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Martin Scorsese: "Marvel Movies Aren’t Cinema."

Begonnen von manisimmati, 15 November 2019, 01:49:11

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manisimmati

15 November 2019, 01:49:11 Letzte Bearbeitung: 15 November 2019, 01:50:57 von manisimmati
Hallo zusammen

Hier eine kleine Nachtlektüre vom lieben Martin in der New York Times: »I Said Marvel Movies Aren't Cinema. Let Me Explain.« Für mich die wichtigste Stelle: »In the past 20 years, as we all know, the movie business has changed on all fronts. But the most ominous change has happened stealthily and under cover of night: the gradual but steady elimination of risk. Many films today are perfect products manufactured for immediate consumption. Many of them are well made by teams of talented individuals. All the same, they lack something essential to cinema: the unifying vision of an individual artist. Because, of course, the individual artist is the riskiest factor of all.«

Analysiert Scorsese die derzeitige Situation richtig? Oder ist es nicht eher so, dass man das Risiko schon immer minimieren wollte, heutzutage aber bessere (weil digitale) Werkzeuge dafür hat? Oder dass das Massenpublikum schlicht einen anderen – nicht notwendigerweise schlechteren! – Geschmack hat, der einem Scorsese halt eher fremd ist? Und natürlich darf man nicht vergessen, dass es auch früher berechnende Kalkül-Filme gab. Im Übrigen ist auch The Irishman nicht der risikofreudigste Film unter der Sonne. Trotz allem bin ich geneigt, Scorsese zuzustimmen. Bin aber gespannt auf eure Reaktion dazu.

Mr. Blonde

15 November 2019, 03:21:08 #1 Letzte Bearbeitung: 15 November 2019, 03:35:25 von Mr. Blonde
Habe die Diskussion schon seit Wochen mitbekommen und auch das, was die Presse daraus geschustert hat. Seine respektvollen, aber kritischen Äußerungen wurden ein wenig zweckentfremdet. Schaut man sich an, wie er darüber wirklich spricht, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Er ist ein Filmemacher, der sich um das Kino sorgt und er hat meinen höchsten Respekt für seine Äußerungen. Das sage ich als jemand, der noch keinen Marvel-Film gesehen hat, der mich nicht gut unterhalten hätte. Danach beurteile ich sie auch nur, als Unterhaltungskino. Aber am Ende des Tages ist alles doch irgendwie gleich und nachhaltiges Storytelling, das den Blickwinkel für das Kino erweitert, findet man nahezu nicht.



Er hat sogar recht breiten Zuspruch von Leuten, die sich Marvel-Fans nennen. Und das ist etwas, das sicherlich nicht selbstverständlich ist. Für mich sind seine Kommentare ein Hochgenuss und Kritik auf hohem Niveau. Er ist dabei immer sehr respektvoll, aber seine Bedenken scheinen immer wieder durch. Er hat sich in der Vergangenheit, schon zur Zeit von "The Wolf of WallStreet" besorgt geäußert, darum hat er wohl gerade mit dem Film versucht, seine Zutaten nochmals für ein jüngeres Publikum aufzukochen. Er sagt ja mittlerweile auch immer öfter, dass "The Irishman" vielleicht sein letzter Film sein könnte. Für mich spricht da ein Meister, der über sein Karriereende nachdenkt und schaut, was er und vor allem andere, der Filmkultur noch hinterlassen können. Und das dürfen gerne auch große Materialschlachten sein, sofern auch immer Platz für Kunst bleibt.

Abschließend: Für mich hat er in allen Punkten Recht. Umso mehr bezüglich seiner Äußerungen, dass es nur noch um schnellen Konsum geht. Das Binge-Watching, das bald auch ein schnelleres Abspielen auf Netflix erlauben soll, wird ja jetzt schon von vielen Filmschaffenden konsequent abgelehnt. Zuletzt hat sich Judd Apatov auch gegen diesen Trend ausgesprochen. Intros können übersprungen werden und auf Netflix und co. wird der Abspann mittlerweile ganz selbstverständlich einfach nach ein paar Sekunden abgebrochen, jedenfalls in der App. Das macht mir Sorgen.

Wie er in den Interviews auch immer wieder nachfragt: "You follow?", weil es ihm wirklich wichtig ist, dass das, was er sagt, auch gehört und richtig verstanden wird.

Übrigens: Tolles Thema! :respect: Schade, dass Diebels, MMeXX, Ratz und co. nicht mehr wirklich aktiv sind, die Diskussion wäre sonst über einige Seiten gegangen. Aber Pierrot wird sich hoffentlich zu einem Kommentar hinreißen lassen. :D


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StS

Hier mal ein Tweet (von seandavidyoung), den ich dazu gelesen habe:

Zitat#Scorsese the #MCU &  cinema debate reminds me of this William S Burroughs quote:

"The junk merchant doesn't sell his product to the consumer, he sells the consumer to his product. He does not improve and simplify his merchandise. He degrades and simplifies the client."
"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

Eric

Na da hat der gute Martin ja wirklich nicht ganz unrecht!

Trotzdem sind Filme immer ein Spiegelbild ihrer jeweiligen Zeit und der Gesellschaft. Und wenn due "heutige Jugend" auf Binge-Watching steht muss dieser Trend eben ebenfalls übernommen werden.

