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Wie verfilmt man Shakespeare? "Al Pacino's Looking for Richard" und andere

Begonnen von pm.diebelshausen, 28 März 2010, 01:11:11

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ratz

Zitat von: Dexter am  6 Februar 2011, 23:54:57
Hat jemand schon die neue BBC Verfilmung von Macbeth gesehen?

Macbeth


Wahnsinn. Bei einer Sh.-Theaterstückverfilmung zweieinhalb Stunden auf der Stuhlkante zuzubringen, klingt irgendwie abwegig – aber GENAU SO erging es mir gestern. Wahnsinn.

Auch hier handelt es sich um die Filmadaption einer Bühnenproduktion, genauer des Chicham Festival Theaters, allerdings mit sehr viel mehr Schmackes und Stilwillen als gewöhnliche und auch die hier bereits erwähnten TV-Adaptionen. Vor allem werden Stil- und Genreelemente der Horrorfilme der letzten Jahre zitiert: Vor allem die Auftritte der Weird Sisters sind ziemlich furchteinflößend, blutig und Zombie-like, kombiniert mit einem Griff in die Trickkiste – der Regisseur hat sich mit Sicherheit den einen oder anderen Zack Snyder-Film genau angeschaut. Dazu kommen eine kräftige, durchaus plakative Farbddramaturgie und diverse schöne Regieeinfälle. Die Inszenierung schuldet dem Richard II mit McKellen eine Menge, auch hier haben wir wieder einen totalitären 20.-Jh.-Staat mit vielen Uniformen, diesmal allerdings russischer/stalinistischer Provenienz, mit KGB-Allüren, Trepak-Tanz, AK-47 usw. Das ganze wurde vor Ort in Welbeck Abbey gedreht, einem heruntergekommenen, riesigen Anwesen, das zwischenzeitlich als Lazarett und Kaserne gedient hat, mit endlosen Gängen, finsteren Tunneln, und stylischen Gitter-Fahrstühlen. — Also insgesamt das ideale Set für das im Stück zweifellos enthaltene "B"-Potential, das hier gründlich, allerdings ohne Ironisierung ausgeschöpft wird (Ich mag meinen Sh. ja durchaus auch mal campy, siehe Titus und sicher bald The Tempest, und Luhrmanns R+J mag ich auch *duck*)
Stewart hält sich die erste Stunde sehr zurück (ich hab mir schon ein bißchen Sorgen gemacht) und läßt Lady Macbeth viel Raum, den sie allerdings locker ausfüllt: Extrem grimmig, ein unglaubliches Gesicht und starke Präsenz, und in der Schlafwandel-Szene hatte ich ungelogen Gänsehaut. Als König legt dann Stewart richtig los, und es macht ihm sichtlich Spaß, sich während der Beauftragung der Mörder eine schöne Stulle zu schmieren :icon_mrgreen: Bis zum Schluß ist es (erwartungsgemäß) ein Vergnügen, ihm zuzuschauen. Der Rest des Cast, gestandene Bühnenschauspieler, ist über jeden Zweifel erhaben. Im Text wurde zwar gekürzt, aber nicht empfindlich. Das Wichtigste: Macduffs Unterredung mit Malcolm im englischen Exil, die Polanski komplett weggelassen hatte, ist drin. Finde ich deswegen wichtig, weil Malcolm ja doch das royale Korrektiv zu Macbeth darstellt. Daß Macbeth und seine Frau schon so alt sind, haut sehr gut hin.

Insgesamt bin ich wie gesagt begeistert, endlich kann ich den Polanski (andere Versionen hab ich nicht) in die Ecke stellen, der hatte mich noch nie überzeugt. Vor allem John Finch mit seiner Gesichtslähmung fand ich immer dröge, auch Lady Macbeth ist viel zu blass. Sicher, das historische Setting ist nett, und noch das eine oder andere, aber nun kann ich beruhigt empfehlen: Ab damit in die Mottenkiste  ;)

Zitat von: Chowyunfat2 am 17 April 2011, 15:22:45

Muss ich mir die Tage auch noch mal geben, ich glaube, bis zur Fechtszene hatte ich den damals gar nicht geguckt :icon_eek:


Ja, schön groß und möglichst in HD (gibts ja schon), die Stärke liegt nach meinem Erachten wirklich im Visuellen. Timon hab ich auf der Liste, aber uns hetzt ja nichts  :icon_mrgreen:

cu, r.

PierrotLeFou

Zitat von: ratz am 29 April 2011, 13:27:01
Insgesamt bin ich wie gesagt begeistert, endlich kann ich den Polanski (andere Versionen hab ich nicht) in die Ecke stellen, der hatte mich noch nie überzeugt. Vor allem John Finch mit seiner Gesichtslähmung fand ich immer dröge, auch Lady Macbeth ist viel zu blass. Sicher, das historische Setting ist nett, und noch das eine oder andere, aber nun kann ich beruhigt empfehlen: Ab damit in die Mottenkiste  ;)
Aber gesehen hast du "Das Schloss im Spinnwebwald" und "Macbeth" von Orson Welles bereits, oder?

Ansonsten müssen die unbedingt nachgeholt werden... :love:
"Eines Tages werde ich ein wahrhaft großes Drama schreiben. Niemand wird verstehen, worauf es hinaus will, aber alle werden nach Hause gehen mit einem vagen Gefühl der Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer Umgebung. Dann werden sie neue Tapeten aufhängen und die Sache vergessen." (Saki)

ratz


Ja, Kurosawa hab ich dem Regal schon entrissen, er verdient ein Wiedersehen (so wie ich die beiden Hamlets neulich mit Rosencrantz & Guildenstern are Dead krönte  :icon_mrgreen:). – Welles' Sh.-Filme hab ich unbewußt immer umschifft, aber Deine Erinnerung soll mir als Anlaß dienen, beim nächsten akuten Heißhunger betreffende Anschaffungen vorzunehmen!

cu, r.

