ganze Analysekram gottseidank vergessen. Das funktioniert mit den Jahren natürlich immer schlechter, aber ich bin immer am zufriedensten, wenn sich das Gefühl mal wieder einstellt.
Intuitives Erleben eines Films ist imo sowieso das Bessere, jedoch gibt es auch bei mir Momente, wo ich ganz dankbar bin, daß ich mir gewisses Vorwissen angeeignet habe.

- Welcher Kenntnisstand ist erstrebsam?

Zu viel Wissen ist meiner Ansicht nach schädlich, das demontiert einen Film zu dem, was es von außen ist, ein künstliches Konstrukt, seiner Magie beraubt. Ich meide nach Möglichkeit jede Art von Making of im Vorfeld, da sonst ein Teil meines Gehirns mit der Aufschlüsselung der technischen Komponente beschäftigt ist.
Andersherum bin ich für Themen, Motive, Gedankenspiele und psychologischen Unterbau gern zu haben und puzzle daran gern zu jeder Zeit herum - insofern ist der Filmemacher an sich schon von Interesse, was aber auch sehr häufig künstliche Erwartungshaltungen schürt, die die Filme dann manchmal nicht durchhalten können (Bsp: "Fight Club" hob die Erwartungen an Fincher ins Unermeßliche, dagegen wirkte "Panic Room" so banal, daß ich "Zodiac" mied - und ihn jetzt nachträglich mit Freude wiederentdecke)

- Wie intensiv erarbeitet ihr dieses Ziel selbst und welche Quellen dienen euch dabei?

Das hängt vom jeweiligen Interesse ab für das Thema, die Künstler, die Schauspieler.
Teilweise recherchiere ich kleinere Sachen im Vorfeld, meistens arbeite ich aber nach, allerdings nie so tiefgründig detailliert, das es wie seziert wirkt. Grundzüge und Motive interessieren mich schon, die führen mich meistens zu den Motivationen und der Psychologie der Macher, aber letztendlich muß für mich der Film für sich stehen, als "Geschichte" begeistern. Filme sind für mich überwiegend Geschichten und Bilder, die Emotionen provozieren und projezieren, die Menschen dahinter bleiben dann doch eher sekundär, da sie meistens sowieso nicht so sind oder denken, wie man sich das nach der eigenen Rezeption und Denkweise vorstellt.

- Inwiefern beeinflußt dies eure Filmauswahl?

Individuelle Stile beeinflußen die Filmwahl, aber an erster Stelle steht das Thema.
Das Gesamtwerk eines Künstlers zu begutachten (z.b. Hitchcock) reizt mich schon sehr, aber selbst da tue ich mich schwer mit Beiträgen, die mich thematisch nicht sonderlich ansprechen, da kann helfen auch visuelle Schnäppchen oder filmgeschichtliche Innovationen wenig. Die konsumiere ich dann möglicherweise der Vollständigkeit halber, zur Kenntnis, zur Mitsprache, aber sie beflügeln nicht meine Auswahlentscheidung.

"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

Eric

Zitat von: Intergalactic Ape-Man am 11 Februar 2010, 10:00:33
Zitat von: Eric am 10 Februar 2010, 18:47:25
Wer versucht sein Film-Wissen ausschließlich über Bücher zu erarbeiten verliert irgendwann den Kontakt zum eigentlich Sinn des Films --> man soll unterhalten werden.

Und was ist z.B. mit Museen oder anderen Kulturveranstaltungen, Cons, Dokumentationen?

Ich versuche es mal etwas anders auszudrücken:
Ich kenne einige User hier, die ihr (Film)wissen nahezu nur aus Bücher haben. Sie kennen zum Teil den kompletten Cast von Filmen oder wissen ALLES über einen bestimmten Regisseur oder Schauspieler, obwohl sie nur jeweils einen Bruchteil seiner Filme gesehen haben. Trotzdem wissen sie auch über die nicht gesehenen Filme alles mögliche.

Meiner Meinung nach ist das der falsche Weg. Dadurch hat man zwar ein wirklich umfassendes Wissen über das jeweilige Thema, aber Liebe oder Leidenschaft zum Film bleibt da oft auf der Strecke.

Die von dir angesprochenen Sachen wie Museen, Cons, ..., sollte man Teilen.
Auf der einen Seite stehen die Cons (von mir aus auch Filmbörsen), die man einfach als Fan (wohl eher als Freak  ;)) besucht um Gleichgesinnte zu treffen, sich auszutauschen und, ..., einfach Spass zu haben.
Auf der anderen Seite die Museen, Kulturveranstaltungen, ..., die sind gut um (nicht unbedingt filmbezogenes) Wissen zu sammeln. Oftmals werden in Filmen geschichtliche und kultirelle Ereignisse erwähnt. Wenn man sich dafür interessiert, ..., NATÜRLICH! Ab ins Museeum oder spezielle Fachliteratur kaufen!
Gibt doch nichts Schöneres als wenn man durch einen "Hollywood-Schinken" ala zum Beispiel ALEXANDER oder TROJA oder auch 300 mehr über das jeweilige Thema erfahren möchte. (War bei mir auch so)

Aber man sollte es machen weil es einen selber interessiert und nciht weil man "vor anderen angeben möchte".
Liebe Ursula,
wünsch dir frohe Ostern, nen tollen Namenstag und nen guten Rutsch ins Jahr 1978!
Grüsse aus der Alzheimergruppe, deine Tante Günther!

Ich hasse Menschen, Tiere + Pflanzen. Steine sind ok.

Intergalactic Ape-Man

Zitat von: Eric am 11 Februar 2010, 11:18:00
Aber man sollte es machen weil es einen selber interessiert und nciht weil man "vor anderen angeben möchte".

Das beißt sich ja auch nicht mit der von dir angesprochenen Ausgewogenheit. Im Gegenteil kann es ja auch Spaß machen, seinen Kulturhorizont um das zentrale Thema Film herum zu erweitern oder von parallelen Interessen zu profitieren. Dergestalt galt meine Frage eben auch, inwiefern ein so breites Verständnis von Vorteil sein kann oder gar muß. Ich denke da z.B. an Dario Argento, der gern in Interviews davon schwärmt, wie ihn psychologische Phänomene oder eben Malerei, Oper und Architektur zu seinem Schaffen beeinflußten und frage mich ernsthaft, wieviel letztlich davon beim Zuschauer noch ankommt. Auch dies beeinträchtigt ja die von Moonshade angerissene Definition eines Filmgenusses. Gerade Argento eignet sich da als tolles Beispiel, weil er oftmals hauptsächlich als Schöpfer blutrünstiger Werke wahrgenommen wird. Man könnte in diesem Fall gar auf die Frage kommen, ob der Macher mit seinen hochtrabenden Ansprüchen nicht sogar an seinem Publikum vorbei drehen könnte. Also schon fast die Zusatzfrage: Wieviel muß ein Filmschaffender wissen?  :icon_lol:

