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In Nomine

Begonnen von Jake73, 24 August 2005, 18:35:45

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Jake73

24 August 2005, 18:35:45 Letzte Bearbeitung: 25 Dezember 2005, 21:00:21 von Jake73
Hab mich mal als Autor versucht. KA ob jemand hier Soetwas lesen würde ;) Aber egal.
Meinungen und konstruktive Kritik sind immer willkommen.

P.S.: Nicht vom Eröffnungsabschnitt abschrecken lassen!  :icon_eek:





In Nomine




,,73"


Wenn man sich entschlossen hat, mit seinem ach so erbärmlichen und nutzlosen Leben abzuschließen, stehen einem viele Möglichkeiten offen seinem sinnlosen Dasein ein Ende zu bereiten. Manch einer besorgt sich eine Waffe und lässt seiner schier endlosen Wut auf Gott und das Leben freien Lauf. Warum alleine sterben, wenn man ein paar Unschuldige mitnehmen kann? Ein kleines Massaker in der Familie oder im Supermarkt. Wieso nicht? Ich konnte meine Verwandtschaft noch nie leiden. Den krönenden Abschluss bietet dann meist ein Feuergefecht mit dem örtlichen Sondereinsatzkommando der Polizei, dem man sich aber durch einen gezielten Kopfschuss entziehen kann. Die Alternative läuft etwa auf dasselbe hinaus, nur dass es mehr Papierkram gibt. Andere treten heimlich, still und leise aus der Welt. Eine Überdosis Schlafmittel oder ein paar richtig aufgeschnittene Pulsschlagadern. Nicht dieser Hilfeschreimist in der Badewanne. Wochen später wirst du dann gefunden und auf deiner Beerdigung von allen bedauert. Man hat dich doch so gern gehabt und niemand hätte dir so etwas zugetraut. Womöglich auch die Schlampe, die dir das verliebte Herz rausgerissen und es auf dem Boden zertreten hat, um hinterher dennoch nur deine Freundin sein zu wollen. Die klassische Variante ist, seit alters her, aber immer noch der Sprung in den Tod. Hierbei sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Man kann nahezu überall runter springen, um sich alle Knochen und selbstverständlich das Genick zu brechen. Laut einer Studie der New York Times sind die beliebtesten Orte Brücken und Häuserdächer. Wenn ich mich so umbringen wollte, würde ich in der großen Pause von einem Schuldach springen. Nichts ist auf dem Weg in die Hölle beruhigender, als die Gewissheit ein paar kleine Seelen für immer traumatisiert zu haben. Und ich muss hinzufügen, dass es kein schöneres Gefühl gibt, als wenn ein Körper mit zweihundert Sachen auf dem harten Boden aufkommt und nebenbei jeder einzelne Knochen im Leib zerfetzt wird. Jedenfalls wenn man einen guten Platz zum Zusehen hat. Im Ernstfall hätte ich mich sicher für die erste Variante entschieden. Doch stattdessen hatte ich einen Pakt mit dem Einen geschlossen, der die Welt so wie ich sie kannte für immer verändern sollte.


Willkommen in meinem Alptraum..







I

Leid ist aller Anfang





1

,Ins Dunkel'

Züge sind in vielen Filmen klischeehafte Orte für tränenreiche und besonders dramatische ,,Auf Nimmerwiedersehen". Jeder, der ,Pearl Harbor' oder ,Speed' gesehen hat, weiß, was ich meine. Meistens geht es um einen Abschied für immer und genau deshalb war ich engagiert worden. Wie schon erwähnt hatte die erste Variante für mich immer den größten Reiz gehabt. Doch im Vergleich zu vielen meiner Leidensgenossen hatte ich mich entschlossen einen etwas anderen Weg zu gehen. Nur wer alles verloren hat, besitzt die Freiheit alles zu tun. Amoklaufen und im Kugelhagel krepieren konnte jeder.
Und da saß ich nun. Im Raucherwaggon des ICE 782 von Hamburg/Altona nach Basel. Die Zielperson hieß Walter von Hagens und hatte den Zug wie jeden Freitagabend in Kassel/Wilhelmshöhe um 23:17 betreten, sich auf den nächst besten freien Platz gesetzt und eine seiner Lieblingszigarren der Marke PS angezündet. Wir alle kennen diese 3 Euro Billigzigarren oder Leute, die mit leeren Aktenkoffern durch die Gegend rennen, um sich wichtiger zu fühlen. Von Hagens war genau so ein kleinbürgerlicher Spießer.
Walter arbeitete in Kassel für die dortige Filiale der Allianz Versicherungsgesellschaft und hatte meinen Auftraggeber und die Jakavetta-Familie um ihren Anteil bei einem größeren Versicherungsbetrug erleichtert. Mehr brauchte ich nicht zu wissen, nur dass er deswegen sterben musste.

Walter hatte seine Zigarre gerade erst angezündet und sich nur wenige Sekunden dem Genuss selbiger hingegeben, als er auch schon jäh unterbrochen wurde. Zwei fette Trampel kaukasischer Abstammung in langen braunen Mänteln kamen den Gang des fast leeren Waggons heran. Sie hatten die wenigen anderen Fahrgäste schon hinter sich gelassen und auch an mir waren sie problemlos vorbeigekommen. Kurz vor Walters Platz schienen beide Männer jedoch in einen heftigen Streit zu geraten und der Schmächtigere wurde mehr an ihm vorbei gestoßen, als dass er ging. Dabei wurde von Hagens die Zigarre aus der Hand geschlagen, und das qualmende Mistding landete mitten auf seinem ach so teuren Billiganzug, der sofort zu kokeln anfing. Während er fluchend die Funken mit einer Bahnzeitung auszuklopfen versuchte, schienen die Beiden das Missgeschick nicht einmal bemerkt zu haben und setzten ihren Weg Richtung Mitte des Waggons fort. Walter erhob sich von seinem Platz und ging Richtung Toilette. Scheinbar wollte er die Ascheflecken mit einfachem Leitungswasser raus waschen. Das kam mehr als gelegen. Er würde den Waggon nicht lebend verlassen. Von Hagens genoss jedoch nur einen Teil meiner Aufmerksamkeit. Die andere Hälfte waren die zwei Trampel und die Maschinenpistole, welche kurz unter dem Mantel des einen Mannes zu sehen war, während er seinen Begleiter an Walter vorbei gestoßen hatte. Das könnte alles unnötig verkomplizieren oder um einiges interessanter machen. Kaum hatte Hagens meinen Platz passiert, stand ich auf und folgte ihm.

,,Nächster Halt Fulda! Der Ausstieg befindet sich in Fahrtrichtung links. Allen Fahrgästen, die in Fulda aussteigen, wünschen wir noch einen schönen Abend. "Dieses mechanisch kalt runter geleierte Gerede ging mir schon seit den letzten drei Haltestellen auf die Nerven. Zum Glück würde ich in Fulda endlich aussteigen. Der Sprecher hatte seine ach so wichtige Nachricht beendet, und von Hagens die Toilette schon fast erreicht. Die Hand am Türgriff schien er zu zögern. Womöglich hatte er etwas Wichtiges vergessen oder es sich einfach anders überlegt.
Mit einem harten Schlag in den Nacken und einer gleichzeitigen Vorwärtsbewegung schob ich Hagens durch die halbgeöffnete Tür und schlug ihn mit dem Kopf gegen die Wand. ,,We..Wer sind sie?!" Walter sank benommen auf den Thron und schien nur mühsam wieder zu klarem Verstand zu kommen. ,,Hab sie wohl härter erwischt als eigentlich gedacht. Das tut mir ehrlich gesagt leid. Aber es ist wohl auch nicht mehr zu ändern. Sei's drum." Ein kurzer Blick aus dem Fenster. Tunnelbeleuchtung. Der letzte große Tunnel vor Fulda. ,,Die Wahl liegt bei ihnen. Ich persönlich bevorzuge Messer." – ,,Was wollen sie? Was zur Hölle wollen sie?!" Stille. ,,Hat sie Tony geschickt? Wollen sie Geld?! Hier sie können alles haben." Von Hagens wollte seine Brieftasche aus der Innentasche seines Jacketts hervorholen. ,, Ich will ihr schmutziges Geld nicht und auch sonst hätten sie nichts, was mich interessieren könnte, bis auf eines." Er war wieder bei Verstand und schien dennoch nicht zu begreifen. Faszinierend. Ich hasste diese Frage-Antwortspiele. Es war Zeit für eine Abkürzung, eine die unter die Haut geht. Die Klinge des Butterflys blitzte nur kurz im schalen Licht der gammligen Beleuchtung auf bevor sie in Walters rechtem Auge und der dahinter liegenden Augehöhle verschwand. Glaskörper quoll aus dem durchbohrten Augapfel, gefolgt von Blut und Hirnwasser, als die Klinge tiefer in seinen Schädel vordrang und Walter von Hagens sein Leben aushauchte. Das verbliebene Auge starrte leblos mit einer Mischung aus Zorn und blankem Entsetzen ins Leere. Es war getan. Schon in wenigen Tagen würde der Rest der vereinbarten Summe auf mein Schweizer Nummernkonto überwiesen. Ich hielt noch einen Moment inne, um mein Werk genauer zu betrachten, aber irgendetwas stimmte nicht. Es war ruhig. Zu ruhig.

Ein Schuss durchbrach die bedrohliche Stille. ,,Niemand rührt sich! Alle nehmen sofort die Hände hoch, und wenn keiner irgendwelche Dummheiten macht, wird Niemandem etwas passieren! Wir sind nur hier, um einem alten Freund Hallo zu sagen." Diese Stimme. Nein das konnte nicht sein. Sie konnte es nicht überlebt haben. Es war einfach nicht möglich. Niemals! Wie auch immer. Der Job war erledigt, und der Rest theoretisch gesehen simpel. Etwas zur Ablenkung und dann nichts wie weg hier. Eine Ladung C4 in von Hagens linker Innentasche sollte den gewünschten Effekt haben. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, dem Fernzünder in der linken und einer Beretta in der anderen Hand verließ ich die Toilette.
Ohne ihre Mäntel sahen die Beiden gar nicht mal so fett aus. Sie trugen beide kugelsichere Westen, aber nur einer hatte die Maschinenpistole. Der Andere hatte einen älteren Mann im Würgegriff, welchem ein C4 Gürtel um den Oberkörper geschnallt worden war. Er hatte ihn wohl vorher unter dem Mantel getragen und ihn der nächst besten Geisel angelegt, die er nun mit einem Colt an der Schläfe bedrohte. Zum Glück nur ein Drecks Sechs-Schuss Teil. Beide standen in der Mitte des Waggons, direkt bei den Kleiderhaken, und hielten von dort aus die übrigen Passagiere in Schach. Ich sah mich auch nach ihr um, doch sie war nicht zu sehen.
Im allgemeinen Chaos aus Angst, Verwirrung und Neugier der wenigen anderen Fahrgäste war es sicher ein Leichtes die Sache zu Ende zu bringen. Diese Beiden waren keine Gefahr. Sie waren Training. Nach ein paar Schritten ging ich in die Hocke und wartete ab. " Das mit den Händen gilt auch für dich! Los hoch damit und komm hier rüber!" Zittrig zielte er mit der Maschinenpistole auf mich. Irgendetwas schien ihn nervös zu machen. Seine letzten Worte waren auch nicht gut gewählt. Das sind sie wohl nie. Für einen Moment schien alles still zu stehen.

