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Spiel auf Zeit (Snake Eyes) 1998 von Brian De Palma

Begonnen von Fastmachine, 6 September 2014, 19:40:50

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Fastmachine

Da vor längerer Zeit beim "Film der Woche" ein älterer Film von Brian De Palma ins Auge gefasst wurde, bin ich gerade dabei mal wieder einige neuere Werke von ihm zu sichten. Vielleicht hilft das ja auch, die De Palma Diskussion beim Film der Woche in die Gänge zu bekommen.

Spiel auf Zeit (Snake Eyes) 1998

Regie: Brian De Palma

Anfangs läuft Brian De Palma zu großer Form auf. Er lässt Nicolas Cage in der Rolle des halbseidenen Polizisten Rick Santoro in einer eindrucksvollen Plansequenz durch die Räume einer gigantischen Boxarena hasten. Die schier endlose Weite der Halle, lange unterirdische Gänge, Lobbys und Nebenräume, vollgepackt mit Menschen, markieren den Tatort. Nicht nur die Kamera entfesselt Brian de Palma, auch Nicolas Cage lässt er von der Leine. Völlig überdreht quatscht Rick Leute an, begrüßt Bekannte, schließt halblegale Wettgeschäfte ab und kümmert sich eher ganz nebenbei um seinen Job. Nicolas-Cage-Hasser dürften hier schon abschalten, seinen Fans hingegen die Begeisterungstränen über die Wangen rollen.

Hoher Besuch steht an beim Boxkampf. Der Verteidigungsminister kommt persönlich, scheinbar nur um durch seine Anwesenheit etwas allgemeine Werbung für sich zu machen bei den Wählern. Als Sicherheitschef begleitet ihn Kevin Dunne (Gary Sinise), der beste Freund Ricks aus der Jugendzeit. Er ist das genaue Gegenteil von Rick. Immer strebsam und aufrecht legte er eine Bilderbuchkarriere als Offizier hin. Kaum beginnt der Boxkampf ist in der Halle der Teufel los. De Palmas Kamera fängt den Aufruhr ein, in dem Rick begeistert mitgeht und Kevin versucht die Übersicht zu bewahren. Urplötzlich tauchen zwei rätselhafte Frauen in ihrem Umfeld auf. Bevor die beiden Freunde auch nur Atem holen können kommt es zum Attentat.

Nach diesem fulminanten Aufbau brauchte Brian De Palma nur noch die Ernte einzufahren und SPIEL AUF ZEIT hätte einer der bemerkenswerteren Thriller der 1990er Jahre sein können. Zunächst kann er nochmal alle seine Stärke ausspielen. Mit radikalen Kameraperspektiven und raffiniertem Splitscreeneinsatz hält er die Spannung während der Ermittlungsarbeiten und Verfolgungsjagden in dem unübersichtlichen Riesenbau aufrecht. Nichts ist wie es scheint, und jeder Zeuge erhärtet nur Ricks Verdacht, hier wurde falsch gespielt.

Leider beginnt genau an dieser Stelle der immer steilere Sinkflug des Drehbuchniveaus. Schon bald ahnt Rick, wer die Hintermänner des Attentats sind. Warum Brian De Palma auf jeder weitere Wendung, ja jede Irreführung, wie sie selbst der ödeste Durchschnittsthriller kennt, verzichtet, bleibt sein Geheimnis. Trotzdem wahrt der Film in dieser Phase immerhin noch ein gewisses Spannungsniveau durch die Thrillerhandlung.

Was dann kommt, mag man kaum für möglich halten. Alles was brillant aufgebaut wurde, wirft De Palma einfach weg. Die Handlung wird zuerst eindimensional, dann unglaubwürdig und schließlich lächerlich. Das Finale kann man nur als armselig bezeichnen. Es fällt schwer zu glauben, dass jemand mit einer Berufserfahrung wie Brian De Palma die handwerklichen Mängel des Drehbuchs nicht erkannt hat. Wer auch immer dafür verantwortlich war, es grenzt an Arbeitsverweigerung. Gerüchten zufolge gab es eine frühere Version, die mit erheblichen Spezialeffekten einen dramatischen Schlusspunkt hätte setzen sollen. Realisiert wurde sie nicht. Selbst wenn das stimmen sollte bleibt die Frage, ob damit die unleugbaren Schwächen der Handlungsführung und der Personenzeichnung, die lange vor dem Finale offenkundig sind, gelöst worden wären.

Man hat den Ärger über das Ende noch nicht überwunden, da liefert uns der Film noch einen Epilog, der kurz das weitere Schicksal Ricks und seiner Informantin offenbart. Urplötzlich entdecken sie ihre romantischen Gefühle füreinander und auch Ricks politische Ambitionen tauchen wieder auf, die zu Beginn des Films vielversprechend angedeutet worden waren. Da klappt einem die Kinnlade runter. Das hätte doch in der der zweiten Hälfte des Films abgehandelt werden müssen. Das hätte den ganzen Thriller doch gerettet. Etwas mehr Eingehen auf die Charaktere, ihre Abgründe und ihre Beziehungen zueinander. Wie gesagt, es beschleicht einen der Verdacht, Brian De Palma wusste genau war er tat und wollte jemandem eine Nase drehen, über den er sich geärgert hat. Das Publikum zu verärgern ist ihm allemal gelungen.

Die Wertung ist angesichts der stark schwankenden Qualität schwierig. Man müsste eine Niveaukurve beschreiben. Von 8/10 bis 2.5/10 absinkend.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

MMeXX

Zunächst mal meine üblichen Phrasen: Interessante Besprechung, die Lust auf den Film macht. Wobei ich den auch nicht daheim habe, mal schauen.

