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A Serious Man - Der neuste Geniestreich der Coen Brüder

Begonnen von Roughale, 28 Januar 2010, 11:52:11

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Roughale

Ich bin ja fast erstaunt, dass ich keinen Thread hierzu finden konnte, aber meine Blindheit und die eingeschränkten Suchfunktionalitäten haben ja schon oft.. - ihr wisst schon, ich erzähl das mal nicht zuende  :king:

Diesmal haben sich die Coens eine recht karge und spiessig wirkende Wohnsiedlung in den USA in den 60s (May 1967 kann man auf einem Kalender erkennen) ausgesucht, in der Larry Gopnik wohnt, ein durchschnittlicher Familienvater mit 2 Kindern (je eins von jedem Geschlecht) und jeder Menge Probleme, die sowohl finanzieller Art sind, aber auch in der Beziehung geht es bergab. Eigentlich geht alles schief, ob dem Lehrer nun die Kontrolle über seine Schüler und seine Stoffvermittlung entgleitet, oder er eigentlich in der Famile nur als Geldanschaffer, Antennenrichter und Unterbringer des eigenen Bruders angesehen wird - da entsteht Potential zur Explosion - aber Larry is einfach nicht der Typ dafür. So sucht er Rat bei den Rabbis des Ortes, setzt sich nicht hartnäckig mit seinem nationalstolzen Aminachbarn auseinander, begafft die Nachbarin, die gerne mal sich im umzäunten Garten komplett bräunt und beginnt abgedreht zu träumen (da sind die Coens mal wieder ganz stark!). Und es kommt alles meist unerwartet anders, aber eigentlich vielleicht auch wieder nicht...

Der letzte Satz mag Verwirrung bringen, aber ganau das macht den Film aus, für mich ist der Film eine Allegorie eines Marihuanarausches - die Zeit passt, der psychedelisch Soundtrack auch (oft hört man Jefferson Airplanes "Somebody to Love") - ausserdem ist das Kiffen allgegenwärtig, ob es der Sohn konsumiert und seine eigene Bar Mitzva fast verträumt, die Nachbarin Larry zum Mitrauchen verleitet - es wird einfach oft gepafft. Aber neben diesen deutlichen Momenten ist der ganze Film in einer Art erzählt, die stark an den Rauschzustand erinnert, viel wird erzählt, aber ebensoviel wird wild das Thema gewechselt und nichts zuende erzählt - genial, aber auch anstrengend. Dieser Umstand erklärt dann auch den kurzen Vorfilm im 4:3 Format, der mich (und andere) zuerst sehr verwirrt hat.

A Serious Man ist wieder so ein Coen Film, den man schlecht nacherzählen kann, das gilt für rinige mehr als für andere, aber wo man das Meisterwerk The Big Lebowski mit 3 Sätzen zusammen fassen kann und man bei The Man Who Wasn't There schon in's Stottern kommt, so ist hier fast noch weniger zum Erzählen da, obwohl es so viel ist - klingt unverständlich? Dann sollte man noch einen Zug inhalieren ;)

Die relativ unbekannten Schauspieler liefern durch die Reihe eine grosse Leistung, die den Film trägt. Mir fielen nur Fyvush Finkel aus Picket Fences und Adam Arkin aus Sons of Anarchy auf.

Das Setting, die Ausstattung (besonders Larry's Brille!) vermittelten ein sauberes Bild, dass der lange vergangenen Zeit sehr gerecht wurde.

10/10

esta es la mejor mota
When there is no more room for talent OK will make another UFC

HenryChinaski

Ein wirklich toller Film. Und deine Rezension, Roughale, die trifft es so ziemlich auf den Punkt. Lange Zeit habe ich überlegt, warum die Coens den Film ausgerechnet in dieser Zeit spielen lassen, da die prüden 50er doch ebenso passend gewesen wären. Zumal der Film auch nun gar nichts mit der End-Sechziger-Stimmung zu tun hat / zu tun haben scheint.

Aber ganz Ehrlich: Vermutlich war es das Release-Date von Santanas Abraxas, das den Ausschlag dafür gegeben hat. Denn wenn man sich die Namensbedeutung von "Abraxas" anschaut (in der imdb wird näher drauf eingegangen), dann bekommt nicht nur das Telefonat mit dem "Bertelsmann-Club"  :icon_cool: einen ganz anderen Charakter, sondern der ganze Film.

