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Babylon Berlin

Begonnen von Wolfhard-Eitelwolf, 11 November 2017, 14:51:36

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Wolfhard-Eitelwolf

11 November 2017, 14:51:36 Letzte Bearbeitung: 11 November 2017, 14:57:19 von Wolfhard-Eitelwolf
Kein Thread vorhanden? Ich bin erstaunt! Denn diese aktuelle deutsche, gerade mit Teil 2 der Doppelstaffel auf Sky One (später ARD) laufende Big Budet-Serie hat defintiv eine Erwähnung verdient. Mit beeindruckendem Aufwand wird hier das Berlin der späten "Goldenen Zwanziger" portraitiert und wie noch nie zuvor - mit CGI, aber auch aufwendig nachgebauten, authentischen Kulissen (viele Gebäude und Wahrzeichen wie das Berliner Polizeipräsidium und die meisten Gebäude am Alex fielen dem letzten Weltkrieg zum Opfer), zum Leben erweckt.  Dabei wird ein Kriminalplott mit Verschwörungselementen, etwas Beziehungskit und jeder Menge zugänglicher Geschichte zu einem wirklich attraktiven, bisweilen sogartigen Stück deutscher Filmkunst vermixt. Technik, Kulissen, Schauspielkunst und Action brauchen sich dabei  zu keinem Zeitpunkt vor Größen wie Boardwalk Empire verstecken - im Gegenteil: Das Sujet ist so unverbraucht, dass es die Konkurrenz gar nicht fürchten braucht. Ich bin begeistert und sicher, dass die Serie es auch international zu Ruhm bringen wird!

Hier noch ein "Musikclip-Trailer". https://www.youtube.com/watch?v=aOYn-GQ_Vsg

Private Joker

Hat mich auch gewundert, dass es hier nichts gibt.

Schaue das durchaus mit Interesse, bin aber nicht ganz so begeistert. Die Rekonstruktion von Berlin, so aufwändig sie auch ist, wirkt irgendwie künstlich; gerade die Straßenszenen zum 1. Mai schreien einem förmlich "ich bin eine Studiokulisse in Babelsberg" entgegen. Der Alex sieht gut, aber ein klein bisschen wie mit dem "Modelleisenbahneffekt" gefilmt aus und an eine (notwendigerweise mit CGI erzeugte) Totale vom Berlin dieser Zeit habe ich bislang vermisst. Dafür gibt es eine echte Ju 52, die dann aber relativ eindeutig zu CGI überwechselt, als es "knallt", das erinnert einen ein bisschen an den US-Trash "USS Indianapolis", wo sich auch ständig originale Flieger und (noch schlechtere) PC-Modelle abwechseln.   

Überhaupt "Ju 52" - irgendwie wirkt das ganze inhaltlich überfrachtet, von banalen Krimielementen über die große Verschwörung bis zum besagten Aufklärungsflug mit Blitz und Donner. Die Ausgangsgeschichte mit dem Porno ist ganz fix Makulatur, vielleicht auch nur Vorwand, um ein paar Nackte unterzubringen (wobei es DES Vorwands über die Laufzeit wirklich nicht bedarf, da kommen noch genug). Der Verschwörungsplot um die Wiederbewaffnung der Reichswehr ist interessant, aber da das die Gehaltsklasse des Kommisar Rath ziemlich eindeutig überschreitet und der die Geschichte auch nicht ändern konnte, vermag da nicht die ganz große Spannung aufkommen.

Einige Figuren sind interessant, wie Charlotte, der zwielichtige dicke Kollege oder der von Matthias Brandt gespielte Vorgesetzte, andere werden verschenkt oder sind nur bessere Komparsen, zB der Clubbesitzer (Maticevic) oder auch die historischen wie Gennat und Stresemann. Mit Rath bzw. seinem Darsteller werde ich auch nicht wirklich warm, der wirkt eher wie ein Getriebener als dass er selbst ermittelt (Charlotte kommt in den diversen Fällen besser voran als er), aber vielleicht ist das Absicht und die Figur soll  noch wachsen.