Ich bin übrigens ebenfalls ein grosser Fan des Binge-Watchings, seitdem die Serien grössere, zusammen hängendere Geschichten liefern und nicht mehr nur den "Fall der Woche" oder das "Monster der Woche"  wie es in den 80ern oder 90ern noch üblich war.

Und wenn ich die heutigen Blockbuster mit denen aus den 80ern vergleiche hat sich an deren Art eigentlich wirklich nicht viel geändert. Nur die Tricktechnik hat einen guten Sprung nach vorne gemacht.
80er: Ghostbusters, Zurück in die Zukunft, Star Wars, E.T., Indiana Jones, ...

Heute: Herr der Ringe, Avatar, Marvel und Konsorten

Und was das Überspringen von Vor- oder Abspännen betrifft:
Sorry, aber das mache ich eigentlich auch schon seit VHS-Zeiten, da es mich einfach nicht interessiert wer der 3. Kameramann der 2. Technik-Crew ist oder wer das Catering gemacht hat.
Und gerade wenn man sich mehrere Folgen einer Serie am Stück ansieht, also ich persönlich möchte da dann auch nicht alle 40 Minuten den kompletten Vor- und Abspann der Serie sehen. (Ausser bei RICK & MORTY!!)

Was mir aber persönlich wirklich sauer aufstossen würde wäre, wenn Produzenten und Filmfirmen nur noch auf Umsatzmaximierung schauen und dabei sowohl die Story des Blockbusters als auch kleinere FIlme aussen vor lassen.

Aber genau das ist bisher komischerwiese, trotz aller Unkenrufe der letzten 15 Jahre, noch nicht eingetroffen!
Es kommen immer wieder wahre Perlen ins Kino, bei denen ich mir denke "Da hat die Marketingabteilung ausnahmsweise mal nicht (nur) an das schnelle Geld gedacht." Also Filme wie zuletzt THREE BILLBOARDS ..., SWISS ARMY MAN, CAPTAIN FANTASTIC, ISLE OF DOGS aber auch der aktuelle JOKER.

Ich denke daher eher, dass das grösste Problem, was die Filmwirtschaft in der nächsten Zeit haben wird sozial Media und seine Folgen sein wird!
Diese ganzen Snowflakes, Randgruppen, besserwissende Gutmenschen, die alle glauben sie stehen an der Spitze mit ihrer Meinung und Gleichgesinnte um sich scharen.
Und die haben leider wirklich die Macht durch Shitstorms und Ähnliches.

Auch die Macht Filmfirmen dazu zu bewegen Filme umzuschneiden oder sogar den Kinostart zu canceln.

Daher sehe ich persönlich hier eher das Problem oder die Herausforderung, als dass 2020 der 34. Marvel-Superheldenfilm in die Kinos kommt. (Es startet nämlich auch ARTEMIS FOWL auf den ich persönlich mich schon besonders freue, da ich die Bücher liebe)

Weder das Kino noch die Ideen oder gute Filmemacher und Visionäre sind "tod", auch Streamingdienste bereichern den Markt eher als dass sie ihn schwächen.
Aber man sollte sich einfach mal wieder trauen und sagen "Ach scheiss doch drauf, wir ziehen das jetzt so durch!!" und Filme drehen, die anecken dürfen und sollen.
Liebe Ursula,
wünsch dir frohe Ostern, nen tollen Namenstag und nen guten Rutsch ins Jahr 1978!
Grüsse aus der Alzheimergruppe, deine Tante Günther!

Ich hasse Menschen, Tiere + Pflanzen. Steine sind ok.

PierrotLeFou

Zitat von: Eric am 15 November 2019, 10:56:08Diese ganzen Snowflakes, Randgruppen, besserwissende Gutmenschen, die alle glauben sie stehen an der Spitze mit ihrer Meinung und Gleichgesinnte um sich scharen.
Und die haben leider wirklich die Macht durch Shitstorms und Ähnliches.

Auch die Macht Filmfirmen dazu zu bewegen Filme umzuschneiden oder sogar den Kinostart zu canceln.

Abgesehen davon, dass ich die Social-Media-Diskussionskultur und den Gehalt der Analyse solcher Diskussionen für nicht allzu wertvoll halte (weil es da am ehesten noch um Zugehörigkeitsgefühle, Wertungen und Emotionen geht), würde ich da jetzt aber keine Macht sehen.
Man kann einen Shitstorm auch einfach gepflegt ignorieren... wenn Filmfirmen aus Angst um den finanziellen Erfolg alles wieder umgestalten, ist das einzig ein Problem der Haltung dieser Filmfirmen. Dass ein potentielles Publikum im Vorfeld seine Meinung äußert (öffentlich oder gar als Kollektiv) ist völlig legitim... (wobei ich einen halbwegs zivilisierten Tonfall freilich voraussetze...)
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Mr. Blonde

15 November 2019, 11:31:44 #5 Letzte Bearbeitung: 15 November 2019, 11:43:57 von Mr. Blonde
Zitat von: Eric am 15 November 2019, 10:56:08Und was das Überspringen von Vor- oder Abspännen betrifft:
Sorry, aber das mache ich eigentlich auch schon seit VHS-Zeiten, da es mich einfach nicht interessiert wer der 3. Kameramann der 2. Technik-Crew ist oder wer das Catering gemacht hat.
Und gerade wenn man sich mehrere Folgen einer Serie am Stück ansieht, also ich persönlich möchte da dann auch nicht alle 40 Minuten den kompletten Vor- und Abspann der Serie sehen. (Ausser bei RICK & MORTY!!)

