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Ausnahmezustand in Dresden am 19.02.2011

Begonnen von Bretzelburger, 20 Februar 2011, 01:39:00

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Bretzelburger

Ich weiß ja nicht, wie aufmerksam diese heutigen Ereignisse im Westen Deutschlands verfolgt wurden, aber für den heutigen Tag hatte die Stadt Dresden drei voneinander unabhängige Aufmärsche von Rechtsradikalen genehmigt. Hier mein Versuch einer möglichst objektiven Analyse, wenn so etwas überhaupt möglich ist.

Das Ganze sollte nach Planung der Polizei und weiterer Verantwortlicher folgendermaßen über die Bühne gehen:

- auf der Elbseite, auf der der Hauptbahnhof gelegen ist, sollte in dessen Umgebung an drei Orten ein Aufmarsch der jeweiligen Nazi-Gruppierung erfolgen, die von der Polizei begleitet werden
- auf der anderen Elbseite sollte den Gegendemonstranten die Möglichkeit des Protestes gegeben werden, zusätzlich waren Mahnwachen an einer großen Zahl von Kirchen genehmigt worden

Soweit die Theorie, an die mit Sicherheit Niemand ernsthaft geglaubt hat. Von Beginn an war klar, dass seitens der Nazigegner mit Blockaden versucht werden würde, die Bewegungsmöglichkeiten der rechtsradikalen Gruppen auf ein Minimum einzuschränken. Da es sich dabei um keine genehmigte Aktion handelte, die Polizei aber die Aufmärsche der Nazis schützen musste, war die Konfrontation schon vorprogrammiert. Der größte Teil der Teilnehmer - sowohl von seiten der Nazis, als auch der Gegendemonstranten - kam von außerhalb Dresdens, weshalb die Polizei versuchte, bestimmte Bewegungen quasi von der Autobahn aus zu unterminieren. Wer sich in Dresden auskennt, weiß, dass das unmöglich ist. So weit ich hörte und man auch sehen konnte, verließen schon eine Vielzahl der Teilnehmer der "Dresden Nazifrei!" Bewegung ihre Busse vor der Autobahnausfahrt und gingen zu Fuß ins Zentrum des Geschehens. Allerdings kamen auch die Nazis nicht alle mit dem Zug, weshalb der unkontrollierteste Zustand im Stadtteil Plauen entstand, wo Nazis und Antifaschisten direkt aufeinander trafen.

Zufällig fuhr ich von dort mit meinem Fahrzeug Richtung "Südvorstadt", ohne etwas von den Aktionen an diesem Ort zu ahnen. Das schien aber nicht nur mir so zu gehen, denn zu diesem Zeitpunkt gab es hier noch keine Polizei-Präsenz, weshalb ich diesen Weg wählte. Doch unmittelbar danach kam es zur Eskalation. Ich wurde Zeuge von hektischen Bewegungen großer Polizeikolonnen, die mir entgegen kamen, erfuhr aber erst später, was dort los war. Mein eigentliches Ziel war die Wohnung von Freunden, wo mein Sohn übernachtet hatte, den ich abholen wollte. An Rausfahren aus dieser komplett abgesperrten Zone, die eigentlich von Demonstranten freigehalten werden sollte, war dann aber nicht mehr zu denken, weshalb ich mir die Situation vor Ort angesehen habe.

Es ist schwierig, die Situation angemessen zu vermitteln. Angesichts ständig kreisender Hubschrauber, Hundertschaften von Polizei, Wasserwerfer und großen Gruppierungen von meist schwarz gekleideten Gegendemonstranten, bei völliger Abwesenheit des normalen zivilen Lebens (Fußgänger und Verkehr), entsteht schon eine merkwürdige Endzeit-Stimmung, bedingt auch durch das sehr kalte Wetter, dass fröhliche Aktionen kaum zuließ.



