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Mad Max: Furiosa

Begonnen von Mr. Blonde, 17 Mai 2020, 15:24:09

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Mr Creazil

3 Juni 2024, 20:14:26 #30 Letzte Bearbeitung: 3 Juni 2024, 23:50:22 von Mr Creazil
Die Klimax sehe ich tatsächlich komplett anders, sie wirkte auf mich ganz im Gegenteil sehr stimmungsvoll, ein konsequenter, aus dem Naturell beider Charaktere geborener Abschluss der Beziehung zwischen Furiosa und Dementus, leise und intim, mehr noch: ein wichtiger Schritt in Furiosas Reifeprozess von der von Rachegefühlen getriebenen, geblendeten, emotional verkrüppelten Kriegerin zur opferbereiten Retterfigur, zu der sie in 'Fury Road' geworden ist. Ein übrigens komplett gegenläufiger Ansatz im Vergleich zu Max, der seinerzeit dem Wahnsinn der Welt um sich erlegen ist und seinen letzten Funken Menschlichkeit auf dem Altar der Rache geopfert hat (in konkreter Bezugnahme auf Teil 1). Und ebendeswegen ist das eine mehr als legitime Darstellungsweise von Furiosa, die sich somit von Max als eigenständige Figur abhebt und ihn nicht nur in Gestalt eines Racheengels kopiert (obgleich Max insbesondere in den Sequels natürlich ebenfalls die Rolle der Retterfigur in der Dystopie annimmt). Wie die Geschichte im Prequel aufgelöst wurde, empfinde ich dementsprechend als essentiellen, prägnanten, aussagekräftigen Fortschritt, schlicht und ergreifend folgerichtig und kongruent mit der Figur Furiosa aus 'Fury Road'. Erst exakt diese zwar anitklimaktische Handhabung des Konflikts macht den nahtlosen Übergang zur 'Fury Road'-Furiosa plausibel, da sie eine konstruktive Auflösung gegenüber einer destruktiven Auge-um-Auge-Vergeltungs-Abwärtsspirale bevorzugt, die das Handeln der Figur im weiteren Werdegang überhaupt erst begründet. In der letzten Spiegel-Konfrontation zwischen den Furiosa und Dementus sehe ich in Wahrheit eine unvermittelte Erkenntnis in Furiosa reifen, eine regelrechte Epiphanie (nicht zu sehr im religiösen Sinne, aber das will ich nicht gänzlich ausschließen, denn wo, wenn nicht in der Postapokalypse gäbe es einen geeigneteren Ort dafür? Sage ich als Atheist...), wie ihr die destruktiven Konsequenzen der Erfüllung des Rachegelübdes bewusst werden und sich ihr somit ein konstruktiver Alternativweg auftut. Den sie sonach in 'Fury Road' begeht und, wie im Epilog angedeutet, sich durch ihren eigenen Legendenstatus emanzipiert. So meine, wie immer überflüssig überinterpretierte Sichtweise.  :jonglier:

Diese meine Perspektive liegt natürlich zum Teil darin begründet, dass ich inzwischen banale, stumpfsinnige Materialschlachten, die versuchen sich mit zu viel Bombast  zu einer Größe aufzublasen, die sie in der Regel dann doch nicht hergeben (hallo Marvel), reichlich kritisch sehe, da sie mehr geistloses, kleinliches Spektakel bieten, das simpelste Sensationsgelüste und abgedroschene, kleingeistige Konzepte bedienen, die einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten (wie zum Beispiel eben die angesprochenen Rache- und Vergeltungsfantasien und Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Mentalität, deren Rechtschaffenheit im Rachefilm deutlich zu wenig kritisch reflektiert und hinterfragt, im Gegenteil meistens zu leichtfertig als rechtschaffen akzeptiert und deren Gewalttätigkeit als gerechtfertigt hingenommen wird), in letzter Konsequenz rein destruktiv und kurzfristig gedacht daherkommen. Das konstruktive Element mag diese impulsiven, affektartigen Gelüste weniger befriedigend wirken, entspricht jedoch einem umfassenderen, zukunftsorientierten und längerfristig gedachten Ansatz, den wir jetzt mehr nötig haben als archaische Lust auf Krieg und Elend. Und es ist nun mal so, dass Charaktere im Bombast untergehen, sich der Charakter eines Soldat in einer Materialschlacht auflöst, seine Menschlichkeit  durch das maschinelle Töten bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird (ein Grund, warum ich übrigens Villeneuves Verzicht auf eine zu breit aufgefahrene Finalschlacht in Dune Numero 2 ebenfalls begrüßt habe).