Jake73

27 August 2005, 19:59:59 #1 Letzte Bearbeitung: 2 Dezember 2005, 21:02:57 von Jake73
2

,Kain'

Friedhof. Ort der letzten Ruhe. Für viele aber doch nur ein umzäunter Park mit ach so heiligem Boden, in dem viele hundert Leichen verscharrt werden. Friedhof. Ort des Gedenkens. Anstatt sie einfach in einem Loch mit kalter Erde zu versenken und sie in Frieden ruhen zu lassen, erstickt man in den meisten Religionen ihre Gräber mit Gedenksteinen und einem schier endlosen Meer billiger Blumen. Friedhof. Ort der Jagd. In unserer heutigen Gesellschaft gibt es kaum Orte, an denen sich Menschen verschiedener Alters- und Interessengruppen in regelmäßigen Abständen einfinden, um ihrer Lieben zu gedenken, die ihr Gott leider meist viel zu früh von ihnen genommen hat. Viele dieser Menschen haben vier Dinge gemeinsam. Sie alle haben jemanden verloren, der ihnen etwas bedeutet hat. Sie alle kommen um zu trauern. Sie alle fühlen sich sicher, zu sicher. Sie alle wissen nicht, dass sie sobald sie die Pforte durchschritten haben in einem höchst verletzlichen Zustand sind - Allein.

Jonas Kain ging gerne auf den Friedhof. Er war kein gläubiger Christ und auch sonst interessierten ihn die Kirche und ihre - seiner Meinung nach - ketzerischen Ansichten wenig. Es gab für ihn auch niemanden, um den es sich zu trauern gelohnt hätte. Jedenfalls nicht auf dem Friedhof, den er regelmäßig besuchte. Er kam einzig und allein aus einem Grund dorthin. Er wollte Menschen kennen lernen. Menschen, die trauerten und eine mitreißende Geschichte zu erzählen hatten.
Jonas Kain war ein Seelenfresser. Zu Beginn seines Wahns ernährte er sich nur von den Leiden und der Qual derer, die er auf seinen nächtlichen Wanderungen traf. Doch mit der Zeit dürstete es ihn nach mehr, und er begann, sie von ihrem irdischen Gefängnis zu lösen und ihre leblosen Hüllen in sich aufzunehmen. In all den Jahren nach seiner anfänglichen Entwicklung hatte Jonas eine besondere Vorliebe für einsame Frauen mittleren Alters und insbesondere junge Witwen entwickelt. Bei ihnen fand er neben einer herzzerreißenden Geschichte und frischem Fleisch auch die Chance auf Erlösung.
Anfangs hatte er noch geglaubt, dass eine die Richtige sein würde. Die eine, welche ihn von seinem unstillbaren Hunger nach mehr ein für allemal befreien könnte. Doch im Hier und Jetzt - 7 Jahre und 16 auf mysteriöse Weise verschwundene Frauen später -  wusste er, dass es diese Frau nicht gab. Nicht noch einmal auf dieser Welt gab. Diese Tatsache war jedoch kein Hindernis sondern eher eine Herausforderung.
Und so war Jonas Kain auch an diesem leicht bewölkten Freitagabend zum Zentralfriedhof in Fulda gekommen um zu Jagen. Es war wieder einer dieser besonderen Tage. Schon seit über drei Wochen war die Beute überaus unbefriedigend. Ein paar bedingt ergreifende Geschichten. Jemand war mit 17 Jahren qualvoll an einem Gehirntumor verendet, einer achtzigjährigen Frau waren von einem Aufzug bei lebendigem Leibe beide Beine abgetrennt worden, und ein kleiner Junge war beim Spielen vor einen Laster gerannt. Eine Beerdigung ohne offenen Sarg aber sonst nichts Weltbewegendes. Aus lauter Frust hätte er in der vergangenen Woche beinahe einen alten Mann angefahren. Jonas konnte sich gerade noch beherrschen. Er hatte schon seit Tagen die Todesanzeigen der Fuldaer Zeitung verschlungen. Immer auf der Suche nach etwas Besonderem. Am Mittwochmorgen wurden seine stillen Gebete endlich erhört. Ein gesuchter Serienvergewaltiger war zwei Tage zuvor bei einer dreiköpfigen Familie eingestiegen. Leider waren nur Vater und Sohn zu Hause. Aus lauter Enttäuschung darüber, dass die Mutter Nachtdienst im Städtischen Klinikum hatte, schlachtete er statt ihrer die Beiden auf bestialische Weise. Vom grausamsten Ritualmord in der Geschichte Fuldas war da die Rede. Er musste gar nicht weiter lesen. Jonas konnte sich die Details sehr gut vorstellen. Dennoch weckten die Bilder des Tatorts und der verzweifelten Witwe sein Interesse. Sie war zwar noch zu frisch, aber er hatte keine Wahl. Noch eine Woche würde er nicht durchstehen können. Dazu war das letzte Mal schon zu lange her.
Die Beerdigung hatte gestern Abend im kleinen Kreise der Angehörigen stattgefunden. Er wäre gerne dabei gewesen. Berufliche Pflichten hatten dies jedoch verhindert. Für jemanden wie ihn gab es nichts Schöneres als eine Beerdigung. Von der Jagd und dem anschließenden psychischen und physischischen Ausweiden der Beute mal abgesehen.
Jonas war verzweifelt. Der Hunger machte ihn langsam wahnsinnig. Er hatte den ganzen Abend ungeduldig in seinem Wagen - einem dunkelblauen BMW 750i - vor dem Friedhof gewartet. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr, fünf Minuten nach Mitternacht. Die Viertelstunde Vorsprung sollte genügen. Kräftige Hände glitten in die schwarzen Handschuhe, welche er normalerweise im Handschuhfach aufbewahrte. Gleich neben dem Kabelbinder und der Flasche mit Chloroform. Aus Erfahrung wusste er, dass die meisten Witwen in den ersten Nächten nach der Beisetzung ihres Geliebten an dessen Grab zurückkehrten, um ein letztes Mal mit ihm allein zu sein. Jede hatte ihre persönlichen Gründe für diesen letzten Besuch. Sei es zum letzten stillen Gedenken. Sei es um ihm ihre Sünden zu beichten und mit sich selbst ins Reine zu kommen oder nur um auf sein Grab zu spucken.
Jonas stieg aus und näherte sich langsam dem östlichen Eingangstor. Der Zentralfriedhof hatte vier Eingänge, aber nur der Östliche hatte einen vernünftigen Parkplatz, an dem man nicht sofort eingesehen werden konnte. Weit und breit war niemand zu sehen. Wer geht an einem Freitagabend um diese Zeit schon aus normalen Gründen auf einen Friedhof?
Vorsichtig öffnete Jonas das rostige Tor, auf dem schon die zweite Generation geschmackloser dunkelgrüner Farbe abblätterte. Wäre es heller Tag gewesen, hätte man noch einen Hauch von dunkelrot aus vergangenen Tagen erkannt.
Zum letzten Mal kontrollierte er seine Beretta im Schulterhalfter, prüfte, ob der Schalldämpfer auch fest saß. Alles in Ordnung. Mit seiner langjährigen Erfahrung zweifelte Jonas zwar nicht mehr an seinem Können, dennoch war es gut zu wissen, dass es auch einen Plan B gab. ,Im hinteren Drittel, die zehnte Reihe von links, das fünfte Grab auf der rechten Seite.' Stand auf dem Notizzettel, welchen er sich im letzten Licht des Tages gemacht hatte. Aber er war nicht mehr nötig. In seinem derzeitigen Zustand hätte Jonas den Weg auch blind gefunden.

