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Grass wieder mal Nazi

Begonnen von ratz, 8 April 2012, 18:10:05

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ratz

8 April 2012, 18:10:05 Letzte Bearbeitung: 8 April 2012, 18:18:02 von ratz
Ein höchstens mittelprächtiges Gedicht, das allerdings die öffentlichen Meinungswächter mit ihren flammenden Schwertern in erschreckend geschlossener Phalanx mobilisiert.

Zumal die fast einhellige Meinung der kommentierenden Leser, und zwar nicht nur auf der oben genannten Website, ganz anders klingt. Wieder mal ein schönes Lehrstück unserer sog. Mediendemokratie, deren effektive Gleichschaltung den Führer in Ehrfurcht hätte erschauern lassen.

Daß die Israelis jetzt noch geifernd an ihren selbst hingestellten Käfigstäben rütteln, ist nur noch das pünktlich gesetzte Tüpfelchen auf dem i.

Osterloch, schätz ich mal.

cu, r.

pm.diebelshausen

8 April 2012, 20:41:05 #1 Letzte Bearbeitung: 8 April 2012, 20:47:31 von pm.diebelshausen
Zitat von: ratz am  8 April 2012, 18:10:05
Ein höchstens mittelprächtiges Gedicht
Und daran anschließend (danke für den Link) habe ich jetzt auch diesen Artikel gelesen, über eine Aktion, von der mir erst vorgestern erstmals ein Freund berichtete und on der viel mehr zu lesen sein sollte. Denn das eine sind die administrativen Konstrukte, das andere ist das tägliche Leben der Menschen. Vielleicht bedeutet die soziale Vernetzung im Internet und jenseits der Staatspolitik ja doch eine neue Kraft im Machtgefüge. Auch der jüngste Umbruch in manchen muslimischen Staaten war ja zum Teil mithilfe der Selbstinformation per www ermöglicht.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Travelling Matt

Wenn wir hier statt Büchern schon "Leserbriefe" und Internetfundstücke posten: ich hab gerade http://blog.tagesschau.de/2012/04/09/grass-eine-zwischenbilanz/ gelesen. ;)

pm.diebelshausen

9 April 2012, 15:02:10 #3 Letzte Bearbeitung: 9 April 2012, 16:39:05 von pm.diebelshausen
Für mich ist die ganze Nummer mal wieder eine sogenannte "Debatte", die aber keineswegs in irgendeiner Form eine ist, sondern nur die Gelegenheit für alle, mal wieder rauszuposaunen, was sie vorher schon wussten und wovon sie sich komme was wolle auch weiterhin überzeugt geben werden. Ein Austausch, ein Hören der anderen Meinung finden wie üblich in Deutschland nicht statt und deswegen wird auch bei dieser "Debatte" am Ende etwas stehen, was es in den vergangenen Jahren bei all diesen Debatten auch gab: kein Ergebnis.

ZitatDie Grass-Kritiker betonen in diesem Zusammenhang, dass gerade die Atomwaffen, über die Israel verfügen soll (was im Übrigen nicht bewiesen sei), eben genau diesen “Flächenbrand” verhinderten, da die Abschreckung funktioniere.

Dieser Satz aus der angeblichen Zwischenbilanz, die aber nichts weiter ist als noch ein Werturteil, gefällt mir besonders gut, weil er mich an meine Kindheit erinnert und das schön stabile System des Wettrüstens zwischen Ost und West, das bis auf die eine oder andere ganz knappe Krise tatsächlich ganz hervorragend funktioniert hat. Zu damals und zu dieser Tagesschaumeinung möchte ich gerne gratulieren: Herzlichen Glückwunsch. Zumal das Problemargument gleich mitgeliefert wird, allerdings mit eigentlich anderer Stoßrichtung:

ZitatSo eine Perspektive lässt sich von Schwerin, Kassel oder Freiburg aus gesehen bequem formulieren, immerhin ist es nicht Deutschland, das regelmäßig von anderen Staatschefs als “tödliches Krebsgeschwür” bezeichnet wird, das herausgeschnitten werden müsse. Wenn es nicht um die Sicherheit der eigenen Kinder geht, die von Fanatikern bedroht wird, lässt sich entspannt über die Lage fachsimpeln.

Ja. Wie gesagt: Glückwunsch, lieber Patrick Gensing, auch zu Deiner Auffassung von Kunst und Literatur.  :viney:

Das ist auch super, denn da versteht einer die Alternative gründlich miss:

ZitatDie Friedensfreunde setzen hingegen auf die Strategie: Alle werfen ihre Waffen weg, dann wird alles gut

Ganz falsch: die Idee lautet vielmehr "Nehmt Eure Waffen mit, trefft Euch auf dem Schießstand, esst und trinkt hernach, geht mit der Gewissheit, Menschen kennengelernt zu haben nach Hause und schreibt Euch ab und zu eine Postkarte. Dann tut Ihr schon viel gegen die Konzepteure des Hasses und für die Völkerverständigung." Aber wir müssen wohl erst Aliens entdecken, damit die Menschen ihre Gemeinsamkeiten wahrnehmen.

