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Der Denkwürdige Fall des Mr.Poe (Christian Bale / Scott Cooper /Netflix)

Begonnen von StS, 27 Oktober 2022, 20:48:47

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StS


West Point, 1830. A world-weary detective is hired to discreetly investigate the gruesome murder of a cadet. Stymied by the cadets' code of silence, he enlists one of their own to help unravel the case — a young man the world would come to know as Edgar Allan Poe.

Ab dem 06.01. verfügbar.
"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

StS

"Diane, last night I dreamt I was eating a large,  tasteless gumdrop and awoke to discover I was chewing one of my foam disposable earplugs.
Perhaps  I should consider moderating my nighttime coffee consumption...."
(Agent Dale B.Cooper - "Twin Peaks")

Moonshade

Als Historienkrimi mit Okkultbezug gleich mal angeschaut - und gerade die Optik kann wie schon bei der letzten Kollaboration zwischen Bale und Regisseur Cooper ("Hostiles") punkten.

Das Tempo ist zwar gemächlich, aber die Kostüme, die Landschaft, die Atmo, die Beleuchtung, das Zusammenspiel ist vom feinsten.
Das Mysterium ist nicht wirklich unglaublich kompliziert, sondern eher etwas konstruiert, aber für 100 Minuten funktioniert es. Nur ist der Film 130 lang und das bedeutet, es gibt noch Nachschlag in Form eines Twists. Und da bricht in meinen Augen der Film ein, der sich über die rückblendenreiche Aufklärung in die Schlussgerade geradezu schleppt und die getragene Inszenierung mit sehr viel atemlos aufgesagter Theatralik incl. Kunstpausen fast zum Stehen bringt.

Natürlich kann man anno 1830 aus einem Mysterykrimi keinen Actionthriller machen, aber gegen das Finale hier ist "Der Name der Rose" geradezu Formel 1 gewesen.
Damit reiht er sich in den Pantheon der Filme aus den letzten 5 Jahren bei Streamingdiensten ein, die am besten allesamt 20-30 Minuten kürzer gewesen wären. Und der ist ganz schön groß.

Insgesamt freundliche 6/10, wobei ich im ersten Drittel noch bei 8 war und ich sowohl Bale als auch Harry Melling (Dudley Dorsley aus den Harry Potter-Filmen) als E.A.Poe ausdrücklich loben muss - gerade Melling stiehlt gern mal die ganze Szene, rückt dann aber leider auch wieder in den Hintergrund und wird nach dem gefühligen Finale nicht mehr erwähnt, obwohl da ein literarischer Einfluss ja noch möglich gewesen wäre.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

JasonXtreme

Dem ist "leider" nichts mehr hinzuzufügen. Westpoint dürfte um die Zeit auch schon etwas imposanter ausgesehen haben meines Wissens (ich war schon dort) - aber sonst ist der einfach zu lang geraten.
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

PierrotLeFou

Zitat von: Moonshade am  8 Januar 2023, 00:14:41Das Mysterium ist nicht wirklich unglaublich kompliziert, sondern eher etwas konstruiert, aber für 100 Minuten funktioniert es. Nur ist der Film 130 lang und das bedeutet, es gibt noch Nachschlag in Form eines Twists. Und da bricht in meinen Augen der Film ein, der sich über die rückblendenreiche Aufklärung in die Schlussgerade geradezu schleppt und die getragene Inszenierung mit sehr viel atemlos aufgesagter Theatralik incl. Kunstpausen fast zum Stehen bringt.

Ich habe es genau andersherum empfunden. Mit der vermeintlichen Auflösung ist der morbide Film, der von zitierten Gedichten über ganz vage "William Wilson"-, "Tell Tale Heart"- und "Fall of the House of Usher"-Momente durchaus an Poe erinnert, zunächst in enttäuschenden Quark abgerutscht und ein wenig in so eine "From Hell"-Ecke zu rutschen; erst die Auflösung nach der vermeintlichen Auflösung kehrt dann wieder in vielerlei Hinsicht zur Linie des Films zurück.

Bin aber auch "nur" bei einer ganz schwachen 7/10 gelandet ...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

Moonshade

Ja, man kann sagen, dass ohne den "Twist" der Film eigentlich nur ein banaler historischer Kriminalfilm ist und erst danach noch zusätzlich persönliche Tiefe/Tragik gewinnt.

Ich weiß nicht, ob es an der Romanadaption liegt oder ob die Romanvorlage schon so wenig überraschend daherkam, aber ein mitreißender Stoff ist das sicherlich nicht - dankbar für die Schauspieler und Ausstatter, weniger für Fans des Erzählerischen.