Ich würde den Film nicht zu meinen Top-3-Coen-Filmen zählen, aber sicherlich zu den besseren Coen-Filmen.


Fastmachine

10 Februar 2010, 11:30:38 #2 Letzte Bearbeitung: 10 Februar 2010, 11:49:43 von Fastmachine
Gestern habe ich ihn endlich im Kino gesehen und weit mehr bekommen, als ich erwartet hatte.

,,A Serious Man" nimmt die Unglücksserie eines rechtschaffenden Durchschnittsbürgers nur zum Anlass, eine Reihe von Gleichnissen zu erzählen, in denen groteske, tragische oder tragikomische Figuren ihr eigenes Schicksal oder gleich das der Welt zu deuten versuchen.

Herausgekommen ist für mich nicht nur der klügste, sondern auch der anrührendste  Film der Coen-Brüder, die zu Unrecht als brillante, aber herzlose Filmtechniker gelten.
Die Coen-Brüder tauchen in die Welt eines jüdischen Vororts im Amerika von 1967 ein. Man spürt, dass sie sich hier bis in die allerkleinsten Details auskennen, so liebevoll und so präzise erwecken sie diese untergegangene Welt zum Leben. Jedes noch so mikroskopisch kleine Detail wirkt wie selbstverständlich mit dem großen Ganzen zusammen.

Nach einer gewissen Schwächephase (,,Ladykillers", ,,Ein unmöglicher Härtefall") sind die Coen-Brüder seit ,,No Country for Old Men" wieder im Aufwind, mit ,,A Serious Man" haben sie sich selbst übertroffen und knüpfen an ihre großen Filme der neunziger Jahre an.

Unbedingt ansehen. 10/10.  
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

Roughale

Zitat von: Fastmachine am 10 Februar 2010, 11:30:38...Coen-Brüder, die zu Unrecht als brillante, aber herzlose Filmtechniker gelten.
...

Wo stammt das her? Ist ja absoluter Schwachsinn! Kritiker halt... :piss:

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Fastmachine

Solche Kritik begleitet die Filme der Coen-Brüder schon lange. Weil sie sich gegenüber ihren Figuren häufig makabre Scherze erlauben und ihre Geschichten selten im gewohnten Trott des Mainstreamkinos bis zum Happy End durcherzählen.
Da brauch man sich nur die Kritiken zu ,,No Country for Old Men" und ,,Burn after Reading" durchzulesen.
Allerdings kommt dieses Missverständnis nicht nur von Kritikern, die aus Geschmacksgründen sowieso nichts mit der Welt der Coen-Brüder anfangen können oder die sie schlicht und einfach nicht verstehen, sondern leider auch von Leuten, die es verstehen könnten, aber es missverstehen wollen oder sich dem gewaltsam nicht öffnen wollen.

Manche können das Licht nicht sehen, weil sie blind sind, andere, weil sie die Augen nicht öffnen wollen :icon_mrgreen:
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

Sarge

Ich fand den Film schon gut, konnte mit ihm aber tatsächlich nicht ganz so warm werden, wobei ich die Coens auch wahrlich nicht als technizistische Regisseure sehe. In meine Top 5 schafft er es nicht, noch nicht, da müssen noch ein paar Sichtungen her. In der Nachbetrachtung und Aufarbeitung hat er aber sowieso schon zugelegt, da die vielen Bedeutungsebenen sich (mir zumindest) nicht gleich im Kino erschlossen. Reizvoll finde ich vor allem auch den Umgang oder die Hinterfragung der Coens mit sich selbst. Wenn man es mal genau betrachtet, ist das ganze Oeuvre ja voll von Figuren wie Larry, denen vermeintliche Zufälle das Leben schwer machen. Nur ist Larry der erste Charakter, der das im Prinzip hinterfragt.

Fastmachine

Deinen Einwand verstehe ich schon, mein letztes Posting war vielleicht ein wenig zu sehr zugespitzt. Möglicherweise eine allergische Reaktion gegen das in meinen Augen etwas allzu sehr schick gewordene Coen-Bashing der letzten Jahre.