Wobei durchaus zu hoffen ist, dass das über die "zwei Startstaffeln" (die sich anfühlen wie eine einzige) noch weitergeht. Im öffentlich-gebrechlichen TV gebe ich dem keine große Chance auf eine Riesenquote.

"Ich bin zu alt für diesen Scheiß" "Dem Scheiß ist es egal, wie alt Du bist" (James Grady - Die letzten Tage des Condor)

Wolfhard-Eitelwolf

Habe gestern die erste Hälfte der zweiten Staffel gesehen und muss auch die" Junkers-Episode" kritisieren. Das ist etwas "too much", sowohl in  tricktechnischer Hinsicht wie auch inhaltlich. Dennoch waren die vier Folgen gut, wenn auch etwas schwächer als Staffel 1. Aufwendige Studiokulissen stören mich überhaupt nicht, im Gegenteil! Alles stimmiger als die drögen Kulissen aus dem Computer :D Der gesamte Tanz-, Musik-, Drogen-, Alkohol - und Nackedeikomplex gehört aber meiner Meinung nach zum unbedingt notwendigen Grundton der Serie und ist auch in der historischen Epoche fest verankert.

Private Joker

Klar, das Zeitkolorit ist einer der Pfunde, mit denen die Serie wuchern kann. Gerade der Kontrast etwa zwischen den Wohnverhältnissen, in denen Charlotte da existieren muss und den verschwenderischen Partys und freizügigen Nachtclubs gibt dem ein Stück Spannung, das die reine Handlung aus meiner Sicht einfach nicht leisten kann. Ich meine, wenn ich da die ganze Geschichte an einem Porno aufhänge, mit dem sogar Adenauer erpresst wird, dann klingt das erst mal interessant, aber dann erwarte ich da ein klein bisschen mehr als ein paar banal-brutale Verhöre und eine (in dem Fall) gegen US-Konkurrenz wirklich abstinkende kurze Ballerei, um das aufzulösen.

Aber ist sicher Gemecker auf durchaus ansehnlich hohem Niveau. Wenn man deutsche Serie in der obersten Liga produzieren will, muss man sich aber auch Kritik gefallen lassen, wenn es an einigen Ecken mal nicht so passt.

"Ich bin zu alt für diesen Scheiß" "Dem Scheiß ist es egal, wie alt Du bist" (James Grady - Die letzten Tage des Condor)

Wolfhard-Eitelwolf

Leider hält Teil 2 der Doppelstaffel nicht das bisweilen soghafte und sehr bodenständige Niveau der ersten Hälfte. "Weniger ist eben doch mehr" lautet zum letzten Abspann angesichts einiger größerer, leider ziemlich gezwungen wirkender Actionszenen wieder einmal das Motto. Dennoch bis zum Schluss sehr solide, toll inszenierte und gespielte Unterhaltung. Schön, dass sich deutsche Produzenten noch etwas trauen angesichts der übermächtigen US-Konkurrenz.

Private Joker

Bin jetzt auch durch, und auch gegen Ende sehe ich noch immer das Problem der Diskrepanz zwischen Wollen und Können. Man möchte am ganz großen Rad drehen, Hollywood Berlin, die 2. Staffel natürlich mit einem Knaller zu Ende bringen. Und das Finale hat da auch durchaus das Zug äh Zeug zu. Aber dann: Übertreibungen, schlechte CGI, superschlechte Rückpros - der schießend über den Zug laufende Rath sieht wirklich aus wie zuhause bei Opa Kasulke vor der Super 8 Leinwand.

Ob man jetzt gleich 4-5 lose Enden braucht, um den Zuschauer auf die vielleicht/hoffentlich kommende Staffel 3 (oder 2 1/2) einzustimmen, weiß ich auch nicht. Es spricht aber für die Serie, dass man tatsächlich sehen möchte, wie es weitergeht; relativ geschickt werden Teile des Personals ausgetauscht, neue in Stellung gebracht, andere - so der von mir in S1 durchweg unterschätze Maticevic - gewinnen an Statur, und Charlotte stiehlt immer noch jede ihrer Szenen.

