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Faust (Alexander Sokurov, 2011)

Begonnen von ratz, 10 September 2011, 13:19:56

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ratz

10 September 2011, 13:19:56 Letzte Bearbeitung: 10 September 2011, 13:56:17 von ratz
Der neue Faust scheint nicht uninteressant zu werden, ergänzt Alexander Sokurovs Moloch, Taurus und Die Sonne (kenn ich nicht) zur Tetralogie. Spielt in der Goethezeit, ist aber eine sehr freie Adaption. Die Kritiker in Venedig sind jedenfalls begeistert.

Festival 2011: FAUST trailer

"Фауст" Александра Сокурова. Рабочие материалы. (Aufnahmen vom Set)

cu, r.

SutterCain

12 September 2011, 17:50:09 #1 Letzte Bearbeitung: 12 September 2011, 17:55:11 von SutterCain
Zitat von: ratz am 10 September 2011, 13:19:56
Der neue Faust scheint nicht uninteressant zu werden

Sehr schön auch, dass dieser Film einige Vorurteile zu bestätigen scheint: So gewann er gestern den Goldenen Löwen und hat zeitgleich ein imdb-Rating von 3,6 (bei zugegebenermaßen wenig Stimmen) :icon_mrgreen:


ratz


Ich beglückwünsche mich zum instinktiven Entschluß, den Film an einem Sonntagvormittag anzuschauen, denn selbst im ausgeruhten Zustand sind mir doch an ein oder zwei Stellen die Augendeckel zugeklappt. Aber nur kurz.

Denn trotz der durch Postproduktion gehörig veredelten Bilder und der unruhig streifenden Kamera gibt es doch keine führende Dramaturgie, die einem die über zwei Stunden Laufzeit erleichtert. Die Handlung kleckert, lose an Goethe orientiert, eher so von einem Schauplatz zum nächsten, und vor allem die Tonspur ist aufgrund der beiden dauerschwatzenden Mephisto- und Faust-Figuren inkl. Voiceover und romantischer Musik recht anstrengend. Hätte nicht vermieden werden können, daß Mephisto ausgerechnet mit der Stimme von Steve Erkel und Spongebob spricht?

Trotzdem ist faszinierend zu beobachten, wie sich Faust vom Loser zum machtgeilen Schreihals entwickelt, und ein paar fantastische Nahaufnahmen von Isolda Dychauks Cranach-haftem Gesicht entschädigen dann auch für alle Anstrengungen. Und wenn man sich nicht spontan entscheiden kann, ob ein Film gut oder schlecht ist, spricht das sowieso immer für ihn  ;)

cu, r.

PierrotLeFou

Zitat von: ratz am 22 Januar 2012, 15:40:16

Ich beglückwünsche mich zum instinktiven Entschluß, den Film an einem Sonntagvormittag anzuschauen, denn selbst im ausgeruhten Zustand sind mir doch an ein oder zwei Stellen die Augendeckel zugeklappt. Aber nur kurz.

Denn trotz der durch Postproduktion gehörig veredelten Bilder und der unruhig streifenden Kamera gibt es doch keine führende Dramaturgie, die einem die über zwei Stunden Laufzeit erleichtert. Die Handlung kleckert, lose an Goethe orientiert, eher so von einem Schauplatz zum nächsten, und vor allem die Tonspur ist aufgrund der beiden dauerschwatzenden Mephisto- und Faust-Figuren inkl. Voiceover und romantischer Musik recht anstrengend. Hätte nicht vermieden werden können, daß Mephisto ausgerechnet mit der Stimme von Steve Erkel und Spongebob spricht?

Trotzdem ist faszinierend zu beobachten, wie sich Faust vom Loser zum machtgeilen Schreihals entwickelt, und ein paar fantastische Nahaufnahmen von Isolda Dychauks Cranach-haftem Gesicht entschädigen dann auch für alle Anstrengungen. Und wenn man sich nicht spontan entscheiden kann, ob ein Film gut oder schlecht ist, spricht das sowieso immer für ihn  ;)

cu, r.

