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Interessanter Artikel über Filmkritiker in Deutschland

Begonnen von Roughale, 1 Februar 2007, 17:13:05

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Roughale

Ich habe auf Empfehlung eines Theaterleiters den folgenden Spiegelartikel des Filmproduzenten Rohrbach gelesen und wollte den Forumsteilnehmern das nicht vorenthalten, viel Spass beim Lesen und vielleicht auch mal drüber nachdenken, falls man selbst Kritiken schreibt.

http://www.deutsche-filmakademie.de/744.98.html

esta es la mejor mota
When there is no more room for talent OK will make another UFC

Roughale

Dazu auch noch eine etwas abwegige (imho) Reaktion der Kritiker (haben die den Artikel nicht verstanden, oder fühlten sich beleidigt, weil man sie kritisierte?  :doof:)

http://www.schnitt.de/kalender/index.shtml

esta es la mejor mota
When there is no more room for talent OK will make another UFC

SutterCain

Schönes Thema für einen Thread!

Ich denke Rohrbach hat Recht, wenn er sagt, dass die Wirkung der Kritik oftmals verpufft. Das Beispiel (Parfum vs. Sehnsucht) trifft ins Schwarze. Die Mehrheit des Publikums interessiert sich nicht für das, was die Kritiker schreiben. Gute Werbung und Mundpropaganda (inkl. solcher Foren wie diesem hier) sind effektiver in der Beeinflussung von potentiellen Zuschauern.

Die Frage ist nur: Was will Rohrbach denn bitteschön? Die Kritik komplett abschaffen? Das kann's ja nun auch nicht sein. Kritik hat ja auch die Aufgabe, Filme zu deuten - tiefer zu blicken, als es der normale Kinobesucher gemeinhin tut. Ich kenne Leute, die lesen Kritiken gerne, aber erst NACHDEM sie einen Film gesehen haben, um eine andere Perspektive auf das Gesehene zu bekommen.


Roughale

Guter Punkt den SutterCain da anbringt!

Was er auf jedenfall nicht will, das ist die Kritiker gleichschalten, so wie die hirnrissige Presseerklärung das darstellt, aber ist ja bekannt, am kritikunanfälligsten sind nun mal die Kritiker selbst, hat man ja auch hier schon gesehen - wo war das nur... :king:

esta es la mejor mota
When there is no more room for talent OK will make another UFC

Fäb

Nach dem Artikel im Spiegel kam tags darauf auch direkt im "Kölner Stadt-Anzeiger" eine Reaktion des hiesigen Filmrezensenten des Kulturteils (woraufhin ich mir dann auch erstmal im Spiegel durchgelesen hab, wer ihn dazu veranlasst hat). Seine Antwort gefiel mir eigentlich ganz gut, kann's jetzt natürlich nicht mehr genau wiedergeben, aber er hat dem Herrn Rohrbach doch schon ziemlich den Wind aus den Segeln genommen. Find den Artikel online leider nicht.

Meine persönliche Meinung ist, dass die Wahrheit wie so oft irgendwo in der Mitte liegt. Natürlich sehen die Dauerrezensenten, die u.a. bei Veranstaltungen wie der Berlinale um 10 Uhr morgens Film XY angucken und danach noch ein tagesfüllendes Pensum vor sich haben, selbigen mit anderen Augen als das verträumte Samstagabendpublikum, dass sich amüsieren will, und schreiben daher vielleicht etwas verkopfter und an beschriebener Zielgruppe vorbei. Aber ich finde es eigentlich immer gut, wenn man sich nicht zu sehr Gedanken darum macht, für wen man das schreibt, sondern vor allen Dingen dahinter steht, was man zu Papier bringt.

Will ich als in Sachen Film bewanderter Leser denn, dass nur das breite Publkum angesprochen wird?
Nö, ich finds ok wenn man sich eher an ein kulturell interessiertes Publikum wendet und eben nicht der Masse hinterherschreibt. Leider schlägt es dann häufig in ein zu krasses Extrem um, und so mancher Schreiberling vertritt bisweilen scheinbar nur zur Selbstprofilierung eine Kontraposition.

Moonshade

Rohrbach führt durchaus an, daß wir die Filmkritik brauchen - er will sie nicht abschaffen, sondern plädiert für eine Neuordnung der Werte und ein gewisses In-sich-Gehen angesichts der hiesigen Entwicklungen in den letzten Jahren.

