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Der Frauenmörder von Boston (The Boston Strangler) - Richard Fleischer

Begonnen von MMeXX, 5 Februar 2014, 07:49:06

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Der Frauenmöder von Boston

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Produktion: USA 1968

Regie: Richard Fleischer

Darsteller: Tony Curtis, Henry Fonda, George Kennedy, Murray Hamilton, James Brolin

Inhalt: Boston, 1963: Ein Serienmörder geht um. Die Fälle zu Tode gewürgter Frauen häufen sich. Waren es zunächst nur ältere Damen, werden die Opfer jünger. Die Polizei tappt im Dunkeln. Der Staatsanwalt (William Marshall) setzt John S. Bottomly (Henry Fonda) als Kopf einer Sondereinheit ein, die den Täter schnappen soll...

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Basierend auf dem wahren Fall des "Boston Strangler" hat Regisseur Richard Fleischer einen Film abgeliefert, der sich natürlich um die Morde, die Ermittlungen und den Täter dreht, aber gleichzeitig noch viel mehr Themen in den Blick nimmt. Das Spektrum reicht vom Vorgehen von Presse und TV über Homosexualität, Liebe, Beziehungen hin zu Einsamkeit, Krankheit und sogar theoretischen Diskursen über das Gesetz. Überzeugende Darsteller sowie die abwechslungsreichen Inszenierung machen den Film zu einem echten Hingucker.



Besonders in den ersten beiden Dritteln arbeitet der Film mit dem Splitscreen-Verfahren oder präsentiert zunächst nur Bildausschnitte (bspw. ein laufender Fernseher bei sonst schwarzem Bild, der dann im Bild Teil eines Zimmers wird). Dadurch erhöht sich natürlich einerseits die Aufmerksamkeit, da man nichts verpassen will. Gleichzeitig entsteht dadurch eine gewisse Grundspannung, wenn sich in einem Bildteil zunächst eine harmlose Szene abspielt, während im anderen Abschnitt offenbar das nächste Opfer zu sehen ist (siehe nächstes Bild).



Die Technik wirkt dabei nie selbstzweckhaft oder übermäßig verspielt, sondern dem ernsten Ton - der durchaus mit ein wenig trockenem Humor aufgelockert wird - angemessen. Gerade auch bei der Verhaftungswelle und der Darstellung der erhöhten Vorsichtsmaßnahmen erzeugen die vielen Bildausschnitte ein bestimmtes Tempo.



Der temporeichen Inszenierung der ersten beiden Drittel steht der eher kammerspielartig angelegte Schlussteil gegenüber. Die Verhöre in einem weißen Raum sind von den Dialogen geprägt, geben Tony Curtis (als Albert DeSalvo) und Henry Fonda als Chefermittler genügend Gelegenheit ihr Schauspieltalent darzubieten. Und obwohl sich dieser Teil des Films eher in vier Wänden abspielt, gibt es noch genug Einfälle, um die Wege und Gedanken DeSalvos darzustellen. Sei es die extrem verzerrte Perspektive, als Desalvo seine Frau ansehen will (siehe Bild) oder auch der Schlusspunkt des Films, wenn Curtis in einer Ecke des Raums steht und die Kamera langsam rauszommt (siehe Bild; ähnlich gibt es dies auch in Die Reifeprüfung zu sehen. Dort ist es Anne Bancroft in dunkler Kleidung in einer Ecke vor weißer Wand.).



Abschließend sei noch die Nutzung der Untersicht angemerkt, die vor allem zu Beginn des Films genutzt wird. Da liegt man als Zuschauer gewissermaßen neben der Leiche.



Neben der gekonnten Inszenierung sind es vor allem auch die Darsteller, die den Film nicht ins ungewollt Komische abgleiten lassen. Die Szene mit den Massenverhaftungen ist beispielsweise heute so dermaßen klischeehaft, dass sie knapp an der Grenze der Lächerlichkeit entlangschrammt. Aber mit Curtis, Fonda, George Kennedy (ja genau, der Chef von Frank Drebbin :icon_lol:) oder auch Murray Hamilton (der Bürgermeister aus Jaws) gibt es auch vor der Kamera genug Qualität. Überrascht hat mich persönlich der Staatsanwalt (William Marshall) mit seiner angenehm sonoren Stimme. :icon_eek:

"Don't you watch TV?" "I can't. It hurts my eyes!"

