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Film der Woche "GF-Rudelgucken" (derzeit: Dressed to Kill + Passion)

Begonnen von MMeXX, 1 April 2010, 19:24:56

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MMeXX

EDIT 24.03.2013: Ein "Vorwort": Mittlerweile hat sich ja gezeigt, dass die Wochen-Sache viel zu eng gefasst ist. Es passiert eher in einem unregelmäßigen Rhythmus etwas. Jeder kann sich gern - lang oder kurz - beteiligen. Egal ob bei möglichen Vorschlägen oder aber vor allem dann auch bei den Filmen selbst. Jede Meinung ist willkommen! EDIT ENDE




Die Idee zu diesem Thread schwirrt mir jetzt schon ziemlich lange im Kopf herum. Gedacht habe ich mir das ungefähr folgendermaßen: Da es häufiger eher schleppend läuft, wenn man eine Diskussion zu einem älteren Film anstoßen will, soll hier quasi wochenweise ein Film vorgestellt/diskutiert werden. Alter (abgesehen von neueren Filmen, die einen eigenen Thread haben), Herkunft und Genre sollten daher keine Rolle spielen (auch wenn das jetzt im Allgemeinen Filmforum ist, können meines Erachtens auch Filme des phantastischen Bereichs gewählt werden).

Wie soll das Ganze funktionieren? Jemand benennt einen Film, der dann ca. eine Woche später besprochen wird. Warum eine Woche später? Damit als bessere Diskussionsgrundlage der eine oder andere den Film nochmal anschaut/auffrischt oder gar auf Gutdünken einfach kauft und dann mitreden kann. Ich bennene jetzt also zum Beispiel den Film "Mean Streets" (Hexenkessel) und in ca. einer Woche leite ich den Film dann mit einem halbseitigem Posting ein. Parallel dazu müsste dann schon (von jemand anderem) der nächste Film benannt werden. Keine Ahnung, ob das auch nur ansatzsweise funktioniert, aber mal schauen. Wahrscheinlich werden die Gespräche ohnehin eher höchstens ein paar Tage (wenn überhaupt) dauern. Mal schauen, ob und was für Reaktionen kommen. Jetzt ist ja erstmal Ostern, da kann man sich das ja mal durch den Kopf gehen lassen.


Sonstige Postings (vor/nach Filmdiskussionen)




Bereits diskutierte Filme:
Mean Streets - Hexenkessel OFDb --- GF-Thread
The Deer Hunter - Die durch die Hölle gehen OFDb --- GF-Thread
The Thin Red Line - Der Schmale Grat OFDb --- GF-Thread
L'année dernière à Marienbad - Letztes Jahr in Marienbad OFDb --- GF-Thread
Bringing Up Baby - Leoparden küßt man nicht OFDb --- GF-Thread
2001 - A Space Odyssey - 2001: Odyssee im Weltraum OFDb --- GF-Thread
The Wild Bunch - The Wild Bunch - Sie kannten kein Gesetz OFDb --- GF-Thread
Die Blechtrommel OFDb --- GF-Thread
Die Filme Darren Aronofskys OFDb --- GF-Thread
Die Filme Paul Verhoevens OFDb --- GF-Thread
Cape Fear (Original: Ein Köder für die Bestie + Neuverfilmung: Kap der Angst) OFDb (Original) + OFDb (Neuverfilmung) --- GF-Thread
Little Big Man OFDb --- GF-Thread
Big Trouble in Little China OFDb --- GF-Thread
Jaws - Der weiße Hai OFDb --- GF-Thread
The Life and Death of Colonel Blimp - Leben und Sterben des Colonel Blimp --- OFDb --- GF-Thread
Blood Simple - Eine mörderische Nacht OFDb --- GF-Thread

Nerf

Zitat von: ratz am 30 September 2014, 13:47:13
Und weil Angie Dickinson genau heute Geburtstag hat, könnten wir ja ihr zu Ehren anfangen  :icon_razz:

Habe ich gemacht... aber im Nachhinein hätte ich sie besser mit "Rio Bravo" geehrt. Oder so.

DTK war eine interessante Erfahrung - ich glaube, so frech hat de Palma dem Zuschauer nie zuvor oder danach je ins Gesicht gefurzt (um mal drastische Bilder sprechen zu lassen). Ein storymäßiges Nichts, aus der mit äußerstem Krafteinsatz ein wenig hausbackene Spannung herausgepresst wurde - schematische, eindimensionale Figuren mit ebensolchen Motivationen - und (bis auf Michael Caine) ein hölzernes Ensemble. Vielleicht spricht da jetzt auch der noch frische Frust aus mir, aber den anzusehen, war eine sehr ernüchternde Angelegenheit. Formal immerhin mit einigen Gimmicks, der obligatorische Splitscreen wird mit größtmöglichem Effekt eingesetzt, und Ralf Bode wartet mit schöner Kameraarbeit auf, während Donaggios streicherlastiger Score genauso nervig-insistierend daherkommt wie die Regie.

Später vielleicht noch mehr, jetzt bin ich erst mal gespannt, was ihr zu sagen habt, verehrte Kommilitonen.
You've been chosen as an extra in the movie adaptation
Of the sequel to your life.

SutterCain

5 Oktober 2014, 13:17:07 #2 Letzte Bearbeitung: 5 Oktober 2014, 13:50:30 von SutterCain
Eine Inhaltsangabe zu Dressed to Kill und Passion schenke ich mir. Wer die Filme nicht gesehen hat, findet im Web etliche Zusammenfassungen. Im Folgenden befinden sich Spoiler, die ich nicht markiert habe.

DRESSED TO KILL

DTK ist für mich persönlich von besonderer Bedeutung, weil mich dieser De-Palma-Thriller Anfang der 90er Jahre zu einem De-Palma-Fan werden ließ. Eine SAT-1-Ausstrahlung als Initialzündung sozusagen. Und das, was ich heute noch so sehr an De-Palma-Filmen schätze, habe ich schon damals beim ersten Kontakt mit DTK (habe mir die VHS-Aufzeichnung direkt zweimal hintereinander angesehen) wahrgenommen: dass hier jemand geschickt visuell mehr erzählt, als die eigentliche Story tatsächlich parat hält bzw. der Zuschauer beim ersten Kontakt mit dem Film überhaupt auf- oder wahrnehmen kann. Im Fall von DTK war es in den frühen Neunzigern vor allem jener Moment, in dem Bobby ganz kurz zu sehen ist, als die Kamera von Angie Dickinson, die gerade das Museum verlassen hat und ihren Handschuh auf die steinernen Stufen pfeffert, recht zügig zum Taxi fährt, wo ihr "Partner" mit dem anderen Handschuh fröhlich winkt. Für einen kurzen Augenblick sehen wir während dieser Fahrt Bobby, die zwischen den beiden auf halber Höhe steht, und der Bewegung der Kamera mit einer Kopfdrehung folgt. Die Kamera fährt an ihr vorbei. Natürlich habe ich das erst bei der Zweitsichtung bemerkt. Niemandem fällt das beim ersten Mal bewusst auf, denn Bobby trat bisher noch nicht in Erscheinung. Aber für jemanden, der den Film bereits gesehen hat, ist dieser Augenblick wie ein Messerstich. Und je öfter man DTK in seinen Player schmeißt, desto häufiger wird man "Bobby" begegnen. In vielen kurzen Momenten wuselt im Hintergrund eine Blondine rum.