Moonshade

Im Falle von Argento bin ich mir gar nicht sicher, ob der je wirklich den künstlerischen Anspruch zu verwirklichen versuchte, den seine Fans und Kritiker gern in ihn hineininterpretieren wollen.
Das soll nicht heißen, er wäre ein Dillettant mit einem guten Auge für Kunst und die Monstrosität dahinter, aber wenn ich mir die Bestandteile aus visueller Hochwertigkeit, detaillierten Mordszenen und geradezu vogelwilden Plotfolgen so ansehe (und ich liebe seine Filme bis Phenomena), dann glaube ich, daß er in den Filmen sowieso eher seine (sexuellen) Obsessionen ausgelebt hat, ebenso wie Hitchcock, der auch zunehmend die künstlerische Integrität scheinbar geopfert hat (in seinen Spätwerken), zugunsten einer alterbedingten sexuellen Fixierung (besonder bzgl. Vergewaltigungen/Dominanzverhalten). Inzwischen kann er nicht mehr aufhören, obwohl der Reiz mehr als offensichtlich für ihn nachgelassen hat, aber die Obsession dominiert inzwischen längst das visuelle Talent.

Die Schaffenskraft läßt eben bei jedem im Alter nach oder verschiedene Lebensphasen bedingen verschiedene Interessen (Allen wandte sich ja auch von der Komödie der Introspektive zu) und so den kreativen Output. Das ist ein natürlicher Prozess, der gern zuungunsten der Regisseure ausgelegt wird.

Und natürlich gilt auch für die Filmschaffenden: wenn ich nur genug über mich lese, steigt die Gefahr, das ich es irgendwann am Ende selbst glaube und versuche, diesen indirekten Ansprüchen genügen.
Damit geht die Freiheit und Leichtigkeit ziemlich schnell flöten, der Druck steigt, insofern sollte ein Filmemacher vielleicht nicht zuviel von seinem Publikum wissen, damit sich der kreative Kurs unbeeinflußt (vom Publikum) entwickeln kann  (Laurel und Hardy erfuhren ihre weltweite Popularität erst, als ihre Filmkarriere vorbei war), wobei fraglich ist, ob so etwas in einer Zeit der Einspieldominanz so etwas wirklich noch aufblühen kann.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

pm.diebelshausen

11 Februar 2010, 13:05:07 #9 Letzte Bearbeitung: 14 Februar 2010, 20:25:20 von pm.diebelshausen
Ungewöhnliche, aber spannende Frage, die Moonshade da implizit aufwirft und die zwar die Fragestellung des Threads umkehrt, dennoch dazu gehört: wieviel Wissen um die eigenen Filme tut den Regisseuren gut?

Damit hängt nicht nur das Ego-Problem zusammen (das Hitchcock zweifellos hatte - er war im Alter auch ausreichend Fortschrittsresistent, was seine späten Filme schwächer macht. Seine markenbildende Selbstdarstellung zeugt von einem Riesenego, das nicht immer hilfreich ist), sondern auch die Frage danach, wie bewusst ein Filmemacher die Dinge in einen Film einfließen lässt und einbaut, die von Rezipienten dann wieder entdeckt werden. Im Falle Argento scheint das ja sehr ausgeprägt zu sein. Ebenso gibt es natürlich Filme, die sich für ihre Bilder an Vorlagen orientieren (recht oberflächliche Beispiele wären "Hinter dem Horizont" oder "Anwalt des Teufels", man kann aber auch fragen, was Wim Wenders mit Edward Hopper zu tun hat, oder natürlich wie das Verhältnis von expressionischtischm Film mit expressionistischer Literatur und Malerei beschafen ist).

Nun glaube ich nicht, dass derlei Wissen bei einem guten Film nötig ist für Genuss. Das kann Spass machen, derlei Dinge zu erkennen und einordnen zu können, mag auch hilfreich für das Verständnis sein. Aber ich wage die These, dass die wirklich "großen" Filme auf ausreichend unterschiedlichen Ebenen funtionieren, so dass mehr Leute als nur ein paar Spezies ("sein Publikum") etwas darin "finden" (nicht "suchen ist gemeint", sondern "erleben"), was ihnen Spass macht, Genuss bereitet, sie packt, unterhält, anregt, was auch immer. Letztlich würde ich es eher auf eine Frage des Zugangs reduzieren: mal abgesehen vom Bauchgefühl geht es darum, wie man einen Zugang zu einem Kunstwerk (egal ob Literatur, Malerei, Architektur, Film usw.) bekommt (so man denn überhaupt will).

Ich stehe vor einem Gemälde und habe zunächst mal ein Gefühl dazu. Passt mir oder passt mir nicht. Je mehr ich an Zusammenhängen schaffen kann (was weiß ich über Pinselführung, über Epochen, über Farbpsychologie, über die Biogaphie des Maler usw. usw.), desto mehr Kanäle stehen mir offen, um einen Zugang zu finden und vielleicht auch an dem Bild interessiert zu werden. So verhält es sich in jedem Bereich, auch dem Film. Aber nötig ist das meines Erachtens nicht. Und dass man sich manche Kanäle bereits geöffnet hat, kann auch andere Kanäle völlig verhindern. Wie beim Wein: da können mir zehnmal irgendwelche Fachleute, die mehr Schmatzen als Trinken, sagen und argumenieren, dass dies und jenes ein ganz phantastischer Wein sei - wenn er mir nicht schmeckt, schmeckt er mir nicht.

Übrigens vermeide ich Trailer, Diskussionen in Threads und ähnliches auch weitestgehend im Vorfeld eines Films, den ich womöglich sehen will. Gutes Beispiel dafür und für diesen Thread überhaupt ist "Der Herr der Ringe". Ich wusste, ich muss das sehen, weil ich Tolkiens Welt schon lange liebe (begann damit, dass als ich klein war mein Vater mir die Karten zeigte und sagte, dort seien die Zwerge...). Und ich wollte warten, bis die Sache passt und habe mir überhaupt nichts angesehen, bevor ich die Filme sah. Mit dieser Trilogie verhält es sich ähnlich wie mit "Der Name der Rose" im Literaturbereich: er hält auf verschiedenen Ebenen genug bereit, um unterschiedliche Leute auf unterschiedliche Art zu packen. Diejenigen, die umfangreiche bildung haben, können das dann auch explizieren, aber nötig für einen Filmgenuss ist das nicht.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Kill Mum!

Zitat von: Eric am 10 Februar 2010, 18:47:25
eigentlich Sinn des Films --> man soll unterhalten werden.