Jetzt noch meine Meinung, die ich auch vorher schon hatte:
Wenn wir geklärt haben, ob der Grass blöd und böse und kein Künstler ist oder ob er klug und gut und ein Künstler ist (bitte per Multiple-Choice Umfrage, so können wir uns dieses ganze Gegacker sparen), dann können wir jetzt bitte anfangen, über das Thema zu sprechen. Was hält denn Deutschland von Israels Außenpolitik? Und was sagen wir dazu? Jeder Einzelne? Finde ich gut? Finde ich nicht so gut? Finde ich arrogant? Finde ich faschistisch? Finde ich höchste Zeit? Finde ich zu lasch? Finde ich nicht der Rede wert? Finde ich genauso bescheuert wie alles andere außer Mutti? Solange dieses Gespräch nicht geführt wird und eine Haltung entsteht, wird es immer bei dem Gegacker bleiben und wir können froh sein, wenn ein selbstreflektierter Mensch wie Grass dazu beiträgt und nicht unbesonnene Hornochsen wie Möllemann oder Sarrazzin.



PS.: hätte ich Zeilenumbrüche mit Enjabement gemacht, wäre dieses Posting ein verdammt literaturnobelpreiswürdiges Gedicht eines Hornochsen.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

proximo

Kann mir mal bitte einer erklären, warum sich das Teil Gedicht nennt??

Liest sich wie n stinknormaler und noch nicht mal besonders schlauer Text.
When you watch a Jackie Chan Movie, you want to BE Jackie Chan!

Travelling Matt

Bei pm's (vor-)letztem Absatz muss ich irgendwie an das hier denken.  ;)

Mr. Blonde

9 April 2012, 16:26:47 #6 Letzte Bearbeitung: 9 April 2012, 16:29:23 von Mr. Blonde
Zitat von: proximo am  9 April 2012, 15:44:06
Kann mir mal bitte einer erklären, warum sich das Teil Gedicht nennt??

Weil es in Versform geschrieben ist und der Sprachstil ist ja nun auch eher stilisiert.  :00000109:

Das ganze Trara kapiere ich nicht so ganz und das plötzlich jeder Politiker/Mensch des öffentlichen Interesses  was "wichtiges" dazu zu sagen hat.

Und das Reich-Ranicki es ablehnt, dass Grass in seinem Gedicht den Israelis was "andichtet", kann ich auch nicht ganz nachvollziehen.

Zitat von: Reich-Ranicki,,Der Iran will Israel auslöschen, das kündigt der Präsident immer wieder an, und Günter Grass dichtet das Gegenteil. Das ist eine Gemeinheit, so etwas zu publizieren"



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mali

Zitat von: pm.diebelshausen am  9 April 2012, 15:02:10
Und was sagen wir dazu? Jeder Einzelne? Finde ich gut? Finde ich nicht so gut? Finde ich arrogant? Finde ich faschistisch? Finde ich höchste Zeit? Finde ich zu lasch? Finde ich nicht der Rede wert?

Das dürfen wir nicht besprechen. Israel ist ja de facto nicht zu kritisieren. Niemals und in keiner Hinsicht. Tut man es doch, ist man eben bestenfalls Antisemit und wenn man Pech hat, auch noch Nazi, SS-Scherge und Judenhasser o.Ä.. Sonst könnte man ja auch eventuell sagen, das man das hier http://de.wikipedia.org/wiki/Ship-to-Gaza-Zwischenfall Kacke fand, aber darf man ja leider nicht.

Ich finde eher als erstes sollte man jetzt erstmal alle Nobelpreisträger der letzten 50 Jahre auf deren Einstellung zur Israelischen Regierung hin überprüfen, mich dünkt da müssen bestimmt eine Menge Nobelpreise zurück gefordert werden.

Travelling Matt

Also, vielleicht lese ich einfach die falschen (bzw. richtigen) Medien, aber wo hat denn irgendjemand behauptet, dass die israelische Regierung nicht kritisiert werden dürfe? Das hat doch (jedenfalls nach dem was ich gelesen habe) bisher nur Grass selbst getan (naja, und NPD und Co...). Kritik an der israelischen Regierung ist alltäglich und weitverbreitet, man schaue sich nur mal die Bundestags-Drucksache 15/2392 an - der Antrag wurde von SPD, CDU/ CSU, Grünen und FDP getragen (i.e. nur die sog. "Linke" fehlt):

ZitatIsrael hat das Recht, seine Bürger vor Terroranschlägen und Bedrohung zu
schützen. Aber es muss dabei alle Anstrengungen unternehmen, um Opfer un-
ter der palästinensischen Zivilbevölkerung zu vermeiden. Die einschlägigen
Bestimmungen des internationalen Rechts sind einzuhalten. Israel wird aufge-
fordert, den Bau von Siedlungen einzustellen, die nach März 2001 errichteten
Siedlungen aufzulösen, die täglichen Behinderungen gegenüber der palästinen-
sischen Zivilbevölkerung aufzuheben und dem Ergebnis von abschließenden
Verhandlungen nicht mit der Errichtung von Mauern und Zäunen jenseits der
Grünen Linie vorzugreifen.

Vermutlich gibt's auch dazu jemanden, der behauptet, dass wäre antisemitisch - aber wenn Kritik an der israelischen Regierung derart weitverbreitet ist, kann von einem Tabu oder einer Antisemitismus-Keule oder ähnlichem doch nun wirklich nicht die Rede sein. :00000109:

pm.diebelshausen

Ja und warum regen sich dann so viele jetzt über dieses Gedichtchen auf? Dann sind sie ja eigentlich der selben Meinung wie Grass bezüglich der israelischen Außenpolitik und stimmen mit ihm nur in dem einen Punkt nicht überein, dass man diese Kritik nicht äußern könne, weil es da ein Tabu gebe. Dann sind ja alle einer Meinung und Israels Staatsführung muss auf den Teppich zurückgeholt werden. Schön, dass das jetzt endlich geklärt ist. Und wie machen wir das? Hm.