Der Punkt, den ich damit machen will, ist simpel: De-Palma-Filme erschließen sich in der Regel erst durch Mehrfachsichtungen. Zu dicht ist die Fülle visueller Motive als dass man sie beim ersten  Kontakt schon angemessen verarbeiten könnte. Natürlich gibt es immer wieder Kritiker, die an dieser Stelle die 'style over substance'-Keule schwingen. Doch wer den Schwerpunkt seiner Wertung vor allem aus der Dramaturgie, der psychologischen Glaubwürdigkeit der Figuren und überhaupt der Plausibilität der Handlung ableitet, wird mit De Palma nie warm werden. Jemand, der die visuellen Markenzeichen eines De-Palma-Thrillers wie Splitscreens, Split-Diopter-Einstellungen, Zeitlupen, lange Einstellungen ohne Schnitt oder komplexe Verfolgungsfahrten ablehnt, weil diese Stilmittel die Aufmerksamkeit des Zuschauers binden, verkennt den Grund ihrer Existenz: Sie vermitteln uns stets etwas über den Inhalt - die Form ist auch immer der Inhalt. Anders ausgedrückt: Niemand käme auf die Idee, Lessing vorzuwerfen, den "Nathan" komplett im Blankvers verfasst zu haben. Aber Filmkritiker beziehen sich gerne allzu sehr auf die Plot-Entwicklung als wichtigstes Kriterium zur Beurteilung der Qualität eines Films. Meines Erachtens haben diese Menschen verlernt, Filme als das zu sehen, was sie vor allem anderen sind: visuell erzählte Geschichten.   

Doch zurück zu DTK: Als ich ihn mir nun erneut für das Rudelgucken ansah, fiel mir auf, wie langsam, ja entschleunigt, De Palma die Geschichte entfaltet. Schon der Anfang zur einlullenden, träumerisch (!) wirkenden Begleitung von Pino Donaggio steht in deutlichem Kontrast zu gegenwärtigen, oftmals hektisch inszenierten Thrillern. Die Kamera fährt nach den Opening Titles bedächtig in das Bad, wo sich Kate und ihr Ehemann befinden. Er ist beim Rasieren in sein eigenes Antlitz vertieft, sie beobachtet ihn, während sie duscht. Es erregt sie offenbar. Der Zuschauer, der als Voyeur ins Bad fährt, wird Zeuge, wie Kate sich beim Anblick ihres Mannes in Stimmung bringt - es ist seltsamerweise ihr Blick, nicht seiner, der Sexuelles will. Währenddessen blicken wir, oder präziser: wie spannen. Und dann kippt die Stimmung plötzlich durch den Einbruch von Gewalt. Keine Zeitlupe mehr. Die Vergewaltigung zerstört die traumhaften Bilder. Ähnlich wie in der einleitenden Duschszene von Carrie - auch dort schlägt die träumerische Stimmung durch einen Akt der Gewalt um. Die Anfangsszene von DTK, die sich im Gegensatz zur Carrie-Duschszene tatsächlich als Traum entpuppt, enthält darüber hinaus bereits den Grundkonflikt der Protagonistin (unerfülltes Sexualleben bei gleichzeitiger Sehnsucht danach) und dessen dramatische Auflösung (Akt der Gewalt im Moment der Lösung). Auch die Räume, in denen sich der Gewaltakt vollzieht, ähneln sich in ihrer Begrenzung (Dusche - Aufzug). Später wird Liz (Nancy Allen) in einem ähnlich klaustrophobischen Raum von Bobby attackiert (Übergang zwischen zwei Zugabteilen).

Ergänzend lässt sich zur eröffnenden Traumsequenz noch anmerken, dass sie variiert am Ende wieder aufgegriffen wird: Dieses Mal ist es Liz' Alptraum (Irrenanstalt + Duschszene). Und wieder lassen sich Verbindungen zu anderen De-Palma-Thrillern herstellen. Auch Carrie endet mit einer derartigen Szene, die uns mitteilen soll: Die unmittelbare Bedrohung ist überstanden, die psychologischen Folgen aber noch lange nicht. Passion und The Black Dahlia weisen ähnliche Schlussmomente auf. In The Fury (ebenfalls eine Schlafzimmerszene am Ende) wird der aufgestaute "Frust" hingegen in einem wahrlich explosiven Moment der Gewalt kanalisiert. Man kann also durchaus behaupten, die Eröffnungs- und Schlussmomente in De-Palma-Thrillern funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip. Sogar Body Double ist gerahmt durch zwei irreale Szenen - hier ist es allerdings nicht ein Traum, den wir verfolgen, sondern die Szene eines sleezigen Vampirfilms.

Der zweite Punkt, auf den ich noch eingehen möchte, ist der Humor in DTK. Bereits die Szene unmittelbar nach der eröffnenden Traumszene enthält einen (zugegebenermaßen: äußerst schwarzhumorigen) Moment, der mir erstmals auffiel, als ich DTK auf einer großen Leinwand sah. Dieser Augenblick schaffte es tatsächlich, das studentische Publikum lauthals zum Lachen zu animieren: Nachdem Kates Mann seinen "Frühsport" erledigt hat und von ihr ablässt, patscht er Kate, wie man das wohl mit einem Hund tut, der einem ein Stöckchen apportiert, zweimal kurz auf die rechte Wange (braves Mädchen!). Diese Geste wirkt dermaßen sexistisch, dass man wohl nur lachen kann, wenn man sie denn überhaupt bemerkt. Ist es auch schwarzer Humor, der Kate just in jenem Augenblick erkennen lässt, dass sie sich höchstwahrscheinlich eine Geschlechtskrankheit eingefangen hat, als sie erstmals ein befriedigendes Liebespiel erlebt hat und gerade noch mit ihren Dankesworten an den Bettgenossen ringt?

Sicherlich komisch sollen all die Wortspiele sein, die der Edelprostituierten Liz in den Mund gelegt werden, wenn sie mit dem minderjährigen Peter spricht ("I'll be the best cover you ever had." -  "Gee, I'm gonna miss having you on my tail." etc.) .  Auch die konsterniert dreinblickende Dame, die im Restaurant dem Penektomie-Gespräch zwischen Liz und Peter lauscht, soll zum Schmunzel einladen.