Alleingelassen lag sie da und sah, wie grausam doch die Güte war. Sie war hergekommen, um sich Nahe ihres Liebsten das Leben zu nehmen, und nun war sie überwältigt, gefesselt, geknebelt und mit zahlreichen Schnittwunden übersäht worden. Es war derselbe, der auch ihre Familie getötet hatte. Soviel hatte er ihr verraten. Was er mit ihr vorhatte, wusste sie genau, und sie würde sich mit jeder Faser ihres Körpers dagegen wehren. Wenn sie nur an das Messer in ihrer Handtasche kommen könnte. Es ging nicht. Die Fesseln waren einfach zu fest. Unter Schmerzen drehte sie sich auf die Seite, um einen Blick darauf zu erhaschen, was er tat. Die komplett in Schwarz gekleidete Gestalt, die mit einer bizarren Holzmaske ihr Gesicht verdeckte, kniete am Boden und war fieberhaft damit beschäftigt, etwas um sie beide und das Grab ihres Mannes auf den Boden zu zeichnen. Neben ihm lag eine Tüte, in der sie rote Kerzen und einen kleinen Lederbeutel sehen konnte. Was sich darin befand, würde sie wohl noch früh genug erfahren. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es endlich vorbei sein würde. Auch wenn ihr die Art nicht gefiel, war sie im Nachhinein doch froh auf diese Weise sterben zu können. Selbstmörder fahren bekanntlich zur Hölle.
Was war das? Ein Schatten. Das konnte doch nicht sein? Oder doch? Ja da war er wieder. Er war langsam den Weg entlanggekommen und hatte wohl die Lage, in der sie sich befand, richtig eingeschätzt. Nun schlich er sich von Grab zu Grab heran.   
Das leise Knacken eines Astes. Der Maskenmann schnellte hoch und sah sich um. Ein instinktiver Blick nach links. Ein leises Rascheln im Gebüsch hinter ihm. Das Knacken eines weiteren Astes. Er fuhr herum, griff in die Tüte und holte ein kleines Beil hervor. Vor Wut schnaubend sah er sich erneut nach allen Seiten um. Dann fiel sein Blick auf sein Opfer.
Wären das viele Blut und die Schnittwunden nicht gewesen, hätte man das schöne schwarze Kleid womöglich besser gesehen. Das bedauerte sie sehr. Schließlich hatte sie es sich extra für diesen letzten Anlass gekauft. Sie wollte eine schöne Leiche auf den Fotos sein, die am übernächsten Tag die ersten Seiten der Zeitungen zieren würden. Wo einen das letzte Bisschen falscher Stolz manchmal hinführen kann ist wirklich beeindruckend. Und jetzt war dieser Moment für alle Zeit ruiniert worden.
So wie sie jetzt war, gefiel sie ihm durchaus besser. Er hatte ihrem Lebenssaft in mühevoller Kleinarbeit unzählige Möglichkeiten gegeben hinaus ins Dunkel zu kommen. Sie war fast perfekt. Der Maskenmann konnte mit seinem Ritual des Blutes beginnen. Bei einem Blick in seine Augen spürte man förmlich das unbändige Verlangen. Er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Beute und war im Begriff das Beil zur Seite zu legen, als die ersten gedämpften Schüsse abgefeuert wurden. Die erste Kugel zerfetzte die Hand, in der er das Beil gehalten hatte. Danach zwei weitere Treffer in den Brustkorb und einer in die linke Kniescheibe. Das Beil landete im Gras. Die dunkle Gestalt viel nach hinten auf das Grab. Jonas schnellte mit der Waffe im Anschlag aus seiner Deckung hervor und gab dem blutüberströmten, wimmernden Häufchen Elend mit drei weiteren Schüssen den Rest. Genitalien, Herz und Kopf. Vergewaltiger und Kinderschänder haben nichts Anderes verdient.
Soviel dazu. Er schraubte den Schalldämpfer von der Beretta und ließ ihn in seinem Mantel verschwinden, dann steckte er sie wieder ins Holster, hob das Beil auf und wandte sich ihr zu.
,,Alles in Ordnung?" Ein schwaches Kopfschütteln. Vorsichtig entfernte Jonas ihren Knebel und durchschnitt die Fesseln mit dem Beil. ,, Mein Name ist Jonas Kain. Ich werde ihnen helfen. Können sie laufen?" Ein leichtes Nicken. Er half ihr auf die Beine und schleppte sie ein Stück den Weg Richtung Osttor entlang bis sie endlich das Bewusstsein verlor, und er sie mit beiden Händen den Rest des Weges zu seinem Wagen trug. Mit großem Bedacht wickelte er ihren geschundenen Körper in eine Decke und verstaute sie im Kofferraum. Nachdem er Diesen wieder geschlossen hatte hielt Jonas einen Moment inne.
Diese Stille. Herrlich! So konnte Jonas am besten nachdenken. Er musste sich nur eine neue Zweitwaffe besorgen. Sonst dürfte er keine Spuren hinterlassen haben. Ob sie die Richtige war? Das würde er später herausfinden. Sofern sie dann noch am Leben war. Zufrieden stieg Jonas ins Auto und wollte sich eben noch eine Zigarette anzünden, als die Melodie von Beethovens Unvollendeter die Stille beendete.
Er drückte den Knopf für die Freisprechanlage und entzündete die Zigarette. ,,Oberkommissar Kain?" – ,,Ja?" – ,,Hier ist die Zentrale. Es gab einen Zwischenfall am Bahnhof. Womöglich ist von einem terroristischen Anschlag auszugehen. Hauptkommissar Höfner verlangt ihre sofortige Anwesenheit!" – ,, So? Sagen sie ihm, ich komme, so schnell ich kann. Muss vorher nur noch eine Freundin zu Hause absetzen."  Jonas legte auf und startete den Wagen. Seine Nacht des Blutes hatte gerade erst begonnen.

CinemaniaX

Habe noch nicht ganz gelesen, weil die vielen Rechtschreibfehler mich stören:

1) Kommasetzung
2) Gross- und Kleinschreibung
3) Mischmasch zwischen alter und neuer Rechtschreibung. Du solltest Dich entscheiden, ob Du nach der alten oder nach der neuen Rechtschreibung schreiben willst.

Jake73

12 September 2005, 22:46:24 #3 Letzte Bearbeitung: 25 Dezember 2005, 21:07:26 von Jake73
Erstmal danke das wenigstens Einer seine Meinung geschrieben hat. Zwar leider nix zum Inhalt aber wen interessiert das schon? Die Fehler sind beseitigt und damit hat sich die Sache für mich erledigt. Auf den SPAM eins tiefer kann glaub ich jeder verzichten.

Stielike


Jake73

31 Oktober 2005, 17:33:45 #5 Letzte Bearbeitung: 2 Dezember 2005, 21:04:42 von Jake73
3

,Roter Sand'

Schon Mal bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden? Sicher nicht. Lasst es mich kurz beschreiben. Bei zirka 2000 Grad schmilzt Stahl wie Butter. Zunächst spürt man nichts. Es ist einfach zu heiß. Das Feuer versengt die Nervenenden und tötet sie ab. Das führt zu einem Schock und das Einzige, was man zunächst spürt, ist Kälte. Der Gestank deines brennenden Fleisches steigt dir langsam in die Nase und dann kommt der Schmerz. In gewisser Weise war ich froh, dass mir dieses zweifelhafte Vergnügen wohl vorerst erspart bleiben würde.

Finsternis. Stille und ewige Dunkelheit umgaben mich. Genauso wie die süße Qual des Schmerzes. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte man mir die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen, mich mit Honig übergossen und auf einen Nesthügel Feuerameisen geworfen. Ob es wahr ist, dass man im Augenblick seines Todes sein ganzes Leben noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen sieht? Sicher eine interessante Erfahrung.
Ich erwartete jeden Augenblick Bilder aus meiner nicht gerade bilderbuchhaften Kindheit zu sehen. Das Viertel in dem ich aufgewachsen bin. Die Schule, die ich einst besucht hatte. Freunde und Feinde, die ich mir dort gemacht hatte. Menschen, die mich auf meinem Weg danach begleitet hatten. Das Ende meiner Familie. Sicherlich auch jeden meiner Aufträge. Sie würden alle in der Hölle mit offenen Armen auf mich warten. Doch stattdessen passierte nichts. Mir kamen langsam ernste Zweifel, ob ich wirklich gestorben, und dies der Vorhof zur Hölle war. Vielleicht hatte mich etwas bei dem Zwischenfall im Zug auch nur mein Augenlicht und Gehör gekostet. So ein verdammtes Schrapnell, ein Querschläger oder die Explosion, welche mich in diese schier ausweglose Lage gebracht hatte. Ich versuchte mich krampfhaft an die letzten Ereignisse zu erinnern. Es waren nur verschwommene Bilder, aber sie reichten.

Der zerfetzte Oberkörper eines alten Mannes am Boden des Zugabteils, überall Blut und Gedärme und etwas abseits seine Beine und der restliche Unterkörper, dann diese Stimme. ,,Wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet!?" Menschen und Sitze werden von Kugeln durchsiebt. Ein Mann in kugelsichererer Weste schießt schreiend mit einer Maschinenpistole wild um sich. ,,Bald wird es vorbei sein." Es war ihre Stimme. Eine Kugel traf ihn am Hals. Blut spuckend sank er zu Boden. Seine Hand verkrampfte sich um die Waffe. Diese machte sich selbstständig und feuerte weiter ziellos durch den Raum. Ein harter Schlag in meinen Nacken. Ich gehe in die Knie. ,,Du hoffst, dass es gleich vorbei sein wird?" Das Geräusch des Entsicherns einer Pistole. Der Lauf wird an meinen Hinterkopf gedrückt. ,,Dein Tod ist erst der Anfang!" Mit der linken Hand aktiviere ich den Fernzünder. Schreie! Ein Schuss wird abgefeuert. Ich spüre Blut auf meiner Haut. Warmes, weißes Licht umhüllt mich, blendet mich. Es geht in dunkles Rot über und mir wird schwarz vor Augen. Alles geht zu schnell. Mein Schädel fühlt sich an, als müsste er gleich platzen.

Ich versuchte zu schreien. Es ging nicht. Der Geschmack von kaltem Sand verstopfte meinen Mund. Ich konnte nicht atmen. Verzweifelt versuchte ich mich zu bewegen, überall dieser Schmerz. Nur mühsam fand ich den Weg nach oben. Da war es. Licht am Ende des Tunnels. Mein linker Arm durchbrach das sandige Erdreich und stieß hinaus ins Freie. Sengende Hitze und schneidender Wind empfingen mich. Vorsichtig befreite ich den Rest meines Körpers.
Überall dieses grelle Licht. Meine Augen schmerzten. Angewidert würgte ich den Sand aus meinem Hals. Das Gefühl von Kribbeln und feinen Körnern machte sich auf meiner Haut bemerkbar. Schließlich gewöhnten sich meine Augen an das Licht, und alles wurde klarer. Doch was war das? Roter Sand? Nein, dass konnte nicht sein. Ich war sicher zu erschöpft oder meine Augen hatten sich noch nicht richtig an das Licht gewöhnt. Erschöpft drehte ich mich um und mein Blick fiel auf den Himmel. Blau, herrliches, schönes Blau. Nirgends eine Wolke, die die schwarzen Sonnen verdeckte.

Jake73

31 Oktober 2005, 17:34:15 #6 Letzte Bearbeitung: 2 Dezember 2005, 21:05:36 von Jake73
4

,Pandora'

In der griechischen Mythologie ist sie die erste Frau auf Erden. Pandora wurde auf Geheiß des Göttervaters geschaffen und von den Göttern mit unglaublicher Schönheit ausgestattet. Sie wurde auf die Erde gebracht, um die Menschheit für den Diebstahl des Feuers zu bestrafen. Pandora wird auch als das schöne Übel bezeichnet, denn sie brachte die unheilvolle "Büchse der Pandora" mit sich, die ein törichter Narr neugierig öffnete und so aus ihr alle Übel und Seuchen befreite, die über die Menschen herfielen. Am Boden dieser Büchse lag auch die Hoffnung verborgen, doch bevor diese heraus kommen konnte, wurde die Büchse wieder geschlossen.

Sie hätte ihn nicht provozieren sollen. Wie konnte sie es nur wagen sich einzumischen. Jetzt hatte sie den Preis bezahlt, für diese und die anderen Demütigungen seines Lebens.

Blut, überall Blut, ihr Blut, der ganze Raum war voll davon. Er hatte sich geduscht und seine blutige Kleidung auf einen Haufen neben ihr geworfen. Der Rausch des Tötens war vorbei und es war Zeit seinen Verstand wieder klar zu bekommen. Auf dem zerwühlten Bett lag noch das Notizbuch. Seltsamerweise hatte es nichts abbekommen. Auch wenn es indirekt diese Misere mit verursacht hatte. Dabei begann der Abend so viel versprechend.