Um mal das Zitat zu nehmen: "es muss dabei alle Anstrengung unternehmen, um Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung zu vermeiden". Klingt gut. Nur zwei Dinge: ab wann sind alle Anstrengungen unternommen? Und: was passiert, wenn Israel dem nicht nachkommt? Drohkulisse? Fehlanzeige. Warum? Weil... ach so, da beißt sich die Katze leider in den Schwanz und Grass muss noch ein Gedicht schreiben, damit er wieder niedergebrüllt wird, weil man es ja problemlos sagen darf. Vielleicht ringen sich die Vereinten Nationen mal zu einem Handelsembargo auf. Und es kommt zu keiner Eis-am-Stiel-Koproduktion mit Deutschland mehr. Oder noch besser: wir verkaufen erstmal keine Waffen und U-Boote mehr an Israel, weil die doch nicht so wirklich alle Anstrengungen unternommen haben, um Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung zu vermeiden.

Komisch, irgendwie klingt das jetzt zynisch, aber das liegt wohl an mir, nicht an dieser verlogenen Drucksache 15/2392. Schön wäre es schon, wenn gleiches Recht für alle gelten würde, die USA ihr Rüstungsprogramm kontrollieren lassen müssten, so wie es andere Staaten auch sollen, wenn Israel sich dem Atomwaffensperrvertrag freiwillig anschließen und sich nicht mehr in eine Reihe mit Indien, Nordkorea und Pakistan jenseits dieses Vertrages stellen würde. Und sagen kann man das, ja. Wenn Grass es in einem Gedicht sagt, dann ist er aber ein schlechter Dichter und überhaupt. Und wenn ich das hier sage, hat das kein Gewicht. Und selbst wenn das Staatsvertreter sagen, ist es wurscht - denn mit "das darf man nicht sagen" ist eigentlich (und ich hoffe, jetzt fällt keiner aus allen Wolken) gemeint: "wer gegen internationales Recht oder menschenrechtliche und auch nur moralische Grundsätze verstößt, muss auch international, menschenrechtlich oder wenigstens moralisch belangt werden", egal ob USA, Nordkorea, China, Iran, Palästina, Lettland, Deutschland, Bayern, Taka-Tuka-Land. Aber - und das ist doch das, was immer wieder manche so aufregt, die dann sagen, man dürfe es nicht sagen - manche Staaten, die sich die große Freiheit (nicht die in Hamburg, leider) auf die Fahnen schreiben, stellen sich außerhalb der Rechtfertigung und gönnen sich Selbstgerechtigkeit.

Also: sagen darf man es. Stimmt. Dann gibt es aber Senge. Wie man sieht. Und sagen darf man es, aber nicht mit Nachdruck und der Aussicht auf Konsequenzen, denn sonst setzt es erstrecht was.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Travelling Matt

Sorry, aber Du machst es gerade echt schwer, vernünftig über die Themen zu diskutieren. Sowohl das Thema "aktuelle antisemitische Vorurteile" als auch das Thema "Nahostkonflikt(e)" sind für sich genommen schon kompliziert genug. Beides in einem Thread zu vermengen, macht eine Diskussion nicht gerade einfacher, im Gegenteil. Nicht gekennzeichnete Ironie macht es auch nicht besser - aus Deinem letzten Post habe ich zumindest herauslesen können, worauf Du hinaus willst, bei Deiner ersten Äußerung hier ("dieser Satz gefällt mir besonders gut") ist mir das nicht gelungen. Und wenn dann relativ eindeutige Aussagen komplett umgedeutet werden, wird einem Gespräch buchstäblich die Grundlage entzogen. Ich zumindest kann keine Gedanken lesen, und muss mich notgedrungen an das halten, was geschrieben wurde. Und da geht sowas

Zitat von: pm.diebelshausen am 10 April 2012, 00:04:45
denn mit "das darf man nicht sagen" ist eigentlich (und ich hoffe, jetzt fällt keiner aus allen Wolken) gemeint: "wer gegen internationales Recht oder menschenrechtliche und auch nur moralische Grundsätze verstößt, muss auch international, menschenrechtlich oder wenigstens moralisch belangt werden"

einfach überhaupt nicht. Das wäre schon jenseits jeder Deutungsmöglichkeit, wenn Du Dich dabei nur auf eigene Äußerungen beziehen würdest, aber aber mal so locker-flockig den ganzen Diskurs umzudeuten hat einfach wenig mit einer vernünftigen Diskussion zu tun.

pm.diebelshausen

10 April 2012, 02:36:21 #11 Letzte Bearbeitung: 10 April 2012, 02:42:32 von pm.diebelshausen
Witzig, weil ich ja gerade mehrfach versucht habe, klarzustellen, dass man über die eigentlichen Themen sprechen müsste und nicht über das über das zur Zeit so gesprochen wird.

"Dieser Satz gefällt mir besonders gut" ist auch nicht ironisch gemeint, sondern elliptisch, denn er besagt, dass er mir besonders gut gefällt (jetzt das Ausgelassene), weil er so selbstentlarvend ist. Er gefällt mir wirklich gut.

Wer gerade mal wieder alles miteinander vermengt, sind die Grass-Kritiker (wenn man als solche mal verallgemeinernd eine Mehrheit und eine grobe Tendenz in der Reaktion auf das Gedicht ausmachen darf). Nämlich als da überhaupt irgendwer mit "Antisemitismus" ankam und damit die "Debatte" (ich setze das weiterhin in Anführungszeichen), die möglich gewesen wäre, auf diese bescheuerte Ebene festgenagelt hat. Kopfschütteln kann ich auch nicht schreiben, deshalb Ironie. Aber bezieh Dich doch einfach mal auf die Sätze, die Du entschlüsseln konntest, die gibt es bestimmt, ich trau Dir das zu.