Nicht ganz so offensichtlich ist der visuelle Humor, beispielsweise in der Subway-Szene: Der Running Gag besteht darin, dass Liz' Blickrichtungen im entscheidenden Moment immer falsch sind. Das nimmt seinen Anfang, als sie aus der U-Bahn kommt, um in ihr Apartment zu gehen. Sie erblickt Bobby, die ihr Apartment beobachtet und mit dem Rücken zu ihr steht. Gehupe hinter ihr lenkt ihren Blick ab. Als sie zurückschaut, sieht Bobby sie direkt an. Anschließend will Liz in die U-Bahn steigen, sucht Hilfe bei einem Polizisten. Beide befinden sich in der Bahn, blicken den Zug erst links hinab - in diesem Augenblick steigt Bobby im Hintergrund (andere Blickrichtung) ein -, dann rechts hinab - in diesem Augenblick steigen die Kleinkriminellen im Hintergrund (andere Blickrichtung) in den Zug. Schließlich, als die Bahn fährt, liegt Liz' verärgerter Blick auf dem Polizeibeamten, sein Blick auf ihr. Nur die Kamera, die zwischen den beiden hin- und herfährt, zeigt wie schon in der oben erwähnten Museumsszene Bobby zwischen ihnen. Doch keiner nimmt sie wahr. Darf man hier lachen?

PASSION

Um noch auf PASSION einzugehen, sei auf eine Parallele zwischen DTK und PASSION hingewiesen: Technisches Gerät spielt in beiden Filmen eine entscheidende Rolle. Während Keith Gordon in DTK noch mehrere kurze Szenen zur Erklärung geschenkt bekommt, bevor er seine Kamera vor Dr. Elliotts Praxis abstellen darf, wird die Funktionsweise eines Smartphones in PASSION vorausgesetzt. De-Palma-Filme beinhalten fast alle in irgendeiner Weise das Thema Überwachung oder Bespitzelung durch Technik. Sei es in Hi, Mom! der Voyeur, der aus seinem Fenster fotografiert, seien es in The Fury und Scarface die Überwachungskameras, in Blow Out das Mikrofon, in Snake Eyes die Hotelkameras und schließlich in Redacted ein ganzes Konvolut an moderner Überwachungs- und Kommunikationstechnik, das uns voyeuristisch in das Leben anderer Menschen blicken und manchmal erschaudern lässt. In PASSION ist die auf technischem Wege verbreitete Information meist der Motor der Handlung (Werbeclip, Tiefgaragenvideo, Handyfilme). Es gibt wohl kaum einen De-Palma-Film mit einer solch hohen Anzahl an Aufnahmen von Fernseher- und Handybildschirmen. Die Technik scheint sich sogar gegen Isabelle verschworen zu haben: Sie wird durch einen Telefonanruf manipuliert, in einem Skypetelefonat wird sie von Christine fertiggemacht (man achte auf den wahnsinnig komischen Einsatz von Pino Donaggios Score an dieser Stelle!), ein Autoalarm schaukelt ihre Panik hoch, sodass sie einen Unfall baut und von den Überwachungskameras dabei gefilmt wird. 

Im Vergleich zu den hochkomplexen Eröffnungsfahrten in den De-Palma-Filmen der 90er Jahre (Bonfire of the Vanities, M2M, Snake Eyes) wirkt die erste Szene in PASSION recht simpel, beinahe enttäuschend. Den Film mit dem blöden Apple-Logo beginnen? Ist das Budget wirklich so dünn? Die Tatsache jedoch, dass die Kamerafahrt am Ende des Films erneut aufgegriffen wird (mit leicht anderer Besetzung hinter dem Laptop), lässt vermuten, dass es vielleicht nicht (nur) um Product Placement geht, sondern um das Symbol des angebissenen Apfels selbst, also um den Sündenfall. Christine verführt in der ersten Szene Isabelle, schult sie im Verlauf des Films nach ihren Vorstellungen bzw. ihrem Ebenbild, sodass Isabelle am Ende selbst als Meisterin eine Schülerin unterweisen kann. Man achte auf die Sitzpositionen!

Interessanterweise ist auch gut 30 Jahre nach DTK eine der weiblichen Hauptfiguren sexuell frustriert und wird ermordet (in beiden Fällen durch einen Kehlenschnitt). Jedoch liegen die Ursachen dafür freilich woanders. Sex wird in PASSION und in einer Szene auch in DTK (Taxi) durchaus humorvoll inszeniert. Sei es der Sex mit Augenbinde und Maske, der Sex mit dem latexmaskentragenden, hündchenhaft-hechelnden Ersatzliebhaber Christines oder der große Moment, der den Film sogar visuell umschlagen lässt: die von Christine über das Skypetelefonat vorgeführte Handy-Sexszene mit Dirk, die durch Donaggios übertriebenen musikalischen Einsatz bei gleichzeitiger Großaufnahme von Isabelles Gesicht vielleicht der komischste Moment des gesamten Films ist.

Auch die oftmals ungeschliffen wirkenden Dialoge sind in ihrer Holprigkeit amüsant - beispielsweise ein Gespräch zwischen Christine und Dani: "Don't you think no one can tell?" - "Tell what?" - "What you really want ..." - "I don't know what you're talking about." - "Her cunt!".

PASSION ist bestimmt nicht De Palmas bester Thriller. Das liegt meines Erachtens vor allem daran, dass ihm kein originärer Stoff zugrunde liegt, sondern dass er ein Remake von Alain Corneaus "Crime d'amour" ist. Im Vergleich zu DTK entfaltet sich die Handlung in PASSION geradezu rasant. Insbesondere in der ersten Hälfte gibt es eine enorm hohe Szenenanzahl für einen De-Palma-Thriller. Das tut der Atmosphäre nicht gut. Natürlich sollen die Zicken unsympathisch wirken, aber das geht leider manchmal so weit, dass sie einem herzlich egal werden. Und dann inszeniert De Palma eine Gesprächsszene zwischen Christine und Isabelle tatsächlich im 08/15-Look, also in permanentem Wechsel von Overshoulder-Einstellungen - als wäre dies ein Tatort, ein Expendables-Film oder eine Episode aus GZSZ. Man vergleiche die visuelle Gestaltung der Dialogszenen in DTK!

Der visuelle Umbruch nach etwa 50 Minuten, der Noir-Look, der Isabelles Inneres verbildlichen soll, sieht allerdings fantastisch aus. Toll, wie Teile der Gesichter stets lichtgeflutet sind, während der Rest des Raumes im Halbdunkel bleibt oder sogar absäuft. Die finale Traumszene - womit sollte ein De-Palma-Thriller auch sonst enden? - greift all die wesentlichen Themen und Motive des Films aber auch seines Thrillerwerkes auf: kühle, blonde Doppelgänger, Aufzüge, Mord, Smartphones etc. Der Unterschied zu DTK besteht nun darin, dass in PASSION die gesamte Sequenz, vielleicht sogar der gesamte Film, ironisch zu verstehen ist. DTK ist 'bigger than life', PASSION ist komplett  'over the top'.

ratz


Das sind sehr schöne Einleitungen, an die ich im Falle von DTK sogleich anknüpfen will (Passion schaue ich heute noch).