Ich weiß nicht, ob das im Film uneingeschränkt anwendbar ist, aber wenn ich mich hinsetze und in welcher Form auch immer meine Gedanken und Gefühle ausdrücke, dann mache ich das nicht zur Unterhaltung anderer. Eher aus einem inneren Drang/Zwang heraus oder um mir dies selbst zu "visualisieren" und vorzuführen. Ich leere meinen Kopf aus und bringe es in eine Form, die für mich Sinn ergibt. Oder die mich ästhetisch anspricht, etc.
"I wish my life was a non-stop hollywood movie show,
A fantasy world of celluloid villains and heroes,
Because celluloid heroes never feel any pain
And celluloid heroes never really die." (The Kinks - Celluloid Heroes)

Intergalactic Ape-Man

Zitat von: Moonshade am 11 Februar 2010, 12:00:00
Im Falle von Argento bin ich mir gar nicht sicher, ob der je wirklich den künstlerischen Anspruch zu verwirklichen versuchte, den seine Fans und Kritiker gern in ihn hineininterpretieren wollen.
Das soll nicht heißen, er wäre ein Dillettant mit einem guten Auge für Kunst und die Monstrosität dahinter, aber wenn ich mir die Bestandteile aus visueller Hochwertigkeit, detaillierten Mordszenen und geradezu vogelwilden Plotfolgen so ansehe (und ich liebe seine Filme bis Phenomena), dann glaube ich, daß er in den Filmen sowieso eher seine (sexuellen) Obsessionen ausgelebt hat, ebenso wie Hitchcock, der auch zunehmend die künstlerische Integrität scheinbar geopfert hat (in seinen Spätwerken), zugunsten einer alterbedingten sexuellen Fixierung (besonder bzgl. Vergewaltigungen/Dominanzverhalten). Inzwischen kann er nicht mehr aufhören, obwohl der Reiz mehr als offensichtlich für ihn nachgelassen hat, aber die Obsession dominiert inzwischen längst das visuelle Talent.

Ich halte es durchaus für möglich, daß Argento später als Reaktion auf die Rezeption seines Schaffens anders agiert hat, als zu Beginn. Meinst du aber, daß dies bereits in der Phase zwischen Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe und Profondo Rosso der Fall gewesen ist? Auch hier finden sich explizite Kunstbezüge. Hedning oder Father McKenzie können dies bestimmt sicherer ausführen, aber ich meine, daß Argento zudem seine Gestaltung auf die Nähe zum Film durch seinen Vater, dem Produzenten Salvatore Argento zurückführt. Bevor er seine Karriere als Regisseur begann arbeitete er außerdem als Kritiker, was ihm tatsächlich ein Kunstinteresse glaubhaft erscheinen läßt. Er gibt an, seine Kindheit, wenn nicht an Filmsets, dann bei Photoshoots mit seiner Mutter Elda Luxardo verbracht zu haben. Daher wisse er auch, wie er Frauen abzubilden habe. Diese sexuelle Obsession könnte ihm tatsächlich also in die Wiege gelegt worden sein.

Zitat von: Moonshade am 11 Februar 2010, 12:00:00
Und natürlich gilt auch für die Filmschaffenden: wenn ich nur genug über mich lese, steigt die Gefahr, das ich es irgendwann am Ende selbst glaube und versuche, diesen indirekten Ansprüchen genügen.
Damit geht die Freiheit und Leichtigkeit ziemlich schnell flöten, der Druck steigt, insofern sollte ein Filmemacher vielleicht nicht zuviel von seinem Publikum wissen, damit sich der kreative Kurs unbeeinflußt (vom Publikum) entwickeln kann  (Laurel und Hardy erfuhren ihre weltweite Popularität erst, als ihre Filmkarriere vorbei war), wobei fraglich ist, ob so etwas in einer Zeit der Einspieldominanz so etwas wirklich noch aufblühen kann.

Wobei man an dieser Stelle wohl davon ausgehen darf, daß Hitchcock mit seiner Popularität mehr als gespielt hat und zu Selbstironie in der Lage war. Wo ich bei Argento noch an übermütige Selbstreflexion glauben mag, war es doch gerade Hitchcock, der immer offen zugegeben hat, wie sehr er auf das Publikum wirken möchte. Er hat sich selber zur Marke gemacht und mußte sein Publikum sehr genau kennen, wenn er wissen wollte, wie er dort sein Produkt den Erwartungen entsprechend verkaufen wollte und wenn diese Erwartung auch gerade das Unerwartete war. Hitchcock hat so über Jahre fast ausschließlich Kracher produziert. Hätte er so gut sein können, dies ungebremst und immer zum Gefallen des nun Generationen umfassenden Publikums bis zu seinem letzten Projekt fortzusetzen?

Zitat von: Kill Mum! am 12 Februar 2010, 02:09:13
Zitat von: Eric am 10 Februar 2010, 18:47:25
eigentlich Sinn des Films --> man soll unterhalten werden.


Ich weiß nicht, ob das im Film uneingeschränkt anwendbar ist, aber wenn ich mich hinsetze und in welcher Form auch immer meine Gedanken und Gefühle ausdrücke, dann mache ich das nicht zur Unterhaltung anderer. Eher aus einem inneren Drang/Zwang heraus oder um mir dies selbst zu "visualisieren" und vorzuführen. Ich leere meinen Kopf aus und bringe es in eine Form, die für mich Sinn ergibt. Oder die mich ästhetisch anspricht, etc.

Da sprichst du einen Punkt an, an dem sich die Geister scheiden können. Irgendwann ganz am Anfang, da war Filmen einfach nur bewegte Photographie. Der Zweck wurde dokumentarisch ausgelegt und so sah man auf der Leinwand so etwas wie die berühmten Arbeiter, die eine Fabrik verlassen. Aufgrund der Neuheit bewegter Bilder war dies sicher ein unterhaltendes Spektakel. Aber nur einen Hauch später fanden erste narrative Wesenszüge ihren Weg. In diesem Stadium diente es wohl explizit der Unterhaltung. Das propagandistische Potential mal außen vor lassend, gab es tatsächlich mindestens ab den 20er Jahren avantgardistische (Kurz-)Filme, über deren Unterhaltungswert man diskutieren kann. Ein gutes Beispiel wäre z.B. Symphonie Diagonale von Viking Eggeling. Sein vollkommen abstrakter Trickfilm aus simplen Formen fordert das Kunstverständnis enorm heraus. Was aber ist das Ziel eines solchen Films über das Experimentelle hinaus? Soll sich hieraus wirklich kein "Filmgenuß" ergeben? Und läßt sich dieser von "Unterhaltung" trennen? Handelt es sich hier nicht vielmehr um die offenen oder geschlossenen Kanäle, welche pm.diebelshausen anspricht?

Bretzelburger

Zuallererst halte ich es mit Eric - ich möchte mich von Filmen unterhalten lassen. Das mich auch abstrakte, langsame und pessimistische Filme unterhalten, mag mancher krank finden, aber ich kann dabei genauso Vergnügen empfinden, wie bei einem Trash-Film.