Das ist natürlich eine individuelle Entscheidung. Die möchte ich aber auch selbst treffen dürfen und nicht aufgezwungen bekommen, dass der Abspann nach 5 Sekunden abbricht und ich umständlich wieder die Fernbedienung in die Hand nehmen und rumdrücken muss. In der App habe ich da ja keine Wahl. Schaue zwar auch gerne mehrere Folgen hintereinander, aber für mich kommt bei solchen Zwängen das Gefühl der Massenabfertigung auf und nicht mehr Genuss. Viele Serien haben auch in den Credits ganz unterschiedliche Musikstücke, die das Ende nochmal atmosphärisch ausklingen lassen. Sowas möchte ich nicht missen. Oder so mancher fieser Cliffhanger, der einen mit herunterhängender Kinnlade zurücklässt, man sich erst sammeln will, während der Abspann hastig abgebrochen wird und man gefälligst doch am besten gleich die nächste Folge konsumieren soll. Einfach eine Einstellung in die App reinhauen, dass man Abspann an oder abschalten kann, dann sind alle zufrieden.

Und natürlich kommen noch Perlen ins Kino, wie der von dir genannte "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri", aber der läuft dann zwei mal am Tag im kleinen Kino, weil der 15. Superheldenfilm des Jahres ja am Tag 15 mal gespielt werden muss und das in 4 Sälen verteilt. Das kreidet Scorsese ja auch an. Damit geraten kleinere Filme schon eindeutig ins Hintertreffen, sowohl finanziell als auch durch weniger Aufmerksamkeit, die sie bekommen können. Und die noch kleineren Filme, ganz ohne Starpower, die haben dann schon gar nichts zu lachen.


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Glod

ZitatAll the same, they lack something essential to cinema: the unifying vision of an individual artist. Because, of course, the individual artist is the riskiest factor of all

Alldieweil das sicher für etliche aktuelle Produktionen in der Blockbuster-Sektion gilt, würde ich ausgerechnet die Marvel-Filme von dieser Charakterisierung ausnehmen und zwar deutlich.

1) Die Marvel-Filme sind als Ganzes zu sehen. Wir reden hier nicht über Iron Man 1 und Avengers 2. Wir reden über das MCU und das folgt sehr wohl der Vision eines...ok, ich will hier nicht das Wort "Künstler" überstrapazieren, aber es ist Kevin Feige, der hier alle Fäden in der Hand hält und hier etwas wahrhaft Monumentales erschaffen hat, dass so keinerlei Entsprechung in der Filmlandschaft hat.

2) Marvel ist bei so einigen Filmen ein ziemliches Risiko eingegangen. Die Guardians, Antman, der erste Thor, der dritte Thor, Black Panther etc. - diese Filme waren alles andere als kalkulierte Stangenware und trugen trotzdem erheblich zum Erfolg des MCU bei.
Und gerade bei diesen Filmen zeigt sich auch die jeweilige Vision des Regisseurs, die immer hervorragend umgesetzt wurde.

3) Nebenbei bemerkt hat Marvel auch durchaus einiges an Pionierarbeit geleistet. CGI mag vielleicht bei alten Haudegen wie Scorsese verpönt oder kein filmisches Handwerk sein, aber Marvel hat hier stets sehr sauber gearbeitet und immer versucht, die Grenzen weiter zu verschieben.

Also wie gesagt - ich gebe ihm Recht, was Blockbuster per se angeht, würde aber ganz speziell das MCU von dieser Kritik ausnehmen. Da steckt einfach viel zu viel Liebe zum Detail drin.
"Er wird mir eine Kugel verpassen und dann Selbstmord begehen." -Nina Meyers-

"Wir passen schon auf, dass er keinen Selbstmord begeht." -Jack Bauer-

Mr. Blonde

Zitat von: Glod am 15 November 2019, 12:12:16CGI mag vielleicht bei alten Haudegen wie Scorsese verpönt oder kein filmisches Handwerk sein, aber Marvel hat hier stets sehr sauber gearbeitet und immer versucht, die Grenzen weiter zu verschieben.

Scorsese hat mehrfach in diversen Interviews klargestellt, dass er sehr wohl das Handwerk hinter diesen Filmen anerkennt, dass diese toll gemacht sind und unglaublich viele kreative Menschen hinter dem Prozess stehen. Das CGI ist dabei natürlich auch gemeint. Warum sollte er CGI verpönen, wenn "The Irishman" komplett darauf aufgebaut ist.


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pm.diebelshausen

16 November 2019, 10:40:30 #8 Letzte Bearbeitung: 16 November 2019, 12:12:31 von pm.diebelshausen
Einer so charmanten Einladung durch die Hintertür mag ich mich nicht entziehen, Blondie. Das Thema ist ein weites Feld mit vielen Aspekten, wenn ich auch persönlich dazu neige, sie alle unter dem dominanten Diktat der freien Marktwirtschaft zu bündeln. Aber ich versuche mal, ein paar darüber hinaus gehende Gedanken reinzubringen, und komme am Ende nochmal auf die Marktwirtschaft zurück.