Der Abend, auf den er schon so lange gewartet hatte, war nur noch wenige Stunden entfernt gewesen. Heute wollte er sich endlich Zustimmung und Gewissheit verschaffen. Aber Sie musste alles kaputt machen. ,,Stefan Paul Dierkes! Wo steckst du schon wieder?! Du elender Taugenichts! Du solltest mir doch im Keller helfen. Komm sofort hier runter!" Stefan hatte derzeit drei Probleme. Dies war eines davon. ,, Ja, Mutter. Ich bin gleich unten!" Die letzten zwei Stunden hatte er auf seinem Bett gelegen und an einem Gedicht gearbeitet. Stefans Begabung in diesem Bereich war unglücklicherweise sehr beschränkt, aber was sollte man auch von jemandem erwarten, dessen Erfahrungen mit Gefühlen und dem anderen Geschlecht derart verkrüppelt waren. Es war jedoch nicht der einzige Grund, warum er so viel Zeit an diese paar Zeilen, die seine Empfindungen zum Ausdruck bringen sollten, verschwendet hatte. Seine Gedanken schweiften immer wieder hinüber zum Schreibtisch und dem grauen Koffer, der davor auf dem Boden stand. Den Gedanken ihn zu öffnen und sicherzugehen, dass noch alles in Ordnung war, hatte Stefan schon längst verworfen. Es wäre auch unklug gewesen die Familie durch zuviel Neugier unnötig zu verärgern. Ihre Familie, darum drehte sich alles. Er brauchte den Segen ihrer Familie und dank dem Koffer hatte er endlich einen Fuß in der Tür. Sein Inhalt war ein Preis, den er nur zu gerne bereit war zu zahlen.
Die Tür seines Zimmers wurde unvermittelt aufgestoßen, und seine Mutter stürmte herein. ,,Was zur Hölle treibst du hier so lange? Du solltest mir doch im Garten helfen!" Was ein leichter Ansatz von Alzheimer und Demenz bei einem ehemals geistig gesunden Menschen anrichten kann ist wirklich erstaunlich. Wie vom Blitz getroffen schrak Stefan hoch. Aus seiner Gedankenwelt gerissen führten ihn seine ersten klaren Gedanken wieder zu dem Koffer. Ebenso wie den Blick seiner Mutter. ,, Wo hast den denn her? Sicher geklaut so einen teuren Koffer kannst du dir gar nicht leisten! Was ist da drin?" Die Gedanken rasten durch Stefans Kopf. Warum war er nur so unachtsam gewesen? Den Schlüssel für die Tür hatte sie ihm schon vor Jahren weggenommen, aber er hätte den Koffer besser verstecken sollen. Die Inspiration war über ihn gekommen, just in dem Moment, als er es tun wollte, und er hatte sie dankend angenommen, um komplett von ihr verschlungen zu werden und die Welt um sich herum dabei völlig zu vergessen. ,,Nichts. Den bewahre ich nur für einen Freund auf." – ,,Einen Freund also? Oder ist es für diese kleine Schlampe von der du immer redest? Dieses Flittchen, das dir den Kopf verdreht hat?" Sie hatte den Koffer aufgehoben und auf den Schreibtisch gelegt. ,,Wollen doch mal sehen, was ihr beiden Turteltäubchen Lasterhaftes darin versteckt." Mutter versuchte den Koffer zu öffnen. Wie erstarrt saß Stefan da und konnte sich nicht rühren. Der Schock saß zu tief. War er so leicht zu durchschauen? All diese Wochen der Vorbereitung waren kurz davor zunichte gemacht zu werden. Jeden Augenblick würde es soweit sein. Er musste handeln! ,,Ja jetzt schweigst du wieder. Du elender Schwächling. Was würde nur dein armer Vater dazu sagen, wenn er noch bei uns wäre. Er würde genau wissen, wie man dir diese Flausen aus dem Kopf prügelt." – ,,Ich weiß nicht. Vielleicht fragst du ihn einfach, wenn du ihn in der Hölle triffst?" Stefan war aufgestanden und hatte seinen rechten Arm um ihren Hals geschlungen. ,,Was fällt dir ein? Du undankbarer Bastard! Lass mich los! Lass mich sofort los!" Er konnte die Überraschung in ihrer Stimme förmlich schmecken und das, was als nächstes geschah, war für Helena Dierkes auch mehr als überraschend.
Die erste Wunde, die ihr der Füller links am Hals zufügte, war nicht der Rede wert. Nichts desto trotz blutete sie mehr als ausreichend und es schmerzte sicher wie die Hölle. Danach kam für Stefan eines zum anderen. Verzweifelt versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien, was ihn dazu veranlasste, noch fester zuzugreifen und den Füller immer weiter in ihren Hals zu rammen. Immer und immer wieder stach er zu. Das Gefühl frisch vergossenen, warmen Blutes auf seinem Gesicht und an seinen Händen regte ihn nur noch weiter an. Schließlich ließ das Leben von ihr ab, und er ließ sie zu Boden fallen. Stefan hatte es schon so lange tun wollen. Es hätte schon längst passiert sein müssen. Sie stand ihm und seinem neuen Leben schon zu lange im Weg und heute hatte sie die schicksalhafte Linie einmal zu oft überschritten. Heute war alles egal. Heute würde der erste Schritt auf einem langen Weg gegangen werden. Er hatte mit seinem alten Leben endlich abgeschlossen, ein für allemal.

Schwer atmend schaute er hinüber zur blutbefleckten Uhr an der Wand, 20:55, zwei Stunden noch. Stefan hatte alle Zeit der Welt hier aufzuräumen und sich zum Treffpunkt aufzumachen.
Aber warum sollte er? Er würde nie wieder hierher zurückkehren. Auf Nummer sicher zu gehen, hielt er jedoch für eine weise Entscheidung. Großzügig verteilte er den Inhalt der kleinen Flasche Spiritus in seinem Zimmer und auf Mutters Leiche. Anschließend holte er seinen Mantel aus dem Schrank und zog ihn an. In der rechten Innentasche hatte er Zigaretten, Streichhölzer und ein Feuerzeug. Mit etwas Klebeband wurde die Zigarette an der Streichholzschachtel befestigt, selbige vorsichtig auf den benzingetränkten Haufen Kleider gelegt und die Zigarette mit dem Feuerzeug entzündet. Das sollte ihm den nötigen Vorsprung verschaffen. Bevor Stefan den frisch gereinigten Koffer nahm und das Haus seiner Eltern endgültig verließ, warf er einen letzten Blick des Bedauerns zurück. ,,Wieso hast du mich nicht einfach in Ruhe gelassen Mutter? Hättest du doch nur zehn Minuten länger gewartet! Nichts von alledem hier wäre nötig gewesen. Ich hoffe du und Vater sind jetzt glücklich zusammen. Wo immer ihr auch sein mögt."

Ein paar Straßen weiter fuhren diverse Feuerwehrwagen mit lautem Sirenengeheul an ihm vorbei. Neugierig drehte sich Stefan um und schaute in die Richtung, aus der er gekommen war. Dunkle Rauchwolken stiegen in der Richtung auf, in der das Haus stand, in dem er so lange gewohnt und gelitten hatte. Was würde bloß aus seinem Bruder und den anderen Mietern? Es kümmerte ihn nicht mehr. Dieses Leben war vorbei. Er ging weiter und mit jedem Schritt wurde ihr Bild immer klarer. Es war wie eingebrannt in seinem Kopf, Pandora, schöne Pandora. Bald bin ich bei dir mein Engel. Seltsam was man alles für die Liebe einer unsagbar schönen Frau zu tun bereit ist.

Kurz bevor seine Häscher Prometheus erreichten, konnte er noch die Hoffnung aus der Büchse befreien.

Jake73

31 Oktober 2005, 17:34:49 #7 Letzte Bearbeitung: 2 Dezember 2005, 21:06:02 von Jake73
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,Auf den Straßen der Nacht'

Finstere Nacht lag über der Stadt. Der Himmel hatte sich schlagartig verdichtet, und dunkle Wolken waren langsam am Firmament erschienen. Das bunte Lichtermeer der vielen Häuser, die vielen Straßen, auf denen die Autos wie das Blut durch die Venen eines Menschen nur so dahin flossen, all das wurde in einen dunklen Schleier getaucht, ein typischer Freitagabend eben. Der Mensch liebt es zu feiern, und die Menschen aus der Stadt gingen ihren nächtlichen Beschäftigungen nach. Da gab es einzelne Säufer und Landstreicher, die schon zu früh zu viel getrunken hatten und nun ziellos durch die Straßen irrten, Paare, die gerade das Kino verließen und sich in einer Bar oder Kneipe noch etwas mehr Anregung auf den restlichen Abend holen wollten, die vielen Gruppen Jugendlicher, die im Grunde dasselbe Ziel hatten, die Alten, die einfach nur in Ruhe etwas trinken und diesen ruhigen Abend friedlich ausklingen lassen wollten und letzten Endes der dreckige Rest, einsame Streuner, die einfach nur durch die Straßen zogen auf der Suche nach etwas. Sei es ein freier Platz, um mit dem gemütlichen Teil des Abends endlich beginnen zu können, sei es Streit um die aufgestauten Aggressionen der letzten Tage auf einmal raus zu lassen und das nach Blut lechzende Tier in sich wieder für eine Weile ruhig zu stellen oder sei es die Jagd nach dem schnellen Glück. Schicksal würden es manche nennen, Zufall andere. Was soll ich schon sagen? Es passierte einfach. Das Leben ging weiter. Es kümmerte sie nicht. Warum auch? Es hatte nichts mit ihnen zu tun und beeinträchtigte den weiteren Ablauf ihres Lebens in keiner Weise. Was mich manchmal wirklich verwundert, ist die grausame Gleichgültigkeit einiger Menschen.

Von weit oben war alles so fern. Die gewaltigen Rauchwolken, die vom Hauptbahnhof aufstiegen waren nicht wirklich nah. Man sah nur das flackernde Licht des Feuers und die Schatten, wie sie an den Wänden der angrenzenden Häuser tanzten. Eine bedrohliche Stille lag über der Stadt, die vom jäh einsetzenden Regen unterbrochen wurde. Tausende kleine Tropfen fielen vom Himmel auf sie hernieder. Es war als wäre ein Dach über der Welt, und sie alle waren darunter gefangen, wie ein Schwarm Ameisen in einem dieser engen, mit Sand gefüllten Schaukästen, hilflos dem Willen ihres Besitzers ausgeliefert.