Wissen ist für mich eine vielschichtige Angelegenheit. Irgendwelche Daten auflisten, andere Filme des Darstellers oder Regisseur nennen zu können, halte ich für nebensächlich, zumindest hinsichtlich des Filmvergnügens. Analysieren macht mir dagegen Spaß - nur basiert eine Analyse weniger auf Fachwissen, sondern sollte im besten Fall eigene Erfahrungen mit einschliessen - und zwar aus jedem Bereich des Lebens. Dinge wie Schnitt, Tricks usw. interessieren mich prinzipiell nicht, weshalb ich mir auch nur äußerst selten Bonus - Material ansehe. Ich möchte über die technische Entstehungsgeschichte eines Films im Grunde nichts wissen, denn ein Film, der mir gefällt, verliert nicht dadurch, dass mir ein Profi irgendwelche technischen Fehler nachweist, genauso wie ein schlechter Film durch technische Perfektion keine Pluspunkte gewinnt. Mehr interessiert mich die Intention der Macher.

Deshalb lese ich gerne etwas über das Leben von Drehbuchautoren und/oder Regisseuren, wie sie aufgewachsen sind oder mit welchen Menschen sie zusammengearbeitet haben. Allerdings gibt es dazu in der Regel nur sehr wenig Material. In der Regel mache ich das aber erst nach dem Sehen eines Films, manchmal ist es aber nicht schlecht, vorher etwas in dieser Richtung zu lesen, einfach um den Film zu verstehen. Beispielhaft steht für mich da der neue Film der Coen-Brüder "A serious man". Ich habe ihn gesehen, ohne mich vorher darüber zu informieren - und er hat mir sehr gut gefallen. Aber manches habe ich nicht wirklich verstanden. Warum der Film in den 60ern spielt oder was die Vorgeschichte soll - wenn man den Film das erste Mal sieht, denkt man, dass sie einen konkreten Zusammenhang mit der sonstigen Geschichte hat, was aber nicht der Fall ist. Erst durch ein Interview mit den Coens, dass ich danach gelesen habe, wurde mir das klar. Für mich gehört auch zum Vergnügen eines Films, sich danach Gedanken darüber zu machen. Filme, die mir länger im Kopf bleiben und mich weiter beschäftigen, verlängern das Vergnügen - vielleicht aber auch deshalb, weil ich nun mal gerne Reviews schreibe.

Prinzipiell sehe ich Filme am liebsten ohne Vorwissen an, weshalb ich auch gern in die Sneak gehe. Keine Erwartungshaltung und staunende Augen beim Sehen - das klappt zwar nur selten, aber glücklicherweise auch noch mit fast 50.

Moonshade

Zitat von: Intergalactic Ape-Man am 12 Februar 2010, 19:46:38
Ich halte es durchaus für möglich, daß Argento später als Reaktion auf die Rezeption seines Schaffens anders agiert hat, als zu Beginn. Meinst du aber, daß dies bereits in der Phase zwischen Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe und Profondo Rosso der Fall gewesen ist? Auch hier finden sich explizite Kunstbezüge. Hedning oder Father McKenzie können dies bestimmt sicherer ausführen, aber ich meine, daß Argento zudem seine Gestaltung auf die Nähe zum Film durch seinen Vater, dem Produzenten Salvatore Argento zurückführt. Bevor er seine Karriere als Regisseur begann arbeitete er außerdem als Kritiker, was ihm tatsächlich ein Kunstinteresse glaubhaft erscheinen läßt. Er gibt an, seine Kindheit, wenn nicht an Filmsets, dann bei Photoshoots mit seiner Mutter Elda Luxardo verbracht zu haben. Daher wisse er auch, wie er Frauen abzubilden habe. Diese sexuelle Obsession könnte ihm tatsächlich also in die Wiege gelegt worden sein.

Argento hat das Genre nicht erfunden, also kann ich natürlich als Laie darüber auch kein Urteil erlauben. Soweit man sieht, sind die teilweise fetischisierten Morde jedoch in seinem ganzen Werk präsent und seine eigene Rolle als "Mörderhände" hat sich imo im Verlaufe seiner Filme immer stärker herausgearbeitet, je präziser und visuell einfallsreicher seine Kunst, um so intensiver.
Ist auch eine Form von Kanalisierung von Energien, seien es jetzt kreative oder sexuelle, die Vorliebe oder auch den Sachverstand für Kunst/Architektur, der ist jedenfalls schon beim ersten Werk spürbar.
Möglicherweise liegt die Qualität seiner eher frühen Werke auch eben an der relativen Frische, mit der er zu Werk ging, wer sich immer wieder an ähnlichen (teilweise pseudopsychologischen) Sujets abarbeitet, wird irgendwann keine Höchstleistungen mehr vollbringen. Irgendwann sorgt allein die Abnutzung für das Fehlen an Energie, das für so relativ reizlose Werke wie "Card Player" symptomatisch ist. Im Alter wird dann meistens noch aufgearbeitet, was liegen geblieben ist (Third Mother), was aber eben dann außerhalb der passenden Schaffensperiode liegt und wenig zu den Vorgängern zu passen scheint. Anders als Hitchcock ist Argento nicht wirklich gröber geworden (eine zeitlang schon), dann wurde er zahnlos. Inzwischen scheint er nur die Erwartungshaltung des Publikums auf eben einen "Argento" zu befriedigen.

Zitat
Wobei man an dieser Stelle wohl davon ausgehen darf, daß Hitchcock mit seiner Popularität mehr als gespielt hat und zu Selbstironie in der Lage war. Wo ich bei Argento noch an übermütige Selbstreflexion glauben mag, war es doch gerade Hitchcock, der immer offen zugegeben hat, wie sehr er auf das Publikum wirken möchte. Er hat sich selber zur Marke gemacht und mußte sein Publikum sehr genau kennen, wenn er wissen wollte, wie er dort sein Produkt den Erwartungen entsprechend verkaufen wollte und wenn diese Erwartung auch gerade das Unerwartete war. Hitchcock hat so über Jahre fast ausschließlich Kracher produziert. Hätte er so gut sein können, dies ungebremst und immer zum Gefallen des nun Generationen umfassenden Publikums bis zu seinem letzten Projekt fortzusetzen?