Natürlich wird ,,A Serious Man" nicht die Popularität erreichen wie ,,The Big Lebowski". Der Dude war eine sympathische Figur, großartig gespielt zudem von Jeff Bridges, den man sehr leicht ins Herz schließen konnte. Und die Welt des Dudes war eine ebenfalls wohl vertraute amerikanische Alltagswelt der neunziger Jahre.

Dagegen ist Larry Gopnik ein Physikprofessor, ein ehrlicher, guter, aber doch auch sehr bürgerlicher Kopfmensch. Seine Welt ist eine jüdisch geprägte bürgerliche Vorstadt der sechziger Jahre, deren Rituale den meisten eben fremd sind, obwohl die Probleme (Ehekrisen, Berufssorgen, Generationskonflikte) allgemeine sind.

Ich habe nur den Eindruck, die Coen-Brüder kennen sich in dieser Welt noch viel besser aus, als in der Welt des Dudes. Selten waren sie so liebevoll und glaubwürdig in jedem Detail. Nichts wirkt aufgesetzt, alles lebt aus sich selbst. Trotz der philosophisch vertrackten Geschichte, trotz der zeitlichen und kulturellen Entfernung.
Zudem bringt dieser Film, wie auch du geschrieben hast, einen neuen Aspekt in das Schaffen der Coens.

Mein Empfinden war eben anders, ich mochte den Film auf Anhieb.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

Roughale

Danke Fastmachine für die Erklärung - das bestätigt, warum ich meist Kritiken meide, wie der Teufel das Weihwasser - Coen-Bashing war mir gar nicht bewusst, dass es sowas gibt - naja, man kann auch anders zeigen, dass man keine Ahnung hat :LOL:

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Mr. Vincent Vega

Zitat von: Fastmachine am 10 Februar 2010, 12:15:10
Solche Kritik begleitet die Filme der Coen-Brüder schon lange. Weil sie sich gegenüber ihren Figuren häufig makabre Scherze erlauben und ihre Geschichten selten im gewohnten Trott des Mainstreamkinos bis zum Happy End durcherzählen.
Da brauch man sich nur die Kritiken zu ,,No Country for Old Men" und ,,Burn after Reading" durchzulesen.
Allerdings kommt dieses Missverständnis nicht nur von Kritikern, die aus Geschmacksgründen sowieso nichts mit der Welt der Coen-Brüder anfangen können oder die sie schlicht und einfach nicht verstehen, sondern leider auch von Leuten, die es verstehen könnten, aber es missverstehen wollen oder sich dem gewaltsam nicht öffnen wollen.

Manche können das Licht nicht sehen, weil sie blind sind, andere, weil sie die Augen nicht öffnen wollen :icon_mrgreen:

Wenn ich mich jetzt an unsere Diskussion zu NO COUNTRY FOR OLD MEN zurück erinnere (und dem, was du dazu in meinem Thread geschrieben hattest), müsste ich das jetzt wohl persönlich nehmen, oder? :icon_mrgreen:

Im Übrigen gebe ich dir Recht: Der anrührendste und beste Coen-Film seit vielen Jahren.

endoskelett

Ausgehend von dem mittelmäßigen Vorgänger NCFOM und dem widerrum guten Burn After Reading fällt das Fazit zu A Serious Man dann eher mittelprächtig aus. Die Coens erzählen die Geschichte eines Verlierers, der sich nicht wehren kann oder wehren will und gegenüber seinen Mitmenschen einen unfähigen Trottel abgibt. Skurrilität, vereinzelt witzige Passagen und eine durchaus sympathische Verliererfigur werden geboten, es fehlt aber der rote Faden der fesselt, der das zusammenbringt, der einen Sinn ergibt. Ein Film der nicht zündet, weil er mich kalt lässt, weil er den Zuschauer mit der jüdischen Welt fremd zurücklässt, weil er Larry Gopnik in seiner Unfähigkeit nicht weiterkommen lässt, trotz der vielen vielen Details und der netten Untermalung, nicht oben anzusiedeln. Nett, nicht mehr, nicht weniger.5/10
R: Do you like our owl?
D: It's artificial?
R: Of course it is.
D: Must be expensive.
R: Very.
R: I'm Rachael.
D: Deckard.