Vorausschicken will ich, daß ich mich generell im Schlitzer-Genre nicht gut auskenne (ich sehe einfach nicht gern Leuten beim Morden zu) und auch erst etwa binnen Jahresfrist damit begonnen habe, mich näher mit de Palma zu beschäftigen – Anlaß war mal wieder Carrie, gefolgt von Raising Caine und Femme Fatale, die mir beide ausnehmend gut gefielen und mit DTK den ersten de Palma-Film in die Sammlung erlaubten. Und ich glaube nicht, daß es der letzte war...

Auch neulich, beim erstmaligen Sehen von DTK, wurde mir der sprichwörtliche Kaffee kalt, so gefesselt war ich vom Film. Grund dafür war natürlich weniger der Whodunit-Aspekt (ich gebe aber zu, daß ich die Auflösung nicht vorhergesehen habe), sondern das Zusammenspiel der visuellen und musikalischen Mittel, die auf fantastische Weise ineinandergreifen und dabei gelegentlich so sehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, daß man dies durchaus als Augenzwinkern der Regisseurs an den (filmtechnisch/historisch nicht gänzlich unerfahrenen) Zuschauer deuten darf. In diesem Zusammenhang kann ich das Statement zum visuellen Erzählen von Geschichten nur unterschreiben,  SutterCain  :respekt:
Hervorzuheben sind etwa die beiden völlig dialoglosen, dabei ziemlich langen Szenen von Angie Dickinson, die lediglich über Blickachsen, PoV-Shots und Nahaufnahmen von ihrem Gesicht funktionieren: Der Museumsbesuch und kurz danach das Verlassen der Wohnung nach dem One-Night (bzw. Afternoon)-Stand. Diese Passagen sind Quasi-Stummfilme voller visueller Bravour (Steadycam, langsame Fahrten, die erwähnten Splitscreens), die dafür aber der superkitschigen Musik viel Raum geben, die sich entsprechend auch in den Vordergrund drängt. Wenn ich mich recht erinnere, dürften z.B. Emanuelle-Filme der Ära ähnlich geklungen haben, die Referenz an zeitgenössische Euro-Erotik ist damit sicher nicht zufällig. Zu dieser gewollt erzeugten Künstlichkeit tragen dann die häufig verwandten Split-Diopter-Einstellungen hinzu (so heißt das also  :icon_mrgreen:) – die man ziemlich gut erkennt, finde ich – sowie die Tatsache, daß, wie ich glaube, de Palma kein "echtes" SloMo benutzte, sondern sich die Schauspieler sehr langsam bewegen. In der Fahrstuhl-Mordszene kann man das ganz gut sehen. Hier müßte jetzt ein Giallo-Kenner sagen, ob und in welchem Maße das Fingerzeige an den italienischen Genrefilm sind.

Man muß es ansprechen: Manchmal wünschte ich, ich hätte im Vorfeld weniger darüber gelesen und gehört, was für ein Hitchcock-Verehrer de Palma sei. Diese Perspektive verlockt doch immer wieder dazu, die Referenzen zu suchen (und natürlich auch zu finden). In den Extras der Blu-ray werden irgendwo die Gemeinsamkeiten/Verwandtschaften von Psycho und DTK schlüssig zusammengefaßt, und man kann sie schlecht abstreiten. Ich persönlich finde das nicht schlimm (lieber gut geklaut als schlecht erfunden), da de Palma neben allen Zitaten immer noch genug seiner eigenen Ideen einbringt, um etwas Anderes, Eigenständiges zu schaffen als einen bloßen Remix. Der angesprochene schwarze Humor gehört aber definitiv zu den Dingen, die er übernommen haben dürfte: Die Szene in der U-Bahn, wo sich Nancy Allen und der Polizist despektierliche Blicke zuwerfen, während Bobby hinter der Scheibe lauert, ist so ein Beispiel und hat mich auch heute bei der Zweitsichtung kichern lassen. Die insgesamt recht holzschnittartige, aber nicht unoriginelle Figurenpsychologie (die verschiedenen Frauenbilder, die Nancy Allen und Angie Dickinson verkörpern) oder das etwas krude Erklärungsmodell der Persönlichkeitsstörung passen zum Genre und machen den Film zu einem Thriller mit außerordentlichem formalen und visuellen Mehrwert, der, wie richtig gesagt wurde, mehrfaches Ansehen reich belohnt.

Nicht verhehlen will ich allerdings, daß mich die finale Traumsequenz etwas unbefriedigt zurückgelassen hat, ich kann nicht genau sagen, was mich daran stört, aber obwohl sie formal den Kreis schließen soll, fühlt sie sich aufgesetzt oder zu lang an und stellt jedenfalls den einzigen Wermutstropfen dar, den ich im Film finden konnte.

Zitat von: Nerf am  4 Oktober 2014, 14:17:58
DTK war eine interessante Erfahrung - ich glaube, so frech hat de Palma dem Zuschauer nie zuvor oder danach je ins Gesicht gefurzt (um mal drastische Bilder sprechen zu lassen). Ein storymäßiges Nichts, aus der mit äußerstem Krafteinsatz ein wenig hausbackene Spannung herausgepresst wurde - schematische, eindimensionale Figuren mit ebensolchen Motivationen - und (bis auf Michael Caine) ein hölzernes Ensemble.

Nana, der feine Herr Dr. cin. will doch sicher nur trollen?  :skeptisch2:

SutterCain

6 Oktober 2014, 00:43:55 #4 Letzte Bearbeitung: 6 Oktober 2014, 00:47:37 von SutterCain
Man darf nicht vergessen, dass DTK 20 Jahre nach Psycho das Licht der Welt erblickte. In diesen 20 Jahren wurde der Hays Code abgeschafft und es haben sich die jungen Wilden Hollywoods richtig ausgetobt. DTK entstand also in einer völlig veränderten Produktionslandschaft. Ironischerweise war aber auch das neue Rating System, die MPAA, von DTK überfordert und veranlasste die auf den BDs und DVDs anschaulich dargebotenen Schnitte. Aus heutiger Sicht wirkt DTK sicherlich nicht mehr schockierend ob seiner Gewalt. 

Zurück zu Hitch: Wie du schon zurecht angemerkt hast, ratz, greift es zu kurz, De Palma als Hitchcock-Jünger, vielleicht sogar als Plagiator, abzustempeln. Dafür ist De Palmas Werk zu eigenständig, passt er den Stoff zu konsequent an die Zeit an, in der er dreht, verändert er bestimmte Mechanismen, spielt mit der visuellen Grammatik Hitchcocks, wie es niemand sonst vermag.