Chowyunfat2

Da es ja im gleichen Stadion spielt, hau' ich das mal hier rein:

Christopher Marlowes "Jew of Malta" soll verfilmt werden, wenn auch mit niedrigem Budget und (zumindest mir) unbekannten Filmemachern:
http://www.jewofmalta.com/Services.html
Da der Film auch schon in IMDb steht (zumindest der Titel), geh ich mal davon aus, dass das nicht auf irgendwelchem Nazi-Mist gewachsen ist...

Jew of Malta Teaser 2

Angelus Mortis

Ich missbrauche diesen Thread mal für ein Anliegen meinerseits ... . ;)

Ich, 22, männlich, Anglistikstudent, habe während meines Studiums Shakespeare einigermaßen schätzen gelernt und wollte mich jetzt auch mal filmisch in die Sache einarbeiten. Gibt es da was, was man als Einstieg besonders empfehlen kann? Ich würde mich schon so einschätzen, dass ich ein gewisses Shakespeare-Grundwissen habe, wenn das weiterhilft, gesehen habe ich bereits Welles' und Parkers Versionen von "Othello", beide für gut befunden, am Welles-Film fand ich besonders die tiefe und durchdachte Metaphorik gut, die sich auf alle Dimensionen des Films auszustrecken scheint, an Parkers Version hauptsächlich Kenneth Brannaghs Performance als Iago und den Versuch, den Stoff etwas massentauglicher zu gestalten, ohne ihn groß zu verfremden (habe ich zumindest so gesehen). Des weiteren habe ich noch Welles' "Macbeth" zu Hause, wird demnächst mal angeschaut.

Ich hatte sonst eventuell noch über den 1996er "Hamlet" von und mit Brannagh nachgedacht - kann man damit viel falsch machen? Und wie sieht das mit "Lear" als mein (bisheriges) Lieblingswerk aus? Wo fängt man da am besten an? Gibt da ja einen ziemlich großen Wust an Verfilmungen ... . :icon_confused:

pm.diebelshausen

7 Juni 2011, 23:44:26 #65 Letzte Bearbeitung: 7 Juni 2011, 23:46:32 von pm.diebelshausen
Na, am besten erstmal "Al Pacino's Looking for Richard".  ;)
Einige interessante Filme sind doch in diesem Thread bereits diskutiert worden - d.h. hier steht zum Teil auch, was an ihnen interessant ist.

Ansonsten ist die Frage nach "Einsteigerfilmen" etwas schwierig oder schräg - es kommt ja drauf an, was Du willst. Z.B. Nähe zum Originalwerk oder weiterführende, selbstständigere Interpretationen.
Es gibt viele, die nicht reden, wenn sie verstummen sollten, und andere, die nicht fragen, wenn sie geantwortet haben.

Angelus Mortis

Zitat von: pm.diebelshausen am  7 Juni 2011, 23:44:26
Na, am besten erstmal "Al Pacino's Looking for Richard".  ;)
Einige interessante Filme sind doch in diesem Thread bereits diskutiert worden - d.h. hier steht zum Teil auch, was an ihnen interessant ist.
Ja, das stimmt schon ... wobei vieles Aufzählcharakter hat, wie ich finde. "Looking for Richard" ist aber soeben schon mal im Amazon-Warenkorb gelandet. ;)

ZitatAnsonsten ist die Frage nach "Einsteigerfilmen" etwas schwierig oder schräg - es kommt ja drauf an, was Du willst. Z.B. Nähe zum Originalwerk oder weiterführende, selbstständigere Interpretationen.
Nähe zum Originalwerk wäre mir insofern wichtig, dass zumindest die Essenz und darüber hinaus auch in groben Zügen noch das Stück selbst erkennbar ist. Sprich: Ich hab' nichts gegen "Romeo & Julia" im modernen Gewand, aber wenn die Handlung auf einmal komplett verfremdet wurde und nur noch in gröbsten Fetzen als Shakespeare-Adaption erkennbar ist, wäre mir das (für's erste) zu weit weg.

ratz

Aufzählcharakter? Alter, im ganzen deutschsprachigen www findest vermutlich keine so ausführliche, sachliche und gleichzeitig fundierte Forendiskussion zu Sh.-Filmen wie die hier.

Es ist doch so: Der Mann hat viel geschrieben, und es wurde viel verfilmt. Und es gibt eine ganze Bandbreite an Interpretationen, die von werkgetreu (BBC, Zefirelli) über modern adaptiert (Luhrmann, Taymor) bis zu entfernt inspiriert (Kurosawa, Greenaway) reichen. Du wirst nicht drum herumkommen, die von jeder Couleur den einen oder anderen zu besorgen und für Dich zu entscheiden, welche Richtung Dir paßt, oder ob Du evtl. sogar aus jeder von ihnen einen Gewinn ziehen kannst. Anregung gibt es hier im Thread zuhauf, und daß wir im Ernstfall krass auskunftsfreudig sind, ist ja bei Nerds ganz normal.

, r.

Angelus Mortis

Zitat von: ratz am  8 Juni 2011, 00:32:14
Aufzählcharakter? Alter, im ganzen deutschsprachigen www findest vermutlich keine so ausführliche, sachliche und gleichzeitig fundierte Forendiskussion zu Sh.-Filmen wie die hier.
Öhm ... gut, Aufzählcharakter war meilenweit am richtigen Wort vorbei, gebe ich zu, keine Ahnung, wie ich darauf kam. (Ich hab' den Thread übrigens wirklich zum Großteil gelesen ... ich glaube, ich habe gerade den Anschein erweckt, dass nicht. ;)) Hm ... was ich ursprünglich meinte, war trotzdem was anderes als die Diskussion hier. Mehr ein "Den solltest du mal mitnehmen, weil ..." bzw. ein "Nee, lass den mal sein, der ist nicht gut, weil ...". (Also im Grunde sogar mehr Aufzählcharakter, als hier im Thread vorhanden.)