Nein, H. hat sich wohl wenig vom Publikum beeinflußen lassen, dafür gab es schon damals allein viel zu wenig Nähe und Vernetztheit, um so viel von sich zu erfahren, allerdings war er sich seiner kreativen Nische sehr schnell bewußt, auf Suspense abgestempelt zu sein. Da gebe ich dir recht.
Daß Hitchcock jedoch "fast ausschließlich Kracher produziert" hat, zweifele ich hiermit aber an, das fällt nur meistens nicht so auf, weil gut 15-20 seiner 53 Filme als absolute Klassiker gelten. Dazwischen gab es immer wieder teils längere Leerstellen (Mr. and Mrs.Smith, Lifeboat waren keine großen Erfolge, "Spellbound" bekam Zoff von der Kritik, "Paradin" fiel durch, "Rope" war eine Kuriosität -wenig mehr, "Under Capricorn"/"Stagefright" waren Flops). Die Bewertung fällt natürlich aus heutiger Sicht anders aus.
Ich hatte H. auch mehr als Beispiel für das Nachlassen der Schaffenskraft bei gleichzeitiger Aufwertung des sexuellen Fixierung genannt, denn H. verwandelte sich ja schon im Laufe der 50er zum "dirty old man" (wenn auch sehr distinguiert), der nacheinander versuchte, seine Darstellerinnen zu formen und zu kontrollieren (erst Kelly, nach ihrer Hochzeit Miles, nach deren Schwangerschaft Kim Novak und Eva Marie Saint (die sich das verbat), bis er sich an Tippi Hedren abarbeitete. Daß die Obsessionen damit nur schlimmer wurden, merkt man dann an der Zwangsexszene in "Marnie", dem offenen sexuellen Mord in "Frenzy" und seinen Plänen für einen nicht realisierten Film, der eine recht extreme Vergewaltigung beinhalten sollte, was aber niemand gespielt hätte.
Nach "Die Vögel" erschuf H. zwar noch bekannte, aber wenig angesehene Werke, die in keinem Vergleich zur produktiven Phase von 1951-1963 stehen.
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"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

Bretzelburger

Zwar sind die sexuelle Obsessionen bei H. offensichtlich, aber die Veränderungen in Hinsicht sexueller Offenheit bis zu "Familiengrab" entsprachen auch dem damaligen Zeitgeist, mit dem H. genauso offensichtlich auch ironisch spielte. Damit sind wir wieder beim Thema "Wissen", allerdings sind mMn solche Zusammenhänge nicht für das Vergnügen am Film wichtig, sondern nur für eine Interpretation (die ja nicht zwangsweise notwendig ist).

Moonshade

Natürlich - letztendlich war das auch eigentlich nur ein Exkurs, der mit der Ausgangsfrage nur marginal zu tun hat.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

Intergalactic Ape-Man

Exkurs, ja, wenngleich nicht uninteressant und auch auf die Anwendung von Wissen bezogen. Ich will dir, Moonshade, in deiner Meinung auch nicht weiter widersprechen, wenngleich Bretzel natürlich einen trifftigen Aspekt hervorbringt. Es sei nur angemerkt, daß ich mit den jahrelang produzierten Krachern auch tatsächlich die Phase um die 50er meinte, die ja unmittelbar in die etwas kontrovers rezipierten letzten Filme mündete.

Ich möchte an dieser Stelle gern ein weiteres Beispiel an- und aus dem User des Tages-Thread entführen. Wie würdet ihr denn diese Stellungnahme anhand der hier diskutierten Kriterien bewerten?

pm.diebelshausen

13 Februar 2010, 13:34:39 #17 Letzte Bearbeitung: 13 Februar 2010, 13:36:17 von pm.diebelshausen
Als doof, weil unoffen. Das hat mit Wissen nichts zu tun. Schließlich hätte Shadow Warrior ja durch Ansicht des Filmes auch lernen können, dafür braucht es kein Vorwissen. Aber es zeugt von einer Verschlossenheit gegenüber Dingen, die die Grenzen von Sehgewohnheiten (die persönlich definiert sind) sprengen, in diesem Falle sieht er vor lauter Alter des Films, woraus für ihn "Lächerlichkeit" entsteht, andere Dinge überhaupt nicht. Wenn man den Rest seiner Reviews anschaut, scheint "Metropolis" auch eher eine Verirrung gewesen zu sein. Es fehlt offensichtlich Bereitschaft, sich auf so etwas einzulassen. Die dafür nötige Offenheit gehört für mich zu den sozialen Kompetenzen und spiegelt eine generelle Verschlossenheit der Person wider (das ist jetzt gewagt), oder lässt sich mit der Bretzel-Neugier/Überrschungsfreude beschreiben. Beides wichtiger und etwas ganz anderes als Wissen.

Kurz noch was zu Hitchcock: ...ach was, doch nicht.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Moonshade

Das Ding ist fast 8 Jahre alt - erinnert mich an einen bemühten Schüleraufsatz der Marke: ich interpretier das jetzt mal, obwohl ich von der Materie wenig Ahnung habe und mich der Film auch nicht interessiert hat, aber ich denke, dieses und jenes muß/soll ich schreiben.

Genossen hat er den Film auf jeden Fall nicht.

(Ich muß auch sagen, daß ich Schwierigkeiten habe, heute länger als eine Stunde einen Stummfilm zu gucken, gestern auch dann die Aufnahme im Hintergrund laufen lassen, aber die Aufmerksamkeit ließ nach. Zum Genuss gehört wohl inzwischen für mich auch Audio... :icon_mrgreen:
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

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Intergalactic Ape-Man

Zitat von: Moonshade am 13 Februar 2010, 15:42:18
(Ich muß auch sagen, daß ich Schwierigkeiten habe, heute länger als eine Stunde einen Stummfilm zu gucken, gestern auch dann die Aufnahme im Hintergrund laufen lassen, aber die Aufmerksamkeit ließ nach. Zum Genuss gehört wohl inzwischen für mich auch Audio... :icon_mrgreen:

Das gehört aber auch unbedingt zur noch recht offenen Definition von Filmgenuß. Interessant finde ich dabei außerdem die zwar unterschiedlichen Verhaltensweisen, aber damit verbunden eigentlich dem Konsens, daß man möglichst naiv von einem Film beeindruckt werden möchte. Geht mir auch so, gerade als Liebhaber von Stop-Motion, wobei mir diese fast immer mehr geben kann als Computertricks. Das führe ich theoretisch auf mein persönliches Realitätsempfinden im Film bzw. gegenüber Computergrafiken zurück. Wir alle sind wahrscheinlich aber auch einig darüber, daß sich die Filmmagie antiproportional zur Menge konsumierter Filme genießen läßt, oder? Ist also nun jeder insgeheim auf der Suche nach diesem alten "Kick" oder einem Ersatz?

shellat

14 Februar 2010, 00:11:40 #20 Letzte Bearbeitung: 14 Februar 2010, 00:13:32 von shellat
Zitat von: Intergalactic Ape-Man am 13 Februar 2010, 16:05:01
Wir alle sind wahrscheinlich aber auch einig darüber, daß sich die Filmmagie antiproportional zur Menge konsumierter Filme genießen läßt, oder? Ist also nun jeder insgeheim auf der Suche nach diesem alten "Kick" oder einem Ersatz?

