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"Mysterious Skin" von Gregg Araki

Begonnen von Shub, 6 Oktober 2006, 01:42:54

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Shub

Ich habe neulich "Mysterious Skin" von Gregg Araki gesehen und muss ehrlich sagen, dass mich schon länger kein Film mehr so verstört und nachhaltig beschäftigt hat.  :icon_eek:

Einige Szenen (*Spolier* z.B. mit dem widerlichen Coach*Spoiler*) waren unangenehm wie ein Faustschlag ins Gesicht und wirken noch lange nach. :icon_mad:

"Mysterios Skin" ist imo ein verstörendes, aber äußerst gelungenes und empfehlenswertes Drama (*Spolier*zum Thema Kindesmißbrauch und seine Folgen*Spoler*), das bei mir ein ähnlich flaues Gefühl in der Magengegend hinterlassen hat, wie z.B. Lucas Moodyssons Prostitutionsdrama "Lilja-4-ever".

Was haltet ihr von dem Film?

Shub

Zitat von: Algo
mein kraftstoff ist mumusaft

amradgedreht

Ich denke da ganz ähnlich. Heftig genialer, verstörender Streifen!

Shub

7 Mai 2008, 02:40:57 #2 Letzte Bearbeitung: 7 Mai 2008, 02:43:08 von Shub
"Mysterious Skin" läuft heute Nacht übrigens um 00:35 Uhr im Ersten als TV-Premiere. Ich kann jedem nur empfehlen sich den Film zu Gemüte zu führen.
Zitat von: Algo
mein kraftstoff ist mumusaft

psychopaul

Ich dachte anfangs noch, naja, so lala  ;) da mich der Film in seinem ganzen Stil und auch von der Thematik ziemlich an die Werke von Todd Solondz (z.b. Happiness oder Palindromes) erinnert hat und ich mir von Araki etwas "Spezielleres" erwartet hätte.

Aber der Film hat ganz andere Qualitäten, sehr subtil und einfühlsam erzählt er seine Geschichte, gegen Ende wurde mir auch mehrmals flau, aber es war nicht so auf drastische Schocks ausgelegt, auch wenn diese eine Szene mit der Quasivergewaltigung ja fast kommen musste.  ;)


Beeindruckender Film, dessen ruhige Machart mich erst nicht so, im Nachhinein aber umso mehr überzeugt und beeindruckt hat.

(btw, Gordon-Levitt erinnert mich extrem an Heath Ledger  :icon_eek: scheint ne gute Rollenwahl zu haben (auch Brick), mehr davon)
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Shub

Zitat von: Bettwurst am  8 Mai 2008, 03:36:56
Ich dachte anfangs noch, naja, so lala  ;) da mich der Film in seinem ganzen Stil und auch von der Thematik ziemlich an die Werke von Todd Solondz (z.b. Happiness oder Palindromes) erinnert hat und ich mir von Araki etwas "Spezielleres" erwartet hätte.

Mich vielleicht auch ein klein wenig, aber das hat mich nicht im geringsten gestört, da ich Solondz und die beiden genannten Filme sehr gut finde.  :icon_mrgreen: Etwas "Spezielleres"? Seine älteren Werke sollen ja ziemlich "speziell", tabulos und kontrovers sein. Freut mich aber, dass er dir dann letztendlich doch gefallen hat.  :icon_razz:
Was Arakis restliche Filme, vor allem sein Frühwerk angeht, bin ich eher skeptisch. Die scheinen ja noch verstärkter in die "New Queer Cinema" Richtung zu gehen, was nicht unbedingt mein Fall ist, aber dir ja sicher gefallen dürfte (siehe Arte-Trash-Reihe).  ;)

Zitat von: Bettwurst am  8 Mai 2008, 03:36:56
(btw, Gordon-Levitt erinnert mich extrem an Heath Ledger  :icon_eek: scheint ne gute Rollenwahl zu haben (auch Brick), mehr davon)

Jetzt wo du es sagst...  :icon_eek:
Ja, ich habe vor ein paar Tagen gerade erst "The Lookout" mit ihm gesehen, in dem der auch wieder sehr gut und sympathisch agiert.  :respekt: Was seine zukünftigen Rollen angeht, hoffe ich auch, dass da noch einiges gutes kommt. Wenn ich mir in der IMDb seine aktuellen Projekte ansehe, wird diese Hoffnung leider nur bedingt genährt...  :arrow: "G.I. Joe" (Actionfilm, der wie "Transformers" auf irgendwelchen Hasbro-Spielzeugen basiert :kotz:).  :icon_lol: 
Zitat von: Algo
mein kraftstoff ist mumusaft

psychopaul

Oje.  :icon_lol:  :icon_mrgreen:
Naja, muß halt auch mal Geld verdienen.  ;)


Ich kenne sonst von ihm nur "Nowhere" und der ist sehr schräg, ja die Trash Reihe wäre für den genau das Richtige.  ;)


Zitat von: Shub am  8 Mai 2008, 15:13:50
aber das hat mich nicht im geringsten gestört, da ich Solondz und die beiden genannten Filme sehr gut finde.   