Zitat[...]von werkgetreu (BBC, Zefirelli) über modern adaptiert (Luhrmann, Taymor) bis zu entfernt inspiriert (Kurosawa, Greenaway).
Sowas meinte ich eher, dazu halt noch ein paar (gebündeltere) Infos bezüglich allgemeine filmische Qualität und Qualität spezifisch was Shakespeare angeht. (Also, funktioniert der Film einerseits als Shakespeare-Verfilmung und gleichzeitig als "guter Film" - bei Jarmans "Edward II." hatte ich zum Beispiel das Problem, dass ich (zumindest grob) verstanden habe, was er als Marlowe-Adaption ausdrücken und darstellen wollte, gleichzeitig gefiel mir der Film aber einfach aus verschiedenen anderen Gründen (hauptsächlich war's der komische Rhythmus) überhaupt nicht.)

ZitatAnregung gibt es hier im Thread zuhauf, und daß wir im Ernstfall krass auskunftsfreudig sind, ist ja bei Nerds ganz normal.
Darauf hatte ich gehofft. ;) Aber gut ... ich sehe ein, dass meine Frage viel zu weit gefasst und ein bisschen undurchdacht war. Von daher ... tut mir leid, die Diskussion hier unterbrochen zu haben. ;)

Klugscheisser

Ich würde an deiner Stelle einfach mal anfangen mit Filmen, die du schnell greifbar hast. Also ausleihbar, vielleicht schon zu Hause rumliegen usw. Dann kannst du ja deine Eindrücke hier posten und evtl. gleich mit "Anforderungen" an andere Verfilmungen der gleichen Vorlage versehen. Da wird es dann bestimmt genug Anregungen geben. Also, einfach drauflos schauen!

ratz

Zitat von: Angelus Mortis am  8 Juni 2011, 01:15:26

... tut mir leid, die Diskussion hier unterbrochen zu haben. ;)

Genau, was fällt Dir ein :icon_mrgreen: Wäre eine Liste von Verfilmungen, ein bisschen geordnet und mit 5-10 Worten Anmerkung, interessant (auch für andere)? Dann könnten wir hier ein bisschen was zusammentragen.

cu, r.

Chowyunfat2

Zitat von: Angelus MortisIch hatte sonst eventuell noch über den 1996er "Hamlet" von und mit Brannagh nachgedacht - kann man damit viel falsch machen?
Nur, wenn Du normale Spielfilmlänge bevorzugst, ansonsten klare Empfehlung.
Zitat von: Angelus Mortis am  8 Juni 2011, 01:15:26bei Jarmans "Edward II." hatte ich zum Beispiel das Problem, dass ich (zumindest grob) verstanden habe, was er als Marlowe-Adaption ausdrücken und darstellen wollte, gleichzeitig gefiel mir der Fllm aber einfach aus verschiedenen anderen Gründen (hauptsächlich war's der komische Rhythmus) überhaupt nicht.)
Ging mir ähnlich. Da ich das Stück nie gelesen hab, hatte mir der Film auch nur bezüglich des groben Handlungsgerüstes etwas gegeben, die Art und Weise war auch nicht so mein Fall. War eben ein Jarman-Film  :algoschaf: vielleicht hole ich doch nochmal die Lektüre nach, bin momentan eh auf dem Marlowe-Trip ("Tamerlan" :dodo: ). Zu "Edward II" gibt's übrigens auch eine Inszenierung auf DVD mit Ian McKellen (kenne ich aber noch nicht).

Zitat von: KlugscheisserIch würde an deiner Stelle einfach mal anfangen mit Filmen, die du schnell greifbar hast. Also ausleihbar, vielleicht schon zu Hause rumliegen usw. Dann kannst du ja deine Eindrücke hier posten und evtl. gleich mit "Anforderungen" an andere Verfilmungen der gleichen Vorlage versehen. Da wird es dann bestimmt genug Anregungen geben. Also, einfach drauflos schauen!
Genau. Irgendwann willst du sie eh alle mal gesehen haben, und sei es nur, um zu wissen, ob sie Schrott sind oder nicht.

Angelus Mortis

ZitatWäre eine Liste von Verfilmungen, ein bisschen geordnet und mit 5-10 Worten Anmerkung, interessant (auch für andere)? Dann könnten wir hier ein bisschen was zusammentragen.

Für mich wäre das auf jeden Fal interessant.

Chowyunfat2

Zitat von: Angelus Mortis am  9 Juni 2011, 17:12:42
ZitatWäre eine Liste von Verfilmungen, ein bisschen geordnet und mit 5-10 Worten Anmerkung, interessant (auch für andere)? Dann könnten wir hier ein bisschen was zusammentragen.

Für mich wäre das auf jeden Fal interessant.
Na, dann fange ich mal an mit zwei werkgetreuen, klassischen Verfilmungen seiner Römerdramen, die hier noch gar nicht aufgezählt wurden:

Antony and Cleopatra von und mit Charlton Heston.
Jeder halbwegs intellektuelle und Studierte würde den Film wohl verreißen, aber als schlichtes Gemüt bin ich leichter zufriedenzustellen :icon_mrgreen: Der Film war Hestons Traumprojekt, welches er trotz niedrigen Budgets tapfer durchgezogen hat. Das sieht man dem Film also an, kaum Komparsen (außer während der Kämpfe), magere Wüstenlandschaft und eine schnell hochgezogene Holzpyramide. Hildegarde Neil als "Cleopatra" nervt etwas, aber Charlton Heston spielt mit einer bemerkenswerten Hingabe den vom Liebeswahn gequälten Antonius. Gesprochen wird der (natürlich auch hier gekürzte) Originaltext, trotzdem kommt der Film mehr wie ein klassischer Sandalenfilm als wie eine Bühnenaufführung rüber. Das war auch Hestons Absicht,  da er über diesen Weg dem (TV-)Publikum Shakespeare näherbringen wollte. Unter Berücksichtigung dieses noblen Vorsatzes, der beschränkten Mittel und seiner intensiven Performance ein sehenswerter Film, auch wenn man hier und da mal ein Auge zudrücken muss ;)
EDIT: Das beste habe ich fast vergessen: Den hammer Soundtrack von John Scott :love:
Antony and Cleopatra "Suite" by John Scott 1972


