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Schloss des Schreckens (The Innocents, GB 1961)

Begonnen von pm.diebelshausen, 22 Juni 2014, 14:35:21

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pm.diebelshausen

22 Juni 2014, 14:35:21 Letzte Bearbeitung: 22 Juni 2014, 15:09:30 von pm.diebelshausen
Schloss des Schreckens (The Innocents, GB 1961)

Regie: Jack Clayton

Drehbuch: Henry James (Literaturvorlage "The Turn of the Screw"), William Archibald, Truman Capote

Darsteller: Deborah Kerr, Peter Wyngarde, Megs Jenkins, Michael Redgrave, Martin Stephens, Pamela Franklin, Clytie Jessop, Isla Cameron

Kamera: Freddie Francis

Musik: Georges Auric

Editing: Jim Clark

Inhalt:
Das Kindermädchen Miss Giddens tritt ihre erste Stelle an: auf dem abgelegenen Landsitz soll sie die beiden Kinder Flora und Miles an deren Onkels statt betreuen. Die beiden sind nicht nur als Waisen traumatisiert, sondern auch durch den vorangegangenen Tod zweier Bezugspersonen: dem des zwielichtigen Kammerdieners Quint und dem anschließenden Selbstmord von Miss Giddens Vorgängerin Miss Jessel. Die anfängliche Idylle des Ortes wird bald weiterhin brüchig, da Miss Giddens sich mit Erscheinungen der Verstorbenen konfrontiert sieht und zunehmend um das empfindlich bedrohte Wohl der Kinder besorgt ist. Insbesondere Miles aus dem Bann der Vergangenheit zu befreien, wird ihr zu einer geradezu obsessiven Aufgabe.







Ungeachtet des deutschen Schreckenstitels (es gibt nichtmal ein Schloss) ist The Innocents ein stimmungsvoller und sehenswerter Gruselklassiker, der zwischen Psycho (1960) und The Haunting (1963) einen weiteren Höhepunkt des Genres markiert. An die starke, sich zunehmend verdichtende Spannung der Literaturvorlage (deren Schraube tatsächlich mächtig angezogen wird) gelangt diese Verfilmung vielleicht nicht heran, aber der psychologisch-sexuelle Konflikt der Hauptfigur ist hier beinahe überraschend deutlich gezeichnet. Als Kind einer Pfarrersfamilie und über ein jungfräuliches Alter eigentlich längst hinaus, trägt Miss Giddens unbewusste Befangenheiten in sich, die weit jenseits einer kindlichen Unschuld liegen. Die Frage nach dem psychologischen Ursprung von übernatürlichen Erscheinungen und der Bedeutung der eigenen Wahrnehmung, wie sie bei E.A. Poe angelegt ist und nach wie vor intensive (Film-)Erzählungen hervorbringt (The Sixth Sense (1999) oder The Others (2001) sind hier als besonders prominente zu nennen) wird hier konsequent im Prinzip des unzuverlässigen Erzählers ausgeführt. Das schmälert nicht das Gefühl der Beängstigung, des Grusels, des Schauderhaften, das der Film gekonnt hervorruft, insbesondere mithilfe einer grandios schattenspielenden Beleuchtung der Innenräume.

Letztlich bleibt es dem Zuschauer überlassen, ob er an Übersinnliches oder Tiefenpsychologisches glaubt, oder an beides. So oder so ist dies die Geschichte einer Bedrohung durch Kräfte, derer sich zu erwehren oder auch nur zu entziehen schwer bis unmöglich ist und die auf einen katastrophalen Weg der Zerstörung oder Selbstzerstörung führen. Die sexuellen Dimensionen der Geschichte liegen zutage und bekommen gerade in den zwei Kussszenen zwischen Miss Giddens und Miles eine irritierende Bildhaftigkeit. Sie wurden durch das Prequel von Michael Winner (The Nightcomers 1971) - auch mithilfe eines seinerzeit längst anderen Zeitgeistes - verstärkt ins Zentrum gerückt. Nahtlos passen beide Filme zwar nicht aneinander, dafür sind sie schon allein stilistisch zu unterschiedlich, aber als Gesamtbild funktionieren sie dennoch: was zwischen Quint und Miss Jessel ausgelebt wurde, ist keine Geistergeschichte, und was Miss Giddens im Schatten dieser Vorgeschichte zu erleben hat, ist nicht nur verdrängte Libido, sondern eben Schattenwurf und in diesem Sinne allemale Verweis auf das, was da im Jenseitigen aufscheint.

