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The Lord of the Rings: The Rings of Power (Amazon Studios / Prime)

Begonnen von StS, 14 Februar 2022, 11:58:23

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pm.diebelshausen

16 Oktober 2022, 13:50:37 #60 Letzte Bearbeitung: 16 Oktober 2022, 22:25:20 von pm.diebelshausen
Rings of Power ist die erste Serie seit Jahrzehnten, die ich mir von Woche zu Woche anschaue. Und von Woche zu Woche bin ich hin- und hergerissen, aber die Waage neigt doch eher ins Soll als ins Haben. Die Lust auf Tolkiens Welt ist da, deren Befriedigung nicht. Die visuelle Wucht ist da, die literarische nicht. Die Einbettung in Tolkiens Mythologie ist da, seine epische Stringenz nicht.

Logiklöcher (und es gibt hier leider etliche, die die Immersion stören: nur mal genannt das Seefahrervolk der Numenorer, die nicht nur in ihren drei Schiffchen hunderte Pferde, nlich für jeden eines, mitgebracht haben, sondern auch noch reiten können wie die späteren Menschen aus Rohan) sind mir egal, wenn ein Film mich packt, und dass hier etliches konkretisiert, aufgefüllt und dazuerfunden werden musste, um Tolkiens Material über das 2. Zeitalter filmisch erzählen zu können, versteht sich. Aber dass zentrale Motive umgedichtet werden (um, ja was eigentlich?), und dabei die Schönheit und Emotionalität von Tolkiens Schöpfung geopfert wird, raubt mir die Wiedersehensfreude.

Nur ein Beispiel, es gäbe zahlreiche: Tolkiens Elben sind unsterblich, erkranken nicht, sterben nichteinmal im menschlichen Sinne. Was sie bei Tolkien im 2. Zeitalter bedroht, ist die Ermüdung der Welt (Mittelerde). Sauron ist eine Bedrohung, aber die Aussicht, dass die Elben Mittelerde verlassen müssen, bezieht sich bei weitem nicht nur auf eine möglicherweise bevorstehende Herrschaft Saurons (auch nicht im 3. Zeitalter), sondern auf einem allgemeineren Weltschmerz. Nicht zuletzt deshalb ist Sams erster Anblick von Elben im Herrn der Ringe, auf den er sich so freute, so tief melancholisch: er beobachtet ihr leuchtendes Vorüberziehen, aber ihr Weg ist zugleich ein Abschied, denn sie verlassen dieses Land. Freud und Leid nah beieinander. Was macht nun die Serie daraus? Die Welt ist vergiftet und da den Elben auch noch das Licht der beiden Bäume geraubt ist, benötigen sie die heilenden Kräfte des von Zwergen entdeckten Metalls Mithril (dessen Entstehungsgeschichte deshalb frei und wenig stimmig dazuerfunden wurde), um in Mittelerde bleiben zu können. Statt poetischer Tiefe in meinen Augen funktionale Oberflächlichkeit.

Diese trübt auch immens die Figurendarstellungen. Wo sind Güte und Humor? Die meisten Figuren sind steif in ihrem Ernst und ihre inneren Konflikte sind bestenfalls polares Entweder-Oder. Wahrscheinlich deshalbgefällt mir bislang der Erzählstrang um Prinz Durin noch am besten, denn hier finden sich Tolkiensche Figurendarstellungen mit großer Ernsthaftigkeit, aber auch mit Witz und Warmherzigkeit.

Die Serie hat ein immenses Problem, mit dem Hobbit und Herr der Ringe nicht umzugehen hatten: ihr fehlt die zentrale Hauptfigur, das Identifikationsangebot, die Reise des Helden. Es gibt keine Figur, die die Zuschauenden an der Hand nimmt und in diese Welt geleitet. Die Geschehnisse bei den Hartfoots ersetzen natürlich die beiden Hobbits, die wider der ihrem Volk eigenen Abneigung gegen Abenteuer ausziehen um zu erleben und zu entdecken - gerade wie ein Leser oder Zuschauer. Aber als ein isolierter Erzählstrang unter vielen, kann Nori dies Zugänglichmachung nicht wie Bilbo und Frodo leisten, und den Figuren der anderen Erzähstränge fehlt das Staunen, denn sie kennen ihre Welt längst. Natürlich ist das Tolkiens Material geschuldet, dessen Anhänge zum Herrn der Ringe, auf denen die Serie basiert, wie auch alle anderen seiner Texte zu den früheren Zeitaltern, keine erzählerisch ausgeführte Fiktion sind, sondern fiktive Geschichtsschreibung. Dieses Problem zu lösen, will man das 2. Zeitalter visualisieren, ist zweifellos eine große Herausforderung: wie will man ein Geschichtsbuch über das alte Ägypten verfilmen ohne Dokumentation zu sein?

