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Vinyl (Scorsese, Jagger & Winter)

Begonnen von Mr. Blonde, 23 April 2016, 16:22:22

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Mr. Blonde

23 April 2016, 16:22:22 Letzte Bearbeitung: 23 April 2016, 16:27:31 von Mr. Blonde






Martin Scorsese, Mick Jagger und Terence Winter sind verantwortlich für "Vinyl", eine von HBO produzierte Serie, die den Plattenboss Richie Finestra in den Mittelpunkt setzt. Dessen Label versucht in den 70er Jahren händeringend Erfolge zu verbuchen. Dabei geht es natürlich wie gewohnt um Gewalt, Verbrechen, Sex, Drogen und Rock 'n' Roll.

Die Hauptrolle wird von Bobby Cannavale übernommen, den man noch als Gyp Rosetti aus "Boardwalk Empire" kennt, eine andere Serie in der Kombination Scorsese und Winter.

Hier meine Eindrücke zum knapp zweistündigen Pilotfilm:

Wie bei "Boardwalk Empire" stand Scorsese auch bei diesem Piloten selbst hinter der Kamera. Das ist durch und durch zu spüren. Dementsprechend feuert der gute Marty alle Markenzeichen ab: 360 Grad Kamerfahrten, Voiceover des Hauptdarstellers, Exzess, Aufstieg und Fall, Politik und Kneipenzwielicht. Wer sich bei "The Wolf of Wall Street" über Scorseses Recycling geärgert hat, dürfte sich hier weiter ärgern. Aus "WoWS" hat er dann auch die immer wieder kurz eingestreuten Slowmotion-Sequenzen eingebaut, die das sündhafte Treiben aus Drogen und Alkohol entsprechend einfangen sollen. Es scheint fast so, als wäre Scorsese am künstlerischen Ende angekommen, als seie für ihn inhaltlich, als auch inszenatorisch alles auserzählt. Wieder ist Resteessen angesagt. Allerdings muss man fairerweise festhalten, dass das Setting und das Grundkonzept frisch und unverbraucht genug sind, um gut zu unterhalten. Neben den Drogen- und Sexeskapaden, die mich bei Marty nur noch langweilen, wird glücklicherweise ein großer Fokus auf die Musik und den Zeitgeist der 70er Jahre gelegt. Das funktioniert, denn Scorsese ist immer noch der Meister, wenn es um die Aufarbeitung der amerikanischen Musikgeschichte im Film geht. Damit ist er genau der Mann für den Stoff. Er schert sich allerdings wenig darum, seinem Zuschauer immer klarzumachen, welche Rockgrößen denn da nundargestellt werden. "Led Zeppelins" Robert Plant ist dann schnell ausgemacht, aber wer kein intensives Musikfachwissen und ein wenig Fantasie mitbringt, dürfte schnell viele kleine Auftritte übersehen.

Drehbuchtechnisch wirkt das ganze noch unausgereift. Weder gibt es erwähnenswerte Dialoge, noch ist die Geschichte, wenn man sie aus dem Kontext nimmt, sonderlich neu. Warum es hier Jagger, Winter und Scorsese gebraucht hat, um wieder die Geschichte aus "Casino", "GoodFellas" und "The Wolf of Wall Street" zu erzählen, weiß der Geier. Das Konzept hat sich geändert, alles fühlt sich aber gleich an.

Dennoch hat der Pilot mein Interesse geweckt, denn der ist durchweg gut gespielt, vor allem in der Hauptrolle passend besetzt. Sympathien wollen und sollen aber keine aufkommen. Kein Wunder, haben wir es hier doch wieder mit einem verkommenen, manipulativen Arschloch zu tun. Jordan Belfort lässt grüßen. Nur geht Finestra
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dann auch buchstäblich über Leichen.
Die Figuren mögen mich noch nicht richtig fesseln, allerdings will ich trotzdem wissen, wie es weitergeht. Welche Musikgrößen werden noch integriert? Wie wird der aufkommende Punkrock thematisiert? Wird sich die Serie inhaltlich emanzipieren können?