Zunächst einmal finde ich ebenso wie Blonde Scorseses Auftreten sehr sympathisch. Er macht sich Sorgen, er stellt sich Fragen, er poltert nicht vorwurfsvoll herum und ich kann ihm ebenfalls nur zustimmen - vielleicht bis auf in einem Punkt und das ist die Frage nach der Risikobereitschaft. Ja, es gibt Rezepte dafür, wie man einen Film macht, einen potenziell erfolgreichen Film. Und ich sehe auch, dass diese Rezepte den Markt beherrschen und bis zum Überdruss immer wieder aufgekocht werden. Aber noch scheint mir nicht der Punkt erreicht, so er überhaupt erreichbar sein könnte, an dem das Rezept den Erfolg vorhersagbar garantiert.

Die Reise des Helden ist größtenteils zum Selbstzweck geworden oder, um Hitchcock aufzugreifen: Filme nehmen ihren McGuffin zu ernst und bieten abgesehen von technischer Versiertheit und eye candy dann sonst nichts Relevantes oder Bereicherndes oder Anregendes für die Zuschauer, das über leicht konsumierbare Kulissenschieberei und Entertainment hinausgeht. Das als amusement-park-movies zu bezeichnen, finde ich treffend, und die Berechtigung solcher Unterhaltung spricht Scorsese diesen Produktionen, die in ihrem Anspruch hervorragend gemacht sind, nicht ab, was ich auch nicht werde. Beeindruckende und auch innovative Technik können tolle Meilensteine sein, nur denke ich, dass sie erst mit Blick auf das, was mit ihnen erzählt wird, einen Mehrwert bringen. Anders gesagt: filmtechnische Neuerungen sind an sich keine Bereicherung für das Publikum, sondern für andere Filmschaffende. In gewisser Weise missversteht sich das Publikum in seiner Rolle völlig, wenn es diesen Aspekt bei seinem Filmgenuss in den Vordergrund stellt oder als Argument für die Legitimierung (die eigentlich nichtmal nötig wäre) von amusement-park-movies benötigt. Hält sich ein an der Kinokasse und im Internet einflussreicher Teil der Zuschauer irrig für Filmemacher? Falls man diese Frage irgendwie mit "ja" beantworten kann, liegt die Möglichkeit dazu dann auch an der Art Filme, die sie konsumieren - z.B. indem gerade diese Filme sich angreifbar machen, indem sie das, was die Kunstform Film laut Scorsese eigentlich ist, auf eine reine Form reduzieren? Und das Publikum reflexartig reingrätscht ohne wie Scorsese zu bemerken, worin die Problematik besteht? Ist es ein Impuls des Publikums, relevant zu sein, gerade weil diese Filme ihr Publikum auf seine Eigenschaft als Konsumierende reduzieren? "He degrades and simplifies the client", hat StS oben zitiert.

Aus meiner Sicht ist gegen reine Unterhaltung nichts einzuwenden, aber für mich ist gegen prodesse et delectare noch weniger einzuwenden. Wenn man die Leute schon so sicher als Publikum hat (den Ort und die Art des Mediums lasse ich mal außen vor), dann nutze das doch, um ihnen nicht nur ein wohliges Zweistundengefühl aus Eskapismus zu bieten, sondern gib ihnen auch etwas für die Welt vor der Kinotür mit auf den Weg, denn Du entführst sie sonst zwar gegen Geld, aber Du entlässt sie quasi nackt, nachdem Du sie mit dem wunderbaren Zauber der Lichtillusion ihrer Kleider beraubt hast. Noch einmal: "He degrades and simplifies the client". Das meine ich auch.

Scorseses Hauptpunkt ist für mich, dass er beobachtet, wie derartige Filme weiterhin zunehmend den Markt beherrschen und den Raum für andere Konzepte einschränken. Ohne den Markt noch groß zu verfolgen erlebe ich das auch: in meiner eigenen Sehbiografie. Ich habe zwar schon immer in (relative) Nischen geschaut, Stummfilme, Autorenfilme, abseitigere Produktionsländer oder einfach solche mit anderen Erzählstrukturen. Im Laufe der Zeit nahm das Bedürfnis nach Nischen ebenso zu wie auf der anderen Seite das Gefühl der Übersättigung mit den immer wieder aufgegossenen Narrativen und Inszenierungen. Bei mir entstand bei allem Thrill einer Achterbahnfahrt vor allem eines: Langeweile, been there, done that, same old, same old. Ich verstehe, dass Menschen sich sicher fühlen wollen, und das Konsumieren von Altbekanntem auch im neuen Gewand kann dazu dienen. Andererseits weiß ich, dass Lernen, auch im Sinne von sich weiter entwickeln, durch Irritation stattfindet. Ich möchte Filme, die mich irritieren, mal mehr, mal weniger, mal völlig - jedenfalls nicht ausschießlich bestätigen. Bei Scorsese: "It was about confronting the unexpected on the screen and in the life it dramatized and interpreted". Das ist mein persönlicher Anspruch an Filme und den kann ich nicht auf die Ganzheit des Produktionsmarktes oder die Gesamtheit der Rezipienten projezieren. Aber den Anspruch stellen, dass auch dieses Kino stattfindet und in seiner Existenz geschützt und begünstigt wird, gerade von den Majors, die in der Lage wären, das zu leisten, kann ich wie Scorsese stellen. Denn das ist auch ein gesellschaftspolitisches Thema.