Ich fürchte, der Weg der Serie scheitert an dieser Herausforderung. Zumindest bislang sehe ich vor allem Kulissenschieberei und einen simplen Trick, um die Zuschauenden bei Stange zu halten: es werden zahlreiche Fährten gelegt, damit man ordentlich mitzurätseln hat, wer denn nun wer oder was was ist. Beispiel: der Mann, der vom Himmel viel. Die Rechnung geht auf, Beführworter und Gegner der Serie gleichermaßen interpretieren Hinweise und stellen Hypothesen auf. Um ihn herum passieren magische Dinge, er wird wohl einer der Magier sein. Nun, es gab fünf: Saruman, Gandalf, Radagast und die beiden blauen Magier. Er weiß nicht, ob er gut oder böse ist - klingt nach Saruman. Er hat mit den Hartfoots zu tun - klingt nach Gandalf. Er macht mit Glühwürmchen und Motten nahe des späteren Düsterwaldes rum - klingt nach Radagast. Er will nach Rhûn - klingt nach den beiden blauen. Und natürlich gibt es viele dieser Hinweise, selbst in Richtung Sauron. Mein Problem damit: auf welche Figur auch immer dieser Kerl einrasten wird, die gegebenen Hinweise ergeben nichts, sie bedeuten alles und nichts, die Figuren, die es dann auch hätten gewesen sein können, müssen mit den Hinweisen, die zu dem einen passten, unsinnigerweise Leben und der eine wird trotz der dann nicht zu ihm passenden Hinweisen der eine sein. Form und Inhalt zugunsten einer Funktion im Hintertreffen gelandet.

Dazu kommt, dass der Problemlösung offensichtlich keine Köpfe ihren Output bereitstellen, die es wie Jackson mit Tolkien aufnehmen können. Tolkien wusste gerade im Bereich Sprache und Mythologie genau, was er tat, und die Serie hat ihre besten Dialogmomente, wenn sie seine Sätze nutzt. Aber zum Beispiel: "The sea is always right" - das soll Numenors Sprachleistung auf der Höhe seiner Zivilisation sein. Derlei Dinge bagatellisieren den Ton von Tolkiens Welt dermaßen, dass ich immer wieder aus Mittelerde herausfalle und nicht mehr sicher bin, ob ich nicht doch nur wöchentlich schaue, weil ich ein Gaffer an einer Unfallstelle bin.

Dennoch werde ich weiterschauen. Die Bezüge zu den vor der Serie bekannten Geschichten, die Unterschiede, auch die Unverschämtheiten, die Orte, die Verschränkungen mit den Figurendarstellungen aus dem 3. Zeitalter, die großartigen CGIs, die Zwerge und das lebendige Moria, die Orks, die Landkarte - ich habe auch meinen Spaß daran. Was würde ich nun, nach der ersten Staffel, als OFDb-Note verschreiben? Eine starke 6, denn die war für mich immer der Grenzwert, ab dem abwärts mich Dinge zu sehr gestört haben, um eine klare Empfehlung aussprechen zu können.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Wolfhard-Eitelwolf

Vielleicht kann man aber das Fehlen eines zentralen Protagonisten als Sympathieanker (wie im Übrigen auch das "simple Rätselraten")  auch als Stärke sehen im Sinne einer die Filme konstrastierenden Herangehensweise - ganz zumal die Vorlage einen eben solchen ja auch nicht liefert. Natürlich hätte man jetzt mit aller Gewalt den Nori-Strang zwecks "HDR-Feelings" massiv in den Vordergrund stellen können, aber vermutlich würde die Kritik dann eben diesen Umstand ins Kreuzfeuer stellen, da dieser Strang tatsächlich bisher wenig Substanz bietet und eher Peter Jackson-Gedächtnis-Gimmick zu sein scheint.