Seltsamerweise wird De Palma nicht mit vergleichbarer Vehemenz vorgeworfen, seine Filme aus dem italienischen Giallo zusammenzuklauen. Dabei sind seine Filme voll von Giallo-Motiven. Das geht sogar so weit, dass er den visuellen Gag aus der entscheidenden Szene von Dario Argentos Tenebrae immer wieder verwendet: Eine Person beugt sich nach unten, um etwas vom Boden aufzuheben und zeigt dem Zuschauer so, dass hinter dem sich-Bückenden ein (potentieller) Mörder lauert - siehe Raising Cain, M2M, Femme Fatale und Passion. Aus welchem Grund sollte man jemanden auch einen Strick daraus drehen, wenn er diesen visuellen Kniff effizient einzusetzen versteht?

De Palma hat auch nie einen Hehl aus seiner Hitchcock-Affinität gemacht. In den Dokus auf den DVDs/BDs spricht er wiederholt darüber, wie sehr er von dessen Filmen und seiner "visuellen Grammatik" beeinflusst wurde. Jeder, der ernsthaft im Thriller-Genre arbeiten wolle, habe sich an Hitchcock zu orientieren. - Vor einer Woche war ein langes David-Fincher-Interview in der SZ zu lesen, in der Fincher im Zusammenhang mit GONE GIRL ebenfalls auf die Bedeutung Hitchcocks für diesen Thriller zu sprechen kam. Ich habe GG noch nicht gesehen, freue mich aber auf den Film und bin mir sicher, Fincher versteht es, sich an der richtigen Stelle von Hitchcock inspirieren zu lassen  :icon_mrgreen:

ratz

Zitat von: SutterCain am  5 Oktober 2014, 13:17:07

PASSION


So, hat dann doch noch ein paar Tage gedauert, bis ich den Film gesehen habe, aber ich finde leider meine Vorahnungen und im Wesentlichen auch die teils recht harsche Urteile der Filmkritik gerechtfertigt. Ich war eher gelangweilt als gespannt (gut, ich kannte Corneaus Vorlage, die ich auch nicht so dolle fand), der Humor bzw. die satirischen Spitzen waren erahnbar, aber nicht zündend, das Filmerlebnis insgesamt ziemlich mau.

Wie Du selbst schon ziemlich umfassend dargestellt hast, tauchen quasi alle Leitmotive, Symbole oder Themen aus vergangenen de Palma-Filmen wieder auf. Sogar die berühmte Split-Diopter-Technik setzt er zwei- oder dreimal ein, nur dient sie hier – und das ist vielleicht symptmatisch für weitere Stückchen aus de Palmas Trickkiste – keinem erkennbaren Zweck, sondern sticht durch ihre altmodische Imperfektion aus dem restlichen gelackten Stil des Films heraus, wirkt wie ein Selbstzitat, das sie ja auch ist. Oder der Split-Screen bei der Ermordung: Ich habe mich bemüht herauszufinden, was der Plot oder die Figurenkonstellation mit dem doch sehr präsenten Aprés-midi d'un faune von Debussy bzw. Mallarmé zu tun haben könnte, wurde aber nicht fündig. Außerdem zog die linke Bildschirmhälfte mit dem ballettanzenden Paar weit mehr Aufmerksamkeit auf sich, als der überraschungsfrei inszenierte Mord auf der rechten Seite. Im Gegensatz zu DTK tut einem die Ermordete natürlich keine Sekunde leid, die fehlende emotionale Verbindung, noch dazu in den kalten, leblosen Sets, wurde ja erwähnt. Die in diversen Rezensionen angesprochenen Produktionsschwächen (das sichtbar ins Fenster einmontierte London oder Italien, oder ein paar Cutaways, denen man wg. starren Filmkorns das Standbild ansieht) tun ihr übriges, um den Gesamteindruck bröckeln zu lassen.
Insgesamt fehlen in Passion die Transgressionen, die der Titel verspricht: Weder im emotionalen, noch im sexuellen oder irgendeinem sonstigen Bereich kommt es zu wirklichen Schockmomenten, Übertretungen, Provokationen (die visuellen Gimmicks wirken, wie gesagt, wie Selbstzitate und nicht innovativ). Alles bewegt sich in einem sehr zivilen Rahmen, es fließt sogar außerordentlich wenig Blut, und sekundäre Geschlechtsmerkmale werden nur Bruchteile von Sekunden eher erahn- als sichtbar. Nicht, daß die letzten beiden Dinge einen guten Genrefilm ausmachten  :icon_mrgreen:, aber ihr ersatzloses Fehlen ist auffällig und, gerade für einen de Palma-Film, enttäuschend. Spielen womöglich Auflagen der diversen Fördertopf-Überwacher eine Rolle? Keine Ahnung.
Wenn also der Film als Thriller mehr oder weniger versagt, finde ich aber auch die Deutungsrichtung als Kommentar auf die zeitgenössische Arbeitswelt in ihren gläsern-stählernen Türmen nicht wirklich überzeugend: Gerade in dieser Richtung haben deutsche Regisseure, gerade der Berliner Schule, sehr viel konzentriertere Beiträge geleistet (Unter dir die Stadt, Yella etc.) und sich nicht auf ein protolesbischen Stutenbeißen beschränkt. Übrigens fand ich Femme Fatale, der ja auch in Europa gemacht wurde und dort spielt, in all den oben benannten Aspekten ungleich viel aufregender, sinnlicher, überraschender, cleverer. Wenn de Palma so etwas noch einmal schaffen würde vor seinem Ruhestand, könnte man ihm den überflüssigen Passion locker nachsehen.

MMeXX

Da ich mir zumindest Dressed to Kill doch besorgen konnte (pun intended), kann ich noch mit in die Diskussion hüpfen. Das ist wahrscheinlich etwas durcheinander, liegt aber einfach daran, dass es noch recht frische Eindrücke sind.

Zitat von: Nerf am  4 Oktober 2014, 14:17:58Ein storymäßiges Nichts
Öhm, was hast du denn erwartet? :unknown: Ein Mörder geht um, es wird ermittelt, der "Bösewicht" wird gefunden und idealerweise gestellt. Genau wie hier.

Zitat von: SutterCain am  5 Oktober 2014, 13:17:07Der Punkt, den ich damit machen will, ist simpel: De-Palma-Filme erschließen sich in der Regel erst durch Mehrfachsichtungen. Zu dicht ist die Fülle visueller Motive als dass man sie beim ersten  Kontakt schon angemessen verarbeiten könnte. Natürlich gibt es immer wieder Kritiker, die an dieser Stelle die 'style over substance'-Keule schwingen.
Ja, von diesem Käse bin ich mittlerweile auch weg. Das ist wie diese ominösen Logiklöcher.