Wie StS gesagt hat: hier ging es um Furiosa und Dementus. Deswegen ist der 40-Tage-Krieg vergleichsweise irrelevant, eine nebensächliche, reine Spektakelablenkung, die mit dem zentralen Konflikt fast nichts zu tun und ihm nicht beizutragen gehabt hätte. Deswegen ist es richtig, dass er nur am Rande erwähnt wurde. Und deswegen ist es richtig, wie der verschlungene Knoten von Furiosa und Dementus letztlich aufgelöst wurde.

So, sorry, genug Rhababer von mir. 😅
"Nihilist und Christ: das reimt sich, das reimt sich nicht bloß ..."

"Die Zensur ist die jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die ältere heißt Inquisition. "

"Who fights with a ladder - well, Jackie Chan does!"

https://letterboxd.com/mrcreazil/

McClane

Da kann ich aus verschiedenen Gründen nicht mitgehen. Schließlich ist "Furiosa" nun nicht gerade ein Film, der Spektakel und Materialschlachten entsagt. Und bei "Fury Road" haben sich die Set Pieces ja auch immer mehr gesteigert. Dass man nach dem Tankerüberfall in Kapitel 3 und der Schlacht in Kapitel 4 dann noch ein Finale Furioso (bzw. Furiosa) erwarten durfte, ist dramaturgisch schon sinnig. Und selbst wenn ich den kleineren Showdown als bewusste Entscheidung Millers sehen wollte, so ist das schon sehr holprig.

Spoiler: zeige
Der Film könnte ja sagen, dass Dementus' Horden inzwischen dezimiert wurden, woraufhin Furiosa ihn und seine letzten Getreuen stellt. So sieht allerdings so aus, als ob sie von der Front des immer noch laufenden Kriegs mal eben zu Dementus schraddelt, der seelenruhig mit fünf Getreuen durch die Wüste cruist, als ob ihm nicht gerade die Armee von Immortan Joe ans Leder wolle. Und unter diesen fünf Getreuen sind Figuren, von denen ich erwartet hätte, dass sie noch mal harte Brocken für Furiosa sind, wie die Frau mit dem entstellten Gesicht. Die streicht dann aber total schnell die Segel, sodass ich gar nicht wusste, ob sie jetzt tot oder nur in den Sand gefallen ist.


Und einen Verzicht auf Rachephantasien kann ich absolut nicht darin erkennen.

Spoiler: zeige
Jemandem als lebendigen Nährboden für einen Pfirsichbaum zu verwenden, das ist schon eine ziemlich grausame Bestrafung. Von all den vorgeschlagenen Möglichkeiten laut des Erzählers ja nicht nur die wahrscheinlichste, in meinen Augen sogar die revanchistischste.
"Was würde Joe tun? Joe würde alle umlegen und ein paar Zigaretten rauchen." [Last Boy Scout]

"testosteronservile Actionfans mit einfachen Plotbedürfnissen, aber benzingeschwängerten Riesenklöten"
(Moonshade über yours truly)

Mr Creazil

Gestern um 12:58:10 #32 Letzte Bearbeitung: Gestern um 15:08:05 von Mr Creazil
Zitat von: McClane am Gestern um 09:06:58Da kann ich aus verschiedenen Gründen nicht mitgehen. Schließlich ist "Furiosa" nun nicht gerade ein Film, der Spektakel und Materialschlachten entsagt. Und bei "Fury Road" haben sich die Set Pieces ja auch immer mehr gesteigert. Dass man nach dem Tankerüberfall in Kapitel 3 und der Schlacht in Kapitel 4 dann noch ein Finale Furioso (bzw. Furiosa) erwarten durfte, ist dramaturgisch schon sinnig. Und selbst wenn ich den kleineren Showdown als bewusste Entscheidung Millers sehen wollte, so ist das schon sehr holprig.

