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Wie verfilmt man Shakespeare? "Al Pacino's Looking for Richard" und andere

Begonnen von pm.diebelshausen, 28 März 2010, 01:11:11

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pm.diebelshausen

28 März 2010, 01:11:11 Letzte Bearbeitung: 28 März 2010, 11:21:23 von pm.diebelshausen
Weil es gerade in einem anderen Thread als off-topic aufkam, mich das Thema aber interessiert, stelle ich hier mal als Ausgangsfrage:

Wie macht es Sinn, Shakespeare zu verfilmen?

Ich behaupte mal, es gäbe zunächst zwei Möglichkeiten: entweder stecke ich meine Schaupieler in olle Kostüme und drehe in einem slten Englischen Schloss, oder ich gebe ihnen Aktentaschen oder Hawaiihemden und lasse sie sich wie moderne Menschen bewegen, während sie sprechen wie vor 400 Jahren.

Al Pacino hat in seinem Film "Looking for Richard" in gewisser Weise beides getan und das Shakespeare-Stück "Richard III" auf zwei Ebenen verfilmt und zugleich thematisiert: zum Einen auf der Ebene des Shakespeare-Textes, in der sich Shakespeares Figuren bewegen, und zum Anderen auf einer Metaebene, die ebenfalls fiktional, dabei aber weniger eindeutig ist, weil sich in ihr die Schaupieler Winona Ryder, Alec Baldwin und Pacino selbst bewegen, während sie versuchen, das Shakespeare-Stück und seine Charaktere zu verstehen und sich zu erarbeiten.

Mir gefiel dieser Ansatz sehr gut, während ich mit Luhrmans "Romeo + Julia" nichts anfangen konnte. Anderen geht es umgekehrt. Und ich wüsste gerne, warum, weshalb und wieso. Als Einstieg:

Looking For Richard - Al Pacino
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

ratz


Gute Thread-Idee, auch wenn es wieder mal bei 2 bis drei Kontributoren (?) bleiben wird...

Nun gibt es dazu so extrem viel zu sagen, daß ich mich erst mal auf Looking for Richard beschränken will. Den hab ich vor ca. nem halben Jahr noch mal angeschaut, weil ich den irgendwie als cool erinnerte. War dann aber doch heftig enttäuscht.
Zum Einen, weil wieder einmal der pseudo-volkserzieherische Ansatz "Hey, unser Sh. ist doch für alle da" verfolgt wurde, mit absolut überflüssigen Passantenbefragungen. Dieses Geheuchle, jeder Klempner könnte einen Zugang finden, ist absurd, aber politisch korrekt. Brauch ich nicht. Alsdann groß anzukündigen, hier würde die komplexe Struktur verständlich gemacht - um dann doch wieder 1 oder 2 Subplots unter den Tisch fallen zu lassen. Auch dieses inszenierte Wir-diskutieren-mal-voll-kontrovers-vor-der-Kamera-Getue geht mir tierisch auf den Puffer. Und ganz verboten ist natürlich die verkehrtrumme Baseballmütze von Herrn P. zum Anzug, die ihn der Jugend so unheimlich näher bringt.  :kotz:

Naja, in mancher Hinsicht sicher ein Kind der 90er Jahre, aber die Komplexität von RIII kriegt man dann doch wieder über das - Lesen, ganz altmodisch, mit. Die Verfilmung mit Ian McKellen kann ich von ganzem Herzen empfehlen, macht mächtig Spaß. Die ollen Olivier-Teile hab ich noch gar nicht gesehen.

cu, r.

RoboLuster

https://youtu.be/RPQOMyyg9b8                          
"Shoot first, think never!" - Ash

Chowyunfat2

Oh wie geil, auf diesen Thread hab ich gewartet (was für eine Ausdrucksweise in einem Shakespeare-Thread). Da mein Hauptschul-Englisch nicht erst bei Shakespeare "verkackt", sondern überhaupt, hält sich meine Qualifikation, über dieses Thema zu fachsimpeln, in Grenzen. Aber andererseits war es eine deutsche Übersetzung, die meine Begeisterung entfacht hat, dann kann diese eigentlich auch soo schlecht nicht sein. Es ist sicher Geschmackssache, ob man einen Kostümschinken oder eine moderne Variante draus machen sollte, ich für meinen Teil bin da eher romantisch veranlagt. Es kommt einfach irgendwie nicht besonders glaubwürdig rüber, wenn jemand vor nem' McDonald's steht und poetische Verse raushaut, als wäre es völlig normal. Ansonsten braucht es eigentlich keine spezielle Kulisse. Die Themen bleiben sowieso immer aktuell und wenn man Shakespeare begreifen will, reicht es im Grunde, wenn man ihn liest. Er hat ja quasi nur das "Drehbuch" geschrieben und den Rest überlässt er gänzlich den Protagonisten und derer künstlerischen Freiheit. Ich bin für meinen Teil zugegebenermaßen etwas empfänglich für Pathos, und es ist mir daher sehr wichtig, daß die Darsteller leidenschaftlich und hingebungsvoll agieren. Kenneth Branagh wird oft als "selbstverliebt" bezeichnet, und das stimmt auch, aber das nehme ich ihm gar nicht übel, denn genau das macht seine Darbietung für mich eben so mitreißend. In "Henry V." reichte eine Billig-Kulisse, und doch hat dieser Film bei mir einen imposanteren Eindruck hinterlassen, als es zum Beispiel "Braveheart" vermochte.

pm.diebelshausen

28 März 2010, 03:36:49 #4 Letzte Bearbeitung: 28 März 2010, 03:39:43 von pm.diebelshausen
@Robo: Warum?

@Ratz: Dem entnehme ich, dass Shakespeare nichts für Klempner ist. Wir brauchen jetzt keine Bildungsdebatte zu führen, ich bin anderer Meinung, aber was den Film angeht sollte man, wie ich finde, nicht alles zu ernst nehmen: da ist eine dicke Portion Augenzwinkern dabei und das Ganze mehr ein Spiel als eine Belehrung. Zentral sind die Passanten ja nun wirklich nicht, aber eine Facette des Ganzen dennoch, ob man will oder nicht, ob's doof ist oder nicht.