Der Satz, den Du von mir zitierst und den Du für "jenseits jeder Deutungsmöglichkeit" hältst und der für Dich gar nicht geht, ist doch nun wirklich nicht so schwer zu verstehen, weil ich vor ihm genau darüber geschrieben habe. Nochmal in kurz: sagen darf man es, aber es darf keine Bedeutung haben.

Wenn einer wie Grass es sagt (Ex-SS-Nazi, Literaturnobelpreisträger, öffentlichkeitswirksamer Querulant, Völkerverständigungsfreund usw.), dann hat das Gewicht und dann muss da ganz schnell gegengehalten werden, meinen so viele, dass die (ich sage es nochmal) möglich gewesene Debatte eine Farce und keine Debatte wird.

Ich finde nicht, dass ich da groß was umdeute, denn wir sprechen selbstverständlich hier nicht über Meinungsfreiheit in Deutschland - die gibt es Punkt. Ich hoffe, Du kennst mich aus diesem Forum zur Genüge, um mir zu unterstellen, dass es mir nicht um derartiges Gestammtischle geht. Es geht mir darum, dass wir erstens ein verlogener Staat mit einzig wirtschaftlich motivierter Politik sind, insbesondere hinsichtlich unseres Waffenexports, alle Moral in dieser Hinsicht über Bord geworfen haben und wenn einer kommt, der es mal moralisch versucht (und der in Grass' Fall auffällig häufig in seinem Text von sich selbst spricht), dann läuft da Reflexprogramm ab, das ihn dumm dastehen lassen und die Moral dem Gutmenschentum andichten will, als wäre Gutmenschentum ein Schimpfwort.

Und es geht darum, dass Stellung beziehen allein zwar gut ist für die Öffentlichkeit einer Gesellschaft, aber bloßes Lippenbekenntnis bleibt, wenn an den Überzeugungen keine Konsequenzen gebunden sind. Ich sehe einen großen Teil der deutschen Gesellschaft seit Jahren so, dass es zwar eine Öffentlichkeit gibt und so ziemlich alles möglich ist (und habe nie behauptet, dass man irgendwas nicht sagen dürfe - remember Sarrazzin-Thread), aber auf politisch/gesellschaftlicher Ebene keine Handlungen folgen außer jene wirtschaftlich motivierten. Das führt dann auch zu den Handelswegen, die im Interesse Deutschlands auch mal kriegerisch gewährleistet sein können und vielen, vielen schlauen Debatten im Fernsehen und im Feulliton und in Gremien, in denen auch wirklich richtige Dinge herausgearbeitet und gesagt werden, aber es dringt nicht in die Handlungsebene durch. Mehr wollte ich nicht sagen. Dafür brauchen wir nicht den Nahostkonflikt in seiner (auch historischen) Komplexität aufrollen geschweigedenn lösen.

Und ich glaube, ich habe jetzt keinen ironischen Satz formuliert.

Irgendwie habe ich das Gefühl, Du fühlst Dich von meinem Posting angegriffen. Komm mal rum, trinken wir nen Kaffee zusammen. Das einzige, was mich etwas störte, an Deinem Tagesschau-Posting, war das Hinstellen einer dezidierten Meinung als Zwischenbilanz. Ich hatte mir zur eigenen Information eine echte und wertfreie Bestandsaufnahme erhofft, was der Text aber keineswegs ist.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

ratz


Dieses Tagesschau-Gewäsch ist genau die Art von Journaille, für die mir zum A..bwischen selbiger viel zu schade ist. Ich hab eigentlich auch keine Lust, mir dergleichen Geschreibsel, egal von welcher Zeitung, noch länger anzutun und diesem Rauschen im Blätterwald eine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die es einfach nicht verdient hat.

Was die Verlogenheit der deutschen Politik betrifft, muß ich pm. sekundieren: Klar kann man heftig und mit aufrechter Empörung die Faust in der Tasche ballen, wenn man dafür mit der anderen Hand Waffen liefert und damit eifrig den Steigbügel für amerikanische Territorialinteressen in Nahost hält. Über solche kleinen Bundestags-Drucksachen darf dann heftig geschmunzelt werden.

Und ironischerweise sind es – hui, vorsichtig jetzt – israelische Interessenverbände, die den Antisemitismus aktiv am Leben erhalten, indem sie ihn ständig jemandem vor den Latz knallen, der was gegen die Politik des auserwählten Volkes sagt. Für einen echten Antisemitismus gibt es in Europa schon lange keine Grundlage mehr, aber die Chimäre wird künstlich ernährt, um für Gelegenheiten wie jetzt zumindest das moralische Plattmach-Argument parat zu haben. Aber zum Glück läßt sich ja die Mehrzahl der Nachgeborenen nicht mehr für doof verkaufen (was nicht heißt, daß sie antisemitisch ist, sondern mit einem nüchternen Blick die Tatsachen ins Auge zu nehmen sich erlaubt).

Und natürlich gibt es, wie pm.s Artikel von oben zeigt, auch in Israel genügend vernünftige Leute. Ich bin auch unbedingt bereit, in meinem Ausgansposting (danke für den eigene Thread  ;)) die Formulierung "Daß die Israelis jetzt noch geifernd" durch "Daß die israelische Führung usw." zu ersetzen.

cu, r.