Prinzipiell ist das schon ganz ordentliches Futter, das die Lücke, die die "Sopranos" und "Boardwalk Empire" hinterlassen hat, zwar nicht füllen kann, aber immerhin den gleichen Ballsport spielt. Nur eben mit ausgenudelten Schlägern. Ich bleibe aber am Ball.


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Private Joker

24 April 2016, 13:12:27 #1 Letzte Bearbeitung: 24 April 2016, 14:11:21 von Private Joker
Schöne ausführliche Einführung.

Hatte ja schon im Aquarius-Thread gesagt, dass ich den Piloten für einen ziemlichen Fehlstart halte. Vor allem gemessen am Aufwand - 100 Millionen hat HBO angeblich in die erste Staffel gesteckt, mehr als für eine Season GoT, wenn die Zahlen stimmen, und ganz ehrlich: Das Geld sieht man nicht auf dem Schirm oder es wurde in die falschen Sachen investiert: Ein
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Halleneinsturz
als Highlight ist bei einer Serie mit der Thematik mMn eine selten dämliche Idee, und wirklich aufgelöst wird das in der Folgeepisode auch nicht, reines Trailerfutter also. Dramaturgisch sind HBO-Serien ja selten wirklich stringent, aber ganz so ziellos wie hier muss es dann doch nicht sein, vor allem die Crime-Elemente wirken augesetzt und werden schon in der Folgeepisode auch kaum wieder aufgenommen. Dass die Hauptfiguren eher unsympathisch rüberkommen, scheint HBO-Fans ja generell nicht sehr zu stören.

Auch die Musik hat mich nicht überzeugt (also streng genommen nicht die Songs, das sind ja wohl überwiegend leicht aufgehübschte Originale), sondern die Art, die in die Serie einzubauen. Ab und wann wird motivationslos ein Rock- oder Pop-Klassiker der Zeit im Hintergrund angespielt, "Iron Man" von Black Sabbath etwa, aber immer nur ein paar Takte, das ist, wenn man die Musik im Prinzip mag, ein echter Abtörner. Und wenn dann mal ein paar eher mäßige Lookalikes auftreten - "Led Zeppelin" etwa - wirkt das von den Typen und der Präsentation einfach nicht "richtig". Einzig der kurze Traum-Auftritt von "Bo Diddley" mit der legendären viereckigen Gitarre hatte einen gewissen Charme.

Kann man sicher noch eine Chance geben, aber dass das für HBO der erfolgloseste Start einer Prestigeserie seit langem war, merkt man mehr als deutlich. Eine Season 2 soll es wohl trotzdem geben, ich glaube im Poker nennt man so was "pot committed".
"Ich bin zu alt für diesen Scheiß" "Dem Scheiß ist es egal, wie alt Du bist" (James Grady - Die letzten Tage des Condor)

Mr. Blonde

Zitat von: Private Joker am 24 April 2016, 13:12:27
Schöne ausführliche Einführung.

Hatte ja schon im Aquarius-Thread gesagt, dass ich den Piloten für einen ziemlichen Fehlstart halte. Vor allem gemessen am Aufwand - 100 Millionen hat HBO angeblich in die erste Staffel gesteckt, mehr als für eine Season GoT, wenn die Zahlen stimmen, und ganz ehrlich: Das Geld sieht man nicht auf dem Schirm oder es wurde in die falschen Sachen investiert

Wo Du recht hast... Irgendwie fehlen mir hochkarätige Darsteller. Das kann natürlich noch werden, aber bei den großen Namen, die hinter der Serie stehen, erwarte ich da noch etwas mehr. Zumal besonders manche Gesangseinlagen besser hätten rübergebracht werden können. Nach Robert Plant hörte sich der Sänger im Piloten nicht mal ansatzweise an. Da gibt es auch eigentlich keine Ausreden, denn da gibt es deutlich bessere Imitatoren zu finden, die notfalls hätten über den Darsteller "drübersingen" können.

Dass manche Songs nur kurz eingestreut werden, finde ich auch etwas schade, vor allem, wenn die Lautstärke der Musik drastisch reduziert wird, wenn die Dialoge anfangen. Genau wie bei dem Sabbath-Song. Das lässt das ganze sehr künstlich wirken. Das sind dann kleine Details, die ein bisschen stören, in der Summe aber schon nerven.