Wenn Du mit "Kick" die vorurteilsfreie kindliche Neugier und Naivität meinst, gebe ich dir recht. Diese Dinge suchen viele Leute, gerade in der heutigen Zeit. Sich gut von einen Film unterhalten zu lassen bedarf ja einer gewissen Grundstimmung, einer in der die Phantasie oder auch die Ratio, je nachdem wie man sich unterhalten lassen will, die vielleicht wichtigste Rolle dabei einnimmt. Wie hoch die Anteile beim jeweiligen Filmgenuß sind, also egal ob Wissen oder Phantasie, hängt letztlich von jedem einzelnen Menschen selbst ab, das zu pauschalisieren würde nichts bringen, denke ich.
"Elucidarium: Dino-Idiotica"

http://elucidarium.bplaced.net/

Kill Mum!

Zitat von: Intergalactic Ape-Man am 12 Februar 2010, 19:46:38
Da sprichst du einen Punkt an, an dem sich die Geister scheiden können. Irgendwann ganz am Anfang, da war Filmen einfach nur bewegte Photographie. Der Zweck wurde dokumentarisch ausgelegt und so sah man auf der Leinwand so etwas wie die berühmten Arbeiter, die eine Fabrik verlassen. Aufgrund der Neuheit bewegter Bilder war dies sicher ein unterhaltendes Spektakel. Aber nur einen Hauch später fanden erste narrative Wesenszüge ihren Weg. In diesem Stadium diente es wohl explizit der Unterhaltung. Das propagandistische Potential mal außen vor lassend, gab es tatsächlich mindestens ab den 20er Jahren avantgardistische (Kurz-)Filme, über deren Unterhaltungswert man diskutieren kann. Ein gutes Beispiel wäre z.B. Symphonie Diagonale von Viking Eggeling. Sein vollkommen abstrakter Trickfilm aus simplen Formen fordert das Kunstverständnis enorm heraus. Was aber ist das Ziel eines solchen Films über das Experimentelle hinaus? Soll sich hieraus wirklich kein "Filmgenuß" ergeben? Und läßt sich dieser von "Unterhaltung" trennen? Handelt es sich hier nicht vielmehr um die offenen oder geschlossenen Kanäle, welche pm.diebelshausen anspricht?

Mir ging es nicht so sehr darum, was nun Film ist oder nicht. Ich wollte nur darstellen, dass viele Künstler kein Publikum unterhalten, sondern nur ihre eigenen "Dämonen" auf Leinwand/Tonband/Papier/Film bannen wollen. Ich rede dabei nicht von wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern von eigener Erfahrung.
Viele Kreative kennen es, wenn es einen "überkommt" und man sich ausdrücken "muss".
Die einfachste Form ist wohl das Schreiben, danach kommt die Musik.
Film ist problematisch, weil ein Budget und andere Personen, die mitwirken, besorgt werden müssen.
Muss man sich also schon am Anfang Gedanken über die Finanzierung machen? Und dreht man dann für eine bestimmte Klientel, die man damit unterhalten will?
"I wish my life was a non-stop hollywood movie show,
A fantasy world of celluloid villains and heroes,
Because celluloid heroes never feel any pain
And celluloid heroes never really die." (The Kinks - Celluloid Heroes)

Intergalactic Ape-Man

14 Februar 2010, 18:18:12 #22 Letzte Bearbeitung: 14 Februar 2010, 18:19:49 von Intergalactic Ape-Man
Zitat von: shellat am 14 Februar 2010, 00:11:40
Wenn Du mit "Kick" die vorurteilsfreie kindliche Neugier und Naivität meinst, gebe ich dir recht. Diese Dinge suchen viele Leute, gerade in der heutigen Zeit. Sich gut von einen Film unterhalten zu lassen bedarf ja einer gewissen Grundstimmung, einer in der die Phantasie oder auch die Ratio, je nachdem wie man sich unterhalten lassen will, die vielleicht wichtigste Rolle dabei einnimmt. Wie hoch die Anteile beim jeweiligen Filmgenuß sind, also egal ob Wissen oder Phantasie, hängt letztlich von jedem einzelnen Menschen selbst ab, das zu pauschalisieren würde nichts bringen, denke ich.

Klar, deshalb interessiert mich ja auch, wie andere darüber denken.  :respekt:

Zitat von: Kill Mum! am 14 Februar 2010, 17:54:40
Film ist problematisch, weil ein Budget und andere Personen, die mitwirken, besorgt werden müssen.
Muss man sich also schon am Anfang Gedanken über die Finanzierung machen? Und dreht man dann für eine bestimmte Klientel, die man damit unterhalten will?

Genau da beißt sich ja künstlerische Freiheit und Abhängigkeit. Im Grunde fördert die über die Jahre immer erschwinglichere Technik ja sogar die Unabhängigkeit, mit der Einschränkung, daß, mal ausgenommen vom neuen Vertriebsweg Internet, dafür auch auf die bessere Infrastruktur verzichtet werden muß. Genaugenommen betreiben Amateurfilmer also mehr persönlichen Ausdruck als andere. Sie machen ihren ganz persönlichen Film. Daß dies natürlich nicht ausschließlich gilt, sollte auf der Hand liegen, jedoch gibt es genügend Belegsituationen, in denen der Filmer vollkommen vom Witz seines Werkes überzeugt ist und damit bei den Zuschauern vielleicht noch auf ein müdes Lächeln stößt.

pm.diebelshausen

14 Februar 2010, 18:47:24 #23 Letzte Bearbeitung: 14 Februar 2010, 20:24:14 von pm.diebelshausen
Sowohl auf der Rezipientenseite wie auf der Seite der Kreativen ("Produzierenden", was ein unschönes und nicht genug treffendes Wort ist) gibt es verschiedenste Gründe, sich mit einem Kunstwerk auseinanderzusetzen. Die Art und Absicht, es zu betrachten (zu nutzen, möchte ich eher sagen) und die Art und Absicht, es zu erstellen, können jeweils in zig Zusammenhängen stehen. Und, um mal Bretzels Hinweis zur zu starken Vereinfachung durch Dualismen Genüge zu tun, nicht zu vergessen gibt es zwischen beiden auch noch Verbindungen: Schaffen und Benutzen, Bewirken und Auf-sich-wirken-lassen verbinden sich in der kreativen Tätigkeit ebenso wie in der Rezeption eines Kunstwerks. Der Schaffensprozess stimmt sich kontinuierlich ab durch die rückwirkende Rezeption des gerade erreichten Stadiums durch den Schaffenden, die Rezeption ist ihrerseits keineswegs passiv, sondern am Schaffensprozess (wenn auch an einem anderen Ort) des Kunstwerks beteiligt. Das kann man nicht trennen. Fällt mir übrigens sehr schwer, das in einfacheren Worten zu formulieren, tschulljung!