Sarge

Zitat von: endoskelett am 21 September 2010, 03:25:12es fehlt aber der rote Faden der fesselt, der das zusammenbringt, der einen Sinn ergibt.

Ich glaube, der Sinn des Filmes ist ja gerade die Suche nach dem Sinnergebenden, dem roten Faden im Leben.

endoskelett

Der Film ähnelt seinen Vorgängern ja auf eine gewisse Art und Weise, dass eine Sinnsuche immer irgendwo im Raum steht, nur hier war das Ergebnis (ähnlich wie in NCFOM) ein sehr dürftiges. Ich könnte auch behaupten, es hat einfach nicht "Klick" gemacht und ich wurde nicht so reingezogen wie in die skurrile Welt eines Burn After Reading. Coen-Filme lassen mich persönlich desöfteren fragend zurück, so nach dem Motto: was sollte das Ganze; das muss aber nicht immer negativ sein, wenn ich denn mit dem Stoff warm werde. Nun, hier klappte das wohl nicht so. Aber kein Problem soweit, es war kein Absturz.
R: Do you like our owl?
D: It's artificial?
R: Of course it is.
D: Must be expensive.
R: Very.
R: I'm Rachael.
D: Deckard.

Hitfield

Mich hat eigentlich nur der Anfang (in Jiddisch) "reingezogen", den eigentlichen Film fand ich von Minute zu Minute schlechter. Zu den ganzen Charakteren konnte ich keinen Bezug aufbauen oder einen Zugang zur Geschichte finden.

Außerdem hasse ich Filme und speziell Dramen, in denen sich Figuren nicht weiterentwickeln oder versuchen, über sich hinauszuwachsen bzw. aus ihrer Situation zu befreien, die Initiative ergreifen. Alle leben in einer Art Parallelwelt, sind latent unglücklich, haben aber nicht die Chuzpe, ihre Lage grundlegend zu verändern. Wenn die Entwicklung wenigstens in umgekehrter Richtung verlaufen wäre (die Figuren reiten sich immer tiefer in die Scheiße wie bei "Leaving Las Vegas" oder "Fear and Loathing in Las Vegas"), hätte das auch zu einem Klimax und Wendungen geführt, aber bei "A Serious Man" verläuft letztendlich alles gleichförmig.

Mir sind außer dem Prolog nur ganz wenige gute Momente in Erinnerung geblieben, die dann meistens der Ausstattung und Kameraarbeit geschuldet waren. Einfach kein Film für mich. 2 / 10
"All those moments will be lost in time, like tears in the rain."

Mr. Blonde

21 September 2010, 19:05:03 #13 Letzte Bearbeitung: 21 September 2010, 19:13:13 von Mr. Blonde
Auch ich bin mit dem Film leider nicht warmgeworden und erkenne den Geniestreich leider nicht. Mittlerweile der zweite Coen (Millers Crossing war der Erste) den ich einfach nicht gut fand. Der Film fing mystisch an, aber servierte dann Stillstand und davon reichlich. Wie Hitfield schon schrieb, fehlt eine Entwicklung, die Richtung in die die Figuren und in die der Film fahren könnte gänzlich. Viele Figuren hatten großes Potential, waren aber wie der Hauptdarsteller zuuuu unauffällig, nicht so skuril, wie man es erwartet - eher untypisch für die Coen-Brüder. Die Geschichte wirkt schlaff und ohne Pepp erzählt. Ich konnte mich nur berieseln lassen, was im Widerspruch zu den vorherigen Coen-Werken steht. Und dann nach zwei Dritteln plötzlich Jimmy Hendrix' "Machine Gun"! Für mich die Chance des Films, sich aus dem Tiefschlaf zu befreien und doch passte der Song nicht so recht - der Kontrast zwischen Bild und Ton war für mich zu groß. Das Ende war mal was ganz anderes, aber das reicht leider nicht. Habe leider nur die dt. Fassung gesehen, Steffen Schroeder als Larry Gopnik war keine Offenbarung, aber vielleicht passt dieses kraftlose ja wieder sehr gut zur Figur? Wirkte trotzdem talentfrei.

Schwer zu bewerten. 4 oder 5/10


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