Zitat von: SutterCain am  5 Oktober 2014, 13:17:07Doch zurück zu DTK: Als ich ihn mir nun erneut für das Rudelgucken ansah, fiel mir auf, wie langsam, ja entschleunigt, De Palma die Geschichte entfaltet. Schon der Anfang zur einlullenden, träumerisch (!) wirkenden Begleitung von Pino Donaggio steht in deutlichem Kontrast zu gegenwärtigen, oftmals hektisch inszenierten Thrillern. Die Kamera fährt nach den Opening Titles bedächtig in das Bad, wo sich Kate und ihr Ehemann befinden. Er ist beim Rasieren in sein eigenes Antlitz vertieft, sie beobachtet ihn, während sie duscht. Es erregt sie offenbar. Der Zuschauer, der als Voyeur ins Bad fährt, wird Zeuge, wie Kate sich beim Anblick ihres Mannes in Stimmung bringt - es ist seltsamerweise ihr Blick, nicht seiner, der Sexuelles will. Währenddessen blicken wir, oder präziser: wie spannen. Und dann kippt die Stimmung plötzlich durch den Einbruch von Gewalt. Keine Zeitlupe mehr. Die Vergewaltigung zerstört die traumhaften Bilder. Ähnlich wie in der einleitenden Duschszene von Carrie - auch dort schlägt die träumerische Stimmung durch einen Akt der Gewalt um. Die Anfangsszene von DTK, die sich im Gegensatz zur Carrie-Duschszene tatsächlich als Traum entpuppt, enthält darüber hinaus bereits den Grundkonflikt der Protagonistin (unerfülltes Sexualleben bei gleichzeitiger Sehnsucht danach) und dessen dramatische Auflösung (Akt der Gewalt im Moment der Lösung). Auch die Räume, in denen sich der Gewaltakt vollzieht, ähneln sich in ihrer Begrenzung (Dusche - Aufzug). Später wird Liz (Nancy Allen) in einem ähnlich klaustrophobischen Raum von Bobby attackiert (Übergang zwischen zwei Zugabteilen).
Sehr interessant fand ich in diesem Zusammenhang die ursprüngliche Planung der Eröffnungssequenz, die im Making of geschildert wird: Mann rasiert sich. Überall. Schneidet sich den Lümmel ab. Und dann de Palma sinngemäß "Keine Ahnung, wieso ich das nicht verwendet habe", während die finale Eröffnung zu sehen ist. :icon_lol: Aber diese Rahmung ist schon sehr deutlich, ja.

Zitat von: SutterCain am  5 Oktober 2014, 13:17:07Der zweite Punkt, auf den ich noch eingehen möchte, ist der Humor in DTK. Bereits die Szene unmittelbar nach der eröffnenden Traumszene enthält einen (zugegebenermaßen: äußerst schwarzhumorigen) Moment, der mir erstmals auffiel, als ich DTK auf einer großen Leinwand sah. Dieser Augenblick schaffte es tatsächlich, das studentische Publikum lauthals zum Lachen zu animieren: Nachdem Kates Mann seinen "Frühsport" erledigt hat und von ihr ablässt, patscht er Kate, wie man das wohl mit einem Hund tut, der einem ein Stöckchen apportiert, zweimal kurz auf die rechte Wange (braves Mädchen!). Diese Geste wirkt dermaßen sexistisch, dass man wohl nur lachen kann, wenn man sie denn überhaupt bemerkt.
Wer auch immer die Idee hatte, einfach großartig. Deine oben gemachte These des visuellen Erzählens ist hier wunderschön angewendet worden. Statt irgendwelche Dialoge für die Exposition zu verbraten, genügt diese Geste, die so viel ausdrückt.

Zitat von: SutterCain am  5 Oktober 2014, 13:17:07Ist es auch schwarzer Humor, der Kate just in jenem Augenblick erkennen lässt, dass sie sich höchstwahrscheinlich eine Geschlechtskrankheit eingefangen hat, als sie erstmals ein befriedigendes Liebespiel erlebt hat und gerade noch mit ihren Dankesworten an den Bettgenossen ringt?
Hier sind meines Erachtens mehrere Deutungen möglich. Das Einfangen der Krankheit markiert den (außerehelichen) Sex als eine negative Sache. Die Krankheit selbst könnte für Kate schon Schmerz bedeuten (eventuell sogar den Tod?), entsprechende Untersuchungen könnten dazu führen, dass ihr Mann von dem Seitensprung erfährt. Also nicht einfach nur schwarzhumorig, sondern als direkter Vorbote von schlimmen Dingen.

Zitat von: SutterCain am  5 Oktober 2014, 13:17:07Sicherlich komisch sollen all die Wortspiele sein, die der Edelprostituierten Liz in den Mund gelegt werden, wenn sie mit dem minderjährigen Peter spricht ("I'll be the best cover you ever had." -  "Gee, I'm gonna miss having you on my tail." etc.) .  Auch die konsterniert dreinblickende Dame, die im Restaurant dem Penektomie-Gespräch zwischen Liz und Peter lauscht, soll zum Schmunzel einladen.
Das Restaurant-Gespräch war tatsächlich ein Knaller. Ich hatte kurz gedacht, dass die alte Dame Liz später noch auflauert, für ihr "frevelhaftes" Benehmen oder so. :icon_mrgreen:

Zitat von: SutterCain am  5 Oktober 2014, 13:17:07Nicht ganz so offensichtlich ist der visuelle Humor, beispielsweise in der Subway-Szene: Der Running Gag besteht darin, dass Liz' Blickrichtungen im entscheidenden Moment immer falsch sind. Das nimmt seinen Anfang, als sie aus der U-Bahn kommt, um in ihr Apartment zu gehen. Sie erblickt Bobby, die ihr Apartment beobachtet und mit dem Rücken zu ihr steht. Gehupe hinter ihr lenkt ihren Blick ab. Als sie zurückschaut, sieht Bobby sie direkt an. Anschließend will Liz in die U-Bahn steigen, sucht Hilfe bei einem Polizisten. Beide befinden sich in der Bahn, blicken den Zug erst links hinab - in diesem Augenblick steigt Bobby im Hintergrund (andere Blickrichtung) ein -, dann rechts hinab - in diesem Augenblick steigen die Kleinkriminellen im Hintergrund (andere Blickrichtung) in den Zug. Schließlich, als die Bahn fährt, liegt Liz' verärgerter Blick auf dem Polizeibeamten, sein Blick auf ihr. Nur die Kamera, die zwischen den beiden hin- und herfährt, zeigt wie schon in der oben erwähnten Museumsszene Bobby zwischen ihnen. Doch keiner nimmt sie wahr. Darf man hier lachen?
Diese "versteckten" Sachen machen für mich eher den Thrill der Geschichte aus. Weniger das Umschauen beim Einsteigen und dem damit verbundenen Übersehen der Gang und Bobby als dann während der Fahrt.

Zwei Punkte, die mir noch in den Sinn kommen: Erstens ist da das Stellen des Täters. Es ist aus meiner Sicht durchaus bezeichnend, dass es letztlich eine Polizistin ist, die dem Spuk ein Ende bereitet. Zweitens der scheinbare* Regelbruch solcher Filme. Denn Sex wird hier nicht völlig mit Tod gleichgesetzt, Liz überlebt ja schließlich. *"scheinbar" deswegen, weil ja häufig erzählt wird, bei Halloween würde die Regel lauten: "Sex, Alkohol, Drogen :arrow: Tod".