Cage ist ja eigentlich fast immer eine sichere Bank. Und auch wenn du von einem Sinkflug sprichst, wirkt das geschlossene Areal als Handlungsort doch sehr verlockend.

SutterCain

7 September 2014, 00:29:21 #2 Letzte Bearbeitung: 7 September 2014, 00:48:20 von SutterCain
Zwei Dinge, die ich auf die Schnelle loswerden will:

Zitat von: FastmachineGerüchten zufolge gab es eine frühere Version, die mit erheblichen Spezialeffekten einen dramatischen Schlusspunkt hätte setzen sollen. Realisiert wurde sie nicht.

1. Meines Wissens existiert ein alternatives Ende, das aufgrund von Testscreenings verworfen wurde. Ursprünglich war geplant, die gesamte korrupte Welt durch eine gigantische Welle, die der Sturm draußen produziert, wegzuwaschen. Sprich: Ein reinigender Akt der Natur sorgt für Erlösung. Offenbar verstand das Testpublikum nicht, was die Welle soll, sodass das nun existierende Ende nachgedreht wurde.

2. Vielleicht ist Snake Eyes jener Film in De Palmas Gesamtwerk, der seinen mittlerweile schon überzitierten Satz "The camera lies 24 times a second" am deutlichsten zum Ausdruck bringt. Immer wieder wird uns im Verlauf des Films vorgeführt, dass das, was die Kamera aufzeichnet, nicht die ganze Wahrheit ist, wie uns die Perspektive massiv täuschen kann. Ironischerweise -und hier finden wir einen Beleg für De Palmas Hang zu schwarzer Ironie oder auch nur einen Hinweis darauf, dass ihm die Ambivalenz der ganzen Sache klar ist- ist es eine Kamera, die am Ende zur Überführung der Täter beiträgt, die ordnungsgemäße Verhaftung gewissermaßen legitimiert. 

Riddick

"Spiel auf Zeit" ist mit Sicherheit kein Meisterwerk und lässt auch die Klasse von De Palmas vorigen Filmen vermissen, schlecht ist er aber keinesfalls und anschauen kann man ihn sich allemal. Besonders das Setting der Sportarena fand ich durchaus interessant und auch sonst bietet der Film einige nette Ideen. Allerdings dürfte dies auch ein Film sein, der nur beim ersten Schauen den Zuschauer fesselt.

7/10
"Schnell rennt das kriminelle Element,wenn es Dieter Krause kennt." - Tom Gerhardt (Hausmeister Krause)

MMeXX

Ha, meine bessere Hälfte hat den Film doch, also direkt letzte Nacht geschaut.

Was mir auf jeden Fall sehr gefallen hat, war die bereits angesprochene Plansequenz, bei der Cage durch quasi die ganze Arena wandert. Sehr sehr beeindruckend, zumal ich auch erst mittendrin angefangen habe zu überlegen, wann denn nun der Schnitt war. Diese Sequenz führt dann auch gleich zum zweiten Pluspunkt: Nicolas Cage, der sich hier wunderbar austoben darf. Durch Sinises "zurückgenommenes" Spiel kommt das gleich doppelt zum Tragen. Der dritte dicke Pluspunkt ist das von SutterCain angesprochene "camera lies". Es geht ja sehr viel darum, was man sieht bzw. glaubt. Das beginnt ja mit dem "Bild im Bild", mit dem der Film auch fast endet. Dann die diversen Kameraaufnahmen, die gesichtet werden. Die Sehprobleme, die Thema sind, das Spiel mit Licht und Schatten zum Ende etc. Das macht Laune. Punktetechnisch komme ich so etwa auf knappe 7.

Moonshade

Hab den Film schon fast wieder vergessen.
Ich weiß noch, daß er technisch brilliant anfing und dann irgendwie nichts Besonderes oder Überraschenderes mehr passierte.
Und am Ende war irgendwie Sturm oder Flutwelle - was wie ein bemühter deus ex machina wirkte.

Ich ordne den eher zu den schwachen de Palmas - kein bleibender Eindruck.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

"Gebt dem Mann ein verdammtes Puppers!"

Fastmachine

@SutterCain: Ah, danke. Von einer Art Flut hatte ich auch gelesen. Nur ist mir neu, dass dieses Ende tatsächlich fertig produziert worden ist. Klingt interessant. Zumindest würden dann die ganzen Sturm-Motive zu Beginn und am Ende nicht vollkommen sinn- und funktionslos in der Luft hängen.
Die Tat aus der Perspektive der Überwachungskameras wäre eigentlich ein spannedes Thriller Motiv, nur werden gerade die Möglichkeiten, die sich aus irreführenden Teilperspektiven der einzelnen Kameras ergeben, überhaupt nicht dramaturgisch ausgeschöpft. Wie gesagt: Für mich war hier viel zu früh alles klar.

Mich erstaunt die doch recht postive Tendenz hier. 7/10 erscheinen mir etwas viel angesichts der doch zunemend mäßigen zweiten Hälfte.

Vielleicht wirkt da bei mir auch ein psychlogischer Faktor. Filmen, die lahm anfangen und sich dann immer weiter steigern, verzeihe ich eher als Filmen, die stark beginnen und dann schwer nachlassen. Insgesamt aber ist SPIEL AUF ZEIT durchaus sehenswert, nicht nur für DePalma- und Cage-Fans.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

EvilErnie

Ich mag die beiden Hauptdarsteller Cage & Sinise, sowie die Musik und die dichte Atmo im Film! Sehe den immer wieder gerne... 7,5/10
,,Der Director's Cut erweist sich nicht nur als die filmisch bessere Version, sondern auch als die einzig logische." (Blade Runner)

Behandel´ne Königin wie `ne Hure und `ne Hure wie `ne Königin, dann kann nichts schiefgehen! (Alien 3 SE)

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