Finde interessant, dass Du "lesen" schreibst, nicht "sehen", wo es um Theaterstücke geht, die absolut auf Aufführung hin geschrieben sind. Da haben wir also Lektüre, Bühne und Film als drei Realisierungen des Textes. Ich meine, in Pacinos Film wird angesprochen, dass man mit dem Film eine ganz andere Intimität erreichen kann, da sowohl die Kamera, als auch das Mikrophon (=Gehör) ganz nah an den Schaupielern sein kann, was im Theater so nicht (ohne Weiteres) umsetzbar ist. Allein das ist ja schon eine große Entfernung vom Originaltext, der zu seiner Zeit hinsichtlich eines lauten Schaupielerorgans verfasst wurde. Das kann einerseits verfälschen, andererseits neue Möglichkeiten eröffnen - je nachdem, wo man Prioritäten setzt.

Und wie wirkt das Kino zurück auf die Inszenierung im Theater? Ich erinnere mich an eine Schulaufführung von "Viel Lärm um Nichts" in Anlehnung an Brannagh vor ein paar Jahren, in der denn auch in einer Szene in Zeitlupe agiert wurde, was großartig war.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

PierrotLeFou

Ich mag ich ja "Macbeth" von Orson Welles am liebsten, weil mir das Bildgewaltige, das aber immer sehr konzentriert, dezent daherkommt, sehr gefällt... :love:

Aktualisierungen mag ich eigentlich generell nicht sonderlich gerne... zumindest dann nicht, wenn etwas in die Gegenwart verlegt wird, um zu zeigen, dass uns der Stoff auch heute noch etwas angeht (Ausnahmen bestätigen hier aber wieder mal die Regel!), denn das sollte - wenn es denn der Fall ist - ein Zuschauer auch ohne das ständige Verweisen darauf erkennen können... Eine Aktualisierung finde ich generell immer dann spannend, wenn da Jahrzehnte oder Jahrhunderte zusammengewürfelt werden, die sich gegenseitig kommentieren - ein Prinzip, das sich oft bei Ken Russell, H. J. Syberberg oder auch Derek Jarman findet.
Dummerweise fällt mir an ungewöhnlichen Shakespeare-Verfilmungen im Hinblick auf Aktualisierungen gerade nichts ein... Pacinos Film habe ich zwar aufgenommen, aber noch nicht gesehen, Godards King Lear (der ja keine Verfilmung sein will) kenne ich leider auch noch nicht, an Taymors "Titus" erinnere ich mich kaum noch (im Gedächtnis geblieben sind mir hübsche Bilder und oft aufdringlich-polternde Einfälle)... (Eventuell würde ich "Prospero's Books" von Greenaway anführen, der den Stoff zwar opulent in nicht gerade aktualisierter Ausstattung präsentiert, aber zum Stoff immerhin spätere Deutungsansätze hinzufügt und gleich mitinszeniert (Prospero als Shakespeares Alter Ego). Mit einer Aktualisierung, die jenseits der Bildebene stattfindet oder zumindest nicht nur auf ihr stattfindet, kann ich mich durchaus anfreunden...)

Naheliegend wäre aber wohl eine Shakespeare-Verfilmung, die sich am Konzept damaliger Aufführungen orientiert und die Kulissen weitestgehend oder komplett ausspart... die aber dennoch filmisch wäre, indem sie unaufdringlich und gezielt die Montage einsetzt, etwa um die Mimik einzufangen... Das dürfte als Konzept wohl eher Shakespeares Vorstellungen entsprechen (mal davon abgesehen, dass es ein interessantes Konzept ist), aber es spricht ja nichts dagegen, wenn ein talentierter Regisseur ein opulentes, bildgewaltiges Spektakel aus einem Stück macht. (Damit bin ich jetzt wohl bei einem nichtssagenden "Egal wie, hauptsache gut" angekommen... :icon_mrgreen:)
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

a deer

Konnte mit Shakespeares Werk als eigenes noch nicht soviel anderes, obwohl sich natürlich in jeden zweiten Werk, Oh Wunder!, Zitate aus diesem befinden. Mein Hauptproblem ist die Sprache, wenn ich mehr als 1 Seite von sowas (also "Theatersprache" die etwas älter ist und bei der ich das Gefühl habe, dass sie sich stark an den gebildeten Aristrokaten richtet....) lese kann ich mich meistens nicht mehr konzentrieren, wenn ich es auf der Bühne oder Leinwand sehe filterte ich oft nur das allerwichtigste für die Handlung oder für meinen Zitatevorrat heraus, weils mir irgendwie schnell zuviel wird. Da schätze ich viele Theaterwerke aus dem letzten Jahrhundert, die dann auch oft vom "alten" Hollywood verfilmt wurden mehr...) Sehe aber natürlich sofort ein, dass da das Problem bei mir, meiner momentanen Rezeption und meinen Vorurteilen liegt, gibt aber noch genügend Verfilmungen, die mir da beim abbauen dieser Vorurteile helfen können, hab hier auch noch welche rumliegen (Julius Cäsar von 53, Othello von Welles...)

Gespannt bin ich darauf, wie mir die Kurosawa-Adaptionen//Interpretationen/Inspirationen der verschiedenen Shakespearstoffe gefallen werden. Ich fand nämlich die Story bei Shakespeare immer besser als die (Form der) Dialoge und der Gore bei Polanskis MacBeth (ich glaube, dass war auch die Shakespeare-Verfilmung, die mir am besten gefallen hat) hat dem Film auch ganz gut getan  :king: ;)

Tja, jetzt hab ich mit dem letzten Satz meinen Ruf wohl vollends ruiniert  :icon_lol:

Zitat von: PierrotLeFou am 28 März 2010, 04:15:28
... aber es spricht ja nichts dagegen, wenn ein talentierter Regisseur ein opulentes, bildgewaltiges Spektakel aus einem Stück macht. (Damit bin ich jetzt wohl bei einem nichtssagenden "Egal wie, hauptsache gut" angekommen... :icon_mrgreen:)

Was ich mal interessant finden würde, was aber natürlich gänzlich unmöglich ist herauszufinden ist, wie sein Werk wohl aussehen würde, wenn es damals schon den Film gegeben hätte, ob er sich dran gewagt hätte, weil es zu manchen seiner Stoffe einfach besser passt und wir von manchen noch Kopien oder Fragmente bei MoMA hätten?.....