Oha, ich ahnte ohnehin schon schlimmes... Mit Sokurov habe ich so meine Probleme... "Gramvolle Gefühllosigkeit" hatte mir wirklich gut gefallen (leider bloß einmal gesehen und - wie bei vielen seiner frühen Sachen - nichtmal eine Kopie aufgehoben, als ich die gelegenheit hatte... und vernünftige DVD-Ausgaben der frühen Filme sind ja kaum vorhanden :icon_sad:), "Mutter und Sohn" mochte ich auch noch ziemlich gerne und "Russian Ark" bewundere ich einfach wegen der langen Kamerafahrt...
Ansonsten macht sich bei mir immer gepflegte Langeweile breit, wenn ich Sokurovs Filme sehe, und ich weiß nicht genau woran es liegt, denn Minimalismus mag ich eigentlich sehr gerne... :icon_confused: Seltsamerweise kenne ich viele Bekannte, die Tarr und Tarkowskij lieben, aber mit Sokurov ebenfalls nicht so recht warm werden wollen... womöglich liegt es daran, dass seine mitunter farbverfremdeten, verzerrten oder teil-animierten Bilder für eine Künstlichkeit sorgen, die sich mit dem Betrachten erretteter äußerer Wirklichkeit als versiegelter Zeit nicht optimal verträgt...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

ratz

Zitat von: PierrotLeFou am 22 Januar 2012, 16:17:34

Ansonsten macht sich bei mir immer gepflegte Langeweile breit, wenn ich Sokurovs Filme sehe, und ich weiß nicht genau woran es liegt, denn Minimalismus mag ich eigentlich sehr gerne... :icon_confused: Seltsamerweise kenne ich viele Bekannte, die Tarr und Tarkowskij lieben, aber mit Sokurov ebenfalls nicht so recht warm werden wollen... womöglich liegt es daran, dass seine mitunter farbverfremdeten, verzerrten oder teil-animierten Bilder für eine Künstlichkeit sorgen, die sich mit dem Betrachten erretteter äußerer Wirklichkeit als versiegelter Zeit nicht optimal verträgt...

Vielleicht fehlt bei Sokurov einfach das sagen wir mal metaphysische Mehr, das Tarr (nicht-trostlose Trostlosigkeit) oder Tarkowskij (Religiosität) auszeichnet und somit den letzten Kick irgendwie nicht bringt. Und ja, ein dezidiertes Zeitkonzept scheint sich hinter dem Minimalismus, dem das Rückgrat fehlt, nicht zu verbergen. Ich kenne von S. sonst nur Alexandra (2007), der nicht gar so langsam ist und auch sehr gut funktioniert. The Russian Ark hat E. Knörer ziemlich glaubhaft verrissen (hier), daher hab ich mich noch nicht bemüht, den mal zu sehen.
Vermutlich ist der Löwe in Venedig auch eher auf die ganze Tetralogie gemünzt, quasi als Belohnung für einen Russen, der sich nach dem Fall der kommunistischen Diktaturen mit Machtstrukturen und -mechanismen auseinandersetzt.

PierrotLeFou

Zitat von: ratz am 22 Januar 2012, 18:59:28
Vielleicht fehlt bei Sokurov einfach das sagen wir mal metaphysische Mehr, das Tarr (nicht-trostlose Trostlosigkeit) oder Tarkowskij (Religiosität) auszeichnet und somit den letzten Kick irgendwie nicht bringt. Und ja, ein dezidiertes Zeitkonzept scheint sich hinter dem Minimalismus, dem das Rückgrat fehlt, nicht zu verbergen. Ich kenne von S. sonst nur Alexandra (2007), der nicht gar so langsam ist und auch sehr gut funktioniert. The Russian Ark hat E. Knörer ziemlich glaubhaft verrissen (hier), daher hab ich mich noch nicht bemüht, den mal zu sehen.

Ach, "Russian Ark" würde ich - egal wie man inhaltlich zum Film steht (ich persönlich fand den jetzt nicht ungeheuer ergiebig und kann den Knörer da durchaus verstehen, finde es aber beispielsweise doch interessant, dass er in diesem Erinnerungs-Film das Motiv der Blindheit und des Tastens einbringt) - mit Einschränkungen doch noch empfehlen...
einfach weil diese 1,5-Stunden-Einstellung doch zu spüren ist (zumindest solange man durchgängig hinschaut) und eine ganz ungewöhnliche Empfindung in mir wachgerufen hat, die Filme in diesem Ausmaß sonst nicht (oder kaum) vermitteln...
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

ratz


Habe gerade wieder mal Murnaus Faust gesehen (unglaublich, ich hatte ganz vergessen, wie stark der ist), und da wurde mir erst klar, wie sehr Sokurov speziell auf diesen aufgebaut hat. Vielleicht sollte man sich die beiden Filme hintereinander geben, der neuere ist quasi ein Kommentar zu dem älteren Film. Ab dem 8. Mai kann man damit übrigens loslegen (klick/klack).

cu, r.