Julius Cäsar mit Marlon Brando. Einer meiner Favoriten. Kenne zwar "nur" die deutsche Synchro, aber auch die empfand ich als Genuß. Als Zuschauer wurde ich quasi zu einem Teil des "wankelmütigen Pöbels" degradiert, denn hier ist ganz shakespearetypisch niemals klar, wer nun der hassenswerte Schurke ist. Alle Hauptdarsteller sind sehr ausdrucksstark (runtergeleiert wird da nichts), der Höhepunkt des Films ist dann die Rede von Marlon Brando nach Caesars Ermordung. Nominiert für 5 Oscars, einen eingefahren für's beste Szenenbild (zu recht) "Nur" schwarz/weiß und 1,33:1, was der Atmosphäre aber sogar entgegenkommt.

ratz


Dann tu ich auch was dazu:

Antony and Cleopatra (ohne Charlton Heston  ;))

Die RSC bietet ein komplettes Kontrastprogramm zum Hollywood-Standard: Keine Schauwerte, alles auf einer Theaterbühne mit sparsamer Deko und historischen Kostümen. Filmtechnisch gibt es nicht viel zu sehen, dafür aber sehr versierte Schauspieler, die auf Bühnen mehr als im Film zuhause sind. Man kennt ggf. Janet Suzman (Cleopatra) als Dame des Hauses im Kontrakt des Zeichners oder Patrick Stewart, auch Ben Kingsley ist zusehen. Die Suzman ist klasse, doch der Antony hat aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Im Text wurde nur wenig gekürzt, insofern ist er werkgetreu, aber insgesamt brennt mir der Film nicht als dringend notwendige Zweitsichtung unter den Nägeln. Das kann am Stück selbst oder auch an mir liegen, denn unspektakulär abgefilmte Stücke oder Opern fixen mich meistens nicht an, die will ich live sehen.

Richard III

Was ganz anderes, in jeder Hinsicht, im WKII-Setting ist immer ordentlich Musik drin, und die wird völlig ausgekostet: Tolle Kostüme und Ausstattung, hier wurde an nichts gespart, und das sieht man. Die Inszenierung ist flüssig bis zügig, dafür wurden die komplizierten Familienbeziehungen vereinfacht und der Text natürlich auf die Hälfte oder weniger zusammengestrichen, hier gibt es keine Dialogpassagen, die den Unterhaltungswert "schmälern", der Film ist ganz Film. Und er macht mit dem wunderbar schurkigen McKellen und dem restlichen Klasse-Cast solchen Spaß, daß ich bisher nicht erwogen habe, mir eine andere Version zu besorgen (die es aber gibt und durchaus Wert sind, besorgt zu werden). Den kann man nehmen, um unbeleckte Freunde in Shakespeare einzuführen, ohne sie zu verschrecken. Obacht: die dt. DVD hat Zwangsuntertitel.

cu, r.

ratz

Zitat von: Chowyunfat2 am 17 April 2011, 15:22:45
Zitat von: ratz am 15 April 2011, 14:41:17Wie ist eigentlich Oliviers Henry V?
Mir hat der Film gefallen, obwohl er gegen Branagh klar absäuft.

Das würde ich so krass gar nicht formulieren, eher: Beide Versionen haben ihre Vor- und Nachteile, und man sollte sie beide haben. D.h. ja, dank Deiner Ermutigung hab ich jetzt den Film und hab ihn auch gesehen  :respekt:. Der vorzügliche Audiokommentar der Blu-ray erhellt übrigens manche der von Dir genannten Auslassungen: etwa, daß der Film 1944 ausdrücklich als Propagandafilm genehmigt und entsprechend zugeschnitten wurde. Daher fehlen die besagten Stellen, die Henrys Worte und Taten mit den Eigenschaften und Zwecken von kriegswichtigen Filmen nicht kompatibel machten.
Aber, viel wichtiger, der Film hat auf der künstlerischen Seite viel zu bieten: Die Pappkulissen sind in Anlehnung an die Illuminationen des Stundenbuchs des Duke of Berry gebaut und absichtlich flach und perspektivisch verzerrt gehalten. Und sie beweisen einen originellen Gestaltungswillen, den ich Olivier gar nicht zugetraut hätte – in der Richtung hatte ja vorher nur Dreyer und danach, glaub ich, niemand mehr was gemacht. Und es funktioniert in meinen Augen superb und bewirkt für ein 14.-Jh.-Feeling mehr als jedes andere realistisch orientierte mis en scène. Ein visuelles Bravourstück wie schon die schwebende Kamera in Hamlet – mein Respekt wächst ungewollt.
Ich konnte nicht umhin, die Branagh-Version im Anschluß noch mal zu goutieren und zu meinem Eingangsstatement zu kommen: Die eine Version sagt, was die andere nicht sagt, und die vollkommen verschiedenen künstlerischen Zugänge bringen sie in kein Konkurrenzverhältnis. Die habe ich beide nicht zum letzten Mal gesehen, und der Audiokommentar der Blu-ray entshädigt für das fiese (und unnötige, wie der Rest des Films beweist) DNR in der ersten halben Stunde.
Was sich für mich gerade anbietet, ist die umgekehrt chronologische Zurückverfolgung der Falstaff-Figur, denn durch irgendeine Fügung hab ich seit ein paar Tagen die Merry Wives in der Mache und beabsichtige, dann irgendwann Henry IV anzuschaffen. Jetzt brauch ich nur noch ein großes Poster mit der englischen royalen Genealogie seit Wilhelm dem Eroberer, sonst find ich irgendwann aus den Edwards, Richards und Henrys nicht mehr raus ...  :icon_eek:

cu, r.

ratz


Ich habe mir heute den Sommernachtstraum (1935) einverleibt und wollte meinen tiefen und unverfälschten Emotionen erst hier freien Lauf lassen, dann dacht ich, Mensch, dachte ich, verbinde doch das Angenehme mit dem Nützlichen, dachte ich, bißchen Blabla vorne und hinten dran, dann ist es ein Review.