Sie war gut aufgehoben. Da war sich Jonas sicher. Wie sollte sie sich auch befreien? So aufgeschlitzt wie sie war, würde seine neuste Eroberung nirgendwohin kriechen, geschweige denn gehen. Ein Knebel war nicht nötig gewesen. Selbst wenn sie schreien könnte, würde sie bis Montag niemand hören. Das Lagerhaus lag weit genug hinten im Kohlhäuser Feld, sodass sich am Wochenende kein Mensch dorthin verirren würde, und selbst wenn. Sie war gut verschnürt in einem der Kellerräume und Montag würde sie nicht mehr erleben. Er brauchte sich keine unnötigen Sorgen zu machen und konnte sich voll auf die Sache am Bahnhof konzentrieren. Ein rostiges Bettgestell mit einer vergammelten Matratze und die Decke, in die er sie gewickelt hatte, leisteten ihr Gesellschaft. Mehr brauchte sie erstmal nicht.
Jonas würde sich schon früh genug um sie kümmern können. Die dienstlichen Pflichten hatten für ihn nun mal Vorrang. Er sollte sich dennoch beeilen. Sonst würde es zum Frühstück doch nur kaltes Buffet geben.
Was immer es auch war. Hauptkommissar Höfner verlangte seine sofortige Anwesenheit und das an seinem freien Tag. Je näher Jonas dem Bahnhof kam, desto deutlicher wurde ihm, dass der Abend wohl doch länger werden würde als ursprünglich geplant.
Der Regen hatte eingesetzt, als er sich auf der Frankfurter Straße gerade durch den für Freitagabend ungewöhnlich dichten Verkehr gekämpft hatte. Mit einem Mal wurden die Straßen leerer, und als er in die Zufahrt zum Peterstor einbiegen wollte, kam er in die erste Straßensperre.
Zwei Autos und etwas Stacheldraht. Nichts Wildes also. Ein junger Polizist im orangefarbenen Regendress versuchte Jonas mit hektischem Umherschwingen seiner Signalkelle an der Weiterfahrt zu hindern, immer diese pflichtbewussten Neulinge. Die meisten älteren Kollegen kannten Jonas, nicht nur wegen der Nummer im Holiday Inn vor zwei Jahren. Er hielt den Wagen an und ließ das Automatikfenster herunter.
,,Guten Abend. Dies ist zurzeit ein polizeiliches Sperrgebiet. Hier haben Zivilisten keinen Zutritt. Fahrzeugschein und Papiere bitte." Und dazu dieses diszipliniert aufgesetzt freundliche Lächeln. In ein paar Monaten würde er seinen ersten Flüchtigen erschießen müssen und die Welt auf einmal mit ganz anderen Augen sehen.
,,Ich denke, das brauchen wir nicht." Noch ehe er zu seinem nächsten sicher schon hundertmal einstudierten Satz für solche Situationen ansetzen konnte, hatte Jonas auf die Ablage über dem Handschuhfach gegriffen und ihm seinen Dienstausweis gezeigt. Hätte man die Zeit nur für einen kurzen Augenblick verlangsamen können, hätte man das kurze Zucken im Gesicht des jungen Polizisten bemerkt. Er hatte also schon von Jonas ,,McLane" Kain gehört wie beruhigend. Peinliche Verlegenheit machte sich auf seinem Gesicht bemerkbar.
,,Oberkommissar Kain! Es ..es.. es tut mir Leid. Ich habe sie nicht sofort erkannt! Bitte entschuldigen sie die unnötige Verzögerung, Hauptkommissar Höfner erwartet sie schon."
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren warf Jonas den Ausweis wieder auf die Ablage, schloss beim Anfahren das Fenster und fuhr weiter. Im Rückspiegel konnte er noch erkennen, wie der junge Kollege aufgeregt in sein Funkgerät redete. ,,Neulinge..."
Bis zum Uniplatz war es eine ruhige, ungestörte Fahrt durch den stärker gewordenen Regen gewesen. Die Straßen waren wie ausgestorben. Einzig ein streunender Hund, der eiligst nach einem trockenen Plätzchen suchte, kreuzte seinen Weg. Sonst gab es kein Anzeichen vom Trubel, der eigentlich um diese Zeit herrschen sollte.
Jonas bog in die Bahnhofstraße ein und zum ersten Mal seit Langem stockte ihm der Atem.
Die schwarze Rauchsäule war nicht gewaltig, Keineswegs, jedenfalls nicht mehr. Dennoch zeichnete sie sich trotz des Regens und der Tageszeit deutlich am Nachthimmel ab. Im Schritttempo fuhr er die Bahnhofstraße hinauf. Vorbei an Polizei-, Kranken- und einigen kleineren Feuerwehrwagen immer weiter auf die bunten Lichter im schwarzen Meer aus Blut und Tod zu.

Jake73

31 Oktober 2005, 17:35:20 #8 Letzte Bearbeitung: 2 Dezember 2005, 21:06:42 von Jake73
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,Der Tod und das Mädchen'

Ein paar Straßen weiter hatte Sarah bereits mit ihrem Leben abgeschlossen. Sie bewohnte eine dieser schäbigen Drei-Zimmer-Wohnungen im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Zwei Zimmer, Küche, Bad hatte in der Anzeige gestanden und eigentlich war genug Potential vorhanden, um aus der kleinen Wohnung etwas Gemütliches zu machen. Einen Ort, an den man sich zurückziehen konnte, um sich einfach nur wohl zu fühlen. Sie hatte sich nie richtig Zeit dafür genommen. ,,Macht euch keine Sorgen. Es ist ja nur vorübergehend, bis ich etwas Besseres finde", hatte sie zu ihren Eltern gesagt und nun hätte sie schon fast das einjährige Bestehen ihres Haushalts feiern können. Im Leben läuft nun mal nicht immer alles so, wie man es sich vorgestellt oder langwierig geplant hat. Das Schicksal ist eine giftige Schlange, die nur schwer zu fassen ist und deren Biss für die Wenigsten tödlich endet.
Sarah Schneider gehörte zu dieser kleinen Gruppe Auserwählter. Ihr Leben war von vorne bis hinten komplett durchgeplant gewesen. Nach der Grundschule direkt aufs Gymnasium, Abi mit 1,2 und dann direkt weiter zum mehrjährigen Latein- und Griechischstudium. Sie sollte mal Linguistin oder Lehrerin werden, es besser haben als ihre Eltern, die sich ja so für ihr einziges Kind aufgeopfert hatten, um ihr das alles zu ermöglichen. Sie solle sich nicht so anstellen, sie müsse da nun durch, um erfolgreich zu sein müsse man nun mal Opfer bringen. Für Freunde und Freizeit habe sie immer noch genug Zeit nach der Ausbildung. Manchmal ist es wirklich rührend, wenn Eltern ihre geplatzten Träume von einst auf ihre Kinder projizieren und dadurch deren Leben komplett kaputt machen.
Anfangs lief es wunderbar nach Plan, und ihre Eltern hätten nicht stolzer auf sie sein können. Doch dann mit einem Mal bewegte sich die übrige Welt weiter und Sarahs blieb stehen und zerbrach innerlich.
Es hätte alles so schön sein können. Ewige Liebe. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Liebe? Was war das überhaupt? Ein Gefühl für Narren und naive Dummchen. Soviel hatte sie mittlerweile gelernt. Das innere Verlangen nach Aufmerksamkeit und Nähe eines Anderen, es war für sie ein Bedürfnis geworden, welches sie in den letzten Monaten regelmäßig gestillt hatte, nicht nur mit ihren ständig wechselnden Freunden. Alles nur aus Angst vor der Kälte und Einsamkeit? Wohl eher der Trieb, die eigene Art aufrecht zu erhalten. Sicher keine gute Ausrede für ihr Verhalten, aber immerhin versuchte sie es noch. Das Leben war hart und ungerecht. Genau wie die Liebe. Alles nur eine Frage des richtigen Timings.
Klick, Klick, Boom! Sie hatte den Schuss nicht gehört, und jetzt war es zu spät. Der Zug war abgefahren, ein für allemal. Oder doch nicht? Aus der Küche konnte sie das Vibrieren ihres auf lautlos gestellten Handys hören. Mehr tot als wach versuchte Sarah sich von ihrem Bett aufzurichten. Es war noch nicht zu spät, aber vielleicht hätte sie mit der Überdosis Schlafmittel doch noch etwas warten sollen. Das Mittel hatte sich durch das lange Liegen zwar nur langsam in ihrem Körper verteilt, dennoch konnte sie seine Wirkung deutlich spüren. Ihre Beine waren schwer wie Blei geworden, und beim Versuch vom Bett aufzustehen und sich in die Küche zu schleppen, wäre sie beinahe gegen die noch offene Tür ihres geräumigen Kleiderschranks gestolpert. Der ganze Boden war übersäht mit Essensresten, zerrissener Kleidung, ein paar zertrümmerten Blumentöpfen und sonstigem Unrat, der sich die letzten Tage angesammelt hatte. Der Streit war nötig gewesen. Nach so was beginnt man meist wieder bei Null. Sarah hatte mit der Sache jedoch nicht abschließen können. Die letzten Tage und Nächte bestanden für sie aus Nachdenken und den immer häufiger werdenden Anrufen bei ihm. Sie konnte seine Einstellung nicht verstehen. Es war der natürliche Lauf der Dinge, und sie hätte sich darüber gefreut, wenn er der Sache offener gegenübergestanden hätte.

In Gedanken versunken stand sie da, an den Schrank gestützt, blass, ungepflegt, nur in ihrer Unterwäsche. Ihr wurde immer schwindliger. Sie musste sich beeilen. Noch war es nicht zu spät. Mit jeder Sekunde, die verstrich, verteilte sich das Mittel schneller in ihrem Körper. Sie kam wieder in Bewegung. Sarah stützte sich an allem, was Halt versprach. Die Umrisse ihrer verwüsteten Wohnung wurden immer verschwommener. ,,Komm schon, Mädchen, reiß dich zusammen, du bist fast da. Nur noch ein kleines Stück." Es waren ihre Gedanken, aber irgendwie auch nicht, wie eine fremde Stimme in ihrem Kopf. Sie hatte Recht. Egal, wer dran war. Sie wollte nicht mehr sterben. Sie wollte Hilfe und von vorne beginnen. Mit fünf schnellen Schritten schaffte Sarah es endlich in die Küche. Die Rettung war zum greifen nahe. Sie musste nur noch die Hand danach ausstrecken und zugreifen. Das Klingeln verstummte mit einem Mal. Nein, das konnte nicht sein. Nicht jetzt. Sie musste schnell jemanden anrufen. Aber wo war ihr Handy? Sie hatte es auf den Tisch neben ihre Handtasche gelegt, da war sie sich sicher. Wie eine Irre durchwühlte sie ihre Handtasche, schüttete deren gesamten Inhalt auf den Küchentisch und setzte die Suche krankhaft fort. Es war nicht zu finden. Das war nicht fair. Es war einfach nicht fair. Erst jetzt bemerkte sie den schwarzen Schatten neben der Spüle.