jororo

Shakespeare setzt man am Besten um,indem man sich auf die Stärke, nämlich die Sprache, verlässt. ich persönlich bewundere Shakespeare sehr (muss ich als Englischlehrer auch, auch wenn ich an einer Berufsschule bin WO NICHT MAL IM ABITURBILDUNGSGANG SHAKESPEARE GELEHRT WIRD!! Super NRW! Zum Glück konnte ich den Namen immer wieder mal einflechten), und finde jedes seiner Stücke zumindest interessant. Kenneth Branagh mit seinem Hang zum Egomanen ist hervorragend für Shakespeare (als Henry oder auch Jago), die Richard III Version mit Sir Ian McKellen ist auch sehr gelungen.

bei Shakespeare muss ich an ein Erlebnis aus meinem Studienjahr in England denken. Natürlich hat die Gesellschaft, die Auslamndsstudierende betreut hat, eine Toru nach Stratford (mit Theaterbesuch) angeboten. Ich war mit einem Kumpel zusammen, der den Trip "so mitgenommen" hat,obwohl er selbst gemeint hat, dass ich ihn bitte wecken soll, wenn er einschläft, weil er eh nichts verstehen würde. Wir haben dann eine Inszenierung von Henry VI Part II gesehen, nicht gerade DAS Vorzeigeshakespearestück also, eine sehr "karge" Inszenierung, die sich ganz auf Schauspieler und Text anstatt auf Kulissen und Requisititen oder Effekte. NAch etwa fünf Minuten hab ich dann gemerkt,wie selbiger Kumpel (und andere, die das Gleiche gesagt hatten) fasziniert auf die Bühne geschaut haben und vom Geschehen (wie ich auch) absolut gefesselt waren. Natürlich waren auch gute Schauspieler am Start, aber es lag definitiv zum Großteil an der Frische und Klasse der Sprache, die nun mal für die Bühne geschrieben ist...
Was bringen die ganzen PISA-Studien, wenn das Hessenabitur schon als Behindertenausweis anerkannt wird? (S. Hieronymus)

https://www.youtube.com/watch?v=jQJ8Pofd_X8

ratz

Klar, im Theater hat man das direkteste, da lebendigste Erlebnis. Was hab ich mich im Deutschen Theater beim Sommernachtstraum gekringelt, da kommt die ansonsten ganz anständige Hoffman-Verfilmung bei aller Opulenz nicht ran.

Apropos:
Zitat von: pm.diebelshausen am 28 März 2010, 03:36:49

Finde interessant, dass Du "lesen" schreibst, nicht "sehen", wo es um Theaterstücke geht, die absolut auf Aufführung hin geschrieben sind. Da haben wir also Lektüre, Bühne und Film als drei Realisierungen des Textes.


Die Textkritik bei Sh. ist ja nicht umsonst der seit Jarhunderten produktivste Zweig der nicht nur anglistischen Philologie. Und da Sh. immer auf mehreren Ebenen, nicht nur der theatralischen, funktioniert, selbst in den "leichten" Komödien, erfaßt man die ganze Bandbreite der motivischen und literarischen Verweise, aber auch die strukturellen Kniffe erst im Schriftstudium. Ganz zu Schweigen von den historischen Stücken, die eine ziemlich aufwendige Einarbeitung erfordern - da reicht so ein Filmexperimentchen wie etwa von Pacino längst nicht hin.

Das Problem aller Verfilmungen ist, daß Film als visuelles Medium dem Text immer nur den 2. Rang einräumen kann. Gekürzt wird natürlich auch auf der Bühne, aber im Film eben noch krasser, weil die typisch filmischen Ausdrucksmittel ihren Platz bzw. ihre Zeit beanspruchen. Da gebe ich jororo recht, die Sprache ist und bleibt das Hauptmedium und sollte bei Sh. - denn das gibt er locker her - auch in Schriftform goutiert werden. Das ist sicher nicht jedem möglich, und in meinem Fall hilft es, daß ich mich seit dem Studium und der Abschlußarbeit eigentlich immer mit Sh. beschäftigt habe (---> mein eigener kleiner Angeber-Regalmeter  :icon_mrgreen:).

Pierrot: Evtl. könnten Dich die TV-Produktionen der BBC aus den 70er/80er Jahren interessieren, im Text weitgehend ungekürzt, sparsame Kulissen (eher theaterorientiert), aber eben solide bis hervorragende, bühnengeschulte Darsteller. Ein Highlight: John Cleese in The Taming of the Shrew, genial und doch un-pythonesk.

cu, r.

Chowyunfat2

Mit der verschnörkelten Ausdrucksweise hab ich auch so meine Probleme, was wohl auch der Übersetzung von Ludwig Tieck liegt, die sehr an die altdeutsche romantische Sprache angepasst wurde (mir fallen oft sehr viele Reime auf, von denen ich mich frage, ob die wohl von Shakespeare so abgesegnet worden wären), welche, wenn auch in vereinfachter Form und leichter verdaulich, in in den meisten deutschen Synchronisationen Anwendung findet. aber irgendwie lohnt es sich doch immer wieder, sich die Zeit zu nehmen, diese zu entheddern. Im "Hamlet" von Zefferelli (mit Mel Gibson) beispielsweise wurde die dt. Synchro extrem stark vereinfacht (neben der Tatsache, daß die Handlung noch um die Hälfte geschnitten war), eignet sich daher für Einsteiger, allerdings hat ihr das auch ein bisschen den Zauber geraubt.
Wer sich bereits mit dem nackten Handlungsgerüst zufrieden gibt, und dann noch, so wie ich, auf Eastern abfährt, dem kann ich den Film "The Banquet" ans Herz legen. Wer auf Italowestern steht, "Django - die Totengräber warten schon".
Was mir an der Polanski-Verfilmung von Mabbeth nicht gefallen hat, waren die Szenen, in der John Finch quasi kaum agieren brauchte, weil er eben nicht sprechen musste bzw. die Monologe als Gedanken dargestellt wurden (die Klappe kann ich auch halten, da hätte man mich auch auf die Bühne stellen können). Die Orson-Welles-Fassung hat mich dagegen vom Hocker gehauen, da diese mit dem geringsten Aufwand den maximalen Effekt erzielt. Das ist es!