Travelling Matt

 
@diebels bzw. zum Verlauf der Diskussion in diesem Thread:
Ich fand nicht den Satz selbst jenseits jeder Deutungsmöglichkeit, ich hab den schon verstanden. Nur kann ich aus z.B. mails Aussage "Das dürfen wir nicht besprechen. Israel ist ja de facto nicht zu kritisieren. Niemals und in keiner Hinsicht." nicht herauslesen, dass damit gemeint sein soll "wer gegen internationales Recht oder menschenrechtliche und auch nur moralische Grundsätze verstößt, muss auch international, menschenrechtlich oder wenigstens moralisch belangt werden". Es geht bei dieser "Debatte" (die ja zumindest in den Quellen, die ich lese, durchaus versucht wird ernsthaft zu führen) um mindestens zwei verschiedene Ebenen (die man sicherlich auch noch weiter aufsplitten könnte):

1. Gibt es ein Tabu, Israel zu kritisieren? Bzw. schüren Leute, die behaupten es gäbe dieses Tabu, antisemitsche Vorurteile?

2. Wie sind die Konflikte im Nahen Osten zu lösen? Wer hat da die Verantwortung oder die Möglichkeiten etwas zu verändern? Wie sieht das völkerrechtlich aus? etc.

Und diese beiden Ebenen werden z.B. von Dir unnötig vermengt, wenn Du behauptest, dass "Das darf man nicht sagen" eigentlich bedeuten würde "Wenn jemand gegen menschen-/ völkerrechtliche Grundsätze verstößt, muss das Konsequenzen haben". Und ich kenne Dich in der Tat schon aus einigen Diskussionen, und ich hatte auch immer den Eindruck, dass es Dir um eine ernsthafte Diskussion geht - gerade deswegen bin ich so verwundert, dass Du hier so viele Sachen in einen Topf wirfst.

weitere Anmerkungen zur Klarstellung: Die "Zwischenbilanz" der Tagesschau habe ich z.B. so verstanden, dass eben eine Zwischenbilanz der bisherigen Debatte gezogen wird (eine endgültige lässt sich ja auch nicht ziehen, da die Debatte" ja noch läuft). Nichtsdestotrotz kann der Kommentator dazu ja eine klare Meinung haben (wie gesagt: zum bisherigen Verlauf der Debatte, also der Meta-Ebene. Dass er die perfekte Lösung für den Nahen Osten hätte, hat er ja nicht behauptet).


@Punkt 2: Konfliktlösung im Nahen Osten, Wer darf was etc.:
Keine Ahnung. Ich halte es angesichts der Tatsache
* dass Israel bereits in der Gründungsnacht von sechs Staaten angegriffen wurde
* dass es in der Folgezeit immer wieder zu Kriegen kam
* dass es jahrelang massenhafte Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf die israelische Zivilbevölkerung gegeben hat
* dass u.a. palästinensische Gruppen, die Hisbollah (die im Libanon Teil der Regierung ist) und die iranische Regierung das erklärte Ziel haben, Israel zu vernichten
* dass bereits versucht wurde, "die Juden" auszulöschen, und diejenigen die fliehen wollten von anderen Staaten oftmals abgewiesen wurden
* dass der Holocaust und seine Folgen immer noch präsent sind (z.B. musste der aktuelle israelische Präsident vor den Nazis fliehen und Teile seiner Familie wurden von "den Nazis" ermordet)
* ...
nur für nicht sonderlich überraschend, dass die israelische Regierung sich so verhält, wie sie es eben tut. Sprich: kein Risiko für die eigene Sicherheit eingehen. Dazu gehört für mich z.B. auch die Rückversicherung durch Atom-Uboote oder das Bemühen, keine "Schwäche" zu zeigen (indem z.B. Fehler eingestanden werden). Die Gegner müssen wissen, dass mit voller Wucht zurückgeschlagen wird, nur so kann Abschreckung funktionieren (was im Übrigen auch ein weiterer Grund ist, warum ich diebels Post so verwirrend fand: die atomare Abschreckung im Kalten Krieg hat ja anscheinend insofern funktioniert, als dass es nicht zum offenen Krieg zwischen kapitalistischem und "staatssozialistischem" Block gekommen ist).

Ist das fair? Natürlich nicht. Ich bin als Kind mit dem Gefühl aufgewachsen "Wenn die da oben Scheiße bauen, sind wir alle tot". Kein schönes Gefühl (<- Understatement). Ebenso ist das natürlich unfair gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung, die massiv diskriminiert wird, oder gegenüber friedlichen Demonstrant*innen, deren Proteste gewaltsam niedergeschlagen werden, oder gegenüber den "Kollateralschäden" von Kriegen und anderen militärischen Aktionen und gegenüber vielen anderen.

Nur wird das wohl leider nichts am Handeln der israelischen Regierung ändern, mindestens nicht in dieser Politikergeneration, denke ich. Weil sie bei der Wahl, ob sie sich unfair oder unsicher verhalten sollten, aus o.g. Gründen eben nicht für "unsicher" entscheiden werden.

(Ich hab mich jetzt nur auf die israelische Regierung bezogen, wie ich sie wahrnehme etc. Es gibt aber natürlich auch z.B. auf Seiten einiger palästinensischer Organisationen an "Überreaktionen" von Seiten Israels, weil gerade durch diese Ungerechtigkeiten neue Leute für den Kampf gegen Israel gewonnnen werden können. Eine Lösung sehe ich jedenfalls auch am ehesten im Bereich von Grassroots-Bewegungen vor Ort, dass einzelne Leute verschiedener "Seiten" sich kennenlernen, Vorurteile abbauen, lernen miteinander klarzukommen etc. Aber vermutlich wird dieser Konflikt noch weitergehen, solange islamistische Terrororganisationen weiter Unterstützung durch z.B. den Iran erhalten.)