Es hätten auch Zwei oder Drei sein können. Sarah blinzelte mehrmals. Sie versuchte sich zusammenzureißen, um wenigstens einen kurzen scharfen Blick auf den unbekannten Eindringling erhaschen zu können. Einen Moment lang glaubte sie eine junge Frau in einem roten Kleid zu sehen. Ihre Haare sahen zerzaust aus, und überall auf ihrem Körper hatte sie Russflecken und Brandwunden. Die linke Hälfte ihres Gesichts entstellten mehrere Brandblasen zweiten Grades, kein schöner Anblick. Im nächsten Moment sah sie Matthias an derselben Stelle stehen, ihren Matthias, sein hübsches Gesicht, die strahlenden blauen Augen und die kunstvoll nach oben gegelten roten Haare. Er trug eine teure braune Lederjacke, eine dunkelblaue Jeans und das rosa Hemd, das sie so liebte. Mit einem Mal waren ihr Schwindel und ihr Leid verflogen. Sie wollte nur bei ihm sein, wollte ihm nahe sein. Unbekümmert lief Sarah auf ihn zu, umarmte und küsste ihn. ,,Matthias endlich bist du wieder bei mir." Sie stellte sich vor, dass alles wieder gut werden würde. Matthias würde sie in seine starken Arme nehmen, küssen und ihr sagen, dass er sich alles noch einmal überlegt hatte, seine Entscheidung falsch gewesen war und alles wieder gut werden würde.
Er hatte zunächst nur schweigend dagestanden, sie angelächelt und ihre Nähe ertragen. Seine Gesichtszüge veränderten sich nicht, als er ihre Umarmung und den Kuss erwidert.
Er war hier, der Moment, den Sarah die letzten zwei Wochen so sehnlichst herbeigewünscht hatte. Endlich war er da. Es waren die schönsten zehn Sekunden ihres Lebens. Sie hätte vor lauter Glück weinen können.
Irgendetwas in diesem Bild stimmte nicht. Sein Geruch. Das war es. Sarah hatte es anfangs in ihrem überschwänglichen Liebestaumel nicht bemerkt. Jetzt zerbrach ihre rosarote Brille langsam und der beißende Gestank von verbranntem Fleisch und Asche wurde allgegenwärtig. Sie glitt wieder hinüber in die wirkliche Welt, und was dort auf sie wartete, war alles andere als glücklich.

Schwindel und Niedergeschlagenheit trafen sie wie ein harter Schlag. Sarah stand immer noch in der Küche. Matthias war fort, das wohlige Gefühl von Nähe und Wärme auch. Da war nur noch ein schwarzer Schatten. Undurchsichtig und pechschwarz umhüllte er ihren Körper wie eine dunkle Flamme. Sie versuchte zu schreien und sich loszureißen, aber es ging nicht. Ihre Lippen waren wie mit Wachs versiegelt. Sarah konnte sich nicht bewegen. Der Schatten hielt sie fest in seinem sanften Griff. Auch wenn es dunkel in der Küche war und die flammengleiche Gestalt ständig flackert und sich veränderte, glaubte sie das Gesicht der Frau, die sie vorhin kurz wahrgenommen hatte, vor sich zu sehen. Ihre Lippen waren auf Sarahs gepresst. Sie konnte es spüren. Kälte und Erschöpfung durchfuhren ihren Körper. ,,Lass es sein. Kämpfe nicht dagegen an. Es hat keinen Sinn. Du machst es dadurch nur schlimmer." Da war sie wieder. Diese freundliche Stimme in ihrem Kopf. Vertrauensvoll und einfühlsam. Dieser Stimme würde sie durch die Hölle folgen. Es klang so einfach. So sinnvoll. Als gäbe es keinen anderen Ausweg. Sarah ließ sich fallen und gab sich der Kälte vollends hin. Jeder Widerstand war gebrochen, und der Schatten zwang sie in die Knie. Wann war dieser Alptraum endlich vorbei? Sie schloss die Augen und dachte sich an einen anderen Ort, einen Ort an dem es kein Leid mehr geben würde, wo alle glücklich und zufrieden waren. So einen Ort gab es nicht, nicht für sie.
Sarah nahm ihren letzten Atemzug in dieser Welt und trat hinüber in eine andere. Ihr vom Leben gezeichneter Körper fiel nach vorne auf den Boden. Das schwarze Feuer stürzte sich noch einen Moment auf sie, dann lies es von ihr ab und verharrte neben dem billigen Klapptisch, der schon bei Sarahs Einzug hier gestanden hatte. Rubinrote Augen funkelten in der Dunkelheit der Flammen. Stück für Stück nahm der Schatten wieder menschliche Züge an.

Ein Körper so unglaublich schön, dass er nicht von dieser Welt sein konnte, lange Haare, schwarz wie Ebenholz, die weit über die Schultern reichten, volle Lippen, rot wie Blut und die strahlenden, rubingleichen Augen. Wie von Göttern geschaffen stand dieses Wesen inmitten des schwarzen Feuers in Sarahs verwüsteter Küche und wurde mit jeder Sekunde, die verstrich, mehr und mehr Mensch.
Die Flammen, die eben noch ihren nackten Körper umhüllt hatten, schmiegten sich vorsichtig an ihre wohlgeformten Rundungen und wurden wieder zu dem roten Kleid, das sie vorher getragen hatte. Sie war wieder makellos und schön, fast. Sie griff nach dem Lippenstift und dem Schminkspiegel in dem Chaos, das Mal der wohlgeordnete Inhalt von Sarah Schneiders Handtasche gewesen war, und beseitigte den letzten Makel in ihrem Gesicht. Das Rubinrot in ihren Augen verblasste und wurde zu einem angenehmen Blaugrün. Es passte einfach besser zu ihrem Kleid.

Das Handy, welches die ganze Zeit auf der Arbeitsfläche neben der Spüle gelegen hatte, begann wieder zu vibrieren. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging Pandora hinüber und nahm den Anruf entgegen.

Jake73

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,Legion'


Stille. Er hatte es einfach satt, die Welt, das Leben und dieses sinnlose Warten. Bange Ungewissheit quälte ihn schon seit Tagen und nun hatte ihn sein Weg wieder hierher geführt in den frisch renovierten, kleinen Raum mit den sterilweißen Wänden, den unbequemen schwarzen Stühlen, deren Gitterrückenlehne einem schon nach kurzer Zeit den letzten Nerv raubte und dem widerlich blaugrünen Boden. Eine Farbe wie schlechte Verdauung würde man sagen. Aber was sollte er tun? Es hatte sich nicht vermeiden lassen, und irgendwie musste es ja weitergehen. ,,Geld wächst nun mal nicht auf Bäumen. Geld findet man nur in den blutigen Händen der hart arbeitenden Gesellschaft, Junge!", hatte ihm schon sein mittlerweile verstorbener Vater eingebläut, und damit hatte er verdammt Recht. Geld ist wie Ruhm. Man muss ihn sich hart erarbeiten, und er ist nur zu schnell wieder vergänglich.

Gier. Sie hatte ihn hierher geführt. Es wäre klischeehaft zu sagen, dass seine Exfrau und ihr unstillbares Verlangen Schuld an der ganzen Misere gewesen sind, aber so war es nun mal geschehen, ein schönes Beispiel, wie Reichtum einen Menschen verderben und zu Grunde richten kann. Das Geld kam über Nacht und mit ihm das Unheil. Es hätte wirklich gut laufen können, wenn sie schneller gelernt hätten damit umzugehen. Das neue Haus, der schicke Zweitwagen aus Italien, die exklusive Privatschule für die Kinder, sowie diverse Aktiengeschäfte, die ihnen ein neuer, guter Freund näher gebracht hatte, alles musste bezahlt werden. Es schien zu einfach, um wahr sein zu können. Kein Wunder, dass dieses äußerst zerbrechliche Gebilde früher oder später in sich zusammenfallen musste.
Das Schicksal liebt es dir das Messer in den Rücken zu rammen und die Klinge abzubrechen. Es begann damit, dass sich die Aktiengesellschaft, bei der er einen Großteil des Geldes investiert hatte, als großer Schwindel heraus stellte und schon nach einem Monat Konkurs anmeldete. Ein paar Wochen später parkte ein an Demenz erkrankter Rentner seinen Wagen in ihrem Wohnzimmer und verwandelte ihr gemütliches Zuhause mit all ihrem in mühevoller Kleinarbeit erwirtschafteten Hab und Gut in eine Flammenhölle.

Einsamkeit. Seine größte Furcht hatte ihn letztlich wieder eingeholt. Nachdem sie mittel- und beinahe auch obdachlos geworden waren, hatte seine Frau beschlossen ihr Leben wieder in gerade Bahnen zu lenken, den Schlussstrich unter ihre bisherige Beziehung inbegriffen. Ein guter Freund ist heutzutage schwer zu finden. Erst recht wenn er mit deiner Frau und dem Kind, dass den verheerenden Brand überlebt hatte, nach sonst wo durchgebrannt ist.
So ist es im Leben, nichts ist, wie es scheint und gerade wenn du denkst, du hast den schwierigen Teil hinter dich gebracht, macht dir jemand einen Strich durch die Rechnung.

Vergessen. Das war alles was er wollte. Ihr Tod hatte sich als weniger befriedigend herausgestellt als erwartet. Rache ändert nichts. Sie macht viele Dinge nur simpler.