Es ist ja nicht so, daß er nicht recht hätte, daß seine Argumente vollkommen haltlos wären: teure Filme haben einen schweren Stand, Publikumserfolge zählen kaum und wenn, dann sind sie meist gleich Beispiel für den schlechten Geschmack desselben.
Dahingegen wird auch, wie schon immer in D. ein Filmklientel abgefeiert, das auf dem künstlerischen Gebiet Großes leistet, aber deswegen noch lange keinen Kontakt zu einem Publikum herstellt.

Was Rohrbach eigentlich von den Kritikern fordert, ist der "gewisse" Spagat zwischen Kunst und Kommerz, eine Rückbesinnung auf detailliertere Analysen, die auch Qualitäten dort honorieren, wo andere Elemente des Films eher nicht-qualitativ greifen, also bspw. Popcornunterhaltung geboten wird.

Um Ähnliches bemühe ich mich persönlich selbst inzwischen in meinen Kritiken, da ich verstärkt festgestellt habe, welche Lücke zwischen mir als engagiertem Filmfreund mit Gewicht auf gutes Erzählkino und dem Wunsch nach Filmkunst, allerdings stets auf der Basis des Unterhaltungsanspruchs und gegenüber dem "normalen" Publikum klafft, das einen Film sieht - aber nur selten durch den Film sehen will, also Botschaften und Qualitäten bisweilen nur unterschwellig wahrnimmt, ohne sie weiter zu analysieren.

Die Kritik sollte den ganzen Film abdecken - und dabei sollte der Kritiker stärker in den Hintergrund rücken, wobei ich eine Aufgabe der individuellen Vorlieben der Rezensenten ablehne, denn nur durch einige deutliche subjektive Elemente wird der Mensch hinter dem Kritiker sichtbar und verhindert, daß aus ihm eine funktionelle Bewertungsmaschine wird, die Informationen ohne jeden Enthusiasmus abliefert.

Rohrbach wünscht sich imo, daß die Kritiker ihre eigene Position häufiger überdenken und die liegt nun mal um einiges höher als die des normalen Publikums, was die Ansprüche im Besonderen betrifft.
Das allerdings trifft auf eine berufsgruppenorientierte Borniertheit - hier fühlt sich eine unabhängige, im Individuum individuelle Gruppe zuvorderst in ihren Rechten verletzt, sobald an der Kritik von außen Kritik geübt wird.
Die Kritiker beziehen Position, gehen aber auf die Argumentation gar nicht ein, sondern polemisieren selbst, indem sie den Schreiber herunterstufen. Das hilft hier leider nicht weiter.

Vor allem nicht zuletzt, da das Publikum die professionelle Filmkritik meistens gar nicht wahrnimmt, das Interesse liegt da bei den Intellektuellen (Tageszeitungen) oder der eher kleinen Gruppe enger Filmfreunde (Fachmagazine), während die breite Masse praktisch ohne jede Vorarbeit ihre Filme nach Darstellern oder Genres wählt.
Ggf. orientiert man sich noch an einem scheinbaren Massenspektrometer wie der "Cinema" oder TV-Magazinen/Making-Ofs, die jedoch selbst meistens in einer Art stillem Promotionprozess für gewisse Genres/Firmen hängen und deswegen gewisse Sachen pushen oder abwerten, ohne daß ihre Kritiken haltbar wären - was meist an der Vorabproduktion der Medien lange vor Filmstart liegt.

Die stille Panik, daß das eh schon gebeutelte Kino ganz ausstirbt, läßt die nicht-professionelle Kritik so ziemlich jeden Schrott schreiben, während die Profis es sich angesichts der steigenden Verseichterung als eine Art Gralshüter bequem gemacht haben.
Da trifft also die erste auf die dritte Welt - dazwischen bleibt wenig.

Außer Platz - und den sollten wir mit unserer wachsenden Popularität (Kritiken im Web auf dem Vormarsch, vom User für den User) bemüht sein zu füllen.
"Du hältst durch und ich halte durch und nächstes Jahr gehen wir einen saufen!

"Anything invented after you're thirty-five is against the natural order of things.!" (Douglas Adams)

"Gebt dem Mann ein verdammtes Puppers!"

barryconvex

Den zentralen Punkt von Rohrbach - Filmkritiker sollten in erster Linie Entscheidungshilfe für die Filmauswahl der Allgemeinheit abgeben - kann ich nicht teilen. Wenn in Kritikeraugen "Das Parfüm" hochglanzveredelter Durchschnitt ist oder "Das Leben der Anderen" gut gespielte Geschichtsfälschung, dann muß darauf die Kritik hinauslaufen, weil das den Rest (Kamera, Schnitt, usw.) aufwiegt. Natürlich ist es die Aufgabe der Filmkritik gerade den ideologischen Teil abzuhandeln und die Kontexte herauszustellen.

barryconvex

... Außerdem verschweigt der Rohrbachartikel, daß man inzwischen häufig (aus Angst vor schlechten Kritiken) bei potentiellen Blockbustern keine Pressevorführungen vor dem Kinostart mehr durchführt.