@Punkt 1: angebliches Tabu, Israel zu kritisieren etc.
Das ist meiner Meinung nach der zentrale Punkt in dieser Debatte. Zumindest war es der zentrale Punkt in dem Gedicht von Grass: es beginnt mit "Warum ich schweige ich..." und der Großteil des Textes dreht sich genau um diese Frage - und eben nicht z.B. um die Frage, warum "der Verursacher der erkennbaren Gefahr" nicht der Aufforderung "zum Verzicht von Gewalt" nachgibt.

Eine Antwort, warum er schweige, liefert er dann auch gleich selbst:
ZitatDas allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt ,,Antisemitismus" ist geläufig.

Mit dieser Meinung steht er auch nicht alleine da, wie z.B. mali und ratz so eindrucksvoll beweisen. Einen Nachweis für diese Behauptung habe ich zumindest bisher nirgendwo gesehen, in den Quellen, die ich lese, wurde immer explizit darauf hingewiesen, dass sich der Vorwurf des Antisemitismus eben nicht auf die Kritik an der Außen-/ Sicherheitspolitik Israels bezieht, sondern auf die antisemitische Vorurteile, dass "die Juden" den Holocaust ausnutzen würden, um "uns Deutsche" zu kontrollieren und dass "die Juden" die öffentliche Meinung/ die Presse kontrollieren (z.B. mittels Ausnutzung des Holocausts). Interessant in dem Zusammenhang ist dann natürlich auch noch der nachgereichte Vorwurf der "gleichgeschalteten Presse", der erstens dadurch die Gleichschaltung im Nationalsozialismus relativiert, zweitens anlässlich der Verteidigung einer Schrift, die antisemitische Vorurteile verbreitet, besonders perfide ist und drittens eben eine gleichschaltende/ übergeordnete Zentralinstanz impliziert - was ja wiederum ein antisemitisches Stereotyp ist ("der Jude" als Marionettenspieler).

Dass dem nicht so ist, und man Israel sehr wohl kritisieren darf (auch ohne als Antisemit gebrandmarkt zu werden), wollte ich beispielhaft mit dem Zitat aus der Bundestagsdrucksache belegen (dass Regierungen dazu neigen, Sachen zu behaupten und dann durchaus etwas anderes zu tun, setze ich als bekannt voraus. Wobei es meines Erachtens nach in diesem Fall auch wenig Möglichkeiten gibt, von hier aus etwas an der Haltung der israelischen Regierung zu ändern, s.o.). Kann denn jemand von denen, die behaupten, es gäbe dieses Tabu, mal eine ernstzunehmende Quelle (sprich: keine Boulevardpresse o.ä.) nennen, nach der Grass als Antisemit bezeichnet wurde, weil er die israelische Sicherheitspolitik kritisiert hat?

Und natürlich wusste Grass wusste, dass diese Behauptung zu Vorwürfen des Antisemitismus führen würde, andernfalls hätte er sich ja nicht in die Pose des Tabubrechers werfen können. So kann er sich so natürlich wunderbar in seinem Wahn bestätigt sehen - eben weil er den Antisemitismusvorwurf, der ihm aufgrund seines herbeihalluzinierten Tabubruchs gemacht wird, umdeutet in einen Antisemitismusvorwurf aufgrund seiner Kritik an der israelischen Außenpolitik. Was es im Endeffekt eben auch so wichtig macht, die beiden Ebenen "Kritik an israelischer Sicherheitspolitik" und "behauptetes Verbot der Kritik an Israel" auseinanderzuhalten.

Roughale

Wenn Gras Musiker wär, dann würde ich mit einem Best Of Album in den nächsten Tagen rechnen... :king:

Das Thema ist sehr heikel, eben weil es diese leidlich unerwünschte Kritik an Israels Politik provoziert, leider wird das nicht diskutiert, sondern alles Mögliche und "der Jude" wundert sich darüber, dass so viele ihn hassen - klingt eventuell härter als gemeint, aber man sollte mal drüber nachdenken, wie es möglich ist, Frieden zu schaffen, wenn alle Aggressoren immer nur die Fehler der anderen beachten!

esta es la mejor mota
When there is no more room for talent OK will make another UFC

pm.diebelshausen

Matt, Du findest den Nachweis nicht in Quellen sondern im Verhalten und der Reaktion. Sobald man Israel kritisiert und sich dabei auch noch vorsichtig nämlich bewusst des problematischen historischen Kontextes zeigt, bekommt man gesagt, es gebe kein Tabu, man könne sehrwohl darüber sprechen usw. Das hat schon was Kafkaeskes. Was am Ende immer dabei herauskommt, ist, wie gesagt, nichts. Keine Klärung, keine Veränderung, keine Bewegung. Ob das nun an Leuten liegt, die meinen, man könne was nicht sagen, oder an Leuten, die meinen, es gebe kein Tabu, ist mir in pragmatischer Hinsicht sogar relativ egal. Mit unserer Art der Auseinandersetzung mit nicht einfachen Themen, stimmt ganz gewaltig etwas nicht. Da wollte ich drauf hinweisen, weil ich hysterisches Gejaule in der publizistischen Öffentlichkeit satt habe. Die Öffentlichkeit ist prima, aber zumindest in Deutschland führt sie zu nichts.

Wohlgemerkt: das sind Verallgemeinerungen, Tendenzen, nicht Ausschließlichkeiten!

