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1914 - Die letzten Tage vor dem Weltbrand (Richard Oswald, 1931)

Begonnen von pm.diebelshausen, 26 Juli 2015, 20:34:56

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pm.diebelshausen

26 Juli 2015, 20:34:56 Letzte Bearbeitung: 26 Juli 2015, 22:44:11 von pm.diebelshausen
1914 - Die letzten Tage vor dem Weltbrand (Deutschland, 1931)




Regie: Richard Oswald

Produktion: Richard Oswald

Drehbuch: Heinz Goldberg, Fritz Wendhausen

Darsteller:  Albert Bassermann, Hermann Wlach, Wolfgang von Schwindt, Robert Hartberg, Reinhold Schünzel, Lucie Höflich, Ferdinand Hart, Oskar Homolka, Adolf E. Licho, Hans Peppler, Theodor Loos, Fritz Alberti, Eugen Klöpfer, Alfred Abel, Victor Jensen, Ferdinand von Alten, Bruno Ziener, Heinrich George, Alexander Granach, Paul Mederow, Fritz Odemar, Eugene Fischer, Carl Goetz, Bernhard Goetzke, Olaf Fjord

Kamera: Mutz Greenbaum

Editor: Paul Falkenberg

Set Design: Franz Schroedter





Richard Oswalds Film aus dem Jahre 1931 stellt einen sehr frühen Vertreter des Typs Dokudrama dar. Richard Oswald (1880-1963) war einer der erfolgreicheren deutschen Stummfilmregisseure und gehörte zum Umfeld, in dem auch so bekannte Namen wie Werner Krauß, Conrad Veidt, Fritz Lang oder Georg Wilhelm Pabst arbeiteten.

Seine Filme haben heute nicht die Prominenz wie sie den Werken der genannten zukommt, aber seinerzeit waren ihm durchaus Erfolge beschieden. Er bewegte sich häufig im Bereich von Melodramen und Kriminalgeschichten, schuf aber auch frühe Horrorfilme (z.B. Unheimliche Geschichten, 1919). Innovativ wurde er beispielsweise im Bereich des Aufklärungsfilms (z.B. Anders als die Andern (1919), dem Zweiteiler Die Prostitution (1919) oder dem Vierteiler Es werde Licht! (1917/1918)). Dabei schuf er zwischen 1914 und der Einführung des Tonfilms jährlich zahlreiche Filme, allein im Jahr 1918 sind es 13 Spiel- und drei Kurzfilme. Auch im frühen Tonfilmzeitalter produzierte Oswald erfolgreich fürs Kino, aber mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 endete die Filmkarriere des jüdischen Regisseurs in Deutschland. Er emigrierte noch im selben Jahr und an den vergleichsweise wenigen folgenden Filmen lässt sich sein Weg ablesen: er produzierte sozusagen auf der Flucht in den Niederlanden, Österreich, England und schließlich den USA. Dort konnte er nicht im Ansatz an seine frühere Produktivität anknüpfen, sein letzter Film stammt aus dem Jahre 1949, vierzehn Jahre später starb Oswald in Düsseldorf.

1914 - Die letzten Tage vor dem Weltbrand zeichnet die Ereignisse nach, die vom Attentat in Sarajevo zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten. Dabei geht Oswald streng chronologisch vor, indem er zwischen den Schauplätzen nationalstaatlicher Politik wechselt und in Spielszenen sowohl interne Gespräche "hinter verschlossenen Türen" als auch diplomatische Verhandlungsversuche dokudramatisch inszeniert.

Im Tenor gibt der Film der russischen Mobilmachung die Hauptschuld am Kriegsausbruch - vor allem durch die Wirkung eines nachträglich vorangestellten, mehrminütigen Einführungsvortrags des Historikers Eugen Fischer-Baling, der ein Ergebnis von Beanstandungen durch die Zensur und ein ZUgeständnis darstellt. Antworten auf die durchaus komplexe Frage nach der Kriegsschuld von 1914 erhalten bis heute Gegenthesen und Oswalds Film stellt seinerseits eine mögliche Sichtweise auf die politischen Verzwirbelungen dar. Als überraschend aus heutiger Sicht kann dabei die geradezu Genre-stiftende Erzählstrategie gesehen werden, vergleicht man den Film mit jüngeren Vertretern. Aussagekräftige Vergleiche könnten beispielsweise mit Thirteen Days (Roger Donaldson, USA 2000) angestellt werden, der die Kubakrise des Jahres 1962 im gleichen Gestus des Dokudramas verbildlicht. Oswalds Film darf als innovativer Vorreiter gelten. Nicht zuletzt ähneln sich die beiden Filmgeschichten des Weges in den '14er Weltenbrand und in den Fast-Weltkrieg von '62 hinsichtlich der zwickmühlenhaften Dimension des Diplomatischen, an der eigentlich sinnvolle und die Katastrophe abwehrende Entscheidungen nicht vorbei können, und in der Darstellung der Militärs, die mit kriegstreiberischem Gestus hartnäckig und einseitig auf eigentlich besonnen abwägende Entscheidungsträger einzuwirken versuchen. Besonders stark in Oswalds bis in die Nebenrollen exquisit besetztem Film ist hier die Darstellung des Zars Nikolaus II., eindrücklich zerrissen gespielt von Reinhold Schünzel. Die Lebendigkeit des Spiels aller Darsteller geben dem Film entgegen seiner (dem dokumentarischen Anspruch geschuldeten) recht statischen Dramaturgie eine Qualität, die ihn sehenswert macht.


Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

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