Ich bin von dem Film sehr angetan. Das liegt an den diversen Darstellern, die ich aus (völlig) anderen Rollen kenne. Das geht mit Keith "Arnie Cunningham" Gordon los, der hier den Mr. Mega-Nerd geben darf, weiter zu Nancy "RoboCop" Allen - gerade erfahren, dass sie '79-'83 mit de Palma verheiratet war - und bis zu Robert Margolies, dem Bürgermeister bei Ghostbusters. :icon_lol: (Ja, Michael Caine kenne ich auch.)

Um die Inszenierung nochmal aufzugreifen: Neben den erwähnten durchkomponierten Kamerafahrten und Bildkompositionen, war es auch das Zusammenspiel von Bild und Ton. Beispielhaft wohl die Spli-Screen-Szene mit Liz und Dr. Elliott bei der sich Telefongespräch und Fernseher bis zur Unverständlichkeit überlagern. Sehr geil auch die Szene, in der Elliott zum Verhör kommt, während Peter mithört. Auch hier ist es die Mischung aus Bild (Split-Diopter und Wechsel zwischen Peter, Elliott + Martino sowie Liz) und Ton (mal direkt bei Elliott und Martino, mal so wie Peter es wohl hört), grandios.

Beeindruckt war ich auch von der Fahrstuhl-Szene. Neben dem dankenswerten Ausbleiben des Klischee-Schreis von Liz, wenn sie Kate erblickt, ist es vor allem die heranfahrende Kamera bei sich schließender Fahrstuhltür mit Fokus auf dem Deckenspiegel. Ohnehin die Spannung, ob Liz auch direkt zum zweiten Opfer wird. Der Giallo-Verweis ist - das schreibe als Giallo-Anfänger, weitere Ansichten also erwünscht - der schwarz gekleidete Täter (schön im Kontrast zur in unschuldig in weiß gewandten Kate ;)) mit dem Rasiermesser.

Was hier auch noch nicht angesprochen worden ist, sind die Spiegel(bilder). Darauf komme ich gerade wegen:
Zitat von: ratz am  5 Oktober 2014, 19:04:00(ich gebe aber zu, daß ich die Auflösung nicht vorhergesehen habe)
Ich war auch längere Zeit unschlüssig und vor allem bei dem Angriff auf Peter nochmal verwirrt (2 Bösewichte? :eek:). Aber auch hier liegt sicher auch noch ein Aspekt für die von SutterCain angeführten Mehrfachsichtungen: Wer schaut in einen Spiegel? Wer sieht etwas mittels eines Spiegels? Wen oder was sehen wir über einen Spiegel? Das ergänzt sich für mich mit der Frage, inwieweit ich Bild und Ton in diesem Film trauen kann. Ein Spiegelbild ist ja nicht "echt", gaukelt etwas vor. Und gerade mit den Augen und Ohren des Zuschauers wird ja - wie oben angeführt - mehrfach gespielt.

Zum Seitensprung: Der Verlust der diversen Gegenstände (linker Handschuh, rechter Handschuh, Slip, Ehering) ist auch ein erwähnenswertes Beispiel für das visuelle erzählen. Ich hatte vor kurzem auch mal irgendwo - wieder mal vergessen, wo genau :icon_confused: - einen Beitrag über die Bedeutung des Ausziehens/Abziehens eines Handschuhs als sexuellem Akt gelesen (ratz, war das eventuell in 'ner filmdienst-Ausgabe?), was hier ja auch passt.

Insgesamt ein schwer unterhaltsames Filmerlebnis. In diesem Sinne vielen Dank Nerf, auch wenn er dir nicht so gemundet hat. :icon_razz:

EDIT: Scheiße, den würde ich gerne mal im Kino sehen. Ich frage mich auch, ob/wie da gewisse Details sichtbar sind/werden.

ratz

Zitat von: MMeXX am 14 Oktober 2014, 12:44:22

Zum Seitensprung: Der Verlust der diversen Gegenstände (linker Handschuh, rechter Handschuh, Slip, Ehering) ist auch ein erwähnenswertes Beispiel für das visuelle erzählen. Ich hatte vor kurzem auch mal irgendwo -

...verdammt, ich dachte, jetzt kommt "einen Slip liegenlassen beim Seitensprung"  :hideugly:

Ein Handschuh-Striptease kommt prominent in Gilda vor und ist seitdem ins kollektive Sex-Bildgedächtnis eingegangen, das Zitat in DTK wird da sicher nicht ohne Hintergedanken platziert sein. Hach, ja mehr man drüber nachdenkt, desto mehr fällt einem auf, wieviel sorgfältiger DTK als Passion gemacht ist  :icon_mad:

MMeXX

Ein paar Nächte drüber geschlafen und mittlerweile grummele ich doch ein wenig mit dem Erklärbär-Ende rum. Auch wenn das Restaturant-Gespräch durchaus witzig ist, fühlt es sich (ebenso wie die Polizeirevier-Szene davor) größtenteils als für mich unnötige "Ach, wir müssen jetzt noch haarklein alles auflösen"-Darstellung an. Das macht den guten Film zwar nicht kaputt oder so, aber hier wäre weniger aus meiner Sicht mehr gewesen.

SutterCain

Schön, dass hier die Diskussion doch noch losgeht.

Zitat von: MMeXX am 17 Oktober 2014, 13:43:10
Ein paar Nächte drüber geschlafen und mittlerweile grummele ich doch ein wenig mit dem Erklärbär-Ende rum. Auch wenn das Restaturant-Gespräch durchaus witzig ist, fühlt es sich (ebenso wie die Polizeirevier-Szene davor) größtenteils als für mich unnötige "Ach, wir müssen jetzt noch haarklein alles auflösen"-Darstellung an. Das macht den guten Film zwar nicht kaputt oder so, aber hier wäre weniger aus meiner Sicht mehr gewesen.

Den Kritikpunkt kann ich gut nachvollziehen. Die Polizeistationszene verstehe ich als strukturelle Parallele zu PSYCHO - dort steht am Ende ja ebenfalls eine (m. E. aus heutiger Sicht viel ödere) Erläuterungsszene. Ich stimme dir zu: Es handelt sich nicht um den gelungensten Moment des Films.

Zitat von: MMeXX am 14 Oktober 2014, 12:44:22
Sehr interessant fand ich in diesem Zusammenhang die ursprüngliche Planung der Eröffnungssequenz, die im Making of geschildert wird: Mann rasiert sich. Überall. Schneidet sich den Lümmel ab. Und dann de Palma sinngemäß "Keine Ahnung, wieso ich das nicht verwendet habe", während die finale Eröffnung zu sehen ist. :icon_lol: Aber diese Rahmung ist schon sehr deutlich, ja.