Crumby Crumb & the Cunty Bunch

Zitat von: ratz am 28 März 2010, 03:09:31
Nun gibt es dazu so extrem viel zu sagen, daß ich mich erst mal auf Looking for Richard beschränken will. Den hab ich vor ca. nem halben Jahr noch mal angeschaut, weil ich den irgendwie als cool erinnerte. War dann aber doch heftig enttäuscht.
Zum Einen, weil wieder einmal der pseudo-volkserzieherische Ansatz "Hey, unser Sh. ist doch für alle da" verfolgt wurde, mit absolut überflüssigen Passantenbefragungen. Dieses Geheuchle, jeder Klempner könnte einen Zugang finden, ist absurd, aber politisch korrekt. Brauch ich nicht. Alsdann groß anzukündigen, hier würde die komplexe Struktur verständlich gemacht - um dann doch wieder 1 oder 2 Subplots unter den Tisch fallen zu lassen. Auch dieses inszenierte Wir-diskutieren-mal-voll-kontrovers-vor-der-Kamera-Getue geht mir tierisch auf den Puffer. Und ganz verboten ist natürlich die verkehrtrumme Baseballmütze von Herrn P. zum Anzug, die ihn der Jugend so unheimlich näher bringt.  :kotz:

Das unterschreibe ich und ergänze, daß das alles so nervt, weil da ein mittelmäßiger überhypter Schauspieler denkt, er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen und müsse das nun der Welt beweisen.
Baz Luhrmann nimmt zwar einen anderen Weg, um dem Klempner Shakespeare schmackhaft zu machen, verirrt sich dabei aber spätestens nach 10 Minuten in der style over substance Formel - zu überladen auf cool getrimmt und im Ergebnis unfreiwillig komisch wirkt das Ganze - aber dem Pöbel gefällts vermutlich trotzdem besser als das Pacino Vehikel.
Bei den modernisierten Verfilmungen gefiel mir damals Ethan Hawke als Hamlet ganz gut, der setzte nur auf neue Kulisse und verzichtete auf sonstige Spielereien.
'Are you talkin' to me? You talkin' to me?' - Raging Bull, Pacino. Love that movie!

pm.diebelshausen

Da bekommt Pacino ja ne Menge Gegenwind. Verstehe zwar nicht ganz, warum man ihm seinen Richard bis hin zum Mützchen so übelnimmt, aber vielleicht hat er bei mir offene Türen eingerannt und bei anderen ist er halt gegen die Fensterscheibe geflogen.

Zitat von: LeCrumb am 28 März 2010, 13:36:31
ein mittelmäßiger überhypter Schauspieler

Bezieht sich das denn auf seinen Richard oder auf Pacino generell? Letzteres würde dann erklären, warum der Film kaum eine Chance hatte.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Crumby Crumb & the Cunty Bunch

Das bezieht sich schon auf Pacino. Ich bewundere sein Talent, grimmig laut "Fuck" und all seine Derivate brüllen zu können, aber danach hörts dann auch schon auf.
'Are you talkin' to me? You talkin' to me?' - Raging Bull, Pacino. Love that movie!

pm.diebelshausen

Yo - dann brauchen wir an dem Punkt natürlich nicht weiterreden und ich wünsche mir unbedingt mehr Mittelmaß!  :dodo:

Ich habe "Looking for Richard" gar nicht arrogant und mit Löffelweisheit vorgetragen erlebt, sondern mehr als Essay, als Versuch, als Spiel - als Abschweifung, die selbstverständlich nicht Schule machen soll und kann. Es wäre absolut blödsinnig, zu sagen: So muss man Shakespeare verfilmen und das machen wir jetzt mit allen 35 oder was Stücken.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Chowyunfat2

Ich bin zwar kein Klempner, aber ich glaube auch nicht, daß man Absolvent einer Elite-Uni gewesen sein muß, um einen Zugang zu Sh. zu finden. Entweder interessiert einen das Zeugs und gibt einem etwas oder eben nicht. Ich habe ein Problem damit, das SH immer so dargestellt wird, als wäre es wer-weiß-wie-anspruchsvoll und nur was für Professoren. Klar haben mir solche Experten bei dem Thema 'ne Menge voraus, und davor ziehe ich auch in Demut meinen Hut und höre ihnen gerne zu, aber wenn diese sich einbilden, daß NUR sie den Meister verstehen können, ist das lächerlich und anmaßend. Das erinnert mich ein wenig an versnobte "Übermenschen-Aristokratie". In "Looking for Richard" ist eben versucht worden, damit aufzuräumen, über die Art und Weise läßt sich streiten, aber ich denke nicht, daß der Film danach trachtet, irgendwelche "Experten" beeindrucken zu wollen.

ratz

Zitat von: pm.diebelshausen am 28 März 2010, 14:14:40
Da bekommt Pacino ja ne Menge Gegenwind.


Nee, klar, und für höheres Schülerniveau (Abitur) ist der Film vielleicht sogar hilfreich, ein paar Hemmungen abzubauen, eben wegen der unkonventionellen Verschränkung von Spiel- und (gestellten) Dokuszenen. Trotzdem bleibt es eine selbstverliebte Nabelschau, die evtl. nicht jeden stört.
Pacino spielt am Ende doch immer nur sich selbst (seine m. E. beste Leistung: Hundstage), und für Shakespeare ist das nicht immer nützlich (nicht allein wegen des unpassenden Italo/Ami-Akzents). Im Kaufmann von Venedig geht das gerade noch - obwohl gerade diese Verfilmung ein schönes Beispiel dafür ist, wie sogar Sh. glattgebügelt und für den heutigen Geschmack zensiert (!) wird. Die Juden-kritischen Passagen nämlich, die bestimmte zeitgenössische soziale und gesellschaftliche Aspekte des Judentums (aus dem Munde Shylocks!) durchaus negativ herausstellen und die man heute beflissen unter Antisemitismus ablegen würde, sind im Film natürlich gnadenlos herausgestrichen. So schlägt Auschwitz zurück in einen unkritischen Philosemitismus, und wohl dem, der willens und fähig ist, am Originaltext die wesentlich komplexeren Umstände zu eruieren.