Lose gerahmt ist die Geschichte durch TV-Übertragungen von Großereignissen. So beginnt der Film mit dem feierlichen Empfang von Astronauten des Mercury-Projekts, dem ersten der NASA überhaupt. Gegen Mitte des Films sowie im späteren Verlauf nochmals aufgegriffen, werden Bilder von der Beisetzung John F. Kennedys gezeigt. In beiden Fällen natürlich Schwaz/Weiß und nur als Teil der eigentlichen Szenen. So sind beide Ereignisse nicht völlig in den Vordergrund gestellt, sondern dienen vor allem der zeitlichen Einordnung. Die Zusammenarbeit von Medien und Polizei wird auch in Ansätzen dargestellt. Am Beginn der Ermittlungen ist beispielsweise ein Reporter beim Captain und erhält einige Informationen, später beschließt Fonda dann, dass definitiv nicht sämtliche Details eines Mordfalls an die Öffentlichkeit gelangen sollten, um ein Druckmittel gegenüber dem Täter zu entwickeln. Detective DiNatale (Kennedy) ist dabei anderer Meinung, da er sich von den schockierenden Details erhofft, dass sich die Bostoner Bevölkerung tatsächlich der Gefahr bewusst wird. Der Film überlässt es dem Zuschauer, welche Variante die bessere oder gar die richtige seine könnte.

"I'm sure, you understand the significance of that!?" "Absolutely! ... "What's a Thugee and who is de Sade?"

Die Ermittlungen gestalten sich ohnehin als schwierig. Untersucht wird zunächst in alle möglichen Richtungen. Da müssen sich Männer, die auf Würgen beim Liebesspiel abfahren, verantworten und auch ein kleiner Betrüger, der sich als Colonel ausgibt - und damit nach eigenen Schätzungen bei etwa 200 Frauen Erfolg hatte - gerät ins Visier der Ermittler - was von einem der Beamten mit einem durchaus anerkennenden Spruch kommentiert wird. Eine Spur führt dann auch zu einem Homosexuellen. Zwei Frauen, bei denen der Mann wohnt, bezichtigen ihn der Morde. Der Grund: er liest de Sade und besitzt Bücher über einen Indianerstamm, der das Töten und Quälen zelebriert. Außerdem hielt er sich in einer Straße auf, in der eine Frau ermordet worden war. Schon die Äußerungen der beiden Damen und ihr Verhalten regen eher zum Schmunzeln an als ihre Anschuldigungen völlig ernst zu nehmen. Und so kommt es dann bei der Befragung des möglichen Verdächtigen auch zu einer durchaus amüsanten Wendung. Diese Szene zählt trotz der ernsten Thematik zu den wohl pfiffigsten und humorvollsten des sonst ernsten Films. All diese Ermittlungen zeigen aber vor allem auch eins: Was ist eigentlich in diesen Zeiten noch die Liebe? Frauen für Geld kaufen, damit sie einem etwas vorgaukeln? Sich als jemand anderes ausgeben, um immer wieder für kurze Zeit Spaß zu haben? Die Beispiele für langfristige Bindungen scheinen eher bei den Ermittlern (Fonda uns dessen Frau sowie der junge Cop, der zu spät kommt. Aber nicht wegen des Wagens, wie er meint, sondern eben wegen seiner Freundin, wie sich herausstellt.) und sogar beim Täter (Ehemann und zweifacher Vater) zu liegen. Keine der Lebensweisen - ob mono- oder polygam, homo- oder heterosexuell - wird von Filmseite aus als falsch oder richtig benannt. Alle Arten werden dokumentiert, ähnlich dem Verhältnis von Presse und Polizei.

Gerade dieser dokumentarische Ansatz verleiht dem Film trotz der Härte der Verbrechen eine gewisse kritische Distanz, die das Gezeigte nicht als unmittelbar erscheinen lassen, sondern zur Reflexion geradezu auffordern. Und hierin liegt neben all der handwerklichen und künstlerischen Finesse möglicherweise die größte Stärke des Films. Denn er bringt den Zuschauer nicht nur dazu, die Ermittlungen zu verfolgen und "lediglich" einen guten Film zu sehen, sondern er lädt dazu ein, auch mit ein wenig Abstand auf die Dinge (neben den geschilderten Apsekten wie Liebe und Beziehungen lassen sich auch die eingangs erwähnten Punkte wie Vorstellungen von Gesetz u.ä. finden) zu blicken und zu hinterfragen, sich selbst eine Meinung zu bilden. 9/10

Jared Kimberlain

Dem kann ich mich nur anschließen. Ein wirklich großartiger Film, der auch noch über 40 Jahre später sehr gefallen kann. Für mich immer ein echter "Klassiker" im Regal, der den Namen auch verdient. Dazu kommt neben wirklich durch die Reihe sehr guten Schauspielern für mich eine, wenn nicht die beste Leistung von Curtis. Als ich den Film so vor 10 Jahren das erste Mal richtig bewusst angeschaut habe, war ich über alle Maßen erstaunt, hätte ich das meinem "Helden" aus "Die Zwei" doch nie zugetraut.
Sollte jeder ansatzweise Interessierte einen Blick werfen.
An MMeXX:  :respekt:
Wirklich tolle Zusammenfassung eines fast in Vergessenheit geratenen Filmereignis. Danke.

Gruß,
J.K.
"Ich bin was ich bin."

Mr. Blonde

Die Bebilderung ist eine sehr coole Art, hier mal einen Film serviert zu bekommen. Hin und wieder fehlen einem die Worte, um bestimmte Stilmittel oder Szenen nur auf Textebene beschreiben zu können.

Cooles Special.  :respekt:


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