Die Neuerfindung des deutschen TV war es für für mich dann doch eher nicht, dagegen stehen einige technische und manche erzählerische Schwächen. Aber eine durchweg spannende Zeitreise war es schon, die vor allem von einem Strauß interessanter Figuren lebte.
7.5 / 10
"Ich bin zu alt für diesen Scheiß" "Dem Scheiß ist es egal, wie alt Du bist" (James Grady - Die letzten Tage des Condor)

Moonshade

Da ja jetzt die Zweitverwertung über ARD ansteht (Drittverwertung, wenn man sich die Serie noch nicht gekauft hat), dachte ich, ich beleb das angesichts der Ausstrahlung im historischen Free-TV noch mal wieder.

Normalerweise sammele ich ja erst mal, aber hier wollte ich mal reinsneaken, damit sich da ein Eindruck möglichst schnelle verfängt.

Nach zwei Folgen empfinde ich die "deutsche" Euphorie recht berechtigt, denn das ist - wie in alten Zeiten, als man so etwas mit deutlich weniger Budget, aber mehr Kreativität in den 70ern/80ern als normale TV-Serien ständig zum Leben erweckte ("Ein Mann will nach oben", "Berlin Alexanderplatz" etc) - gutes, ordentlich umgesetztes Qualitäts-TV, wenn auch, wenn ich den Quellen vertrauen darf, die Buchvorlage in die extreme Breite tretend und mit zusätzlichem Plot ergänzend.

Was ich nicht unterschreibe, ist dieses Worldwide-Streaming-Ding, denn obwohl das Teil wohl übersee gut bei Netflix gelistet ist, kann ich mir kaum vorstellen, dass jemand diese sehr deutsch erzählte und von Dialekten und Lokalkolorit lebende Serie in einer synchronisierten (???) Fassung mitten in Arizona, Vancouver oder Buenos Aires großartig sehen wird.
Weiß jemand, ob das stateside in der dt. OV mit UT läuft oder für den internationalen Markt gedubbed wurde?

Alles in allem scheint es mir sehr sorgfältig, sehr aufwändig (Alexanderplatz digital neu erschaffen), aber auch sehr deutsch.
Und das heißt, sehr bedächtig erzählt.
Nach modernen Maßstäben typischer Serien, ist das Tempo zu gering, allerdings kann ich das sehr gut genießen.
Viele haben offenbar aber Probleme mit der dezentrierten Erzählweise oder sind geduldstechnisch wirklich im Twitterzeitalter angekommen (mehr als vier Minuten Konzentration sind nicht drin).

Zum Plot kann ich nach zwei Folgen noch nicht genug sagen, aber gute Darsteller bisher (ohne die üblichen Verdächtigen) und mal wieder eine Serie, die unsere generell historienuninteressierte Bevölkerung (also natürlich nur - imho - recht beachtliche Teile davon) mal wieder darüber informiert, wie scheiße das Leben vor 90 Jahren war und wie gut es uns heute geht.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

dieri

Ich habe gerade Folge 11 in der Mediathek angesehen. War ich bisher begeistert von der Serie, hat mich diese Folge völlig enttäuscht. Der Flug nach Russland ist ja wohl die Oberschote. Die im Film verwendete Ju 52 hatte ihren Erstflug erst 1932, also 3 Jahre nach der gespielten Zeit. So ein historischer Fauxpas darf bei einem solchen Budget nicht passieren. Historisch korrekt hätte man auf eine Junkers W 33 zurückgreifen können, mit der ja bereits 1928 eine Atlantiküberquerung in Ost-West Richtung gelungen war. Hier hat die Redaktion eindeutig gepennt. Tricktechnisch waren die Flugszenen zudem absolut diletantisch und dramaturgisch auf 60 er Jahre Niveau. Da hat man an den falschen Stellen gespart. Ansonsten finde ich die Hauptdarsteller/innen bisher alle überzeugend und fand an den übrigen Requisiten nichts auszusetzen.