Zitat von: Chowyunfat2 am 28 März 2010, 15:08:29

Ich bin zwar kein Klempner, aber ich glaube auch nicht, daß man Absolvent einer Elite-Uni gewesen sein muß...

Du gibst aber zu, daß Du ein seltenes Exemplar bist, denn, und das ist ja nun mal so, es hat der Bildungsabschluß durchaus Auswirkungen auf die Freizeitbeschäftigung bzw. deren intellektuelle Durchdringung. Und das Schöne an Sh. ist freilich, daß für jeden etwas dabei ist, vom physischen Humor in den Subplots bis zu kulturellen Anspielungen in den Dialogen. Nach "oben" gibt es, selbst für Professoren, kein Limit, und daher kann man sich mit einem einzigen Sh.-Drama quasi unendlich auseinandersetzen.

cu, r.

pm.diebelshausen

28 März 2010, 15:43:44 #16 Letzte Bearbeitung: 28 März 2010, 15:46:28 von pm.diebelshausen
Was mir an Pacinos Film ausserdem gefällt ist der Humor. Nicht nur, dass er womöglich versucht, Shakespeare Leuten nahezubringen, denen normalerweise die nötige Bildung für sowas wie Shakespeare abgesprochen wird (ist mir eigentlich völlig wurscht, dieses Thema - soll sich doch jeder dem Shakespeare aussetzen, wie er/sie es für richtig hält - *gähn*), sondern der Film ist sehr witzig geschnitten. Wenn das auch alles inszeniert ist (dann aber nicht ganz schlecht), so finde ich in der Szene, in der Pacino (angeblich) Studenten fragt, was das denn heißen soll "summer of our discontent" etc., den Schnitt auf das knutschende Pärchen statt einer Antwort einfach witzig. Und trotz der rasanten, puzzleartigen Montage entwickeln sich nach und nach die Gedanken zu Richard und Shakespeare, auch wenn die dem ein oder anderen zu oberflächlich und nicht neu und originell genug sind.

PS.: außerdem tauchen die konventionellen "Kenner" ja ebenso auf wie die Desinteressierten.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Chowyunfat2

@ratz:
Was den "Kaufmann" betrifft (kenne auch nur die "Pacino"-Version), so habe ich mich noch nicht umfassend damit auseinander gesetzt, das einzige, was haften blieb, ist, daß das Stück (wie auch "Otello") in seinem Ursprung rassistischer Natur gewesen sein soll, und Shakespeare, so mein subjektiver Eindruck, diese Figuren allerdings in unbefangener Art und Weise um eine menschlich nachvollziehbare Komponente erweitert hat (auch wenn beide "Schurken" sind und bleiben). Oder lüge ich mir damit in die Tasche? Ich denke, Antisemitismus und Rassismus war in dieser Zeit generell verbreitet und alles andere als "politisch un-korrekt", und die Frage, ob Shakespeare ein Rassist war, finde ich sehr interessant und spätestens ab hier fehlt es mir massiv an Grundwissen und da würde mich die Meinung von eben von mir genannten Experten interessieren...
*edit*
Ok, ich gebe zu, das würde dem Thread eine verkehrte Richtung geben, aber jetzt noch extra einen aufzumachen, wär auch übertrieben (zumindest in einem Film-Forum)

jororo

Othello ist natürlich kein Schurke, er ist der Held seiner Tragödie, der am Ende scheitert, weil er seiner Eifersucht (eine typisch "schwarze" Eigenschaft im Denken der Zeit!) nicht Herr wird. Ansonsten ist er allen Italienern im Stück sowohl als Feldherr als auch als Liebahber weit überlegen, sein "moralischer Kompass" ist ungebrochen, er wird eigentlich trotz seiner schwarzen Haut von allen bewundert. Bleibt die Eifersucht und die daraus entstehende "Getriebenheit" durch seine Leidenschaften, die man aus heutiger Sicht als "rassistisch" bezeichnen würde.

Shylock ist eine reine Klischeefigur, die allerdings in seiner berühmten GErichtsrede ("Wenn Ihr mich stecht...")durchaus ins Positive gewendet wird (ansatzweise), außerdem tut Shylock nichts Unrechtes, eigentlich wird er von seiner christlichen Umwelt mit List und Tücke (also eigentlich "jüdischen" Eigenschaften!) herein gelegt - zugegeben, eine sehr moderne Lesart. Auch er ist aus heutiger Sicht eine recht "rassistische" Figur.
Allerdings stellt sich natürlich die Frage, ob man von Rassismus reden kann,wenn es den damals noch gar nicht gab (zumindest nicht als Konzept - im Denken der Menschen war praktisch kein Platz dafür,andere Gruppen als "gleichberechtigt" zu betrachten - andere Volksgruppen waren nur dazu da,um von den "ziviliserten" Völkern (die europäisch und, ja, auch christlich waren) bekehrt und "geführt" zu werden.klar ist das für uns heute rassistisch und auch schwachsinnig, aber damals gab es eben praktisch keine andere Denkart, so etwas konnte sich erst mit der Aufklärung entwickeln, und schlug auch da erst mal ins Gegenteil (Rousseaus Konzet des "edlen Wilden" z. Bsp., das ja auch im Kern rassistisch aus unserer Sicht ist)).

Die Frage ist also, wie inszeniert man das heute -  ironische Brechung, Überzeichnung, Herunterspielen, Zensieren, oder evtl. direktes Thematisieren...
Was bringen die ganzen PISA-Studien, wenn das Hessenabitur schon als Behindertenausweis anerkannt wird? (S. Hieronymus)

https://www.youtube.com/watch?v=jQJ8Pofd_X8

pm.diebelshausen

28 März 2010, 22:55:16 #19 Letzte Bearbeitung: 29 März 2010, 23:12:16 von pm.diebelshausen
"Rassismus" ist wohl wirklich das falsche Wort. Eine Differenzierung des Menschen in Rassen ist doch jünger. "Antisemitismus" - ohne Zweifel ein altes Thema. Es gibt ja Gründe für die alten jüdischen Ghettos in den Großstädten lange vor den Nazis. Man sollte sich vor Augen halten, dass größere soziale Gemeinschaften vor allem durch die Religion zusammengehalten und abgegrenzt wurden. Gemeinsame Riten usw. sind nach Innen identitätsstiftend und nach außen abschottend - daher auch das Fremde beim Betrachten anderer sozialer/religiöser Gruppen und das Unverständnis. So konnten die Christen den Juden stets leicht irgendwelche Horrorstories andichten (Blut eines Christenkindes für irgendwelche Zeremonien und sowas), um den eigenen Gruppenzusammenhalt durch ein klares Feindbild zu stärken. All das findet seinen Niederschlag wohl auch bei Shakespeare. Aber gerade die von jororo etwas lapidar erwähnte, berühmte Shylock-Rede nivelliert ja all die Unterschiede, die real oder als Vorurteile bestehen und macht ihn trotz allem zu dem, was er eigentlich ist: ein Mensch wie jeder andere mit allem was zum Menschsein gehört - positiv und negativ (er ist ja auch kein Engel).