Bezüglich der beiden Kinder bin ich nach wie vor zwiegespalten. Ihr Verhalten legt trotz Zuschauerskepsis gegenüber tatsächlich stattfindenden Geistererscheinungen eine latente Verschlagenheit und Verschworenheit nahe. Auf mich wirken sie selbst wie eine Bedrohung, da sie stets verheimlichend und eigentlich wissend scheinen und das im Kontrast zur übersteigert süßlichen Idylle, mit der die Begegnungen auf dem Landsitz anfänglich gezeichnet und betont werden, bei mir große Spannung hervorruft. Aber dieses Diffuse ist für mich eine deutliche Stärke des Films. Stehen sie unter einem bösen Einfluss der Geisterwelt? Sind sie "nur" beschädigt durch ihre Verlusterfahrungen? Sind sie gesund und proper und nur Miss Giddens Blick (und damit unserer) ist alarmierend?
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

MMeXX

Schön gruseliger Film! :eek: :shock: Der ist aus meiner Sicht richtig gut für einen dunklen, kalten, windigen Abend. Und wie von dir angesprochen am besten gleich als Doppel mit Bis das Blut gefriert schauen, dann kriegt man - okay, ich zumindest - in der Nacht kein Auge mehr zu. An diesem Film sieht man einfach auch, dass es keinerlei Computer-Tricks bedarf, um eine richtig dichte (Grusel)Atmosphäre aufzubauen und gezielte Schockmomente zu setzen. Die von dir angesprochene Sexualitäts-Thematik habe ich übrigens beim Sichten gar nicht auf dem Schirm gehabt. Lohnt sich für mich also, dass es a) den Thread gibt und ich b) mal 'ne Zweitsichtung einlege. Muss ich bei Gelegenheit mal machen, dann kann ich auch auf die von dir angerissenen Aspekte eingehen. Und die Tatsache, dass Capote am Drehbuch mitgeschrieben hat, war mir bisher gänzlich unbekannt.

Wer den Film noch nicht kennt, kann die capelight-DVD und/oder -Blu-ray Disc übrigens sehr günstig und mit jeder Menge Extras erwerben! Auslandssammler können beim British Film Institute oder ab September in der Criterion Collection zuschlagen. Den sollte man definitiv mal gesehen haben! :geist:

pm.diebelshausen

Zitat von: MMeXX am 22 Juni 2014, 17:32:51Die von dir angesprochene Sexualitäts-Thematik habe ich übrigens beim Sichten gar nicht auf dem Schirm gehabt. Lohnt sich für mich also, dass es a) den Thread gibt und ich b) mal 'ne Zweitsichtung einlege.

Hatte sowieso schon überlegt, Dir diesen Thread zu widmen, aber das ergibt nun einen ganz anderen Grund dafür.  :rotwerd:

Im Double mit "The Innocents" übrigens auch sehr gut, da es in diesem genug Referenzen gibt. Und: ja, an einem dunklen Winterabend, wenn es draußen heult und drinnen keine Klimaanlage zur Verfügung steht - dringende Empfehlung. (Da fällt mir ein, dass ich vor längerer Zeit mal einen Outtake zum Thema "Method Watching" schreiben wollte - vielleicht kommt es dieses Jahrzehnt noch dazu.)