Ich eh auch. Aber gestern hatte ich zum ersten Mal dieses Gefühl, "diese neueren US Indie Streifen schauen alle gleich aus", das hat mich dann mal kurz etwas gelangweilt.  :icon_twisted: Aber der Film war gut genug, um dem dann keine Bedeutung mehr zuzumessen.  :respekt:
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barryconvex

In meinen Augen ein grandioser Film, der sich nahtlos in das einreiht, was Araki vorher gedreht hat.
Bei Mysterious Skin ist für mich das ganz große Plus, daß es kein "Elendstourismus" ist, der ihn diesem "schwierigen Thema" zuwenden läßt. (Genauso sehen für mich viele andere Filme mit vergleichbaren Plot einfach aus: Hauptsache irgendwo eine Sicherung für den Zuschauer einbauen, bei Lilja 4ever kann man noch darüber streiten, schade daß die mystische Rückzugsebene enthalten ist, der Rest ist emotional absolut packend).

Ich hoffe nicht, daß man Arakis andere Filme einfach unter "gay interest" und Trash abhaken kann, zumindest nach The Living End und Totally F***ed ab sind sie auch ästhetisch hervorragend. Ich kenne auch niemanden, der gleichzeitig so hemmungslos (und) romantisch, komisch und wahr ist.

barryconvex

Noch zu Mysterious Skin: die Regie geht sehr viele Risiken ein, und es hat sich zum Glück gelohnt (im Forum der imdb hat man Araki vorgeworfen, die Kinderdarsteller zu verheizen, worauf er dort auch Stellung bezogen hat, habe den direkten Link leider nicht zur Hand). Er nimmt die kindliche und jugendliche Perspektive 100%ig ernst (wie auch in vielen seiner anderen Filme), er zeigt auch, daß junge Menschen sexuelle Wesen sind (womit er hätte sehr leicht scheitern können) und er trennt nicht einfach Sexualität und übriges Leben (wie sonst auch nicht, besonders Totally F***cked Up, The Living End).

psychopaul

Ich habe während dem Schauen, vor allem eben bei den Szenen mit dem jungen Neil und dem Coach auch sehr drauf geachtet, wie Araki dieses heikle Thema umsetzt, ohne die Kinder selbst etwas "auszusetzen". Aber er hat das alles sehr gut aufgelöst (also vermutlich eben so, dass die "bösen Sprüche" separat eingespielt wurden).
Oder hast du mit den Risiken etwas anderes gemeint?

Was mich noch interessiert, wie du das meinst mit der "Sicherung für den Zuschauer einbauen"? Hast du da irgendein Beispiel?
Diese zweite Ebene bei Lilja z.B. ergibt ja auch im Kontext der Figur einen Sinn und ist wohl kaum in erster Linie dazu da, den Zuschauer glücklich zu machen, da dies ja aufgrund der anderen 99% sowieso nicht funktioniert. Aber das hast du eh auch eingeschränkt..
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barryconvex

"Lilya 4ever" ist für mich ein absolut respektabler Film, die Stärke liegt in meinen Augen gerade darin, vollkommen hoffnungslose Situationen und Charaktere zu zeigen, die Ebene mit den Engeln kann das eigentlich nur abschwächen (emotional, nicht was die Qualität des Films betrifft).

Mit "Sicherung für den Zuschauer": häufig sind Mißbrauchsplots in Krimszenarien eingebaut die Ordnung wird am Ende der Form nach wiederhergestellt, der Zuschauer hat eine Art moralischer Genugtuung für den Preis, daß das restliche Leben der Betroffenen weitgehend ausgespart bleibt.

Doom Generation und Nowhere sind recht gewalttätige Filme, bei Mysterious Skin kann ich mir vorstellen, daß man sich als Zuschauer fast erhofft, die Küchenszene am Anfang wäre mit Gewalt gekoppelt, damit die Emotionen klarer verteilt sind. (So viel Schuß / Gegenschußaufnahmen verwendet Araki sonst auch nicht.)

psychopaul

Emotionale Abschwächung, naja...da ja offensichtlich ist, dass dies nur einer Fantasie ist und die Realität nicht angenehmer machen kann, empfinde ich das nicht zwingend so, es kann dieses Gefühl der Ausweglosigkeit sogar noch verstärken, im Prinzip bleibt es aber ohnehin nur ein kleines Beiwerk des tatsächlichen Films.


Zitat von: barryconvex am  9 Mai 2008, 18:25:06
Mit "Sicherung für den Zuschauer": häufig sind Mißbrauchsplots in Krimszenarien eingebaut


Okay, "Krimi", das klingt für mich per se schon eher konventionell aufgebaut, uninteressant und wenig der Rede wert..  ;)

Zitat von: barryconvex am  9 Mai 2008, 18:25:06
bei Mysterious Skin kann ich mir vorstellen, daß man sich als Zuschauer fast erhofft, die Küchenszene am Anfang wäre mit Gewalt gekoppelt, damit die Emotionen klarer verteilt sind.