Gesagt, getan.

cu, r.

ratz

Ich monologisiere mal hier noch ein bißchen vor mich hin...  :icon_mrgreen:

Derzeit ist ja nicht viel Neues zu berichten, außer vom verstärkten Trend, Shakespeare im TV zu beackern (Tennant-Hamlet, Macbeth mit Patrick Stewart, s. o.). Im Juni dieses Jahresgab es von der BBC The Hollow Crown, einen mächtigen Vierteiler, der die sog. Henriade umfaßt, d.h. von Richard II (der unerhörte Vorfall der Absetzung eines Königs von Gottes Gnaden) über die beiden Teile von King Henry IV (mit Falstaff) bis zum schlachtengewaltigen Henry V (wo bleibt die Branagh-Blu-ray?!).
Ein interessantes Unterfangen, sowohl auf UK-DVD wie auf Youtube verfügbar: Wie werden die stilistisch ganz unterschiedlichen Stücke von einem Regisseur in einen Zusammenhang gebracht? Die Besetzung kann sich ja durchaus sehen lassen:

BBC's Shakespeare Unlocked : The Hollow Crown Trailer (Check description for details)

Der Trailer haut etwas auf die Kacke, aber es scheint sich immerhin um eine historisch orientierte Umsetzung zu handeln, in der die Dialoge möglichst "natürlich" herausgeschleudert werden – mal sehen wie das funktioniert. Billig war das Ganze sicher nicht, aber das TV-Budget lugt dann doch hinter den größeren CGI-Panoramen hervor (siehe Henry V). Ich warte erstmal noch ab.

Zitat von: PierrotLeFou am 30 April 2011, 01:47:53

Aber gesehen hast du ... "Macbeth" von Orson Welles bereits, oder?


Jetzt schon  :icon_smile: - wie zu erwarten, ein phantastisches Bühnenbild, innovative Kameraarbeit und einige typisch Wellessche Entscheidungen, was Kürzungen betrifft. Der fette schottische Akzent verlangt, wenn man keine Untertitel hat, doch einige Textsicherheit beim Zuschauer!
In dem Zusammenhang noch eine Frage: Kann jemand etwas zur "Rekonstruierten Langfassung" dieser VÖ (114 Min., PAL) sagen, d.h. wurde sie von Welles autorisiert? Derzeit gibt es ja den Kino-Cut (81 Min., PAL) und einen längeren Cut (107 Min.) auf dieser US-Blu-ray. Evtl. müßte ohnehin an den Kürzungssymbolen herumgespielt werden (Langfassungen statt Scheren).

cu, r.

Chowyunfat2

Hab mich selber mit dem Alten schon lange nicht mehr beschäftigt, dabei hab ich hier noch so viel Ungesehenes rumliegen...ist eben alles ein bischen anspruchsvoller als rumfuchtelnde Gelbhäute^^

Zitat von: ratz am  2 Dezember 2012, 23:52:47Der fette schottische Akzent verlangt, wenn man keine Untertitel hat, doch einige Textsicherheit beim Zuschauer!
In dem Zusammenhang noch eine Frage: Kann jemand etwas zur "Rekonstruierten Langfassung" dieser VÖ (114 Min., PAL) sagen, d.h. wurde sie von Welles autorisiert? Derzeit gibt es ja den Kino-Cut (81 Min., PAL) und einen längeren Cut (107 Min.) auf dieser US-Blu-ray. Evtl. müßte ohnehin an den Kürzungssymbolen herumgespielt werden (Langfassungen statt Scheren).
Dazu zitiere ich einfach mal die aufschlußreichen Texttafeln der Bonus-DVD:

Zitat von: ProduktionsnotizenAuf der Suche nach Erklärungen für die negative Aufnahme des Films bei Kritik und Publikum (während der Uraufführung September 1948 in Venedig) glaubte die Produktionsfirma, einer der Gründe sei der schottische Akzent, mit dem die Dialoge gesprochen wurden. Angeblich war er in den USA zu schwer verständlich und so musste Welles ca. 60% der Dialoge neu ohne den schottischen Akzent aufnehmen. Ebenso wurde von ihm verlangt, den Film um 20 Min. zu kürzen, und Welles selbst schnitt den Film dann neu, wobei er durchgängig im ganzen Film kürzte. Am Ende fand der Regisseur, dass die ursprüngliche, längere Fassung besser gewesen war. Die Kurzfassung des Films kam dann im Mai 1950 in die Kinos. Erst 1980 wurde in den USA ein gut erhaltenes Zwischenpositiv der langen Originalfassung wiederentdeckt und restauriert. Diese DVD-Edition enthält beide Fassungen des Films: Die gekürzte Fassung mit den nachsynchronisierten Dialogen auf DVD1 und die ursprüngliche, lange Fassung von 1948 mit den im schottischen Akzent gesprochenen Dialogen auf DVD 2.
Wahrscheinlich fehlen bei den Versionen mit 107 Min. nur der aus Schwarzbild bestehende musikalische Prolog (8:07 Min.) und der Epilog nach der "The End" Einblendung (3:18 Min.), auf der deutschen DVD sind diese enthalten. Bei der UK-BD mit 107:15 Min. (wäre in PAL ca. 103 Min. wie bei der französischen DVD) steht nämlich
Zitat* "The End"-Einblendung ab 107:01 Min.
.

ratz

Zitat von: Chowyunfat2 am  3 Dezember 2012, 08:57:34

Wahrscheinlich fehlen bei den Versionen mit 107 Min. nur der aus Schwarzbild bestehende musikalische Prolog (8:07 Min.) und der Epilog nach der "The End" Einblendung (3:18 Min.), auf der deutschen DVD sind diese enthalten.


Sehr gut, das klingt doch einleuchtend. Tatsächlich sind auf der Blu-ray keine Ouvertüre und kein Epilog enthalten. Schade eigentlich, ist ja immerhin Jacques Ibert, aber nicht so schade, daß ich die Arthaus Premium auch noch anschaffen müßte  :respekt:

Chowyunfat2

Zitat von: Chowyunfat2 am  3 Dezember 2012, 08:57:34
Bei der UK-BD mit 107:15 Min. (wäre in PAL ca. 103 Min. wie bei der französischen DVD) steht nämlich
Zitat* "The End"-Einblendung ab 107:01 Min.
Ich meinte natürlich die US-BD, die Du ja - wie ich jetzt erst sehe - selber eingetragen hast, ich war heute morgen noch nicht ganz wach :scar:

Habe bei dieser Gelegenheit zum 1. mal richtig in den O-Ton der Langfassung reingehört und zieh' mir den damit jetzt mal rein, dt.  UTs sind ja gottseidank am Start (bin jetzt wieder voll auf den Geschmack gekommen). Wer den Film noch nicht hat, dem kann ich die Arthaus echt empfehlen, zumal es derzeit die einzige Fassung zu sein scheint mit der Overtüre (auf der DVD nennen sie es "musikalischen Prolog") und musikalischen Epilog (beides mit Schwarzbild), die Bildquali geht auch voll in Ordnung, insgesamt eine würdevolle VÖ.