Ich habe keine Vorstellung davon, wie diese Szene innerhalb des Handlungsgerüsts Sinn ergeben könnte - höchstens als Traum. Denn wenn sich Elliott zu Beginn tatsächlich sein Schwänzchen abgeschnitten hätte, dann wäre sein innerer Konflikt bereits gewaltsam gelöst. Und locker und schmerzfrei in Therapieräumen könnte er dann auch nicht sitzen  :icon_mrgreen:

Stefan M

Im Laufe der vergangenen Jahre habe ich "Dressed to Kill" doch ziemlich liebgewonnen. Zunächst hat mich das ganze Szenario mit One-Night-Stands, Geschlechtskrankheiten oder Strips, um an notwendige Informationen zu gelangen, ziemlich kalt gelassen, auch weil ich keine der Figuren sonderlich sympathisch fand - weder Angie Dickinson noch Nancy Allen, am ehesten vielleicht noch Keith Gordon, den ich aber auch irgendwie als seltsam empfand, als er nach dem Tod seiner Mutter erstmal seine neue Technik ausprobiert und das Gespräch zwischen Polizist und Psychiater mithört.

Nun gut, seit der ersten Sichtung sind mittlerweile bestimmt auch schon über 12 Jahre vergangen. Insofern beginnt man als Filmfan, über die Jahre Filme mit anderen Augen zu sehen - und "Dressed to Kill" gehört dazu, den ich für eines von de Palmas ausgereiftesten und besten Werken halte. Sein großes Vorbild Hitchcock schimmert da mal wieder an allen Ecken und Enden durch, denn im Prinzip ist das "Psycho" für die nächste Generation noch einmal neu aufbereitet - der Mord im Fahrstuhl (statt Dusche), der Hauptfigurenwechsel nach einem Drittel des Films, der schizophrene Mörder, die bereits angesprochene Erklärung, was ein Transsexueller ist, in Analogie zu der Erklärung, was mit Norman Bates los war usw. Dazu gelingt es de Palma, wie Hitchcock Gegenstände unnachahmlich in Szene setzen zu können (bei "Psycho" war's ja u.a. das Geld, hier ist es ein Rasiermesser oder ein Handschuh). Das alles schreit stets und ständig "Psycho", nur freizügiger und brutaler, aber es wäre unfair, den Film als bloße Kopie zu bezeichnen (ähnlich wie das für "Schwarzer Engel" gilt, der ja gern als "Vertigo Reloaded" kritisiert wird), weil de Palma schon seine eigenen Wege geht.

So schmuddelig und obszön einzelne Elemente auch anmuten mögen, so unglaublich schön ist die gesamte Bildsprache des Films. Einmal mehr trifft das "Stil über Inhalt"-Motto vollauf zu: "Dressed to Kill" schaut man weniger aufgrund der durchsichtigen Handlung denn wegen seiner ausgefeilten Szenenkompositionen. Namentlich gibt es genau fünf Szenen, die "Schuld" daran sind, warum der Film schon mindestens fünfmal in meinen DVD-Player gewandert ist: Museum, Fahrstuhl, Zug, Täterenthüllung und abschließender Traum. Da ist eine Sequenz schöner als die andere inszeniert: Vor allem die Begegnung Kates mit dem Fremden im Museum ist ein optischer wie auch akustischer Genuß, denn auch Pino Donaggios Score trägt seinen gewaltigen Anteil zur Wirkung bei. Diese knapp zehn Minuten hat de Palma für die echten Filmliebhaber gedreht, die sich auch für Kameraarbeit und Aufbau einer einzelnen Szene begeistern können. Da gefällt mir ja schon die Doppeldeutigkeit der Notizen (zumindest im Original), die sich Kate in ihrem Terminkalender notiert, die Einkaufsliste und Gedankensammlung zugleich sind ("Nuts", weil sie auf eine schnelle Affäre aus ist, "Pick Up Turkey", als sie einen Typen beim Rumfummeln an einer Frau beobachtet - und das "Mints" kann ebenfalls als "Minds" verstanden werden). Die letzte Sequenz wiederum ist von der aufgebauten Spannung her schlichtweg nicht zu toppen - mehr an Nervenkitzel kann man hier einfach nicht herausholen. Den Mord im Fahrstuhl finde ich auch beim wiederholten Ansehen noch nahezu unerträglich, so sehr ins Detail geht de Palma da (Rasiermesser schön über die Stirn ziehen - autsch!).

Aber auch wenn man sich für technische Spielereien nicht interessiert, bleibt "Dressed to Kill" ein sicherlich mittlerweile etwas angestaubt erscheinender, aber sauspannender und hervorragend inszenierter Thriller.

Das mal so meine 50 Cent für diese mittlerweile schon wieder abgeflaute kleine Diskussion. "Passion" kenne ich leider noch nicht.
"Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos." (Loriot)

Synchronisation ist nicht grundsätzlich schlecht und manchmal sogar richtig gut!

SutterCain

Brian De Palma wird im deutschen Fernsehen in der kommenden Woche häufig vertreten sein. Besonders relevant für die Thriller-Diskussion hier sind RAISING CAIN (Mein Bruder Kain) auf ZDFneo am 28.03.15 um 23:35 Uhr und FEMME FATALE (03:35 Uhr ebenfalls auf ZDFneo).

De Palmas Neo Noir THE BLACK DAHLIA zeigt arte bereits am Montag, den 23.03.15 um 21:45 Uhr.

Moonshade

Wenn es danach gehen würde, dürfte ich mir so einige Filme von misogynen weißen Männern nicht mehr ansehen, inclusive der Vorbilder für "Dressed to Kill", also Alfred Hitchcock - der ja nun wirklich repressive Sexualität und Vergewaltigungsphantasien ewig in seinem Leben, speziell in den letzten dreißig Jahren, mit sich herum trug und sie auch in seine Filme einbaute.

Dagegen ist "Dressed to Kill" - den ich keineswegs als Erotik-Thriller bezeichnen würde, nur weil jemand darin Sex hat und jemand in Dessous darin auftritt, sondern als Thriller mit psychosexueller Komponente - geradezu zahm.

Ansonsten würde ich mich angesichts de Palmas Oeuvre und einer Doku mit ihm nicht darüber wundern, wenn er einige frauenverachtende oder dominante Tendenzen mit sich rumgeschleppt hätte.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

"Gebt dem Mann ein verdammtes Puppers!"

Moonshade

Da empfehle ich die Doku "De Palma", die doch recht robust zeigt, wie der Regisseur denkt und vorgeht.

Angesichts eines Werks, in dem sowohl Rasiermessermorde als auch Durchbohren per Schlagbohrer inszeniert werden, eigentlich keine große Überraschung. Wobei de Palma fast nie selbstzweckhaft war (auch in Dressed to Kill nicht, den ich sehr schätze).
Über das Frauenbild des Regisseurs in den 70ern/80ern will ich aber lieber nicht spekulieren.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

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