Nur kann man heute nicht so tun, als wär nix gewesen und als könne man Shakespeare so machen und auch so sehen wie seinerzeit als die Stücke entstanden.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Chowyunfat2

Was "Othello" angeht, bin ich mir (im Gegensatz zu Shylok) auch gar nicht sicher, ob es sich da wirklich um eine "rassistische" Vorlage handelte, derer sich Sh. bedient hatte. Es lag nur eben nah, schwarz, am Ende wahnsinniger Mörder. Ich meine, der einzige Farbige, der in "Titus" vorkam, (oder war er nur im Film 'schwarz'?) war meines Wissens auch der "fieseste" von allen (auch wenn sich die Protagonisten in diesem Stück in Sachen Niedertracht gegenseitig nicht viel schenken). Daher dachte ich mal, das diese Frage es wert wäre, mal gestellt zu werden.

ratz


Titus Andronicus wollte man ja lange nicht mal als von Sh. geschrieben anerkennen, inzwischen gilt es als eines seiner ersten Stücke, noch fast eine reine Revenge Tragedy, krass blutig und noch nicht sehr subtil. Aron ist hier wirklich schwarz und seine Bosheit seltsam unmotiviert (seine Rede im Gotenlager). Ähnlich schwarz und böse ist nur noch Caliban im "Tempest" (Diese Adaption kann man übrigens ignorieren, falls man nicht auf Catherine Heigl steht, und ob Prospero's Books je auf DVD erscheint, wissen die Götter).
Shylock beruht ja auf der Vorlage des Jew of Malta von Marlowe, und dieser ist wirklich das typische, üble Klischeebild, ganz platt, das sich so noch einige Jahrhunderte halten sollte. Sh. bedient dieses Klischees auch, erweitert es aber um die schon erwähnte, sagen wir mal humanistische Komponente. Daß die dann in der oben genannten Verfilmung als einzige übrigbleibt, ist halt schade und mindestens ebenso eindimensional. Noch kurz zum Othello: Die Verfilmung mit, aber nicht von Branagh als Jago finde ich schwach, die von Orson Welles hab ich lange nicht gesehen, "O" geht so, naja, aber scharf bin ich auf diese (schaut da jemand in die Kamera?  :icon_mrgreen:):

Othello: Iago (Ian McKellen) tells of a handkerchief, 1/2


Ein paar Widerhaken bleiben halt. In Der Widerspenstigen Zähmung wird eine garstige (heute würde man sagen: emanzipierte) Kratzbürste durch Psychoterror zur Raison gebracht, am Schluß singt sie das Lob auf die gefügige Ehefrau. Prominent hat das nur Zefirelli mit Richard Burton und Elizabeth Taylor umgesetzt, aber eher als Bilderbogen, krass im Text gekürzt, und mehr Starvehikel als Literaturverfilmung. Alternativ die BBC, siehe oben. Sowas kann man einem heutigen (weiblichen) Publikum nicht mehr einfach so vorsetzen, sondern muß sich irgendeine Ironisierung oder Adaption einfallen lassen - ist mir aber keine bekannt. Hat jemand 10 Dinge die ich an Dir hasse gesehen? Ist ja der nämliche Plot, aber ohne die Originaltexte hab ich irgendwie wenig Lust drauf.

cu, r.

Chowyunfat2

Naja man darf sicher davon ausgehen, das der Meister seine Vorlagen auch nicht auf eventuelle Rassendiskriminierungen abgesucht hat, weil diese 400 Jahre später in einem Filmforum als anstößig wahrgenommen werden könnten.
WENN er aber nun doch ein Rassist war, kann man konsequenterweise darauf schließen, daß er ein ausgewiesener Hasser der weißen Rasse gewesen sein muß, denn die gutherzigen Protagonisten seiner Dramen kann man ja an einer Hand abzählen, und zu denen gehört, mit Abstrichen, auch Othello...
*Topic*
"von 10 Dingen, die.." habe ich nur einen Trailer gesehen, bei welchem ich es ebenfalls belassen werde!
Welche "Hamlet"-Verfilmung (mein Lieblingsdrama) findet ihr eigentlich am besten?
Die einzig ungekürzte ist ja der 4-stündige mit K. Branagh, oder ist mir etwa was entgangen?

ratz


So, jetzt haben wir alle andere vergrault  :icon_mrgreen:.

Hamlet ist für mich das Stück mit dem stärksten "Lesecharakter", weil es so unheimlich inhaltlich vollgestopft und auch der - nach Bibel und Koran - meistkommentierte Text der Welt ist. Daher hatte und habe ich nicht das Bedürfnis, Versionen davon zu sammeln. Um Branagh kommt man natürlich nicht herum, ist tatsächlich die einzige ungekürzte Umsetzung, und ich werde mal (evtl. schon morgen) eine vor genau einem Jahr (:icon_eek:) anderswo hinterlassene Kurzkritik ausbauen und jetzt erstmal nix dazu sagen.
Sonst hab ich nur den Zefirelli mit Mel Gibson, den ich gar nicht schlecht finde, weil er nicht ganz so lang und anstrengend ist, aber doch schön gemacht. Und Ian Holm als Polonius ist perfekt besetzt (es gibt übrigens eine neuere Lear-Verfilmung mit ihm), die inzestuösen Anklänge zwischen Hamlet und seiner Mutter gut herausgearbeitet, das Setting authentisch. Nur Paul Scofield als Geist ist seltsam blass, aber vielleicht mit Absicht.
Prominent ist ja noch Laurence Oliviers Version aus den 40ern, die kommt mir zusammen mit seinem Henry V und Richard III irgendwann dieses Jahr noch ins Haus.