Leider fühlt es sich vor dem Ende nach "jetzt muss aber noch irgendwas kommen" an (schlechtes Zeichen) und wenn es dann kommt, ist es eigentlich das Einzige, was im Plot noch zu haben war, da der Film nicht eben figurenreich daherkommt und viele davon auch noch sterben.

Aber ist natürlich vom hohen Ross gesprochen, denn generell sind die Plotansprüche eher anders als bei mir angelegt, so dass viele sich bestimmt gut unterhalten fühlen werden, bei mir schmeckt das aber halt nach "Sleepy Hollow meets Se7en" und das ist ein wenig zu schal für ein Filmevent.
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vodkamartini

Also ich hab bis jetzt nur Negatives aus Freundes- und Bekanntenkreis gehört. Fad, öde, uninteressant, schleppend usw. Ganz so übel hört es sich bei Euch ja nicht an. Konkret: Lohnt sich die Sichtung? Oder geht das nur mit einem besonderen Faible für Poe, Bale oder beide?
www.vodkasreviews.de

There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

Moonshade

Ausstattung und Optik sind fein. Biografisch war Poe zwar an diesem Punkt seines Lebens in Westpoint, aber auf seine charakterlichen Schwierigkeiten aufgrund familiärer Probleme und Alkohol geht der Film nicht ein. Für viele nicht ersichtlich, bietet der Film einen Kunst-Poe, den es so nie gegeben hat.

Die Story wird sehr ruhig erzählt und anfangs ist das auch alles total stylish und angenehm, aber je mehr an diesem okkulten Kriminalfall rumgepuzzelt wird, desto mehr bremst das zurückhaltende Tempo den Spaß an der Sache. Der Film müsste sich - ohne ein Reißer zu sein oder Action zu bieten - nach hinten ein wenig steigern, tatsächlich aber wird der Plot mit jedem erklärten Detail leider anämischer.

Die gleichen Probleme hatte ich mit Cooper/Bales "Hostiles" (den ich besser fand), der aber auch unter diesem episodischen Häppchen-Tragik-Todesfall-Plot, der sich in seiner realistischen Ausweglosigkeit (durchaus historisch korrekt) leider irgendwie tot lief.
Dasselbe passiert hier - als der Fall geklärt ist, WEISS man, dass es das noch nicht gewesen sein kann und der Anhang bringt die interessante Grundkonstellation "Ermittler und/vs Poe" dann wieder ins Zentrum, nur für etwas human drama, aber nicht für die Folgen. Die gegenseitige Beeinflussung der beiden wird wieder auf Null gesetzt.

Mir hat auch nicht gefallen, dass man historisch auf weitere Entwicklungen der Figuren, auch Poe, verzichtet. Der Schluss gehört Bale, Poe verschwindet aus der Handlung und der Film entbehrt jedes Kommentars zum weiteren Werdegang, obwohl Bales Figur eine kreative Inspiration für Dupin gewesen sein sollen könnte.

Auch scheint sich das Buch/der Film nicht entscheiden zu können, ob er nun an Bale oder Poe interessiert ist und wer wen beeinflusst. Tatsächlich klaut Melling, wo er kann, während Bale durch natürliche Ausstrahlung Szenen dominiert. Und dass Poe eigentlich nur Spitzeldienste macht und seine Ermittlungsarbeit darin besteht, Sachen zu behaupten, weil Elemente darin poetisch oder dramatisch sind, ist auch nicht eben förderlich, der Figur wirkliche Tiefe zu verleihen. Die ist für Bale reserviert.

Dass der Film bei vielen nicht ankommt, dürfte am Erzähltempo liegen - sehr viele sind schon den 2020er Trab als ruhiges Tempo gewöhnt und der wäre zwischen 1950-1970 z.b. als geradezu hektisch wahrgenommen worden.

Ich würde sagen: der Film ist ein interessantes Beispiel dafür, was alles schief gehen kann bei so einer Produktion - wobei dabei immer noch an ansehbarer Film herauskommt, aber Chancen vergeben werden hier doch sehr oft.
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vodkamartini

Ok, danke dir. Hostiles fand ich gut, hatte aber ähnliche Probleme wie die, die du beschreiben hast. Für Poe habe bringe ich tatsächlich einiges an Interesse auf und mit - für Bale deutlich weniger -, aber diese Figur ist wohl eher aufgrund des Namens und einer damit erwarteten Stimmung dabei!? Dennoch werde ich mal einen Blick riskieren, hast mich zumindest etwas neugieriger gemacht, als das zuvor der Fall war.
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