Vorsicht, den Absatz von mir nicht falsch lesen: der Kommentar zu Spektakel und Materialschlacht ist eine Erläuterung dazu, weshalb ich persönlich im Allgemeinen immer weniger interessiert an ebenjenen bin, nicht, wie ich im Speziellen 'Furiosa' diesbezüglich einschätze. Zumal ich weiterhin einschränken muss, dass ich natürlich Spektakeln und Materialschlachten nicht grundsätzlich abgeneigt bin, es ist nur wie immer eine Frage von Maß und Maßstab ist, inwiefern es für mich kontextuell Sinn ergibt, wie es aufgebaut ist, woraus es sich nährt und worin es kulminiert. Und dahingehend steht 'Furiosa' nun mal unter anderen Vorzeichen, bei denen ich es begrüße, dass Miller eben NICHT versucht, 'Fury Road' zu kopieren oder in Sequel-Manier zu übertreffen. Zumal das Prequel den schwierigen Weg zu beschreiten hatte, ein Vorspiel zu 'Fury Road' zu präsentieren, in diesem stimmig zu münden, ein Teil der Erzählung zu sein, nicht ein Konkurrent, der gegen den Vorgänger im Übertreffungs-Duktus anzukämpfen versucht. 'Furiosa' ist für mich übrigens im direkten Vergleich der schwächere Film und hat natürlich seine deutlichen Unzulänglichkeiten. Aber bezüglich des Finales, und nur darum ging es mir, ist der Verzicht auf eine spektakuläre Auflösung wesentlich stimmiger, da aus der Haltung des Prequels geboren, mit groben Pinselstrichen und nicht zu viel Erklärerei eine Charakterentwicklung Furiosas zu zeichnen. Das erforderte dieses Finale und nicht das geforderte Spektakel, das den gewünschten Effekt übertüncht, eine unnötige Heroisierung des Racheengels unterstützt hätte. Darum sehe ich das mitnichten als holprig, das wäre für mich ganz im Gegenteil die besagte Materialschlacht, der schwächere Abklatsch des Vorgängers gewesen, der mehr auf den Effekt und verzweifeltes Wiederholen, weniger auf die Charakterisierung, die in der Folge letzten Endes dem Effekt zum Opfer gefallen wäre, hätte hinarbeiten müssen.

Zitat von: McClane am Gestern um 09:06:58
Spoiler: zeige
Der Film könnte ja sagen, dass Dementus' Horden inzwischen dezimiert wurden, woraufhin Furiosa ihn und seine letzten Getreuen stellt. So sieht allerdings so aus, als ob sie von der Front des immer noch laufenden Kriegs mal eben zu Dementus schraddelt, der seelenruhig mit fünf Getreuen durch die Wüste cruist, als ob ihm nicht gerade die Armee von Immortan Joe ans Leder wolle. Und unter diesen fünf Getreuen sind Figuren, von denen ich erwartet hätte, dass sie noch mal harte Brocken für Furiosa sind, wie die Frau mit dem entstellten Gesicht. Die streicht dann aber total schnell die Segel, sodass ich gar nicht wusste, ob sie jetzt tot oder nur in den Sand gefallen ist.

Da ich grundsätzlich ein großer Freund der Ellipse bin, brauche ich keine explizite, redundant visualisierte, doppelt und dreifach abgesicherte Darstellung davon, dass Dementus Horde kampftechnisch zahlenmäßig gehörig eingedampft wurde. Die Alternative wäre gewesen, immer wieder ineinander bretternde Horden à la klassischem Massenschlacht-Spektakel zu zeigen, was ich wirklich nur noch ermüdend und nichtssagend finde, sofern nicht wohlüberlegt angegangen. Das, was man zu sehen bekommt, genügt vollkommen. Naja, mir genügt es vollkommen.  :happy3:
Auch bezüglich besagter Frau, die ich mehr als ein bereicherndes Detail in der lebendigen Welt wahrgenommen, denn als Zahnrad der Theater-/Filmmaschine gesehen habe. Ihr Werdegang ist eine interessante Mikro-Erzählung, die eben nicht einzig und allein an Furiosas Rachegeschichte geknüpft ist, um ihr bloß als zu überkommender Widersacher, ein rein zum Objekt verkommenes Hindernis im handelsüblichen Finale zu dienen.

Zitat von: McClane am Gestern um 09:06:58Und einen Verzicht auf Rachephantasien kann ich absolut nicht darin erkennen.

Spoiler: zeige
Jemandem als lebendigen Nährboden für einen Pfirsichbaum zu verwenden, das ist schon eine ziemlich grausame Bestrafung. Von all den vorgeschlagenen Möglichkeiten laut des Erzählers ja nicht nur die wahrscheinlichste, in meinen Augen sogar die revanchistischste.