Und wenn Du Muße hast, lies auch mal "Turn of the Screw", denn das ist ebenfalls grandios, eigentlich grandioser, und als Kurzroman oder Langnovelle gut zu machen.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

chilidog

Ich muss ja gestehen, dass ich den Film bislang noch nicht kenne, er aber mich schon seit längerem interessiert - nachdem ich mal von einem Ex-Mitarbeiter meiner Seite einen Tipp bekommen hatte.

Aber der Thread hier hat mich dazu bewegt, mir endlich mal die DVD zu bestellen und die wird dann auch schleunigst angeschaut.  :D

CarliSun

Sehr schöner Gruselfilm!
Den habe ich mal geschenkt bekommen und ihn mitten in einer kalten Winternacht angeschaut. Und was soll ich sagen? Die alten schwarzweißen Klassiker können einem immer wieder das fürchten lehren. Ich erinnere mich auch noch -peinlicherweise- an den Moment, indem ich bei "Bis das Blut gefriert" anfing laut zu brüllen (Treppen-Szene). Ja, manchmal legen sie noch mehr Andeutungen herein als moderne Filme und sind deutlich gruseliger. Das einfache Klopfen ohne erkennbaren Grund oder Verursacher ist schon ziemlich erschreckend ...

Den Film fand ich auch wunderbar von der Stimmung. Die Schauspieler sind top und überzeugen. Die Musik ist stimmig eingesetzt. Doch ein Manko hat der Film in meinen Augen: das Ende! Ich ewiß bis heute nicht, ob ich es richtig verstanden habe und, ob ich es gut finden soll?!  :unknown:

XOXO CarliSun
Narrator: "Remember this... even the most impossible parts of this story really happened."

John Keating: "No matter what anybody tells you, words and ideas can change the world."

Moonshade

Immer noch einer meiner unzerstörbaren Klassiker, die man besser für sich genießt und analysiert, als sie anderen Personen vorzuführen (das gilt auch für "The Haunting").
Gerade weil Claytons Verfilmung so eindeutig uneindeutig bzgl. der Geistererscheinungen ist, macht die idyllische Parkatmosphäre samt leisem Singsang so beachtlichen Eindruck.

Den möglichen Hintergrund hat ja 10 Jahre später Michael Winner mit dem wesentlichen offensiveren "The Nightcomers/ Das Loch in der Tür" samt Marlon Brando ausgeleuchtet, der ja als Prequel fungiert.
Aber auch so kann man herrlich an den ungedrückt-sexuellen Untertönen rumoperieren, wenn man sich nicht von der gothisch-viktorianischen Bildgewalt wegfluten läßt. 10/10 bei mir.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

chilidog

28 Juni 2014, 20:45:31 #6 Letzte Bearbeitung: 28 Juni 2014, 20:55:31 von MMeXX
Sodele, gerade nun endlich mal geschaut - auch wenn es kein kalter Winterabend war - was mir aber lieber wäre, als die Hitze :D.

Ich kannte den definitiv noch nicht. Ist auf jeden Fall ein wundervoller und schön gruseliger Film mit exzellenter Besetzung und in tollen Bildern gefilmt. Schön finde ich halt auch, dass es letztendlich nicht geklärt wird,
Spoiler: zeige
ob es sich um Geistererscheinungen handelt, oder ob Miss Giddens sich das nur einbildet.


Auf jeden Fall hat mich der Film neugierig gemacht und ich werde mir nun mal das Prequel "Das Loch in der Tür" ordern, auch wenn der in Farbe ist und im Grunde mit der 1961er Verfilmung nix zu tun hat, aber die "Vorgeschichte" interessiert mich nun doch ein wenig.

Habe auch gesehen, dass es 2006 mit "Dark Places" eine Neuverfilmung gibt, die ich auch in meiner Sammlung habe - allerdings bin ich mir da nicht sicher, ob ich den schon gesehen habe. Was ich aber eher bezweifle, denn die Geschichte kam mir nicht bekannt vor.