Ein weiterer Aspekt wird von ihm zwar angesprochen, jedoch ins Gegenteil verkehrt: "Das Parfüm" hat in den Feuilletons eine Besprechung - bedauerlicherweise -  sicher, meist als Hauptartikel + Interview, genauso wie sehr viele teure Produktionen, während Filme in der Größenordnung von "Sehnsucht" meist unter den Tisch fallen. Wobei ein Verriß immer noch bessere Werbung ist als einen Film zu verschweigen.

Adam Kesher

Eine interessante Debatte. Ich finde schon, dass Rohrbachs Kritik an den Kritikern, sie seien aus Prinzip kommerzfeindlich, greift, auch wenn das angeführte Beispiel "Das Parfüm" sicher nicht den mangelnden Einfluss der Kritiker, sondern vor allem den übergroßen Einfluss einer populären Literaturvorlage, zugkräftiger Namen und gigantischer Werbemaßnahmen spiegelt. Ich befürchte aber auch, dass seine Aufforderung an die Kritiker, sich konsequent in den Dienst des Publikums zu stellen, das Problem nicht lösen, sondern nur in sein Gegenteil verkehren würde: Statt den Anforderungen einer schwer zugänglichen Elitekunst würde die Kritikerschaft sich den Anforderungen breitenwirksamer Konsumware verschreiben, wie man es mitunter in Käseblättern bezeugen darf, wenn wieder einmal eine dümmliche Materialschlacht mit einem Fazit wie "Gigantische Fortschreibung der epischen Saga" durchgewunken wird, eine Phrase, der man die Gleichgültigkeit des zur Lobhudelei angehaltenen Rezensenten förmlich anhört.

Meines Erachtens sollten sich Kritiker weder dem Massen- noch dem Nischenkino verpflichtet fühlen, sondern sich gerade von derlei Zwängen lossagen, vom hoch gelobten intellektuellen Anspruch wie von der oberflächlichen Zerstreuung, letztlich allein auf ihren Geschmack und ihr Gewissen vertrauen, gerade so wie Rohrbach es den Filmemachern nachsagt, die angeblich nur sich selbst als Zuschauer kennen und darauf setzen, dass es andere Menschen geben muss, die ihren Geschmack teilen - ein Unabhängigkeitsideal, von dem gegenwärtige deutsche Filmemacher mindestens so weit entfernt sind wie die kritisierten Kritiker, sodass Stänkerer mit Fug und Recht resümieren könnten, das charakterschwache und profillose deutsche Gegenwartskino werde hier mit genau den bornierten Verkennern geschlagen, die es verdient, ja vielleicht sogar erst hervorgebracht hat.

Die absolute Wahrheit wird sich kaum in einer einzelnen Besprechung offenbaren, womöglich aber in einer Debatte, deren Teilnehmer sich ihrer individuellen Aufrichtigkeit verpflichtet fühlen: teure und erfolgreiche Filme, einfache und nischenhafte Filme - gleichviel, solange die Qualität stimmt. Insofern würde ich Moonshade nicht beipflichten, dass der Kritiker sich auf eine tendenzielle Objektivierung einlassen sollte, um dem Publikum entgegenzukommen, denn diese Selbstrelativierung bringt zwei Nachteile mit sich: Erstens meint der Autor am Ende nur noch bedingt, was er schreibt. Und zweitens muss die Relativierung zwangsläufig halbseiden bleiben, denn wer verstünde es schon, sich selbst so überzeugend zu widersprechen wie ein energischer Vertreter der Gegenmeinung? Vielmehr halte ich es mit barryconvex, dass eine missglückte Geschichte nicht durch inszenatorische Sekundärleistungen aufgewogen werden kann - auch wenn eine geglückte Geschichte dadurch womöglich erst den letzten Schliff bekommt -, und die Aufgabe des Kritikers nicht im Erraten des Publikumsgeschmacks, sondern im Mitführen und Bereichern eines niveauvollen Kulturdiskurses besteht.

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