JasonXtreme

Darf nicht passieren, fällt aber wohl keinem Menschen auf, der sich mit Flugzeugen nicht auskennt ;)
"Hör mal, du kannst mein Ding nicht Prinzessin Sofia nennen. Wenn du meinem Ding schon einen Namen geben willst, dann muss es schon was supermaskulines sein. Sowas wie Spike oder Butch oder Krull, The Warrior King, aber NICHT Prinzessin Sofia."

Private Joker

Wie bei allen Filmen mit technisch- oder kriegshistorischem Hintergrund sitzen da immer ein paar Leute vor dem Schirm, die die Kettenräder bei den Panzern zählen oder das Kaliber der Knarren nachmessen. Da müssen die Macher drüber stehen, so viel origales Zeug aus der Zeit fährt und fliegt halt auch nicht mehr.

Insofern war das mit der Ju 52 zu verlockend, die sind (oder waren, eine ist ja gerade heruntergefallen) halt noch reichlich flugfähig vorhanden, was für die W33 wohl nicht gilt. Und das komplett per CGI zu realisieren war angesichts der Ergebnisse bei den Szenen der 52 im Flakfeuer wohl auch nicht die bessere Alternative.
"Ich bin zu alt für diesen Scheiß" "Dem Scheiß ist es egal, wie alt Du bist" (James Grady - Die letzten Tage des Condor)

Moonshade

Ach, da stimmt so einiges nicht, auch ein paar historische Ereignisse politischer Natur sind da für 1929 vorweg genommen worden, aber das passiert vermutlich, wenn man aus der Literaturverfilmung auch noch ein dekoratives Scope-Ausstattungsstück machen will.

Ich hab jetzt die erste Staffel - 8 Folgen - durch und es hat durchaus noch seinen Kiez-Reiz, aber es ist mir zu umständlich erzählt und auch ein bisschen schleppend im Tempo.
Man sieht zwar, wie breitschweifig das alles angelegt ist (bspw mit dem jüdischen Regierungsrat, der scheinbar als Einziger hier einen modernen Demokratiebegriff vertreten soll), aber fokussiert geht anders.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

tenderman

Wir haben die zweite Staffel dann recht schnell, am Stück, in der Mediathek gesehen. Grund dafür: es wurde tatsächlich spannend und, wenn man das als Kritikpunkt für S1 so wahrgenommen hat, temporeicher. Kam zu dem klassischen Sog, unbedingt auch noch die nächste Folge sehen zu müssen. Staffel zwei macht da noch einige Sachen besser als die erste: die Chemie zw. den Hauptdarstellen stimmt jetzt und die Rolle/Intensionen einzelner Personen wird ebenfalls nachvollziehbar.

Der Zeitrahmen ist ein weiterer Pluspunkt, hier kann die Serie m.E. wirklich punkten. Der Hauptplot hat immer Vorrang, die Auswirkungen bzw. der historische Kontext nehmen aber immer mehr Einfluss auf die Story. Das Risiko der Macher sich hier zu verheben war sicher recht groß, hat man aber gut gelöst. Geschenkt, dass nicht jedes historische Event genau passt, hier geht es um Unterhaltung und nicht um Geschichtsunterricht.

Am Ende kann ich nur sagen, dass hier für eine deutsche Produktion absolut klasse abgeliefert worden ist! Die nächste(n) Staffel(n) können gerne kommen.
"Aspirin gab´s nicht, da hab ich dir Zigaretten mitgebracht" (Homer Simpson)

Moonshade

Ich liege jetzt nach Folge 12 und ich kann das mit dem Zeitkolorit nur bestätigen.