Peter Wyngarde als "Peter Quint" hätte ich in dem Film gar nicht erkannt, kenne ihn nur von den Bildern zur Serie "Jason King" - aber die entstand ja auch 10 Jahre später. :D

Auf jeden Fall ein Dankeschön an pm.diebelshausen für diesen Thread. Zwar stand "Schloss des Schreckens" schon lange auf meiner imaginären Wunschliste, aber nun musste ich den endlich mal ordern. :D

Auf jeden Fall bekommt der Film von mir 9 / 10 Punkte!

Moonshade

Zitat von: chilidog am 28 Juni 2014, 20:45:31


Auf jeden Fall hat mich der Film neugierig gemacht und ich werde mir nun mal das Prequel "Das Loch in der Tür" ordern, auch wenn der in Farbe ist und im Grunde mit der 1961er Verfilmung nix zu tun hat, aber die "Vorgeschichte" interessiert mich nun doch ein wenig.

Der ist ein wenig sperrig und rauh, aber in Anbetracht der sexuellen Untertöne (und Obertöne) fand ich ihn damals sehr interessant. Lohnt sich als Ergänzung und Erweiterung, sollte aber nicht im stilistischen Kontext gesehen werden, da unterscheiden sie sich stark.

"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

chilidog

Zitat von: Moonshade am 30 Juni 2014, 11:46:48
Zitat von: chilidog am 28 Juni 2014, 20:45:31


Auf jeden Fall hat mich der Film neugierig gemacht und ich werde mir nun mal das Prequel "Das Loch in der Tür" ordern, auch wenn der in Farbe ist und im Grunde mit der 1961er Verfilmung nix zu tun hat, aber die "Vorgeschichte" interessiert mich nun doch ein wenig.

Der ist ein wenig sperrig und rauh, aber in Anbetracht der sexuellen Untertöne (und Obertöne) fand ich ihn damals sehr interessant. Lohnt sich als Ergänzung und Erweiterung, sollte aber nicht im stilistischen Kontext gesehen werden, da unterscheiden sie sich stark.

Naja, nachdem ich am Samstag direkt nach "Schloss des Schreckens" noch die Neuverfilmung "Dark Places" nachgelegt habe, kann mich so schnell nix mehr erschüttern, denke ich. :D

Uhh, ist der schlecht gewesen, insbesondere direkt im Anschluss an den exzellenten britischen Klassiker. Keine Ahnung wie "Dark Places" auf mich gewirkt hätte, wenn ich den ohne der direkten vorherigen Sichtung von "Schloss des Schreckens" gesehen hätte.

Aber der ist weder gruselig noch sonderlich toll gefilmt. Das Ambiente der Villa - oder was das sein sollte - ist tot langweilig und erotischen Tendenzen, heben den Film auch nicht wirklich hervor. Die beiden Kinder in der s/w-Verfilmung spielen absolut großartig, was man von denen in der Neuverfilmung absolut nicht behaupten kann.

Moonshade

Der TV-Film von 2009 ist ganz interessant gewesen, weil er sich um einen Rahmen bemüht, um die Story des Kindermädchen runder und schlüssiger aufzubieten.
War jetzt keine Sensation, aber gute britische Gruselware, vor allem weil heute viel die alten s/w-Filme ja gar nicht mehr kennen oder anrühren (weil ja s/w).
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

lastboyscout

Na toll, weder Netflix noch Amazon Instant haben den Film im Programm.
Da ich normalerweise solche Filme aber mag, und dank der extrem positiven Reviews von euch doch etwas mutiger wurde, werde ich wohl bei der Criterion Collection zuschlagen im September.  :respekt:
I`m a tragic hero in this game called life,
my chances go to zero, but I always will survive.
( Funker Vogt - Tragic Hero )

What is your pleasure, sir? This is mine:
http://www.dvdprofiler.com/mycollection.asp?alias=lastboyscout

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