Und selbst?

cu, r.

SutterCain

Ohne alle Kommentare gelesen zu haben, antworte ich folgendrmaßen auf die Threadfrage in der Hoffnung nicht irgendwelche Gedanken, die hier schon geäußert worden sind, zu wiederholen:

Indem man die Vorlage in irgendeiner Weise neu formt. Dabei ist es völlig egal, ob man den Stoff modernisiert, also in die Gegenwart, Zukunft oder irgendeine der Vorlage nicht entsprechende Epoche transferiert. Wichtig ist lediglich, dass man etwas Neues hinzuzufügen hat. Zwar kann auch das gewaltig in die Hose gehen, von Kritikern und Publikum verachtet werden, aber ich bin der festen Überzeugung, dass dies gewissermaßen die Voraussetzung für eine lohnenwerte Adaption ist. Ein braves Runterkurbeln des Shakespearetextes reicht nicht, selbst wenn man Schauspieler der Royal Shakespeare Company auffährt. Die BBC-Adaptionen der späten 70er und frühen 80er belegen meinen Standpunkt mehr als deutlich. Zwar ist der BBC sicherlich das damalige Gesamtprojekt hoch anzurechnen - das Resultat ist trotzdem alles andere als gute Werbung für die wahrscheinlich besten Dramen der westlichen Kultur.

Having said that, möchte ich endlich die Zeit finden, zwei HAMLET-Fassungen mit Patrick Stewart als Claudius zu vergleichen, die seit längerer (BBC-Fassung aus dem Jahre 1980) und kürzerer (BBC-Fassung vom Dezember 2009) Zeit bei mir rumliegen. Der Mann könnte das Telefonbuch vorlesen und es wäre höchstwahrscheinlich spannender als jeder jeder Tatort.

Chowyunfat2

Aaaarghh... Wenn ich bloß vernünftig Englisch beherrschen würde, wär ich auch nicht nur auf die paar Filme mit deutschen Synchro's angewiesen:
Der Branagh-Hamlet ist und bleibt mein Favorit (allein wegen der Vollständigkeit), obwohl mir bei Zeffirelli's Film die dt. Synchro mäßig, Mel Gibson gut, und die düstere Mittelalter-Kulisse sogar besser gefallen hat als bei erstgenanntem, bei welcher ich übrigens Derek Jacobi als "Claudius" am besten fand, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal einen Schurken so von ganzen Herzen hassen konnte, wie dort. Beim Olivier-Teil hat es mich angeödet, daß er im Film selbst nicht oft sprechen musste, und seine Monologe meist als Gedanken dargestellt wurden, und er eigentlich nur noch "mysteriös" dreinschauen brauchte. Und für die Ethan-Hawke-Version traue ich mich bis heute noch nicht, Geld auszugeben...
Zum Drama selbst brennt mir zum einen folgendes unter den Nägeln:
Shakespeare's Motivation! Ich bilde mir ja ein, im Handlungsgerüst Parallelen zur Machtübernahme seitens Henry VIII. erkannt zu haben, und wenn man bedenkt, daß dieser der Vater von der zur selben Zeit regierenden Elisabeth I. war, und eine Tudor-Diffamierung Sh. sicher das Leben gekostet hätte, könnte ich mir vorstellen, daß er seine eventuellen Vorbehalte gegen die protestantische Regierung (sh's papa war ja Katholik bzw. "Papist" und war Verfolgungen durch die "ketzerische" Königin ausgesetzt) geschickt so verschachtelt hat, indem er sich der (sich in Dänemark abspielenden, und damit außerhalb der "Vaterlandsverrats-technisch"-heiklen Gefahrenzone befindenden, entschuldige diese unmögliche Ausdrucksweise) Grammaticus-Vorlage bedient hat (und diese hat ja, außer eben Brudermord und verstellten Wahnsinn, nix mehr mit seiner, ungefähr 5 mal so langen Version gemein), sich mit diesem Ahmletus identifiziert hat und diesen dann als sein "Alter Ego, Hamlet" das berühmte Schauspiel vor den Augen seines Onkels hat aufführen lassen? Das mit dem entlarvenden Schauspiel war ja seine Idee (oder? jedenfalls nicht die von Saxo!) und er soll ja auch am Königshof (ob nun er persönlich oder nur seine Schauspieler/Stücke, ist mir nicht bekannt) hin und wieder Vorstellungen abgehalten haben (z. B. "Falstaff").
Ich gebe zu, ich habe mir das jetzt ein bisschen halbwissend "Dittsche"-like zusammengereimt, aber
vielleicht ist "Hamlet" auch ein bisschen eine unterschwellige Abrechnung mit seinem England, was meint ihr?

Crumby Crumb & the Cunty Bunch

Bei der Gelegenheit fällt mir ein: "Claudius, Du hast meinen Alten umgenietet- mächtig großer Fehler!"
Damals noch ironisch gemeint, würde Bay den Stoff heute vermutlich genau so umsetzen.
'Are you talkin' to me? You talkin' to me?' - Raging Bull, Pacino. Love that movie!

jororo

Ob Shakespeare jetzt katholisch war oder nicht (auch der Familie seiner Frau wurden ähnliche Tendenzne nachgesagt) ist reine Spekulation, in King John z.Bsp. wird die katholsiche Kirche SEHR negativ gezeichnet, aber immerhin ist er unter protestantischen Monarchen zu Ruhm und Ehren gekommen. Die Familie Heinrichs VIII wird auch eher positiv gezeichnet, man beachte das sehr optimistische Ende von Richard III, als Heinrichs Vater den Thron besteigt. Auch Henry VIII, das Stück, auch wenn er das nicht allein verfasst hat, ist sehr positiv.
Inwiefern das Kalkül war (Henry VIII durfte erst nach dem Tod Elisabeths I veröffentlicht/aufgeführt werden, banquo aus Macbeth wird gerne als Anbiederung an seinen  Nachfahr James VI/I verstanden, jedes Druck- und Bühenerzeugnis ging durch strenge Zensur) ist heute nicht mehr festzustellen, ich persönlich lese das in Hamlet eigentlich nicht (die VAter-Sohn- beziehung kann natürlich auch als Umdeutung der Realität, Shakespeares Sohn Hamnet war immerhin gestorben, gelesen werden), ich verstehe den Text als "Fallstudie" über Wahnsinn, Bessenheit und Fanatismus, in der einem Ziel alles andere untergeordnet wird und die Realität "verschwimmt". Gerade dazu empfehle ich das Stück "Rosencrantz and Guildenstern are dead", auch als Film, das genau dieses Verschwimmen durch ständiges Überkreuzen von "neuem" und "klassischen" Text erzeugt.