Als ich mir die Sache ansah, hatte sich die Lage schon zementiert, da es den Demonstranten gelungen war, die Aufmärsche der Nazis zu blockieren. Direkt am Hauptbahnhof kamen wenige Hundert Nazis nicht vom Fleck, bis sie wieder in die Züge stiegen. Ein anderer Marsch war auf der Budapester Brücke, einer Brücke über die Eisenbahngleise, zum Erliegen gekommen. Nur dort bekam ich die Faschisten überhaupt zu Gesicht, so weit wurden sie von der Polizei abgetrennt.



Ich fragte einen Polizisten, ob der Marsch noch weiter gehen würde, aber er meinte, dass sei nicht möglich, ohne dass es zu einer Konfrontation kommen würde. Ich war ziemlich weit weg, aber hier sieht man ganz gut, wie die "Junge Landsmannschaft" auf der Brücke festsitzt:



Obwohl die Stimmung insgesamt angespannt war, waren doch fast alle Beteiligte an einem friedlichen Zustand interessiert - sowohl auf seiten der Demonstranten, wie der Polizei (die Reaktion der Nazis konnte ich nicht feststellen). Ich bekam zufällig ein Streitgespräch mit, indem sich ein Demonstrant über einen Dresdner Bürger mit den Worten aufregte, dass sie nicht hätten kommen müssen, wenn die Dresdner sich selbst wehren würden. Daraufhin warf dieser dem "Besucher" vor, er würde mit Steinen werfen, was der Andere wiederum weit von sich wies. Sicherlich zurecht, aber tatsächlich kam es mehrfach zu kurzen Eskalationen, in denen die Polizei sogleich mit Wucht eingriff. Der Auslöser waren meist brennende Blockaden, die durch umgeschmissene und dann angezündete Müllcontainer hergestellt wurden.

Ich wurde einmal unmittelbar Zeuge einer solchen Aktion, die - für mich überraschend - aus dem Nichts entstand, da zu diesem Zeitpunkt weder Polizei, noch Nazis in der Nähe waren, nicht einmal in Sichtweite. Das Ärgerliche an diesen unnötigen Provokationen ist, dass sie der Sache als solcher nur schaden. Die Polizei und Feuerwehr kamen sehr schnell heran und wurden mit Aggressivität empfangen. Das hatte weder etwas mit der Blockade, noch mit einer antifaschistischen Haltung zu tun, allerdings waren es auch nur eine Handvoll junger, vermummter Männer, die diese Eskalation hervor riefen.



Auch wenn es diese Demonstranten vielleicht nicht gern hören und man natürlich darüber diskutieren sollte, warum solche "Großdemos" für Nazis überhaupt in dieser Art genehmigt werden, aber der Polizei kann man nicht vorwerfen, dass sie stur gewesen wäre. Letztlich haben sie die Nazis zwar geschützt, um eine direkte Konfrontation zu vermeiden, aber sie haben keineswegs alle Mittel eingesetzt, um diesen ihre Routen zu ermöglichen. So Viele auch blockiert haben, wenn die Polizei gewollt hätte, hätte sie sich leicht durchsetzen können. Sie tat es aber immer nur dann, wenn es wie oben zu Ausschreitungen kam, sonst beließen sie es beim Verriegeln. Deshalb - auch wenn in der Presse viel über brennende Blockaden und Verhaftungen die Rede ist, sie blieben in dem stundenlangen erfolgreichen Protest doch nur Momentaufnahmen.

Trotzdem bleibt ein insgesamt unangenehmes Gefühl zurück. Auf der einen Seite muss unsere Demokratie, Aktionen von Gruppen verkraften, die die Demokratie sofort abschaffen würden, aber deren Freiheit für ihre Auftritte nutzt. Auf der anderen Seite wird eine unmittelbare Gegendemonstration verboten, um diese "Freiheit" gewährleisten zu können. Damit werden alle Blockierer automatisch kriminalisiert (es wurden eine Vielzahl an Personalien aufgenommen), obwohl ihnen die Freiheit für diese Haltung doch auch gewährleistet werden müsste. Das Hauptargument für diese Vorgehensweise ist der Schutz der Bürger, aber dann sollte man doch Ursache und Wirkung zu Hilfe ziehen. Erst die aggressive Haltung der Nazi-Gruppen, deren Selbstverständnis erst durch die Anti-Haltung gegen eine Vielzahl von Volksgruppen entsteht, löst doch die insgesamt angespannte Lage aus.