Interessanter Punkt. Das "zärtliche" des Trainers, das natürlich trotz allem höchst grausam ist, hat dennoch eine ganz andere Wirkung als ein sozusagen: brutaler Mißbraucher, ja.

Zitat von: barryconvex am  9 Mai 2008, 18:25:06
(So viel Schuß / Gegenschußaufnahmen verwendet Araki sonst auch nicht.)

Ich nehme an, dass sich hier der Einsatz dieser Technik vor allem nach der Frage der Durchführbarkeit solcher Szenen mit den Kindern richtet.  :icon_razz:
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barryconvex

Zitat von: Bettwurst am  9 Mai 2008, 19:00:15
Ich nehme an, dass sich hier der Einsatz dieser Technik vor allem nach der Frage der Durchführbarkeit solcher Szenen mit den Kindern richtet.  :icon_razz:
Ich meine auch die übrigen Szenen, vor allem bei den Autofahrten. (Habe ich sonst nicht weiter drüber nachgedacht, aber normalerweise ist das Böse eben dadurch sichtbar und begreifbar, daß es gewalttätig ist, während es bei Mysterious Skin häufig genau anders herum ist, zum Beipiel die als harmloser Streich gedachte Halloweenszene.)

barryconvex

Zitat von: Bettwurst am  9 Mai 2008, 19:00:15
Okay, "Krimi", das klingt für mich per se schon eher konventionell aufgebaut, uninteressant und wenig der Rede wert..  ;)

Ich denke dabei nicht nur an normale Krimis (in Tatort und Konsorten ist Kindesmißbrauch inzwischen ein gängiges Thema, wobei man natürlich darüber streiten kann, ob das nicht schon mal ein Fortschritt ist, daß es überhaupt thematisiert wird.) sondern einfach daran, daß Täter im Normalfall immer viel interessanter sind als Opfer.
Zum Glück hat hier noch niemand das Wort "Kinderschänder" im Zusammenhang verwendet, weil es genau das ist, was Araki vermeidet: Die Mißbrauchten interessieren nicht nur, um zu zeigen, wie böse jemand anderes ist, sondern sind vollwertige Existenzen, die danach nicht einfach aus dem Blickfeld verschwinden.
Und daß der Film auch Momente von Schönheit und Glück zeigt, finde ich genauso mutig wie richtig.

psychopaul

9 Mai 2008, 23:38:32 #13 Letzte Bearbeitung: 9 Mai 2008, 23:40:52 von Bettwurst
Ja, Araki macht das sehr gefühlvoll und sehr richtig.

Würde dennoch das Fehlen einer solchen Ebene gängigen Thrillerproduktionen nicht unbedingt ankreiden, weil in solchen Filmen eben ganz andere Publikumsbedürfnisse und Erwartungen bedient werden und das wohl auch wollen. Natürlich muß man auch da unterscheiden, ob das Ausschlachten, das Sensationalisieren auf eine allzu plumpe Art geschieht. Warum nur kommt mir gerade "The Heart is deceitful above all things" in den Sinn..  :icon_twisted:

Finde erstere, also die vielschichtigere Variante auch die wesentlich bessere...aber naja, was wäre andererseits die Filmwelt ohne böse Kinderschänder, denen am Ende der coole Held den Garaus macht.  :icon_mrgreen:  ;)
Das sind für mich 2 unterschiedliche Dinge (ernstes, realistisches VS phantastisches, primär unterhaltsames Kino), die beide ihren Platz nebeneinander haben können. :)
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mobile-ism

Im Kontext der Pädophiliethematik in Filmen interessiert mich, ob euch auch dieser Film bekannt ist:

http://www.ofdb.de/film/65111,Der-Verlorene-Soldat

Hier wird tatsächlich der Begriff des "Missbrauchs" (eventuell in Anlehnung an altgriechische Praktiken) ersetzt durch ein Bild der "Knabenliebe", bei dem es scheinbar keine Opfer, sondern nur Gewinner gibt. Kerbosch inszeniert das Ganze durchaus einfühlsam und unbefangen, lässt ein Gefühl von Harmonie entstehen. Der Zuschauer gerät dadurch in eine Ambivalenz: Der Knabe labt sich an der Verbundenheit ohne Sexualität überhaupt konnotieren zu können. Nur der Zuschauer vermag über die Tragweite des sexuellen Kontakts zu spekulieren, die sich dem Jungen erst in der Adoleszenz erschließen kann und von Kerbosch nicht tangiert wird. Da er sich damit einer Wertung des Themas entzieht, offeriert er dem Zuschauer, seine eigenen Grenzziehungen vom Missbrauchsbegriff zu überdenken. 

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