Von Verzicht redet auch niemand. Wohl aber von Kanalisierung der "Racheenergie" in etwas konstruktives. Der aus Dementus wachsende Baum ist derartig überspitzt symbolisch aufgeladen als Zeichen des Neubeginns und Wachstums, dass es beinahe ans Kitschig-Lächerliche grenzt, im Gesamtbild der Legendenbildung um Furiosa hingegen absolut Sinn ergibt. Es ist nur die grausamste Bestrafung aus der archaischen Erwartungshaltung heraus, die eine Auge um Auge-Vergeltung fordert, sprich die unzweideutig gerechtfertigte Zerstörung des Widersachers, und sich entsprechend von Furiosas Handeln irritiert zeigt, sie nicht wirklich versteht. Wie Furiosa Dementus "bestraft" ist je nach verquerer, pseudo-religiöser Leseweise eher als Gnade denn als Bestrafung zu verstehen, eine Läuterung des Rachetriebes beider Figuren: von Dementus, der ihn entweder nicht ausleben oder der in ihm keine Erlösung finden konnte, zum einen; von Furiosa, die sich in Dementus wiedererkennt und die Leere, welche die rachedurstige Zerstörung hinterlassen hätte, begreift und eine Alternative wählt, zum anderen. Darum spreche ich auch von einer Spiegel-Konfrontation. Dementus zu schonen und ihn stattdessen zum Nährboden eines neuen Anfangs zu machen, birgt ferner zweifelsohne den starken Vergeltungs-Aspekt, dass Furiosa seinem Todestrieb nicht entspricht, ihm die Gnade der Erlösung durch den Tod, durch Befreiung von seiner qualvollen Existenz nicht gönnt. Andererseits gewährt sie ihm dadurch dahingegen insofern eine Erlösung, dass er eben zum besagten Nährboden, zum Fundament des Neuen, Konstruktiven wird. Wie gesagt: ein stark symbolisch und religiös geprägtes, mit Sicherheit nicht leicht zu schluckendes Bild, an dem man sich gerne stoßen darf und soll. Freilich, wem das nicht gefällt, der kann für sich immer noch die Legende ablehnen und eine der anderen Varianten von Furiosas Abrechnung mit Dementus für sich zum Kanon erklären. Die Möglichkeit lässt einem der Film durchaus offen, würde ich behaupten.  :happy3:

Und jetzt wirklich genug unnötige Spontan-Überinterpretation. Ich fabuliere mir das schließlich auf Gutdünken zusammen, während ich es schreibe. Grenz ja schon an missionarischem Eifer... 🙈
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McClane

Kein Thema, ist ja ne legitime Meinung.

Allerdings funktioniert die Ellipse in diesem Fall nicht. Gerade weil Miller es in dem Film ja sonst schafft so viel über Bilder oder kleine Details zu erzählen, die finale Furiosa-Dementus-Begegung aber nach dem "So Kinder, wir müssen mal langsam fertig werden"-Prinzip kommt, war das für mich schon sehr unstimmig.

Und wenn Dementus dann noch groß erzählen muss, dass er ja auch mal Kinder hatte, dann ist Miller beim unnötigen Ausbreiten statt Zeigen. Dass Dementus Vater war, weiß man ja eigentlich schon seit der Szene, in der er Klein-Furiosa den Teddy gab - hier scheint das Drehbuch ihn dann mit der Brechstange noch (leicht) humanisieren zu wollen, um die Erkenntnis in Furiosa selbst übers Knie brechen zu wollen.

Außerdem unterscheidet sich der Film durch seinen Ansatz schon gut von "Fury Road". Der war ja kondensiert, in erster Line eine reine Verfolgungsjagd, der hier ist eben das Coming-of-Age-Endzeit-Epos mit 2,5 Stunden Laufzeit. Das Wordbuilding über kleine, stimmige Details fand ich klasse (allein was Miller mit dieser untypischen Verfolgungsjagd zu Beginn über das Überleben in der Postapokalypse erzählt, ist schon beeindruckend). Auch vom farbenfroheren Colorgrading setzt er sich ja von "Fury Road" ab. Nur das Finale, das funktioniert für mich leider nicht. Macht insgesamt gute 7/10 meinerseits, aber es wäre eben noch mehr gegangen in meinen Augen.
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