Wirklich besser geworden ist die Serie für mich aber nicht und auch nicht temporeicher. Es schleppt sich für mich viel zu sehr hin, wer sich nicht gut damit auseinander setzt (oder historisch gesetzt hat), verliert den Faden (wie bspw. meine Frau, die mit den vielen Handlungssträngen immer wieder den Fokus verliert, ein sonst nicht existentes Problem) oder verliert sich offensichtlichen Schauwerten (der Flug nach Russland) oder einigen dramaturgischen Idiotien
Spoiler: zeige
(das Fotografieren des Flugfelds von einem angeblichen "Bomber" aus, bei dem man den Fotografen, am Gürtel aus einer offenen Tür hält, obwohl man das alles problemfrei auch aus einem Fenster hätte fotografieren können; dass Rath seinen Kollegen in einer Kurve wieder in die Maschine ziehen kann).


Auch Charlotte das ach so dringende Notizbuch in die Hand zu drücken, obwohl sie das offensichtlichste Ziel einer Verfolgung sein würde, während der behäbige und mental sehr ineffektive Rath den Geschehnissen hinterher dilettiert, ist nicht eben ein Glanzpunkt. Darüber hinaus hat man dann auch noch versaut, dass
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Wolter der Mörder von Jähnicke
war, was viel zu offensichtlich kreiiert wurde. Und die Chose mit der suggestiven Manipulation, die sich ja schon seit Folge 1, Szene 1 zieht, könnte auch mal in den Fokus rücken.

Ich freu mich immer noch über die schöne Produktion, aber aus einem Roman mit zahlreichen Zusatzideen 16 Folgen zu machen, überspannt für mich den dramaturgischen Bogen lang und schmutzig. 12 hätten auch gereicht.

PS: die Engländer können das einfach besser, sorry.
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"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

Private Joker

25 Februar 2020, 21:49:48 #13 Letzte Bearbeitung: 26 Februar 2020, 00:05:19 von Private Joker
Mittlerweile ist Staffel 3 (nach offizieller Zählung) im Pay-TV komplett durch, Free TV wird im Herbst nachziehen.

Mein Eindruck: Irgendwer im Controlling hat nachgerechnet und ist auf den Trichter gekommen, dass die ersten beiden Staffeln in der Summe schon ein bisschen teuer waren und hat mal eben eine Null am Ende der Budgetsumme gestrichen. Dieserhalb und desterwegen fehlen in Nr. 3 praktisch komplett die aufwändigen Setpieces der Doppelstaffel (Maiaufstand/Junkersflug/Zugfinale), man bleibt wortwörtlich auf dem Boden.

Und, siehe da, geschadet hat es nicht. Nicht nur weil ich (und vermutlich auch ein paar mehr Leute) der Meinung waren, dass die Versuche mit den großen Effekt-/Actionsequenzen seinerzeit ziemlich gründlich in die Hose gingen. Vielmehr kann so der zentrale Krimiplot diesmal wirklich atmen, auch wenn sich immer noch viel "drumherum" tut. Ein bisschen arg viel sogar, erneut (mal so grob: Gretas Prozess, Charlotte und ihre Familie, Alfred und die Börse, der Armenier mit Frau und Kumpel, die Nazis, die Reichswehr, die Wirtschaftskrise, der Journalist und die Wirtin, Gereon und Familie), aber die Subplots stehen sich und der Haupthandlung zumindest nicht mehr im Weg, einige ergänzen sich teilweise durchaus sinnvoll.  Und, was den vorherigen Folgen fast völlig fehlte: Es kommt sogar so etwas wie Spannung auf, gerade in der zweiten Hälfte, und das sowohl in einigen gelungenen Einzelsequenzen (
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die Hinrichtung, der zweite Mord am Filmset, und mein persönliches Highlight, die "Geistervorlesung" des Pathologen,
) als auch im Gesamtkonstrukt.