Da kann es also passieren, dass ein Künstler ganz im Affekt aus seiner inneren Befindlichkeit heraus etwas erschafft. Allerdings beschränkt sich das zwangsläufig auf knappe Formen der Kunst, insbesondere Gedichte oder manche Bereiche der Malerei. (Das hat Kill ja schon benannt.) Denn je mehr Zeit bei der Gestaltung vergeht, desto mehr droht der Affekt zu verschwinden und die intellektuelle Reflexion oberhand zu gewinnen. Nicht, dass das an sich schlecht wäre, aber bezogen auf das Thema hier bedeutet das: mehr Wissen nimmt Einfluss. Ein so zeitintensives Projekt wie ein Film, kann kaum aus dem Affekt heraus entstehen. Eine Idee dazu vielleicht, aber ansonsten braucht man stets einen langen Atem, muss womöglich den ursprünglichen Ausgangspunkt selber immer wieder rekonstruieren, um in der gleichen Tonart den Film zu seinem fertigen Ende zu bringen. Deshalb ist das Ausleben irgendwelcher Obsessionen durch Filmschaffende ein Mythos, der meist dazu dient, Filmemacher und ihre Filme zu verunglimpfen. Spätestens seit Jackson "Herr der Ringe" gedreht hat, wirft man ihm nicht mehr vor, seine perversen Gedanken in einem Film wie "Braindead" umzusetzen. Und wer weiß, was es bedeutet, einen Film zu machen, wird sich auch hüten, Buttgereits "Necromantik" in die Nähe perverser Triebtäter zu stellen.

Auch die Musik finde ich da schon problematisch. Nehmen wir z.B. Eric Claptons "Tears in Heaven": eine kreative Reaktion auf den Tod seines Sohnes. Aber wan genau war die emotionale Haltung denn "echt" oder überhaupt "vorhanden"? Beim Schreiben des Songs? Am wahrscheinlichsten. Bei der Schallplattenaufnahme? Vielleicht, aber in gewisser Weise längst rekonstruiert und künstlerisch eingesetzt, um den Song entsprechend aufzunehmen. Bei der 250. Aufführung während eines Konzertes? Kaum. Da veschiebt sich die Qualität des Affektes zugunsten der Erninnerung.

Zu Apes Beispielfilm: nicht möglich, pauschal zu sagen, was solch ein Film will. Unterhalten, Zeigen/Belehren, Versuchen/Experimentieren (auch mit dem Zuschauer!), inneren Drang in eine Form bringen? Alles möglich. Und alles auch als Zugänge(offene Kanäle) beim Zuschauer möglich. Mir is wichtig, dass man sich Kunstwerken aussetzt. Egal ob "Wolf Creek", "Star Wars", "Identificazione di una donna", "The Alphabet" oder "Daniel der Zauberer" - man stellt sich einem Film gegenüber, setzt sich ihm aus und dadurch entsteht ein Spannungsverhältnis, in dem Vieles möglich ist. Dieses Spannungsverhältnis ist für mich noch am ehesten das, was man "Kunst" nennen kann. In einer Ausstellung auf Korsika stand ich einmal mit ein paar Freunden vor einem Kunsterk: drei Surfbretter, dahinter drei Surfsegel an der Wand. Was das war, was das sein sollte/wollte - keine Ahnung, ist auch egal. Aber wir standen eine Stunde lang dort und unterhielten uns, ausgehend von diesen blöden Surfbrettern. Und es war kein Gespräch, wie wir es im Sportatrikelladen geführt hätten! DAS nenne ich Kunst. Immer wieder wird gesagt: Gähn - das könnte ich auch, das hätte ich auch machen können, sogar besser! Da liegt meiner Meinung nach ein Missverständnis vor: ein Künstler ist keiner, der das, was er macht, besser machen kann als andere. Kunst kommt keineswegs von können! Kunst kommt von machen! Ein Künstler kann nur eines besser als andere: ein Leben führen, in dem er solche Dinge macht, wie er sie macht. (Heißt auch: er befindet sich in einem Spannungsverhältnis, da auf ihn nicht nur die Freiheit wirkt, sondern auch die Zwänge, die Kill genannt hat.) Deshalb lautet die einzige Antwort auf den Vorwurf "das hätte ich auch machen können": hast du aber nicht!

Das, was ich jetzt schrieb ist ein wenig verstiegen und nicht so nah am Thema, aber es geht um das Fundament für alles Weitere: die Perspektive der Filmemacher auf das Publikum, die Art und Weise, wie man Filme betrachtet, als was man sie betrachtet und eben auch, wieviel Wissen für Genuss nötig ist.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Bretzelburger

Ich denke, "Wissen" kann den Genuss sowohl steigern, als auch mindern. Das hängt zum Einen vom Film ab, zum Anderen vom Betrachter. So profan das klingt, ist es letztlich auch - und es dürfte allgemeine Einigkeit darin bestehen, dass Jeder einen Film geniessen kann, auch wenn er nichts über diesen wusste. Umgekehrt ist es genauso möglich - das erst ein gewisses Grundwissen zu einem Film den Genuss ermöglicht.

Das die Meinungen hier auseinandergehen, hängt letztlich vom persönlichen Interesse ab und hat wenig damit zu tun, ob man "weiß" oder "nicht weiß". Wer sich die fünfte Harry Potter-Folge ansieht, geniesst den Film vielleicht erst richtig, weil er die Bücher gelesen hat, ein Anderer ärgert sich aus dem selben Grund. Ein Dritter geniesst den Film, weil er die Bücher gerade nicht gelesen hat. Wir hatten hier ja schon einen Thread zu Filmen, die man jedes Jahr anschaut - seltsamerweise kann man bei bestimmten Filmen seine kindliche Begeisterung auch über das zehnte Sehen hinaus behalten. Viel über einen Film zu wissen, kann z.B. neue Blickwinkel eröffnen, indem man abseits der Story kleine Details entdeckt, die wiederum Freude bereiten.

Schon alleine die Frage, wie sich Freude und Begeisterung ausdrücken, würde hier in Jahren zu keinem Konsens führen. Auch wenn Eric das intensive Sammeln von Informationen als Nerd-Attitüde geisselt, kann genau das diese Freude gegenüber einem Film auslösen. Es gibt nicht ohne Grund einige Filme, die vor allem mit ihren versteckten Anspielungen punkten. Der Eingeweihte erkennt, was gemeint ist, und empfindet deshalb Freude an einem Film, weil er viel über dessen Hintergründe "weiß". Wer will das letztlich beurteilen? - Mir persönlich ist es nur wichtig, dass man offen auf einen Film zugeht und ihn nicht von vornherein wegen Äußerlichkeiten verurteilt. Das hat aber nichts mit der Frage, ob "Wissen" Genuss bereitet oder nicht, zu tun, sondern nur mit meiner persönlichen Sympathie.


pm.diebelshausen

Zitat von: diebelshausenFilmgenuss wird weniger durch Grundwissen gehoben, als durch Offenheit, Wohlwollen und Neugier dem Film gegenüber.
Zitat von: bretzelMir persönlich ist es nur wichtig, dass man offen auf einen Film zugeht und ihn nicht von vornherein wegen Äußerlichkeiten verurteilt. Das hat aber nichts mit der Frage, ob "Wissen" Genuss bereitet oder nicht, zu tun, sondern nur mit meiner persönlichen Sympathie.