Übrigens: die Biografie eines Filmeguckers ist nun die eine Sache, aber außer Acht gelassen werden sollte dann nicht, dass stets neue Filmegucker mit ihrer Biografie beginnen. Die bisherigen Seherfahrungen und Sehgewohnheiten nimmt man mit ins Kino, ins Heimkino, in was auch immer. Scorsese ist sich auch darüber bewusst: "I know that if I were younger, if I'd come of age at a later time, I might have been excited by these pictures and maybe even wanted to make one myself. But I grew up when I did [...]".

Oben wurde schon auf die Macht der Massen hingewiesen. Man kann argumentieren, dass der Markt eben bereitstellt, was die Kunden mehrheitlich sehen wollen. Insofern ist der Kapitalismus eine demokratische Veranstaltung und ja, mittlerweile nehmen Shitstorms und Onlinepetitionen Einfluss auf das, was dem Publikum aufgetischt wird (wenn auch ein überarbeiteter Sonic nicht zwingend einen besseren Film macht). Ich finde das in Ordnung, solange es auch die Wahrnehmung von Verantwortung des Künstlers gibt. Die Filmemacher, Produzenten, Studios sind nicht nur Ausführende des Zuschauerwillens, der ja große Gesamttendenzen haben mag, der aber alles in allem eben nicht homogen ist. Sie sind Gestaltende, sie reichern die kulturelle Gesellschaft an und ihre Werke sind Grundlage und Inspiration für das Künftige. Ich denke, darum geht es Scorsese und auch in diesem Zusammenhang definiert er Marvel exemplarisch als eine andere, neue Form von Kino.

Spannend ist der Hinweis, dass die jetzt erfolgreich Schaffenden durch die Schule seiner (auch exemplarisch gemeint) Filme gegangen sind, denn daran schließt sich die Frage an, wie es möglich ist, dass Filme mit einer ganz anderen Stoßrichtung in der Lage waren, zur Entstehung der amusement-park-movies beizutragen. Ich muss dabei an Frank Zappa denken, der in einem Interview beschrieb, wie es in den frühen Sechzigern die altbackenen Herren in den Companies waren, die echt schräge Musikproduktionen zuließen, eben weil sie nicht wussten, was das da überhaupt ist oder sein soll - bis dann die hip young executives kamen, auf den Chefsesseln Platz nahmen und wussten, wie anders alles sein musste, und ihre Vorstellung zum Leitfaden machten. Vielleicht gibt es da Parallelen?
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

McClane

Ich bin etwas zwiegespalten. Zuerst muss ich sagen, dass ich Scorseses Meinung komplett legitim finde und dass sie auch sehr respektvoll formuliert ist.

Aber leider ist diese Debatte auch ein Zombie; sie will seit dem Beginn des Blockbusterkinos nicht sterben und wird ahistorisch stets mit einer neuen Sau, die durchs Dorf getrieben wird, geführt. Und da ist leider auch bei Scorsese der blinde Fleck. Er geht zwar in die eigene Jugend zurück, erwähnt dann wiederum "the filmmakers I came to love and respect, for my friends who started making movies around the same time that I did" ohne auf deren Schaffen einzugehen. Denn dazu gehören auch George Lucas und Steven Spielberg, denen auch stets der Vorwurf gemacht wurde, dass ihre Filme bloß Achterbahnfahrten seien, kein richtiges Kino. Der Filmwissenschaftler Tom Gunning wollte die Lucas-Spielberg-Schule dann als neues "Kino der Attraktionen" charakterisieren, an dem der Film zu seinen Ursprüngen als Jahrmarktsattraktion geführt wird. In einem Buch von 2001, "The End of Cinema as We Know It. American Film in the Nineties" verkünden manche Autoren dann ähnliches; James Schamus, Indie-Produzent und Drehbuchautor von u.a. "Der Eissturm", beklagt darin zum Beispiel, dass Kinos nur noch Zuckerwasser an Teenager verkaufen wollen und Filme als Rechtfertigung dafür brauchen. Ungefähr zur gleichen Zeit schrieb Rainer Rother einen Text, in dem er Actionfilme als Untergang des (Genre)Kinos sah, da es ja angeblich nur noch um Knall-Bumm-Peng ginge.
All das, was heute als gutes Blockbusterkino gilt, darunter "Star Wars", "Indiana Jones", "Ghostbusters" und "Lethal Weapon", wird darin als Beispiel für den (vermeintlichen) Niedergang des Kinos genannt. Insofern ist es manchmal amüsant, wenn genau diese Franchises von Kritikern der Marvel-Filme hochgehalten werden.
Auch in den 1980ern wurde schon vermehrt auf Marktforschung gesetzt und die kommerzielle Ausrichtung des Filmeschaffens zeigte sich auch. Von "Freitag, der 13te" gab es (wie bei anderen Slasherfilmen) Titel und Plakat vor dem Drehbuch und genau von jenem Film wurden ja in ganz schnellem Takt Fortsetzungen gedreht.