PS:
Ein Jammer, dass Orson Welles seinen "Kaufmann" nicht fertiggestellt hat, den hätte ich ja zu gerne als Shylock gesehen.

ratz

Mal wieder Zeit, das olle Ding aus dem Keller zu holen  :icon_smile:

Ich habe nun endlich geschafft, Laurence Oliviers Richard III anzuschaffen und – erstmalig – anzusehen. Nachdem mir ja schon sein Henry V und Hamlet viel besser gefallen haben als erwartet, lege ich nun endgültig alle gehegten Vorurteile gegen Olivier ab: Wie er als Richard alles Affektierte und Schnöselige (das er als Mr. de Winter in Rebecca und auch als Hamlet durchaus ausstrahlt) ablegt und fies-sympathisch mit dem Publikum/der Kamera kokettiert, ist aller Ehren wert. Die Idee, sich eine eine Nase anzukleben, klingt eigentlich absurd und ist es in den meisten Fällen auch; Tatsache ist aber, daß sie völlig zu Olivier zu gehören scheint und das Raubvogelartige seiner Erscheinung optimal verstärkt, ohne als künstliches Vehikel aufzufallen. Auch so ein Aha-Effekt. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor Oliviers TV-Lear.
Trotz ebenso empfindlicher wie notwendiger Kürzungen (Queen Margaret fehlt komplett, Richards Soliloquy - Is there a murderer here? - am Ende leider auch) verliert der Film im letzten Drittel etwas am Schwung, oder es ist die schlichte Ermüdung die so viel Text in zweieinhalb Stunden einfach mit sich bringt. Wer Technicolor liebt, dürfte vor den prächtigen, expressionistisch übersteigerten Farben niederknieen, die besonders in der 2012 restaurierten Fassung zur Geltung kommen (bestimmt auch bald in Europa erhältlich). Wie schon in Henry V erreicht Olivier ein abstrakt-märchenfilmhaftes und auch klaustrophobisches Setting dadurch, daß 90 Prozent der Szenen im Studio oder vor Matte Paintings spielen, erst die letzte Schlacht spielt unter (meist) echtem Himmel. Also gibt es visuell durchaus ein Surplus, den man sich nicht entgehen lassen sollte.

Gibts sonst was Neues von der Shakespeare-Front? Hat jemand schon den Much Ado von Joss Whedon gesehen (Filmthread) und kann den abstoßenden Eindruck des Trailers bestätigen (Hollywood-Hipster mit schaudererregender Aussprache in stylischem Oh-Crazy-Wir-Machen-Ein-Total-Lässiges-Schwarzweiß-Low-Budget-Projekt)?  :icon_mrgreen:

Fastmachine

13 September 2013, 13:01:45 #82 Letzte Bearbeitung: 13 September 2013, 14:08:34 von Fastmachine
Ein kurzer Nachtrag zum CORIOLANUS von Ralph Fiennes:

Dem Review von ratz habe ich in Sachen Analyse wirklich nichts hinzuzufügen. Das ist kenntnisreich und sauber argumentiert. Als Nicht-Anglist hätte ich da eh wenig zu kamellen. Die Schlüsse und Interpretationen scheinen mir hingegen eine Idee zu positiv für Fiennes' Film auszufallen.
In meinen Augen bleibt CORIOLANUS am Ende eher ein interessantes Experiment, als eine wirklich passende Aktualisierung. Was wohl eher am Shakespeare-Stück selbst liegt. Bei aller Liebe: Die vormodernen Staatsvorstellungen Shakespeares mit der modernen Mediendemokratie in Einklang zu bringen, stößt an gewisse Grenzen. Manche Einsichten zum Politischen an sich, zur Psychopathologie einzelner Politikertypen oder gerade zum Verkennen des Politischen, sind immer aktuell bei Shakespeare. Aber gerade der tragische Konflikt von CORIOLANUS ist doch nur gewaltsam auf heutige Verhältnisse übertragbar. Da scheint mir der Konflikt von Cassius, Brutus und Marc Anton in JULIUS CAESAR weit interessanter und ergiebiger für eine Adaption.

Also: Mit Interesse gesehen, aber nicht durchweg begeistert. Ausgenommen natürlich Vanessa Redgrave, die ist eine Klasse für sich.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

ratz

Zitat von: Fastmachine am 13 September 2013, 13:01:45
Ein kurzer Nachtrag zum CORIOLANUS von Ralph Fiennes:

Dem Review von ratz habe ich in Sachen Analyse wirklich nichts hinzuzufügen. Das ist kenntnisreich und sauber argumentiert. Als Nicht-Anglist hätte ich da eh wenig zu kamellen. Die Schlüsse und Interpretationen scheinen mir hingegen eine Idee zu positiv für Fiennes' Film auszufallen.


Danke – und ich gebe Dir recht, daß ich beim Schreiben dann doch etwas zu sehr ins Loben verfallen bin (was auch damit zu tun haben kann, daß ich unter dem Deckmäntelchen der Filmkritik endlich meine antidemokratischen Thesen in die Welt posaunen konnte  :icon_twisted:). Trotzdem ein mutiger und kompromißloser Versuch der Modernisierung. Seltsamerweise wird er, wenn man nach der Covergestaltung der DVDs und Blu-rays geht, als rabiater Kriegsfilm vermarktet, was vermutlich schon manchen enttäuscht hat...

ratz

Nicht wundern, muß kurz mit mir selbst kommunizieren:

Zitat von: ratz am 25 August 2013, 13:32:35
Mal wieder Zeit, das olle Ding aus dem Keller zu holen  :icon_smile:
Genau  :respekt:

Zitat von: ratz am 25 August 2013, 13:32:35
Jetzt habe ich keine Angst mehr vor Oliviers TV-Lear.
Habe ich inzwischen sogar gesehen und für gut befunden, allerdings ist es wieder so lange her, daß ich ihn für genauere Bemerkungen noch mal sehen muß. Passiert sicher auch irgendwann.