Hedning

Objektiv betrachtet hat man hier eine Gruppierung, die ihr grundgesetzlich garantiertes Versammlungsrecht im Rahmen einer zugelassenen Demo wahrnimmt (dass dies polemisch als "Aufmarsch" bezeichnet wird, ändert an der Sachlage nichts), und auf der anderen Seite Gegendemonstranten, die eigenhändig die Geltung dieses Versammlungsrechts auf ihnen genehme Personen und Inhalte einschränken, für sich selbst die alleinige Deutungshoheit über die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg beanspruchen und dies teilweise mit Gewaltaktionen durchsetzen wollen. Blockierer befinden sich m. E. im Konflikt mit dem Grundgesetz. Für mich ist das ebenso indiskutabel, als wenn es sich um linke Demonstranten handeln würde, die von rechter Seite angegriffen oder "blockiert" würden. Natürlich kann man sich fragen, ob die Teilnehmer selber für die Grundrechte stehen, die sie wahrnehmen, aber das berechtigt die Blockierer nicht, diese Grundrechte schon mal selbst vorsorglich abzuschaffen.   

Bretzelburger

Deine Meinung gibt die gültige Rechtslage schlüssig wieder, abgesehen davon, dass das mit dem "Aufmarsch" nicht polemisch gemeint war, sondern Terminus einiger der rechten Gruppierungen selbst ist. Darin liegt, meiner Meinung nach, auch das Problem, und weniger die Deutungshoheit der Bombardierung auf Dresden. Glücklicherweise waren politische Parolen von den Blockierern an diesem Tag kaum zu hören oder zu lesen - Motivation war einzig, die extrem rechtsgerichteten Gruppierungen an ihrer vom Grundgesetz genehmigten Ausübung ihrer Rechte zu hindern. Den Anlass der Dresdner Bombennacht vor 66 Jahren halte ich in diesem Zusammenhang sowieso für einen rein äußerlichen Grund. Mein englischer Freund fragte einen Mann, ob dieser rechts oder links wäre, worauf dieser nur meinte, er wäre ein Mensch. Er hatte den "Blockierern" übrigens Getränke gebracht, dieses aber eingestellt, als Einige anfingen, Steine zu werfen, worüber er sich zurecht ärgerte. Eine Vermischung mit anderen, in Deutschland kontrovers diskutierten Themen, fand nicht statt. Die Gruppe der Blockierer oder der auch außerhalb der Zone anwesenden Protestierer war keineswegs homogen und damit grundsätzlich "links".

Es klingt vielleicht blöd für einen Außenstehenden, aber es ist äußerst unangenehm, dieser Gruppierung deutscher "Kameraden" in Ruhe dabei zuzusehen, wie sie vom Gestus, Kleidung und Sprache eine Atmosphäre schaffen, die nicht nur die Ereignisse der Vergangenheit aufs Unangenehmste ignoriert, sondern geradezu beseelt ist davon, möglichst viele Menschen außerhalb Deutschlands sehen zu wollen - mit Argumenten, die jede Sozialisation leugnen. Man konnte einen Redner der auf der Brücke "festgehaltenen" Gruppe ziemlich gut hören. Ich rede hier mehr von einem menschlichen, keinem wie auch immer politisch ausgerichteten Gefühl. Natürlich befanden sich unter den Blockieren Einige, denen es mehr um Thrill und Action ging - das war schon immer so bei Demonstrationen und konnte man auch hier raushören - genauso wie die überwältigende Anzahl an Dresdnern gegen die "rechten Kundgebungen" war, ohne auf die Straße zu gehen, aber das Gefühl, solche Gruppierungen nicht widerstandslos "machen zu lassen", entsteht schon sehr natürlich, ohne deshalb glauben zu müssen, man hätte die alleinige Deutungshoheit oder das Grundgesetz außer Kraft setzen zu müssen..

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