Auch wer mit Staffel 1/2 nicht ganz zufrieden war, sollte in jedem Fall dran bleiben. 8/10 von mir.
"Ich bin zu alt für diesen Scheiß" "Dem Scheiß ist es egal, wie alt Du bist" (James Grady - Die letzten Tage des Condor)

Private Joker

Staffel 4 jetzt paytvseitig durch, wenn ich das fertige Produkt und auch den Thread hier so ansehe, muss man fürchten, dass die im "Freien" aka Gebührenvernichtungsfernsehen wohl keine großen Wellen mehr schlagen wird.

Angesichts der vielen Handlungsstränge (irgendwas zwischen 8 und 10 habe ich mal vorsichtig gezählt), die - natürlich auch subjektiv - sehr unterschiedlich fesseln, ist das in wenigen Sätzen kaum noch zu bewerten. Ganz ehrlich: Das war too much, und zwar von fast allem. In der beginnenden Endphase vor der Nazimachtübernahme versteht sich Staffel 4 offenbar eher als Politthriller und gewinnt da ein paar Momente von Interesse und mit Spannungsansätzen (vor allem rund um den Stennes-Putsch). Als Krimi ist das mittlerweile ein Totalausfall; einen klassich zu lösenden "Kernfall" sucht man vergebens. In der großen Gemengelage von Handlungssträngen passt da wenig zusammen; die Kiste mit den korrupten Polizisten und dem Dachsturz etwa endet buchstäblich im Nichts, die Sache mit dem Richter Gnadenlos führt zu einer leicht absurden Selbstjustizverschwörung, die etwas wundersamerweise von
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Charlotte im Alleingang gewuppt wird
. Ein bisschen Gangsteraction unter den Berliner "Ringvereinen" sorgt für einen ganz ordentlichen Leichenhaufen, trägt aber auch eher wenig zu Gesamthandlung und Atmosphäre bei.

Reichlich seltsam mutet dann vor allem der Handlungsfaden um den amerikanisch-jüdischen - ja was eigentlich - Rächer ? an, der ja dem zugrundeliegenden Buch sogar den Titel gegeben hat. Ob das alles so vorlagengerecht ist, kann ich nicht sagen, aber da der Teil an Polizei generell und Rath/Charlotte speziell komplett vorbeigeht und sich auch mit dem Rest der Handlung nicht wirklich verbindet (außer mit "Nyssen", der Teil ist mittlerweile aber auch völlig abgedreht), kann ich mir das kaum vorstellen. Irgendeinen tieferen Sinn, einen Spannungspunkt oder eine politische Aussage konnte ich da aber nur mühsam bis gar nicht entdecken. In Sachen "Jetzt wird es absurd" werden da auch noch so ein paar Szenen um Raths Bruder und ein paar Menschenversuche (??) eingestreut, die man ansonsten eher in einem Horrormovie in der Abteilung "gleich wacht der Darsteller auf und es war nur ein böser Traum" erwarten würde, da ist die Grenze zur Lächerlichkeit schon deutlich überschritten.

Als Panoptikum einer fiebrigen Welt kurz vor dem Untergang kann die Serie ein paar ihrer üblichen Pluspunkte natürlich immer noch verbuchen, angeführt von dem in der Tat ohrwurmigen Musikstückchen "Ein Tag wie Gold". In der Summe ist das aber nur noch ein großes Kuddelmuddel aus wenig Krimi, etwas Liebesgeschichte, viel Politik und reichlich Verschwörungen (was in der Gegenwartsfilmindustrie kaum noch geht, ist mit historischem Anstrich offenbar immer noch p.c.), alles gespickt mit (zu) vielen Absurditäten.

Insgesamt erzählerisch eher unflüssig bis holperig, von mir "nur" noch 6/10, wobei ich mich selbst schon frage, warum mir die Folgen vorher noch deutlich besser gefallen haben.
"Ich bin zu alt für diesen Scheiß" "Dem Scheiß ist es egal, wie alt Du bist" (James Grady - Die letzten Tage des Condor)

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