Zitat von: ratz am  2 Dezember 2012, 23:52:47
The Hollow Crown

... ist seit letztem Jahr endlich in HD zu haben und entsprechend bei mir gelandet. Von den vier jeweils rund zwei Stunden langen Filmen habe ich jetzt mit Richard II den ersten gesehen und kann ihn mit Einschränkungen empfehlen - für eines der weniger zugänglichen history plays ist der etwas schwierige Einstieg in die Lancaster-Tetralogie insgesamt durchaus gelungen.

Zunächst die guten Nachrichten: Ben Wishaw als entrückter, ambivalenter, wankelmütiger und launenhafter Richard II ist FANTASTISCH. Die auf der Bühne in Volumen und Diktion geschulte Stimme ist bei der schmächtigen Körperstatur beeindruckend, sein Spiel orientiert er - nach eigenen Aussagen - an Personen wie Michael Jackson oder Oscar Wilde. Entsprechend kommt Wishaw latent homosexuell daher und versteht es dabei, zugleich anziehend und abstoßend zu wirken und trotz seiner Unfähigkeit als König die Sympathie des Zuschauers auf seine Seite zu ziehen, seine Selbstinszenierung als leidende Christusfigur wird natürlich auf der Bildebene voll ausgeschöpft. Rory Kinnear hält als verschlossener, undurchsichtiger Bolingbroke dagegen, Patrick Stewart ist (natürlich) ein würdiger John of Gaunt, David Suchet als York ebenso. Das Produktionsdesign entspricht einem soliden TV-Mehrteiler, es gibt stimmungsvolle Außenaufnahmen, die seltenen CGI-Effekte (Segelschiff auf dem Meer usw.) erkennt man natürlich leicht.

Wie aber schon angedeutet, war einiges auch problematisch. Klar muß für eine Adaption jede Menge Text geopfert werden, aber da RII fast komplett aus Blankversen besteht, die zudem poetisch außerordentlich reichhaltig sind, ist es um jede Zeile schade. Regelrecht bekloppt fand ich die Idee, die Ermordung Richards durch
Spoiler: zeige
seinen Cousin Aumerle
vornehmen zu lassen - das haut von dessen Charakterzeichnung her vorn und hinten nicht hin.
Am meisten hat mich die unentschlossene, fahrige Regie von Rupert Goold gestört. Was in seiner Macbeth-Verfilmung noch wunderbar funktioniert (siehe weiter oben im Thread), stört hier in RII ungemein: Das Bestreben, den Stoff durch Experimente mit der Kamera interessant zu machen. Mehr als einmal hätte ich mir gewünscht, Goold hätte auf überflüssige Cutaways und Inserts verzichtet und einfach die Darsteller machen lassen. Noch ein Beispiel: In einer wichtigen Szene meint Goold, Wishaw unbedingt 180° umkreisen zu müssen - prompt fällt ein (wenn auch leichter) Schatten des Kamerateams auf Wishaw, und schon ist man rausgerissen aus der Performance. Vielen Dank.

Naja. Trotzdem gibt es doch genügend visuelle Ideen und die wie gesagt starken Darsteller, um diesen Teil der Hollow Crown und damit Richard II zur derzeit kommensurabelsten und interessantesten Verfilmung des Stoffes zu machen (die alte BBC-TV-Version verlangt da schon etwas mehr Hingabe). Der in Kürze anstehende Henry IV und dann Henry V werden vor allem deswegen spannend, weil hier ja filmische Konkurrenz schon vorhanden ist (Welles, Branagh). Ich werde auf jeden Fall dann hier Meldung erstatten.

ratz

Weiter gehts mit dem ersten Teil von Henry IV, beide Teile (1HIV, 2HIV) wurde folgerichtig in einem zweiteiligen Film, Regie diesmal Richard Eyre, umgesetzt.

Im Vergleich zu RII ändert sich quasi alles: Nicht nur gibt es einen erheblichen Zeitsprung in die Zukunft (Bolingbroke als titelgebender König Henry IV hat inzwischen mehrere Söhne), auch die Tonlage ist komplett anders. Spielte RII quasi ausschließlich im royalen Milieu und ohne jedes Gegengewicht durch low comedy, ist 1HIV (und zu weiten Teilen auch 2HIV) beherrscht durch die Präsenz des fetten, durchtriebenen und witzigen Sir John Falstaff. Dessen Händel, Streitereien und Wortgefechte mit dem jungen Prinzen Hal (Harry) Lancaster nehmen viel Raum ein, und so berichten die Stücke/Filme eher vom Coming of Age des Prinzen als vom Kampf seines Vaters und Königs um den Machterhalt.

Da die Charaktere weniger exzentrisch sind, die Handlung konventioneller verläuft und mehr im Wirtshaus als in Palästen spielt, paßt sich die ebenfalls unspektakuläre Regie vom ehrwürdigen Richard Eyre dem Stoff organisch an. Schwerwiegende filmhistorische Konkurrenz gibt es insbesondere durch Orson Welles' Chimes at Midnight, der, typisch wellesisch-frei, beide Henry-Teile zusammenfaßt und sich dabei auf Falstaff konzentriert: Die Straffung und Umstellung der Vorlage gipfelt in einer furios inszenierten Schlachtszene, und Welles als Falstaff ist natürlich gewohnt dominant.
Auch Eyre liefert eine durchaus passable, dabei farbentsättigte, realistisch-ungloriös gehaltene Schlacht und gönnt im Rest des Stückes dem Verhältnis zwischen Hal und Falstaff sowie Hals Gegenentwurf Harry "Hotspur" Percy genügend Raum, indem er Henrys politische Querelen und Verhandlungen aufs Notwendigste zusammenschnürt.
Das ist natürlich schade für Jeremy Irons, der nur kurz als von Sorgen gequälter König zu sehen ist. Er hat ja in 2HIV noch ein paar wichtige Szenen, aber 1HIV gehört nun einmal Tom Hiddleston als Hal - kein Problem für ihn, die Figur auszufüllen - und einem fantastischen, bis zur Unkenntlichkeit maskierten Simon Russell Beale als Falstaff. Die beiden haben großartige Szenen zusammen, allein wie Hiddleston Jeremy Irons imitiert, muß man gesehen haben  :icon_mrgreen:, und Beale entlockt dem Falstaff ein paar Facetten, die bei Welles in großen Gesten untergehen. Das walisische Lied von Lady Mortimer hätte ich allerdings gern komplett zuende gehört...