Der Punkt, in dem ich Scorsese zustimmen würde, ist der, dass sich manche Entwicklungen in den letzten Jahren verschärft haben, dass es vor allem der Mid-Budget-Film immer schwerer hat, während die Studios neben Kleinvieh vor allem auf dicke Tentpoles setzen, die auf möglichst sicherem Wege das Geld einspielen sollen - und die Statistik zeigt, dass vor allem Bekanntes zieht, besonders bei Sequels oder Reboots. Auch das ist nicht neu; in den 1980ern und 1990ern wurden ja sehr gern Romane verfilmt, um ein eingebautes Publikum zu erreichen. Heutzutage mag das bei explodierten Budgets noch weniger Risikofreude generieren, da ein Misserfolg ein Studio in die Knie zwingen kann.
Womit wir dann bei Scorseses Henne-Ei-Frage wären, die sich mir auch stellt. Wenn man sich diverse Blockbusterversuche der letzten Jahre anschaut, die vom Publikum versenkt wurden (siehe "Lone Ranger", "John Carter", "Cowboys & Aliens", "Battleship" - und auch das waren zum Großteil keine Neuschöpfungen), dann ist irgendwo klar, warum man lieber auf Superhelden setzt, die derzeit Gewinne gerieren. Und die Frage ist, ob es in den 1980ern anders war - ob Scorseses "The Last Temptation of Christ" auch nur ansatzweise so großen Leinwandeinsatz bekam wie "Star Wars", Indy etc.

Bei der ganzen Debatte gibt es noch eine Sache, die ich eigenwillig finde. Wenn man mal aufs Jahr schaut, dann ist die Anzahl der Marvel- bzw. Superheldenfilme nicht so groß. Ja, sie ziehen viel Aufmerksamkeit, ja, sie kriegen viele Leinwände, aber wir reden hier immer noch über eine einstellige, vielleicht niedrige zweistellige Zahl im Jahr. Aber dadurch, dass Marvel bzw. Superhelden immer wieder erwähnt werden, selbst dann, wenn es um was ganz anderes geht (im Sinne von "wenigstens kein Marvel-Film"), dann macht man den Gegenstand groß bzw. Werbung dafür. Das hat sich inzwischen bis in Feuilleton durchgefressen.

Ich muss zugeben, dass ich Marvel-Filme mag. Ja, es ist manchmal etwas nervig, dass schon die nächsten Filme in den Startlöchern stehen, dass man manche Entwicklungen absehen kann. Andrerseits: Hat jemand wirklich ernsthaft bei irgendeinem Indy- oder Bond-Film gedacht, dass es den Helden gleich erwischt? Ja, diese Filme sind irgendwo safe, aber auch sie haben Raum für Experimente. Mich hat "Captain America: The Winter Soldier" mit seinem Wechsel vom Steampunk-Flair des Vorgängers zu Seventies-Politthriller-Anleihen und mancher Storyentwicklung jedenfalls mehr überrascht als z.B. die Filme des von Scorsese genannten Wes Anderson, bei denen man sich immer wieder auf Zentralperspektive, Puppenstube-Optik und Bill Murray einstellen kann (obwohl auch da tolle Sachen wie "Moonrise Kingdom" bei sind).
"Was würde Joe tun? Joe würde alle umlegen und ein paar Zigaretten rauchen." [Last Boy Scout]

"testosteronservile Actionfans mit einfachen Plotbedürfnissen, aber benzingeschwängerten Riesenklöten"
(Moonshade über yours truly)

pm.diebelshausen

17 November 2019, 13:20:12 #10 Letzte Bearbeitung: 17 November 2019, 13:22:23 von pm.diebelshausen
Du hast schon recht damit, dass es ein alter Hut ist, neue Formen zu diskreditieren und ihnen Gefahrenpotenzial zuschreibt. Das gab und gibt es schon immer und auf allen Ebenen, sozusagen im Mikro- wie im Makrobereich. Letztlich kann man davon ausgehen, dass Kritik neuen Medien gegenüber, sei es der Roman, die Zeitung, der Film, der Blockbuster, die VHS-Kassette, die Videogames, die Streamingportale, wohl begann, als das erste Mal ein Mensch vor über 40.000 Jahren in eine Knochenflöte tutete und sein Höhlennachbar eine Unterschriftensammlung gegen diese Verderbtheit anstrengte.

Ich lese Scorsese aber gar nicht so sehr in diese Richtung. Er vermaledeit nicht diese Filme sondern er nimmt sie als neue Art des Filmschaffens wahr und ernst und engagiert sich für Abgrenzung der Begrifflichkeiten und gegen die Vorstellung, das sei alles, was Kino kann und will. Also nicht "Früher war alles besser" sondern "Lasst nicht unter den Tisch fallen, was es sonst noch alles geben kann".

Deinen Skeptizismus gegenüber dem Eindruck, dass Kunstformen überhaupt von Konsumformen verdrängt werden, kann ich nachvollziehen, wenn es um die Menge der Produktionen geht. Dagegenhalten kann man aber auch den Eindruck, dass allenthalben tatsächlich Mainstream Nischen verdrängt hat und der Kommerz es seinem Publikum nicht annähernd prominent nahebringt, nicht nur das wahrzunehmen, was vermeintlich alle wahrnehmen. Die Trampelpfade des Kunstgenusses sind inzwischen deutlicher ausgetreten, wenn auch Liebhaber weiterhin ihre Wege finden, an das zu gelangen, wonach sie lechzen. "Kunden, die diesen Artikel angesehen haben, haben auch angesehen". Na, manche von ihnen haben auch The Last Temptation of Christ gesehen.