,,Eine einfache Frage und ich erwarte eine ehrliche Antwort!" Ash schrak aus seinen Gedanken hoch. Den Fremden in schwarz hatte er nicht kommen sehen. Er musste zu tief in seiner Vergangenheit versunken gewesen sein um nicht zu bemerken, wie dieser hagere Mann mit den edlen Lederstiefeln, dem bis zu den Kniekehlen reichenden Mantel und dem dazu passenden Hut, den er schon vor sich auf den Tisch gelegt hatte, nachdem er an Selbigem direkt gegenüber von Ash Platz genommen hatte, in den Raum gekommen war. Während er eine Zigarre aus seinem Mantel hervorholte, sie routiniert mit einem Streichholz erst anwärmte und schließlich entflammte, sprach er, wie beiläufig, weiter. ,,Sag' mir Junge, bist du glücklich mit deinem Leben?" Der Blick aus den blaugrauen Augen seines blassen Gesichts erschien Ash aufdringlich durchdringend. Er hatte das Gefühl aus Glas zu sein, und der Alte könnte durch ihn hindurch sehen. Dennoch wirkte er auf seltsame Weise freundlich und geduldig. Kurzes Zögern. Ash wusste nicht, was er sagen sollte. ,,Was soll das!? Wollen sie mir Gott oder den Wachturm näher bringen!?" Er war leicht gereizt und definitiv nicht in der Stimmung über den Allmächtigen und die Welt zu reden. ,,Aber, aber, wer wird denn gleich so überreagieren. Es ist nur eine Frage, und die Antwort wird dich schon nicht beißen." War die unbeeindruckte Antwort des Fremden, nachdem dieser ein weiteres Mal an seiner Zigarre gezogen hatte. Für einen Moment hatte er Ash soweit. ,,Ich.. Ich.. kann nicht meh..." – ,,Komm schon Junge! Gib dir einen Ruck! Was würde Laura dazu sagen, wenn sie hier wäre?" – Ash's Augen weiteten sich, er atmete schwerer und dann brach es aus ihm hinaus. ,,Laura ist tot! Diese untreue Hure hat das bekommen, was sie verdient hat! Dafür habe ich gesorgt." Abrupt hörte er auf zu reden. Erst jetzt realisierte Ash, was da gerade seinen Mund verlassen hatte. Sein Blick schnellte sofort zum Fremden in schwarz hinüber. Ein kleines Lächeln umspielte dessen Lippen. ,,Schön, dass du so offen darüber reden möchtest. Das war zwar keine Antwort auf meine Frage, aber danke, dass du diesen Aspekt eingebracht hast. Fühlst du dich jetzt besser, Junge?" Ash nickte schweigend. ,,Gut! Hier nimm einen Schluck. Das wird dir sicher helfen." Der Fremde deutete auf einen silbernen Flachmann, der auf dem Tisch lag. Auch wenn Ash sich sicher war, dass er eben noch nicht dort gelegen hatte, nahm er einen kräftigen Schluck. Er kannte den Geschmack schon länger. Purer Absinth war nicht nur die letzten Monate einer seiner treuesten Begleiter gewesen. In den vergangenen Wochen hatte er zwar versucht mit dem Alkohol aufzuhören, aber jetzt war es ihm egal. Schließlich war er wieder hier und nur Gott und der Teufel wussten, wie genau es mit ihm weitergehen sollte. Es tat gut, der vertraute Geschmack betäubte seinen Geist, gab ihm wieder Kraft und machte ihn leichtsinnig. ,,Wer sind sie eigentlich, dass sie sich einbilden hier einfach reinschneien zu können und diese Worte aus mir herauszupressen? Ich wollte das nicht sagen! Sie haben mich dazu gezwungen! Ich habe mit Lauras Tod rein gar nichts zu tun!" Das Lächeln des Fremden wurde immer mehr zu einer grinsenden Fratze. ,,Ja! Das ist Gut! Lass es raus. Bündle es! Nutze es!" Für Ash waren diese hohen Gefühle der Aggression und des Jähzorns mehr als ungewöhnlich, und obwohl er sich in solchen Situationen sonst sehr gut im Griff hatte, ballte er die mit Handschellen gefesselten Hände zu Fäusten, stand ruckartig auf, sodass sein Stuhl zu Boden fiel und wollte auf den Fremden losgehen. Weiter als bis zur Tischmitte kam er jedoch nicht. Die knochige Hand, die sich in seinen Brustkorb gebohrt hatte, hinderte ihn daran, und er hatte es wieder nicht kommen sehen. ,,Urgh!" Mit einem Ausdruck des blanken Entsetzens im Gesicht verharrte Ash gurgelnd und röchelnd in dieser unnatürlichen Pose. ,,Wer ich bin, wolltest du wissen? Nun betrachte mich als eine Art neuer bester Freund." Schnelle Schritte und das Geschrei der Wachen waren draußen auf dem Gang zu hören. ,,Zeit hier zu verschwinden. Keine Angst, mein Boss wird dir bald alles erklären." Der Hut saß wieder auf dem Kopf des Fremden. Seine Augen veränderten sich. Das Blaugrau verschwand und sie wurden pechschwarz. Kleine Blitze zuckten in ihrem Innern, die sich langsam auf seinen ganzen Körper ausdehnten. Seine linke Hand löste sich aus Ash's Brustkorb und deutete zum Boden, die andere zur Decke. Kein Blut, keine offene Wunde. Nichts! Die Stelle war völlig unversehrt. Einer der Blitze schlug in die Lampe über dem Tisch, welche für einen Moment stark aufleuchtete, die menschlichen Züge des Fremden verschwanden genau wie er mit dem Blitz durch die Lampe. Zurück blieben nur Ash's lebloser Körper und der unangenehm süße Geruch nach Zigarre.

,,Du bist mehr als nur geeignet, ob du willst oder nicht. Willkommen in der Legion, Junge."

Jake73

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,Tage wie Dieser'

Tage wie dieser sollten am besten nie zu Ende gehen. Sie sind auf ihre ganz spezielle Weise für jeden Menschen besonders. An solchen Tagen möchte man am liebsten die Zeit anhalten, um einen Augenblick zu verweilen oder sucht die Rückspultaste um alles noch mal von vorne genießen zu können. Ein paar kleine Feinheiten hier und da würde man bei Bedarf natürlich anders machen, aber alles in allem könnte dieser Tag so bleiben, wie er ist.
Wer von uns wäre nicht gern in seiner eigenen Zeitschleife gefangen? In 24 Stunden bieten sich so viele Gelegenheiten. Was würdest du tun? Aus dem bisherigen Verhaltensmuster ausbrechen und Dinge tun, die du vorher nie gewagt hättest. Man bedenke die Möglichkeiten. Seinem Chef endlich mal die Meinung sagen zu können, einen hohen Kredit aufnehmen und einen Tag leben, wie ein König, der langjährigen guten Freundin endlich seine Gefühle gestehen oder doch eher ein Seitensprung ohne Folgen? Die böse Seite deines im Grunde verdorbenen Charakters offen ausleben? Warum nicht? Ohne die quälende Frage nach dem schlechten Gewissen und den möglichen Konsequenzen, ist alles viel leichter. Am nächsten Morgen würde man wieder wohlbehalten in seinem Bett aufwachen und könnte gleich die nächste Variante versuchen, als wäre nichts von alledem je geschehen. Der ganze Tag liegt wieder vor einem, man hat die Erinnerungen vom letzten Mal noch im Kopf und die Freiheit alles zu tun. Irgendwann würden einem sicher die Ideen ausgehen und der Wahnsinn würde die Oberhand gewinnen. Bis dahin wäre diese skurrile Form des ewigen Lebens sicher interessant, danach nur noch eine endlose Hölle. Hätte Susanne Schubert gewusst, wie sich dieser Tag für sie entwickeln würde, sie wäre im Bett geblieben und hätte verzweifelt für die Existenz einer Rückspultaste gebetet.

Ein lauter Knall, splitterndes Glas, ein überraschter Aufschrei, Susanne zuckte unweigerlich zusammen. Beinahe wäre ihr das Herz stehen geblieben. Verschreckt sah sie sich um. Am Gleis gegenüber hatte ein junger Mann scheinbar all seine Wut an einer Telefonzelle ausgelassen. Der Hörer war abgerissen und mehrmals gegen die Scheibe geschlagen worden. Überall lagen die Scherben am Boden verteilt. Er stand daneben, damit beschäftigt die Fassung zu bewahren. Susanne hatte ihn schon bemerkt, als sie ans Bahngleis gekommen war. Wie er da gestanden hatte, in seinem braunen Mantel, mit der ausgetragenen, grünen Hose und den edlen Halbschuhen, rausgeputzt bis zum geht nicht mehr. ,Mamas kleiner Liebling ganz allein in der großen Welt. Mit wem redest du da nur, als würde es alles oder nichts bedeuten?' waren ihre ersten Gedanken, doch im nächsten Augenblick hatte sie das Interesse wieder verloren. Schließlich gab es Wichtigeres zu tun. Susanne prüfte noch einmal den Sitz ihrer Ausgehuniform. Daddys kleine Soldatin, ja das war sie. Stolz ihrem Land dienen zu können, wie kaum eine andere. Der Fluthelferorden, den sie im letzten Jahr bekommen hatte, hing etwas schief. Zwar hatte Susanne nur eine Bande hirnloser Grundwehrdienstleistender, wie sie den ihr damals zugeteilten II. Zug liebevoll genannt hatte, durch hysterisches Gebrüll zum Sandsäcke schleppen animiert und sonst nichts weiter getan, dennoch war sie der Meinung, dass sie sich diesen Orden redlich verdient hatte, den ersten von vielen. Daddy würde, wie immer, verdammt stolz auf sie sein. Vor allem, wenn es wirklich mal mehr als einer werden würde. Montag würde sie endlich zum Oberleutnant befördert werden. Ein Sieg, wenn auch nur ein kleiner, den sie sich hart erarbeitet hatte. Mit wie vielen Hauptleuten muss man schlafen um eine nahezu unmögliche Beförderung durchzukriegen? Einem, dem Richtigen.
Laute Rufe drangen zu ihr herüber. Susannes Blick wanderte wieder neugierig zur kleinen Telefonzelle auf der anderen Seite der Gleise. Dort hatte sich mittlerweile eine kleine Menschentraube gebildet, die wie gebannt dem Schauspiel beiwohnte, was sich da bot. Zwei Wachleute von der Bahnhofsicherheit hatten sich lautstark mit dem jungen Mann unterhalten, der scheinbar nicht einsehen wollte, was gut für ihn war, und warum er mit ihnen mitkommen sollte. Das Ganze war ausgeartet, als einer der beiden seinen grauen Koffer nehmen und der andere ihn freundlich zum Mitkommen auffordern wollte. Wobei gesagt sein sollte, dass ,freundlich' in diesem Fall aus Handschellen und der Androhung von Gewalt bestand. Wild um sich schlagend hatte der Junge, der nicht älter als neunzehn sein konnte, versucht wieder an seinen Koffer zu kommen und dabei einen der Wachleute niedergeschlagen. Nun rang er mit dem Anderen um sein Eigentum. Die Menschen standen einfach da, niemand tat etwas um einem der Beiden zu helfen. Er würde ihn sicher noch umbringen, aber da kamen schon vier Mann Verstärkung. Die Show war somit fast vorbei, und niemand musste sich die Hände schmutzig machen.

,,Achtung an Gleis 3. Eine Durchfahrt. Ich wiederhole. Achtung an Gleis 3. Ein Zug fährt durch. Vorsicht am Bahnsteig." Die Stimme einer jungen Frau, mechanisch und vom Band, wie man es erwartete und da kam er auch schon, schwer beladen mit Autos und Containern, schlängelte er sich durch den Bahnhof und versperrte ihr die Sicht auf das, was dort drüben geschah. Susanne war nicht gänzlich ausgesperrt. Hin und wieder konnte sie zwischen den kleinen Abständen der einzelnen Wagen zueinander einen Blick hinüber erhaschen. Wie in einem Daumenkino sah sie das Schicksal des jungen Mannes vor sich ablaufen. Die Männer von der Sicherheit brauchten nicht lange um ihn zu überwältigen. Ein paar Schläge mit dem Schlagstock und der Einsatz von Pfefferspray besiegelten den Verlauf der ungleichen Auseinandersetzung.

Der letzte Wagen des Zuges rauschte an Susanne vorbei, und man konnte nur noch die hinteren Signallichter sehen, wie sie im Dunkel der Nacht verschwanden. Endlich hatte sie wieder freie Sicht. Die Menge neugieriger Zuschauer hatte sich aufgelöst. Der junge Mann, mit dem grauen Koffer und die Leute von der Bahnhofssicherheit waren fort. Nichts erinnerte noch daran, was hier vor nicht mal fünf Minuten geschehen war. Nur die beschädigte Telefonzelle und die Glasscherben, die sich um sie verteilten waren passive Beweise für diese Ereignisse. Es musste so geschehen sein. Die Spuren bestätigten es.