Ich bin auch bei einem Volk, dass bedrängt, diskriminiert, vernichtet wird, aber eben nicht nur beim israelischen. Zumal, und deswegen habe ich die Facebook-Aktion hier zitiert, die Politik eines Staates sowie die Vorstellungen in der Öffentlichkeit etwas ganz anderes sind als die Befindlichkeiten der Bevölkerung. Die Menschen auf den Seiten des Nah-Ost-Konflikts haben weit mehr Gemeinsamkeiten als ihre Staatsführungen und/oder religiöse Machthaber weismachen wollen. Und das ist das Einzige, an dem man meiner Meinung nach für eine stabile Zukunft ansetzen kann. Alles andere, auf politischer Ebene oder im deutschen Feullitonhühnerstall, bewirkt nicht, weil da keine Einsicht ermöglicht wird. Lernen durch Einsicht. Und das heißt, sich kennenlernen.

Nicht dass hier der Eindruck entsteht, mir gefalle Grass' Gedicht über die Maßen gut. Das ist für mich eine veröffentlichte Selbstreflektion im Wissen, damit etwas loszutreten. Meine Kritik richtet sich an die, die das Losgetretene auf ihre erprobten Gleise setzen, indem sie diese ganze sog. Debatte zelebrieren bis auch sie sich rückstandslos verflüchtigt haben wird.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Travelling Matt

Aber wenn es für die Behauptung, dass man als Antisemit bezeichnet wird sobald man Israel kritisiert, keinen Nachweis gibt, wo das z.B. im Fall Grass auch tatsächlich mal passiert ist (geschweige denn, dass es durch eine Mehrheit der Presse passiert), dann scheint diese Behauptung doch schlichtweg nicht zu stimmen.

ratz


ZitatIsraels Gesandter in Berlin, Nahshon, ordnete Grass' Gedicht ein in jahrhundertealte antisemitische Hetze gegen Juden. ,,Was gesagt werden muss ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen. Früher waren es christliche Kinder, deren Blut die Juden angeblich zur Herstellung der Mazzen verwendeten, heute ist es das iranische Volk, das der jüdische Staat angeblich auslöschen will", erklärte Nahshon.

Quelle

Hat mich gerade 2 Klicks gekostet (als FAZ-Feed-Abonnent  ;)).

Travelling Matt

Hat mich gerade eine Google-Suche gekostet (scnr ;-) ): das Original - eine kurze Polemik, die aber eben niemanden als Antisemiten bezeichnet (wenngleich sie Grass nicht ganz 1:1 wiedergibt).

ratz

Wie deutlich brauchst Du es denn? Wenn das hier kein Antisemitismus-Vorwurf ist (Grass stehe in der Tradition, "die Juden" wegen was auch immer natürlich ungerechtfertigt zu beschuldigen), sondern erst, wenn einer sagt "Du Antisemit", dann ist freilich alles in Ordnung.

Ist es aber eben nicht.

Travelling Matt

Kurz vor dem Pessach-Fest behauptet Grass, dass Israel sich das Recht herausnehmen will, mit einem nuklearen Erstschlag das iranische Volk auszulöschen. Ein israelischer Diplomat weist (auf eindeutig polemische Weise) darauf hin, dass das Verbreiten des Bildes vom blutrünstigen/ skrupellosen Juden Teil einer langen Tradition in Europa ist, gerade auch im Zusammenhang mit dem Pessach-Fest. Ich finde den Text von Nahshon auch mindestens unglücklich formuliert (wenn nicht sogar verfälschend), kann aber durchaus nachvollziehen, wenn ihm der Kragen platzt, nachdem er lesen muss, wie Grass z.B. Israel als Verursacher der Konflikte im Nahen Osten darstellt, während in der Realität der Iran Israel das Existenzrecht abspricht.

Sprich: es handelt sich nicht um einen pauschalen Antisemitismus-Vorwurf, sondern es wird ganz klar benannt, welche Stereotype Grass hier an die Wand malt. Was soll er denn sonst schreiben, wenn er eben der Meinung ist, dass 1. dieser Vorwurf ungerechtfertigt ist und 2. einem antisemitischen Klischee entspricht (wobei man sogar noch spekulieren könnte, ob nicht die Bezeichnung "Antisemit" absichtlich vermieden wurde).

Und selbst wenn man diese Deutung des "Gedichts" (Grass schreibt ja nun mal sehr unzusammenhängend und wirr) an dieser Stelle nicht teilt, kann dieser viereinhalbzeilige Absatz doch nicht ernsthaft der Grund dafür sein, dass sich ein Literaturnobelpreisträger und überhaupt quasi ganz Deutschland quasi nicht trauen, ihre Meinung zu sagen? Das soll jetzt die gleichgeschaltete Presse gewesen?

Chowyunfat2

Zitat von: Travelling Matt am 11 April 2012, 19:36:52...nachdem er lesen muss, wie Grass z.B. Israel als Verursacher der Konflikte im Nahen Osten darstellt...
Ich hab zwar von Politik weißgott keine Ahnung, aber ich finde Grass' Gedicht kein Stück antisemitisch, dass er Israel für den Hauptschuldigen des Nahostkonfliktes erklärt, muss ich wohl überlesen haben und was Reich-Ranicki da hineininterpretiert, komme ich überhaupt nicht mehr hinterher.

Trotzdem habe ich ein bisschen für dünnhäutige Paranoia Verständnis, deshalb, weil sie nicht selten bestätigt wird, zumindest, wenn man sich in der ungebildeten Unterschicht herumtreibt wie ich. So bekommt Grass dummerweise auch Beifall von Leuten, von denen  er sich im Leben keinen erhoffen würde. Erst neulich hat sich mein (Proll-)Arbeitskollege vertrauensvoll und verstohlenen Blickes zu mir gewandt, mit seiner weisen Erkenntnis, dass Adolf mit seiner Prophezeihung, dass die Juden irgendwann für den Untergang der Welt verantwortlich seien, wohl doch Recht haben sollte. In seinem an-Zustimmung-apellierendem Stirnrunzeln konnte ich förmlich lesen, wie er Adolf irgendwie knuddeln wollte, weil sich ja jetzt herausstellt, dass er wohl doch gar nicht so schlimm war  :zwangsjacke:

pm.diebelshausen

11 April 2012, 21:40:06 #22 Letzte Bearbeitung: 11 April 2012, 22:09:07 von pm.diebelshausen
Und genau das ist das Gruselige an dem Umgang mit manchen Themen. Das Ganze findet auf einer Ebene statt, die zu nichts führt.