PierrotLeFou

Ich muss, nachdem ich mir mir Sokurovs "Faust" inzwischen auch angesehen habe, ja sagen, dass ich angenehm überrascht worden bin...
Ich würde sagen, dass es mir der liebste Sokurov seit 1987 ist...

Nach dem Trailer und dem Bericht von ratz war ich ja auf einen eher langweiligen Brei eingestellt, den leider viele Sokurovs für mich darstellen. Ich muss aber sagen, dass trotz dieser schwammigen, milchigen, entrückten Bilder und dem sonderbaren Klangteppich der Film auf mich doch fast schon "rasant" gewirkt hat... da steckt viel Unruhe, viel Gewimmel in der Kontemplation: Das Umherkreisen der Figuren, das ständige Sinnieren auf der Tonspur, das bisweilen ausbrechende Chaos (wenn mal drei Figuren gleichzeitig durch eine zu enge Tür gehen wollen) retten das "Veloziferische", das Faust und der Unruhestifter Mephisto bei Goethe mit sich brachten, recht spürbar in den Film herüber... Da herrscht trotz Stillstand eine wahnsinnige Unruhe, das fand ich hochinteressant und vor allem: erstaunlich kurzweilig. :D
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psychopaul

Das mit der "Rasanz" und der Unruhe seh ich ähnlich. Ich fand den Film für die heutige Zeit dafür letztendlich alles in allem - und das hat mich selbst am meisten überrascht angesichts so einer "bedeutungsvollen" Vorlage - ziemlich bedeutungslos.

Ist natürlich nur subjektiv und man kann bestimmt was interpretieren, die Lust dazu hat der Film aber bei mir nicht geweckt..
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Three little devils jumped over the wall...

ratz


Als langweilig wollte ich den Film nicht bezeichnet haben, kommt oben hoffentlich auch nicht so rüber. Er ist halt sehr anstrengend, langwierig, schwer zu durchdringen - all das natürlich Dinge, die mich persönlich zu einer Revanche reizen. Deshalb würde ich ihn auf jeden Fall noch einmal sehen (mögen werde ich ihn immer noch nicht, aber mich halt daran reiben), gerade mit dem aufgefrischten Murnau im Gepäck.

PierrotLeFou

Zitat von: ratz am 19 Mai 2012, 20:08:50

Als langweilig wollte ich den Film nicht bezeichnet haben, kommt oben hoffentlich auch nicht so rüber. Er ist halt sehr anstrengend, langwierig, schwer zu durchdringen - all das natürlich Dinge, die mich persönlich zu einer Revanche reizen. Deshalb würde ich ihn auf jeden Fall noch einmal sehen (mögen werde ich ihn immer noch nicht, aber mich halt daran reiben), gerade mit dem aufgefrischten Murnau im Gepäck.

Wollte ich dir auch nicht unterstellt haben - ich hatte nach dem Lesen deiner Gedanken bloß den Eindruck, MICH würde er langweilen müssen... :icon_mrgreen:
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ratz


So, nach einer angemessenen Inkubationszeit, dem Auffrischen mit Murnau, dem vorbereitenden Ansehen von Moloch (über Hitler auf dem Obersalzberg) und in Verbindung mit dem schon erwähnten Revanche-Bedürfnis hat jetzt die Zweitsichtung außerordentlich gut funktioniert. Eine gewisse Vertrautheit mit den sokurovschen Verfremdungsmitteln, die Pierrot oben erwähnt hat, ist sehr nützlich und sogar empfehlenswert. So wird der Film zu einer Sicht von außen auf einen der deutschen Urmythen, über dessen Details man trefflich diskutieren kann.
In eine Reihe mit Tarr oder Tarkowskij würde ich Sokurov jedoch nicht stellen wollen, da ist noch etwas an ihm und an seinen Äußerungen in Interviews, das ihn unterscheidet: Er präsentiert sich dezidiert politisch, vielleicht zusätzlich anti-mystisch, und er sucht und interessiert sich besonders für die Nähe der Mächtigen, und Nationalist ist er außerdem. Das alles ist per se nicht verkehrt, empfiehlt aber auch eine gewisse Vorsicht in der Rezeption.

cu, r.

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