Da sind wir ja mal absolut einer Meinung.  ;)
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Mr. Blonde

Filmgenuss kann jeder auslegen wie er möchte, ich bin aber dennoch der Meinung, dass ein gewiefert Filmfan besser dran ist, als ein Durchschnittskonsument. Ich empfinde es als Genuss, wenn ich Anspielungen an andere Filme oder Schauspieler verstehe, während alle anderen nur verdutzt die Köpfe schütteln. Somit hat ein wahrer Filmfan einen Trumpf im Ärmel, der anderen verwehrt bleibt. Ansonsten kann natürlich jeder Film Spaß machen, ob man nun 10000 Filme gesehen hat oder eben nur zehn. Wenn man den Anspruch, den der Film stellt, erfüllt, ist das gar kein Problem.


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pm.diebelshausen

15 Februar 2010, 17:57:45 #27 Letzte Bearbeitung: 15 Februar 2010, 18:19:28 von pm.diebelshausen
Zitat von: Mr. Blonde am 15 Februar 2010, 17:42:44
Ich empfinde es als Genuss, wenn ich Anspielungen an andere Filme oder Schauspieler verstehe, während alle anderen nur verdutzt die Köpfe schütteln. Somit hat ein wahrer Filmfan einen Trumpf im Ärmel, der anderen verwehrt bleibt.

Ja, zum Teil sehe ich das auch so und nachdem man eine gewisse Anzahl von Filmen gesehen hat, kommt man ja auch fast nicht drumrum, die Zusammenhänge zu sehen. Aber ich verstehe auch, dass man da anderer Meinung sein kann, denn Anspielungen zu verstehen, bedeutet, den Film (auch) auf einer anderen Ebene zu sehen. Man ist da nicht gänzlich vom Film eingelullt, nicht versunken in seiner Welt, sondern geht durch die Ebene der Veweise und Anspielungen auf Distanz. Gerade das ist bei einem Kind ja anders. Da gibt es nichts als pure Direktheit, grausam, aber auch 100% ehrlich. Was würde ich z.B. darum geben, "Für Elise" von Beethoven einmal ohne all das unterschwellige Wissen (z.B. die Verbratung dieses Stücks in der Werbung) erstmalig zu hören! Trumpf im Ärmel - kann ich verstehen, macht mir ja auch Spaß und Genuss. Aber kann auch im Weg stehen und einen aus der Filmwelt entrücken, bzw. einem diese versperren.

Richtig oder falsch, gibt es da jedenfalls nicht, das stimmt.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Eric

Thema Anspielungen:
Es kommt immer auf die Art der Anspielungen/Verweise an, die ein Regisseur beabsichtigt.

Möchte da gerne mal zwei Beispiele nennen.

Angefangen bei den ganzen Argento Filmen:
Warum er welche Art von Musik oder Farben einsetzt entzieht sich dem "Normalseher" nahezu vollkommen. Da ist auf jeden Fall etwas Hintergrundwissen gefragt. Dadurch hat man, meiner Meinung nach, bei dieser Art von Film mehr "Spass an der Sache" wenn man über dieses Hintergrundwissen verfügt.

Anders ist es zum Beispiel bei Filme ala SHAUN OF THE DEAD, HOT FUZZ oder auch SCREAM.
Für die ganzen Querverweise und Anspielungen braucht man natürlich ein gewisses Hintergrundwissen, aber auch Nichtkenner der Materie haben an solchen Filmen einen großen Spass auch wenn sie keine der Anspielungen zur Kenntnis nehmen.

Meiner Meinung nach sind daher Regisseure dieser 2. Kategorie von Filmen besser, da sie es schaffen ein größeres Publikum anzusprechen, da deren Filmen auf verschiedenen Ebenen (sowohl für den "Normalo", als auch für den Freak) sehr gut funktionieren.
Liebe Ursula,
wünsch dir frohe Ostern, nen tollen Namenstag und nen guten Rutsch ins Jahr 1978!
Grüsse aus der Alzheimergruppe, deine Tante Günther!

Ich hasse Menschen, Tiere + Pflanzen. Steine sind ok.

pm.diebelshausen

15 Februar 2010, 18:28:50 #29 Letzte Bearbeitung: 15 Februar 2010, 19:01:14 von pm.diebelshausen
Zitat von: Eric am 15 Februar 2010, 18:15:06
Meiner Meinung nach sind daher Regisseure dieser 2. Kategorie von Filmen besser, da sie es schaffen ein größeres Publikum anzusprechen, da deren Filmen auf verschiedenen Ebenen (sowohl für den "Normalo", als auch für den Freak) sehr gut funktionieren.

Da würde ich jetzt nicht mitgehen, denn "besser" ist ein Film für mich nicht, wenn er von mehr Leuten gesehen und irgendwie verstanden wird als andere Filme. Aber das ist dann wohl ein anderes, zu weites Feld.

Dann möchte ich doch, was ich mir hier schonmal dachte, David Lynch ins Spiel. Das passt nämlich jetzt auf zweierlei Weise: einmal wegen dem "naiven" sehen und zum Anderen wegen der oben besprochenen Freiheit des filmenden Künstlers.

Für mich ist "Inland Empire" wenn nicht sein konsequentester, dann doch sein konsequentester Film seit langem, da er finanziell ziemlich unabhängig (Digitalkamera) filmen konnte, wie er wollte. Herausgekommen ist ein purer Lynch, sehr unzugänglich, aber auch im doppelten Sinne traumhaft, wenn man sich drauf einlassen kann. Am besten wenig denken und den Film "mitträumen". Jetzt frage ich mich, ob man besser dran ist d.h. mehr davon hat, wenn man andere Filme von Lynch und seine Konzepte kennt, wenn man etwas über Freud und die Psychologie weiß, wenn man Wissen über die Strukturen in Hollywood hat. Oder ob es nicht am hilfreichsten ist, wenn man sabbernd auf die Leinwand stiert und sich durch diese Lynchlandschaft bewegen lässt.

Ohne Zweife jedenfalls ist es so, dass Lynch-Filme immer wieder Zuschauer verschrecken und überfordern: sowohl solche, die was wissen, als auch solche, die völlig "nackt" da rangehen. Da ist wohl die bereits genannte Offenheit wieder am Wichtigsten, denn wenn man mit bestimmten fixen Erwartungen an Lynchs Kino herangeht, hat man schon halb verloren, statt etwas zu gewinnen.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

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