Mit der Logik ist in der Tat nicht immer einfach. Aber andererseits: Es handelt sich immer noch um Fantasy, zumal auf einer lückenhaften Vorlage beruhend, vieles kann, muss und soll vielleicht auch inhaltliche Leerstelle bleiben. Womöglich hat Numenor ja noch ein Dutzend Schiffe mit Ross und Reiter hinterhergeschickt, vielleicht hat ein Bote - in welcher menschlichen, tierischen oder telepathischen Gestalt auch immer - den ankommenden Truppen den Standort des Einsatzes mitgeteilt, who knows... das meiste lässt sich jedenfalls mit kreativen Erklärungen füllen. Man sollte m. E. in dieser Hinsicht nicht zu streng sein.

In Sachen CGI ist die Serie den Filmen mittlerweile auch klar überlegen. Schaut man sich insbesondere Herr der Ringe 2 und 3 heute in 4k an, bekommt man angesichts der miesen Qualität der Effekte beinahe das Gruseln, Stichwort Helm's Klamm... Kurz: Die Serie macht Dinge bewusst (?) anders, teils mainstreamiger, vielleicht auch weniger tiefgründig, dafür aber technisch nahezu perfekt und immer wieder auch klar den tolkien'schen Geist atmend. Ich mag's...

Moonshade

So, endlich auch mal dazu gekommen und da es ja wohl noch bis 2024 oder so (oder dank Streik noch später) für eine 2.Staffel dauert, bin ich wohl nicht zu spät auf der Party.

Naja, alles in allem: sieht schnieke aus, aber ich stimme zu, den epischen Atem versuchen die Macher mit ominösem und schicksalhaftem Gehauche der Saga einzuprügeln, so dass ich bei den bemüht bedeutend wirkenden Dialogen (leider so 85 Prozent) genervt mit den Augen rolle. Immer wenn sie die Figuren von der Kette lassen (bei der Elbendominanz kommt das zu selten vor), wird es besser, aber das passiert zu selten.

Dass reihenweise Zuschauer die Serienstaffel nicht fertig geschaut haben (ist wohl ein Paradebeispiel für Serienabbrecher beim Prime-Dienst), kann ich verstehen, ich war - mit solider Silmarilion-Kompetenz - die ganze Zeit für die Frau am Erklären, wer oder was vorher agiert hat und was passiert ist. Ich musste die Valar und Maiar erklären, die Hintergründe der Elbenverbannung, Valinor und Mittelerde und ihre Trennung, Sonne und Mond, Morgoth, den Krieg des Zorns - also all das was die Serie in Halbsätzen anschneidet oder erwähnt, aber - wohl um niemanden zu erschrecken - am Anfang nicht erklärt hat. Später fehlt das dann und ich hab bestimmt 20x in 8 Folgen gedacht: worüber die reden, versteht keine Sau, wenn das Silmarilion nicht gelesen hat (und daran scheitern noch mehr als am HdR).

Dass die gigantische Historie des zweiten Zeitalters (immerhin 3400 Jahre lang) hier zu Serienzwecken auf ein paar Jahre einkondensiert wurde (also die Ringschmiede, Eregion, Numenor usw.) ist natürlich ein Sakrileg, bei dem es mich als Tolkien-Fan schüttelt, aber anders geht es wohl nicht - und schon das kommt nicht so gut an.

Darstellerisch ist das sonst ganz ok, auch wenn mir auch nach 25 Jahre die Elben immer noch zu eckig und arrogant vorkommen, aber was solls. Elrond und Galadriel sind immerhin passable Charaktere. Dass man mit Gewalt ein paar Hobbit-Ahnen in den Plot geprügelt hat, schön und gut, aber das zieht die erste Staffel auch nur per Niedlichkeitsfaktor in die Länge.

Ich würde es auf jeden Fall weiterschauen, aber es ist viel zu üppig angelegt, um etwa den Drive eines GoT zu entwickeln, da müsste man noch viel Steifheit aus den Drehbüchern schütteln. So 7/10.
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