Sein Publikum ernst zu nehmen hieße auch, es nicht zu reduzieren, sondern es in seiner Mündigkeit zu unterstützen. Dass damit Risiken, nämlich der Griff ins Klo verbunden sein kann, wenn einem Marvel-Fan dann Joker nicht nur wegen der zugrundeliegenden Verlage missfällt, ist klar. Nur verschränkt der Markt den Missmut, der eigentlich persönliche Sache zwischen Rezipient und Kunstwerk ist, mit den Millionen, die ausgegeben und eingenommen werden (müssen). Darin liegt ein Knackpunkt, der die Kunstwelt, eben auch die Filmwelt, beeinflusst und mir scheint nur die entstehende Schieflage Scorseses Sorge zu sein, nicht die Existenz der Marvel-Filme.

Man kann sagen, dass bislang das Kino trotzdem nicht gestorben ist, und davon ausgehen, dass dem deshalb auch weiterhin so sein wird. Die Verschärfung der Tendenzen siehst Du aber ebenfalls und Scorseses Bedenken gehen eben in die Richtung "was bleibt künftig übrig, wenn nicht auch bewusst gegengesteuert wird?". Insofern treibt er keine Kuh durchs Dorf sondern weist darauf hin, dass da mitten im Dorf eine Kuh steht, draußen auf der Weide aber noch viele andere und sogar ein Kaffernbüffel.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Mr. Blonde

17 November 2019, 15:56:16 #11 Letzte Bearbeitung: 17 November 2019, 16:01:49 von Mr. Blonde
Was ich hier ein paar mal gelesen habe, damals habe es ja auch sowas wie "Ghostbusters", "Back to the Future", "Indiana Jones" usw. gegeben. Das ist natürlich richtig, aber man schaue sich mal an, in welcher Variation diese Filme aufgetreten sind. Da waren Zeitreise- oder Geister-Filme trotzdem nicht in der Marge vorhanden, wie die Superheldenfilme heute. Aktuell ist doch auch der Abenteuerfilm Marke Indy tot. Abenteuer- und Zeitreisethematik sowie die Sci-Fi-Aspekte werden von Marvel und co. eigentlich komplett eingesogen.  Ist ja an und für sich okay, weil das auch funktioniert, aber ich empfinde eine große Diskrepanz zwischen dem Blockbusterkino der spätern 70 bis 90er und dem, was uns heute angeboten wird. Damals hat man natürlich diese Filme auch in erster Linie mit dem Hintergedanken gemacht, Kohle zu schöpfen, aber für mich war der kreative Prozess ein anderer, schon alleine, weil Filmschaffende wie Spielberg und co. nicht auf der Stelle getreten sind oder auf Nummer sicher gespielt haben, sondern immer wieder neue Aspekte gefunden haben. Gerade bei Spielberg kann man nun kaum vorwerfen, seine Blockbuster wären identisch mit gleichen Inhalten gewesen. Er hat immer versucht, neue Ideen zu präsentieren. Auch James Cameron hat sich verschiedenen Genres und Stimmungen angenommen. Solche kleinen Revolutionen im Blockbuster-Kino, ja die sind doch deutlich seltener der Fall, oder? Kann natürlich damit zu tun haben, dass das Publikum immer das Gleiche sehen will. Weicht ein Streifen zu sehr von der Formel ab, siehe "Mortal Engines" oder Derartiges, floppt er katastrophal.


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McClane

Zitat von: Mr. Blonde am 17 November 2019, 15:56:16Was ich hier ein paar mal gelesen habe, damals habe es ja auch sowas wie "Ghostbusters", "Back to the Future", "Indiana Jones" usw. gegeben. Das ist natürlich richtig, aber man schaue sich mal an, in welcher Variation diese Filme aufgetreten sind. Da waren Zeitreise- oder Geister-Filme trotzdem nicht in der Marge vorhanden, wie die Superheldenfilme heute. Aktuell ist doch auch der Abenteuerfilm Marke Indy tot. Abenteuer- und Zeitreisethematik sowie die Sci-Fi-Aspekte werden von Marvel und co. eigentlich komplett eingesogen.

Stimmt schon. Aber genauso sind auch in den 1980ern gewisse (Blockbuster-)Genres in der Versenkung verschwunden, die früher kräftig gezogen haben. Das Musical, das Historienepos und der Western haben immer mal wieder kurze Revivals, wenn gerade ein "Gladiator" oder ein "Erbarmungslos" funktioniert, spielen aber keine große Rolle mehr. Dafür haben sich heute dann neuere Erfolgsgenres (siehe die Young-Adult-Werke) etabliert.

Zitat von: Mr. Blonde am 17 November 2019, 15:56:16Ist ja an und für sich okay, weil das auch funktioniert, aber ich empfinde eine große Diskrepanz zwischen dem Blockbusterkino der spätern 70 bis 90er und dem, was uns heute angeboten wird. Damals hat man natürlich diese Filme auch in erster Linie mit dem Hintergedanken gemacht, Kohle zu schöpfen, aber für mich war der kreative Prozess ein anderer, schon alleine, weil Filmschaffende wie Spielberg und co. nicht auf der Stelle getreten sind oder auf Nummer sicher gespielt haben, sondern immer wieder neue Aspekte gefunden haben. Gerade bei Spielberg kann man nun kaum vorwerfen, seine Blockbuster wären identisch mit gleichen Inhalten gewesen. Er hat immer versucht, neue Ideen zu präsentieren. Auch James Cameron hat sich verschiedenen Genres und Stimmungen angenommen.