Zitat von: pm.diebelshausen am  9 April 2012, 15:02:10
Für mich ist die ganze Nummer mal wieder eine sogenannte "Debatte", die aber keineswegs in irgendeiner Form eine ist, sondern nur die Gelegenheit für alle, mal wieder rauszuposaunen, was sie vorher schon wussten und wovon sie sich komme was wolle auch weiterhin überzeugt geben werden.

Es sind die Reflexe, die da wirken. Ich selber sehe keine gleichgeschaltete Presse, aber gleichartige Reflexe, auch bei mir. Wenn das die Grass-Gegner auch mal zugeben würden, wäre was erreicht und ein Gespräch auf einer anderen Ebene möglich. So bleibt Vieles wieder an dem Punkt "Ich weiß, wer was falsch gemacht hat" kleben. Und ich sehe keine Zuweisung der Nah-Ost-Schuld an Israel von Seiten G.G. Er spricht von der Atommacht Israel und ihrer Belieferung durch Deutschland. Für mich heißt die Quintessenz des Gedichtes "internationale Kontrolle ohne Ansehen des Staates oder der Religion". Aus aktuellem Anlass, wie er sagt, bezogen auf Israel, was sich im Magen für ihn mulmig anfühlt und was ein Problem ist, wie man an der durch das Gedicht losgetretenen "Debatte" sieht. Ansonsten aber kategorisch gemeint, da darf man schon auch mal über das eine Gedicht hinaus gehen und Grass Haltung andernorts in Betracht ziehen.

Die diplomatische Polemik in Vertretung Israels macht nun genau das, was mir von Matt hier vorgeworfen wurde, nämlich Vermengung der unterschiedlichen Themen Antisemitismusvorwurf und Nah-Ost-Konflikt, nur womöglich verheerender, denn das kommt von relativ weit oben und ist offiziell:

Zitat von: MattSowohl das Thema "aktuelle antisemitische Vorurteile" als auch das Thema "Nahostkonflikt(e)" sind für sich genommen schon kompliziert genug. Beides in einem Thread zu vermengen, macht eine Diskussion nicht gerade einfacher, im Gegenteil.

Ich bin nur eine kleine Forengurke, aber der Botschafter Israels sollte sich vielleicht besser positionieren können als einer, der einen Thread durch ungekennzeichnete Ironie aufmischt.  ;)

Das Thema der Debatte sollte, ich glaube ich sage es erneut bloß mit anderen Worten, nicht die Frage nach der Existenz oder Nicht-Existenz einer Antisemitismus-Keule in der deutschen Öffentlichkeit sein, sondern die Frage nach einer völkerrechtliche Basis aufgrund derer kein westlicher, kein östlicher, demokratischer, diktatorischer, säkularer oder säkularer Staat machen kann was er will, insebsondere hinsichtlich Waffen wegen deren gewaltig inhumanen Potenzials. Denn: es gibt weltweit mehrere Leute, die, wenn sie es könnten, ein ganz bestimmtes (und dann vielleicht noch ein, zwei unbestimmte) Volk sehr gerne auslöschen würden. Wer von denen jüdischen Glaubens ist, wer von denen Antisemit ist, wer von denen mehr Hubraum unter der Haube hat als ich, ist mir egal, ist, so lese ich das, Grass egal, ist bestimmt auch Matt und ratz und mali egal, ist leider vielen Stammtischbesuchern nicht egal, sollte aber jetzt wirklich mal endlich nun egal sein. Und jetzt wo uns der Diskurs endlich dorthin geführt hat, können wir bitte anfangen uns menschlich anzunähern, international zu verhalten, uns auf Augenhöhe zu begegnen und gemeinsam hier zu leben? Nein, wahrscheinlich leider wieder immernoch nicht.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

ratz

Zitat von: Chowyunfat2 am 11 April 2012, 21:24:04

So bekommt Grass dummerweise auch Beifall von Leuten, von denen  er sich im Leben keinen erhoffen würde.


Naja, wenn man immer den Beifall aus der falschen Ecke vermeiden wollte, dürfte man irgendwann überhaupt nichts mehr sagen. Die von Dir zitierten Sprüche suchen sich ihren Aufhänger, egal wer die wann liefert.

@Matt: Ich finde es ja sinnvoll, nützlich und richtig, eine Diskussion so differenziert wie möglich zu führen. Auch will ich Grass nicht zum Helden oder gar zum tollen Dichter verklären (gerade die Gedichte haben mich noch nie überzeugt). Aber wenn Du derart Haare spalten mußt, um z.B. das geschlossene und deutlich sichtbare Grass-Bashing in der deutschen Presselandschaft in Frage zu stellen oder die beknackte Äußerung des israelischen Vertreters zurechtzudeuten (Grass zu unterstellen, er suche sich extra einen jüdischen [?!] Feiertag für seine Publikation, ist schon ziemlich perfid) – dann leistest Du Deiner Position doch eher einen Bärendienst und bestätigst nur, was Du zu widerlegen suchst.

cu, r.

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