Juno Temple finde ich allerdings ganz sympathisch, eine der wenigen Figuren in der Serie bisher. Einer der Gründe, die Serie weiterzufolgen. In erster Linie allerdings das Setting.

Die besten HBO Serien sind ja auch zumeist die, in denen es keine sauberen Heldenfiguren gibt, daher ist man als HBO-Fan einfach darauf geeicht. Bei den Stoffen, die da erzählt werden, ist das zumeist ja auch gar nicht anders möglich. Ich finde es nur witzig, dass sich Finestra selbst eigentlich eher wie ein Gangster verhält. Das hat irgendwie was.


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Mr. Blonde

6 Mai 2016, 01:41:34 #3 Letzte Bearbeitung: 6 Mai 2016, 01:55:57 von Mr. Blonde
Habe nun die erste Staffel beendet und würde sie als gut aber mit deutlichen Mängeln bezeichnen. Das Interesse an den Figuren, zumindest einigen wenigen (Finestra eingeschlossen) wächst, ohne jemals Sympathie zu erzeugen. Das muss allerdings hier auch gar nicht sein, denn die Geschichte verlangt eben das genaue Gegenteil. Soweit funktioniert das auch recht gut. Es ist eben HBO und man bleibt sich treu. Dass hier größtenteils Scorsese-Einheitsbrei geliefert wird... geschenkt.

Besondere Highlights waren für mich die dargestellten Figuren von
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David Bowie, Alice Cooper und Elvis
, die absolut treffend verkörpert worden sind. Das hat schon diebischen Spaß gemacht. D
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er Aufbau mit der Abwerbung von Alice Cooper
war dann sogar recht clever und wirklich amüsant aufgelöst. Mit diesen illustren Nebenfiguren sind immer ein paar Überraschungen garantiert.
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Velvet Underground und Andy Warhol wurden dann auch recht gut eingefangen, wobei gerade letzterer zum Glück noch etwas Screentime mehr bekommt und in ein paar Handlungen eingebettet wird.
Dank der Crime-Einbindung durch die
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Mafia
wird am Ende auch ein guter Spannungsbogen aufgebaut. Das sind eben auch Elemente, die man von einem Terence Winter erwartet. Dass gerade dieser als Showrunner für die zweite Staffel abgesprungen ist, macht mir Sorgen. Das bedeutet natürlich nicht, dass hier nicht mehr geleistet werden könnte.

Inhaltlich wird die Staffel zwar nie wirklich brilliant, aber ich möchte doch meinen, dass "Vinyl" eher von seiner Musik, der Welt, den Details und der Umsetzung der 70er Jahre lebt. Dabei bleibt die Serie natürlich eher oberflächlich, aber bietet audiovisuell genug Futter, um bei der Stange zu halten. Besondere Atmosphäre schaffen die immer wieder kurz eingestreuten Musik-Traumszenen, die größtenteils großartig umgesetzt sind. Da kam mehrfach Gänsehaut auf, gerade wenn es um die Bluessachen ging.

Mick Jaggers Sohn und den Plot um die "Nasty Bits" hätte man sich aber klemmen können. Das wirkt nicht wie Punk, sondern wie weichgespülter Möchtegernkram. Davon abgesehen, dass auch die musikalische Qualität hinten und vorne nicht stimmt, weshalb die Beweggründe, die Band so zu pushen, mir nicht aufgegangen ist. Handlungsstränge, die ich so hingenommen habe... In der letzten Folge sind dann wohl die
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Ramones im Publikum zu sehen.
Sind mir leider entgangen. Wären auch deutlich interessanter gewesen, als eine fiktive und lahme Punkband anzubieten. Generell erhoffe ich mir für Staffel 2 mehr vor dem Punkhintergrund, aber weniger von den "Nasty Bits".

Definitiv eine Serie, die wachsen kann, wenn man mag und die eben ein großes Alleinstellungsmerkmal mit sich bringt. Zweite Staffel darf gerne kommen.


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StS

Wurde abgesetzt:

Zitat"After careful consideration, we have decided not to proceed with a second season of 'Vinyl.' Obviously, this was not an easy decision," HBO said in a statement. "We have enormous respect for the creative team and cast for their hard work and passion on this project."
"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

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