Aber sind die Regisseure auch jetzt einseitiger geworden? Taiki Waititi drehte nach "Thor 3" "Jojo Rabbit", Shane Black nach "Iron Man 3" "The Nice Guys", Joss Whedon nach "The Avengers" "Much Ado About Nothing" etc. Ja, das sind meistens keine Big-Budget-Filme mehr, aber da sind wir bei dem bekannten Problem (s.u.).
Aber trotzdem gleichen sich die Argumente von heute und damals. Ein Beispiel wäre Andrew Brittons Aufsatz über "Reaganite Cinema", auch wenn der mit einer kulturkritischen Perspektive mit Marx und Freud argumentiert, also aus einer etwas anderen Richtung kommt. Für Britton ist Spielberg aber mehr oder weniger der Satan persönlich, George Lucas, "Rocky" und "Ghostbusters" kriegen ebenso ihr Fett weg. Während Scorsese dann Kathryn Bigelow, Wes Anderson oder Claire Denis hochhält, sind es bei Britton dann Filme wie "Blade Runner", "Cutter's Way" und "Victor/Victoria", die als (meist gefloppte), übersehene Alternativen zum Blockbusterkino hinstellt.

Zitat von: Mr. Blonde am 17 November 2019, 15:56:16Solche kleinen Revolutionen im Blockbuster-Kino, ja die sind doch deutlich seltener der Fall, oder? Kann natürlich damit zu tun haben, dass das Publikum immer das Gleiche sehen will. Weicht ein Streifen zu sehr von der Formel ab, siehe "Mortal Engines" oder Derartiges, floppt er katastrophal.

Da sind wir wieder beim Henne-Ei-Problem. Es bleibt bei einigen Erfolgen auch spannend nach dem Grund dafür zu fragen. "Joker" lässt sich in zwei Richtungen lesen. Einerseits so, dass die Leute durchaus Bock auf Scorsese-Style-Kino haben und dies an der Kasse honorieren. Auf der anderen Seite so, dass sowas nur noch funktioniert, wenn man Clown-Comic-Make-Up drübertut.
"Was würde Joe tun? Joe würde alle umlegen und ein paar Zigaretten rauchen." [Last Boy Scout]

"testosteronservile Actionfans mit einfachen Plotbedürfnissen, aber benzingeschwängerten Riesenklöten"
(Moonshade über yours truly)

Mr. Blonde

30 November 2019, 02:32:20 #13 Letzte Bearbeitung: 30 November 2019, 03:58:49 von Mr. Blonde
Klar, natürlich verschwanden auch schon in den 80ern manche Genres im Hintergrund, das will ich gar nicht leugnen. Auch will ich nicht sagen, dass Regisseure einseitiger geworden sind. Guy Ritchie ist da so ein Kandidat, der überraschende Wege gegangen ist. Es ist halt für viele Leute so, dass gefühlt nichts anderes mehr gefragt ist als Superhelden-Filme. Und die Genres, die schon in den 80ern stiefmütterlich behandelt worden sind, stehen heute auch nicht unbedingt besser da. Mit wenigen Ausnahmen sind ja gerade Sandalenfilme in den letzten 10 Jahren auch hoffnungslos baden gegangen. Auch Western ziehen irgendwie nicht mehr. Das "Magnificent Seven"-Remake hat ja auch nicht wirklich abgeräumt. "Star Wars" und Superhelden-Filme bedienen sich trotzdem auch dieser Genres. Das verstärkt den Eindruck, dass Big M, Disney und andere Studios mittlerweile alle Stilrichtungen des Blockbuster-Kinos aufgesogen haben und damit die einzigen Gewinner bleiben. Vielleicht auch gar nicht so schlimm. Besser, als gewisse Strömungen komplett aufzugeben, die zum Kino einfach dazugehören. Trotzdem wünsche ich mir einfach mehr Variation. Bis jetzt ist die Qualität des MCU gleichbleibend gut, quasi ohne Totalausfälle, aber ob sich das nochmal 20 Filme lang hält, wird sich zeigen. Ein Ende ist ja nicht abzusehen. Solange das zieht und unterhält, schaue ich auch weiterhin gerne mal rein.

Der Joker-Vergleich ist interessant und da ist auf jeden Fall etwas dran. Die ganz großen finanziellen Erfolge hat Scorsese ja nie verbuchen können, jedenfalls nicht auf dem Niveau, das seine Kollegen vorgelegt haben. Frage mich sowieso, wie er das empfindet, dass ein (großartig )aufgekochtes Scorsese-Best-Of alle Rekorde knackt, während er selbst zu Netflix abwandern musste, um das zu machen, was er sich vorgestellt hatte. "The Irishman" hätte es mit dem Budget und der Länge sicher nicht dauerhaft in die Kinos geschafft, hat er ja auch kürzlich angemerkt. Und das glaube ich nach Sichtung des Films locker.


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