Insgesamt eine zwar nicht spektakuläre, dafür in sich stimmige Adaption mit vorzüglicher Schauspielerei, eine halbe Stunde kürzer als die BBC-TV-Version von 1979, allerdings visuell wesentlich ansprechender (viele Innenaufnahmen wurden in echten Schlössern und Kathedralen gedreht, den Außendrehs sieht man die Winterkälte an). Von 2HIV erwarte ich im Prinzip dasselbe, plus den großen Auftritt von Jeremy Irons. Interessant wird dann Henry V, der sich ja mit Branaghs Film (1989) und Oliviers Version (1944) wird messen lassen müssen!

ratz


Henry V schließt den Hollow-Crown-Zyklus und ist – leider – in meinen Augen der schwächste Teil. Das hat mehrere, hauptsächlich aber konzeptionelle Gründe, die sicherlich bewußt gewählt wurden, aber m. E. dem Stück und seinem Sinn nicht gut entsprechen.

Zwei Bürden lasten auf HV: Zum einen das nun doch sichtbar schmale TV-Budget, zum anderen das Erbe zweier an sich schon herausragender Verfilmungen von Olivier und Branagh (Diskussion dazu weiter oben im Thread). Ich fange mit Punkt zwei an: Schon Branagh hatte den ganz klassischen, auf Hochglanz polierten Olivier recht radikal heruntergebrochen und die Schlachten in einen schlammigen, wenig heldenhaften Realismus überführt. Bewahrt und vielleicht sogar noch gesteigert aber hatte Branagh den Dreh- und Angelpunkt des Stücks: den König selbst in seinem strahlenden, mitreißenden Charisma, seiner rhetorischen Gewitztheit, seiner magnetischen Persönlichkeit, alles Eigenschaften, die er geschickt im Kampf gegen Frankreich einsetzt, ohne dabei in einen platten Hurra-Patriotismus zu verfallen.
Thea Sharrock, Regisseurin des Hollow-Crown-HV, versucht nun (ggf. angesichts mangelnder Inszenierungsalternativen), Branaghs Ansatz noch weiter zu radikalisieren: Noch weniger Text (ganze Szenen fallen weg, z.B. Henrys Entdeckung der Verräter), noch weniger Schlachtenglorie, noch weniger Patriotismus, noch weniger Begeisterung. Sharrocks schwermütige Version ist geradezu überladen von postmodernen Befindlichkeiten, erlaubt keine komödiantischen Einlagen (Fluellen hat kaum Text) und sieht sich offenbar auch genötigt, als Henrys Cousin, den Duke of York, einen Neger zu besetzen – eine Art vorauseilender Political Correctness, die jede weitere Bemühung um Historizität ad absurdum führt  :viney: Die Budget-Beschränkungen (die noch in den HIV-Teilen so nicht sichtbar waren) schlagen sich in einem winzigen "Heer" nieder, mit dem Henry unterwegs ist, sowie in schmerzhaft herausstechenden stock-footage-inserts, als die Segelschiffe der Überfahrt nach Frankreich gezeigt werden.
Schauspielerisch kann man Hiddleston als nun erwachsen gewordenem König nichts vorwerfen, er fügt sich der Vorgabe des ernsthaften, grüblerischen und unter der Verantwortung leidenden Herrschermodells, das er vertreten soll. Ganz kurz darf er am Schluß, in der Werbungsszene um die französische Prinzessin, etwas Charme spielen lassen – damit bloß nicht zu viel Spaß aufkommt, ist der ganze Film von Bildern der Beerdigung Henrys gerahmt, der ja sehr jung gestorben ist...

Aber zum Glück gibt es ja weiterhin Branaghs und Oliviers Versionen (beide inzwischen auf Blu-ray) für diejenigen, die sich gelegentlich ein paar monarchistisch-vaterländischen Regungen (für uns Nicht-Briten sind es ja nicht mal solche!!) aussetzen und trotzdem ruhig schlafen können. Der Vorteil der Hollow-Crown-Version, den sie trotz der beschriebenen Mängel hat, ist natürlich die konsistente Nachzeichnung einer Herrscher- und Dynastienbiographie über gut acht Stunden und damit der Umfang an stets präsenten Hintergrundinformationen, die in dieser Komplexität kein Kinofilm je wird bereitstellen können. Insofern ist, wie man so schön sagt, ein Alleinstellungsmerkmal gegeben (viele weitere schwerwiegende Pluspunkte habe ich ja bereits oben erwähnt) und diese zeitgemäße TV-Tetralogie unbedingt des Anschauens wert.

– Angekündigt ist ja bereits der Folgezyklus, der wieder vier Shakespeare-Stücke umfassen und nahtlos an Henry V anschließen wird: Henry VI, Teile 1, 2 und 3 plus Richard III in drei Filmen (1HVI, 2+3HVI, RIII). Diese Rosenkrieg-Trilogie wird vom Theaterregisseur Dominic Cooke verantwortet und glänzt mit Namen wie Benedict Cumberbatch, Sally Hawkins, Judi Dench, Michael Gambon... man wird sich allerdings noch bis zur TV-Ausstrahlung im Jahr 2016 gedulden müssen, physische Medien gibts dann hoffentlich im Folgejahr. Auf jeden Fall ausreichend Zeit, um die gern vermiedenen Henry VI-Dramen dann doch mal am Schlafittchen zu packen  :respekt:

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