,,Auf Gleis 4 fährt jetzt, mit einer Stunde Verspätung, der Inter City Express 782 von Hamburg/Altona nach Basel ein. Wir bedanken uns für ihr Verständnis..." Danach folgten noch weitere Haltestellen auf dem Weg nach Basel und Anschlussmöglichkeiten von Fulda nach sonst wohin. Das interessierte Susanne jedoch herzlich wenig. ,Eine Stunde Verspätung! Verdammt!' Wie lang hatte sie schon hier gesessen, sich abgelenkt und dabei völlig die Zeit vergessen. Irritiert schnellte ihr Blick zur runden Uhr zwischen den zwei Stahlträgern, beim eisernen Aschenbecher, der für einen rauchfreien Bahnhof warb, hinüber. 23:48. Egal. Nun war er ja gleich da, und sie würde in gut zwei Stunden endlich in der Kaserne eintreffen. Zwar eine Stunde weniger Schlaf heute Nacht, aber ab morgen früh war alles nur Routine.

Ein lauter Knall, splitterndes Glas, überraschte Aufschreie, nur das Geräusch der quietschenden Bremsen des Zuges passte nicht ganz ins Bild. Susanne hatte zwar instinktiv wieder zur Telefonzelle geschaut, aber diesmal kam es nicht von vorne sondern von rechts, direkt auf sie zu. Zuerst sah sie nur schwarzen Qualm aus einem der hinteren Waggons des immer langsamer einfahrenden Zuges aufsteigen, dann hörte sie Schüsse und weitere Schreie. Die Welt, die eben noch so hoffnungsvoll und schön gewesen war, brach Stück für Stück vor ihren Augen auseinander. Der Zug nahm wieder an Fahrt auf, als wüsste er, dass es noch nicht vorbei war und es keinen Sinn hatte vor seinem Schicksal zu fliehen, aber dennoch wollte er alles versuchen um ihm zu entkommen. Eine weitere Explosion erschütterte die Umgebung, diesmal kam der Lärm von links. Die fordere Lok, die als Zugwagen diente, ging in einer Feuersäule auf und wurde gleichzeitig von den Schienen gehoben, dabei stürzte sie auf eines der anderen Gleise direkt vor einen einfahrenden IC, dessen Ziel eigentlich Frankfurt gewesen war, und riss den restlichen Zug mit sich ins Verderben. Während sich alles verkeilte und unweigerlich zusammen schob, ging ein ohrenbetäubendes Quietschen von den Stahlkolossen aus. Glas splitterte, Menschen versuchten verzweifelt sich in Sicherheit zu bringen. Zwei weitere Explosionen folgten noch. Viele überraschte Aufschreie hallten durch die Nacht. Schließlich kam der Zug endlich zum Stehen und für einen Moment herrschte Stille. Die Lok war durch den anderen Zug, über Gleis 1 direkt in die große Haupthalle des Bahnhofs gerammt worden. Soviel konnte Susanne von hier erkennen. Dann brachen die Schreie wieder los, verstört, hilflos und hoffnungslos.
Sie wusste zuerst nicht, was sie tun sollte. Susanne hatte alles mit angesehen und es unbeschadet überstanden. Sich in Sicherheit zu bringen stand für sie jedoch nicht zur Debatte. Sie wollte helfen. Sicher würde das auch ihr und vor allem ihrer Karriere helfen. Schnell war der tarnfarbene Seesack in die Ecke geworfen worden, und sie eilte über den verwüsteten Bahnsteig zum hinteren Teil des liegen gebliebenen Zuges. Hier hatte es angefangen, hier war es jetzt am ruhigsten. Überall lagen Trümmer und Scherben verteilt. Die übrigen Menschen, die mit ihr auf den Zug gewartet hatten, waren entweder tot oder verschwunden. Vorsichtig stieg Susanne über diese hinweg und näherte sich dem letzten Wagen des Zuges. Die Explosion hatte ein großes Loch in die äußere Hülle gerissen, aus dem schwarzen Rauchschwaden hinausströmten. Sie stellte sich mit etwas Abstand vor die Öffnung und spähte in die undurchsichtige Finsternis. Drinnen herrschte absolute Stille, hin und wieder durch das Knistern eines kleinen Feuers oder das Geräusch der Funken sprühenden Bordelektronik unterbrochen.
Seltsam fand sie es allerdings schon, in den Fenstern konnte sie selbige deutlich aufblitzen sehen, doch in der Öffnung direkt vor ihr war nur Dunkelheit.
Ein Hauch von Kälte durchfuhr ihren ganzen Körper und der schwarze Schatten kam langsam auf sie zu. Rubinrote Augen zeichneten sich in der pechschwarzen, flammengleichen Masse ab. Susanne wollte schreien, doch sie konnte es nicht. Wie erstarrt vor Angst stand sie da und ließ es geschehen. Der Schatten umschloss sie und umgab sie beinah völlig. Zu keinem vernünftigen Gedanken mehr fähig fiel ihr hilfloser Blick wieder durch die Öffnung in das Innere des Zuges, welches nun besser erkennbar war. Überall war Blut, umgeben von Trümmern, zerfetzten Körpern, abgetrennten Gliedmaßen und verstreutem Gepäck. Alles lag in einem unschönen Halbdunkel, dass nur gelegentlich vom kurzen Aufblitzen einiger herunterhängender Kabel beleuchtet wurde.
Auch wenn alles nach Tod aussah, war in diesem Wagen durchaus noch etwas Leben. Sie konnte sehen, wie sich unter ein paar Trümmern etwas rührte, eine Hand, erst langsam, dann immer verbissener nach etwas am Boden tastend, mehr wie ein Reflex, als wie eine bewusste Handlung. Schließlich hatte sie gefunden, was sie gesucht hatte. Das leise Klicken eines Schalters war zu hören.

Während Susanne die Feuerwalze auf sich zukommen sah und der Film ,Das Leben der Susanne Schubert' gleich anfangen würde, verfluchte sie die Tatsache, dass es hierfür keinen Orden geben würde.

Jake73

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,In einem Meer aus Rot'

Und da stand ich nun. Hoch oben auf einer Sanddüne inmitten dieses Meeres aus rot, Sand soweit das Auge reichte. Meine Vergangenheit hatte ich hinter mir gelassen, und die Zukunft lag vor mir, ich musste nur noch den Weg zu ihr finden. Dieser Ort war mir überaus fremd und auf seine ganz spezielle Art doch sehr anziehend, ein ungewohntes Gefühl tief in mir, als wäre ich schon immer hier gewesen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort im Sand gelegen hatte und wie gebannt zum Himmel starrte. Es hatte einige Zeit gedauert bis die Hoffnung, dass meine Augen mir doch nur einen Streich spielen würden und das alles nur ein böser Traum war, endgültig starb. Jeden Augenblick würde ich schweißgebadet und schwer verwundet im Innern eines Krankenwagens aufwachen, mit Handschellen gefesselt zusehen, wie der Notarzt mit allen Mitteln versuchte mein beinah verwirktes Leben zu retten, die Polizeieskorte anschreiend, die zwischen ihm und den meisten seiner wichtigen Gerätschaften stünde. Zwei Beamte, einer mit einer MP5, der andere sicher nur mit P7 oder P8 bewaffnet, die beide hauptsächlich zu seinem Schutz dort wären, zu meinem in gewisser Weise auch. Wer weiß schon, zu was ich in diesem höchst traumatischen Zustand fähig gewesen wäre. Der Arzt kämpfte auf verlorenem Posten. Ich würde es wahrscheinlich eh nicht schaffen. Der Tod hatte schon lange ein Auge auf mich geworfen, doch selbst wenn er mir alles genommen hätte, eines könnte er mir nicht nehmen. In diesen letzten Minuten auf Erden wäre ich wichtig, ein Gefühl, dass sich jeder schon mal gewünscht hatte. Ich wäre ein Star.

Der Wind hatte gedreht. Obwohl er den mir wohl bekannten Geruch der Verwesung mit sich brachte, milderte die kühle Brise die unerträgliche Hitze doch etwas ab. Ich hätte noch ewig dort im Sand liegen können, über mein Leben und den Ausweg aus dieser außergewöhnlichen Lage nachdenkend, aber was hätte das schon gebracht? An der Situation hätte es rein gar nichts geändert. Die schwarzen Sonnen waren real, genauso wie alles andere hier. Lebe damit, gewinn die Kontrolle zurück und werde endlich wieder Herr der Lage.
Meine Veränderung war fast abgeschlossen, keine Schmerzen mehr, beängstigend, aber ein schönes Gefühl. Verbrennungen am linken Arm und auf der Brust, Schnittwunden, Splitter unter meiner Haut, die Narben auf dem Rücken und im Gesicht, nichts davon war noch übrig, abgewaschen vom sandigen Wind der Wüste. Wie eine Schlange ihren schuppigen Panzer abstreift, um Platz für einen neuen, besseren zu schaffen. Einzig ein schwarzer, strudelgleicher Kreis mit drei runden Zacken auf meinem linken Unterarm war übrig geblieben. Er sollte Teil meines Schicksals werden, und ich war dankbar dafür.

Gottverlassen stand er da und sah, wie trostlos doch die ungewisse Ewigkeit war. Kein weißer Tunnel, keine Engelschöre mit himmlischen Gesängen, keine geliebten Menschen, die auf ihn warteten, nichts, hinter ihm nur seine Spuren im roten Sand und die Grube, aus der er gekommen war. Fleischfetzen, Blut und zerrissene Kleidung verteilten sich neben seinem Weg auf die Spitze der Sanddüne. Er war zum Schatten seines früheren Selbst geworden, ein Preis, den er nur zu gerne bereit war zu zahlen. Seine Erinnerungen, wie grausam und verstörend sie auch waren, sie kehrten langsam zurück und mit ihnen der Wunsch nach Vergeltung. Pandora würde dafür bezahlen und mit ihr jeder, der sich ihm in den Weg stellen würde. ,, Ich werde bei dir sein, wenn du untergehst, mein Engel!" Die Zeit des Weglaufens war vorbei. Es war Zeit, die offene Hand zur Faust zu ballen und mit aller Gewalt zurückzuschlagen, bis nichts mehr übrig war.
Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen, als er die verschwommenen Umrisse einer Stadt in weiter Ferne erkennen konnte. Wo eine Stadt ist, ist auch Leben. Wo ein Anfang ist, ist auch das Ende der Straße und bei ihm der Weg zurück.
Er verweilte noch einen Moment um den Anblick zu genießen. Blässe überzog seinen ganz in Dunkelheit gehüllten Körper. Schwarze Armeestiefel, die mit Brandlöchern übersähte Jeans, ein Hemd dessen Ärmel abgerissen waren, die Beretta in der rechten Hand, mit dem Mal der Verdammnis auf dem linken Arm gezeichnet, blickte er einer ungewissen Zukunft entgegen. Der Wind wehte durch seine kurz geschnittenen, weißen Haare und in seinen Augen brannte das rachsüchtige Feuer der Hölle.
Eine hagere Gestalt trat zu ihm. ,,Ich habe mich schon gefragt, wann sie hier auftauchen würden." Der Fremde in schwarz entflammte seine Zigarre. ,,Hallo Jack. Wie gefällt es dir auf der anderen Seite?"

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