ach ja
@diebelshausen: findest du, dass Shylock durch die Rede aus seinem Rollendasein heraus kommt? Ich finde, sie löst ihn nicht ganz aus dem "Klischeerollendasein" (auch wenn sie seinem Charakter nötige "Widerhaken" gibt, um aus der reinen Klischeezitierung ansatzweise heraus zu treten), was man ja auch am Schluss merkt, wenn es ihm nur um Geld und das eigene Leben geht. Die Rede wurde ja auch in den folgenden Jahrhunderten als Heuchelei interpretiert und inszeniert, also als Bekräftigung der "verlogenen Natur der Juden"
Was bringen die ganzen PISA-Studien, wenn das Hessenabitur schon als Behindertenausweis anerkannt wird? (S. Hieronymus)

https://www.youtube.com/watch?v=jQJ8Pofd_X8

ratz

Zitat von: SutterCain am 30 März 2010, 00:27:30

Indem man die Vorlage in irgendeiner Weise neu formt. Dabei ist es völlig egal, ob man den Stoff modernisiert, also in die Gegenwart, Zukunft oder irgendeine der Vorlage nicht entsprechende Epoche transferiert. Wichtig ist lediglich, dass man etwas Neues hinzuzufügen hat. Zwar kann auch das gewaltig in die Hose gehen, von Kritikern und Publikum verachtet werden, aber ich bin der festen Überzeugung, dass dies gewissermaßen die Voraussetzung für eine lohnenwerte Adaption ist. Ein braves Runterkurbeln des Shakespearetextes reicht nicht, selbst wenn man Schauspieler der Royal Shakespeare Company auffährt. Die BBC-Adaptionen der späten 70er und frühen 80er belegen meinen Standpunkt mehr als deutlich. Zwar ist der BBC sicherlich das damalige Gesamtprojekt hoch anzurechnen - das Resultat ist trotzdem alles andere als gute Werbung für die wahrscheinlich besten Dramen der westlichen Kultur.


Ich will dir zugleich rechtgeben und widersprechen. Wenn man, durchaus berechtigt, die Schaubühne bzw. die Kinoleinwand als moralische Anstalt betrachtet und die alten Stoffe irgendwie für die Gegenwart sinnvoll aufarbeiten will, dann müssen Bezüge zur Jetztzeit hergestellt, Aktualitäten produziert, und es muß das Publikum von heute angesprochen werden. Dergleichen ist ja in Taymors Titus, Luhrmanns R+J oder dem Richard III mit McKellen passiert, und selbst wenn es schiefgegangen ist, ist doch der Versuch aller Ehren wert. Auf der anderen Seite hat der Versuch, den reinen Text zu bebildern, auch seine Berechtigung, und gerade im Fall der BBC spielt sich das Aufkommen des New Historicism eine Rolle. Diese "runtergekurbelten" Versionen verstehen sich ja auch nicht als gewagte Neuinterpretation, sondern versuchen vielmehr, eine Theatererlebnis so gut wie möglich, und dabei interpretatorisch "neutral", wiederzugeben: Zeitgenössische Kostüme, saubere Sprache, lange Einstellungen ohne Schnitte, in denen sich die Mono- u. Dialoge bühnenhaft entfalten. Ins Regal will ich mir die BBC-Dinger auch nicht stellen, aber als Bebilderung eines Textes finde ich sie nützlich und gut.

Zitat von: Chowyunfat2 am 30 März 2010, 01:24:43

Aaaarghh... Wenn ich bloß vernünftig Englisch beherrschen würde...


Heul nicht rum  :icon_mrgreen:, sondern nimm Dir ein zweisprachiges Reclamheftchen, oder noch einfacher, schau die Filme im O-Ton mit dt. UT. Natürlich ist es Arbeit, aber eine, die sich lohnt!

Zitat von: Chowyunfat2 am 30 März 2010, 01:24:43

Shakespeare's Motivation!


In diese Gefilde kann und will ich nicht folgen, für mich ist der Autor in mehr als einer Hinsicht tot, und das ist auch gut so.


Zitat von: jororo am 30 März 2010, 09:36:57

Gerade dazu empfehle ich das Stück "Rosencrantz and Guildenstern are dead", auch als Film, das genau dieses Verschwimmen durch ständiges Überkreuzen von "neuem" und "klassischen" Text erzeugt.


Wird ja auf deutschen Bühnen nicht gegeben, und die dt. DVD ist vergriffen. Die US-Doppeledition kann ich empfehlen, hat umfangreiche Interviews mit Stoppard und den Darstellern.

Zitat von: LeCrumb am 30 März 2010, 01:32:19
Bei der Gelegenheit fällt mir ein: "Claudius, Du hast meinen Alten umgenietet- mächtig großer Fehler!"
Damals noch ironisch gemeint, würde Bay den Stoff heute vermutlich genau so umsetzen.

Hehe, hatte ich ganz vergessen. Man vergleiche übrigens den O-Ton und die deutsche Synchro!

Hamlet Arnold

cu, r.

Intergalactic Ape-Man

Was hält das sublime Bildungsbürgertum denn von der Herangehensweise Kurosawas? Sollte der Name gefallen sein, habe ich ihn wohl überlesen. Ran empfand ich jetzt in Unkenntnis King Lears seiner Zeit durchaus respektierlich. Aber ich mag ja auch 10 Dinge, die ich an dir hasse, Django - Die Totengräber warten schon und Tromeo and Juliet. Daher komme ich mich als Hauptschüler ohne Klemptnereilehrgang nun auch so ordinär vor. :king:

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