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Autoren-Thread: Fastmachine

Begonnen von Fastmachine, 24 Januar 2007, 01:39:06

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McKenzie

Na, jetzt habt ihr euch ja ganz doll lieb.  :eek:
Und das auch noch bei diesem ätzenden Machwerk. Aber nein, ich sollte mein vorlautes Mundwerk halten und euch gewähren lassen, zudem dabei zumindest versuchen, mich haushoch überlegen zu fühlen.  ;)
ZitatPunctuality is the thief of time
- Oscar Wilde
ZitatOne problem with people who have no vices is that they're pretty sure to have some annoying virtues.
- Elizabeth Taylor

Mr. Vincent Vega

Ach bitte, geh' du doch weg und hol' deiner Signatur einen runter.

;)

McKenzie

Zitat von: Mr. Vincent Vega am 14 August 2008, 00:45:49
Ach bitte, geh' du doch weg und hol' deiner Signatur einen runter.

;)

Na, ob Mark Wahlberg überhaupt was zum runterholen hat?  :icon_mrgreen:





Flachwitz des Tages - aber musste einfach sein, gerichtet an jemanden, der allen Ernstes den wunderbaren "Happening" einem kleingeistigen Betroffenheitsfilm wie "Schindler's Liste" hintenanstellt.

Im übrigen habe ich dieses Foto gewählt, weil es imo "The Happening" als Gesamtkunstwerk der süffisant-zynischen Art besonders schön repräsentiert (wie eigentlich fast alle der göttlichen frontalen Close ups von Wahlberg und Zooey "Guck mal, ich hab' blaue Augen" Deschanel in dem Film) - aber es ist ja sowieso viel cooler, den Regisseur als Dilettanten bloßzustellen, da fühlt man sich so überlegen (würde ich im übrigen mit Stevie, bei aller Skepsis und sporadischen Ablehnung, niemals tun).

So, ich muss jetzt endlich ruhen. Du schadest meiner Schönheit, du giftiges Grünzeug.
ZitatPunctuality is the thief of time
- Oscar Wilde
ZitatOne problem with people who have no vices is that they're pretty sure to have some annoying virtues.
- Elizabeth Taylor

Fastmachine

"Betroffenheitsfilm" - genau diesen Standardvorwurf gegen Spielberg halte ich im Falle von "Schindlers Liste" für irrig.

Über den Film könnte man sicher auch unter anderen Gesichtspunkten sehr viel mehr schreiben, als ich es getan habe. Auch und insbesondere Kritisches, was seine inneren Schwächen angeht.
Ich habe mich, schon allein um ein Ausufern des Textes zu vermeiden, auf eben den Punkt beschränkt, der besonders gerne angegriffen wird, nämlich den angeblichen Spielbergschen "Gefühlskitsch" oder seinen "moralischen Zeigefinger".

Was ist denn "Betroffenheitskino"? Im negative Sinne, das bequeme Abgreifen moralischer Empfindungen, die eh schon Klischee geworden sind. Filme, die für ungeeignete Themen übergroßes Gefühl heucheln. Filme, die geheuchelte oder unangebrachte Gefühle dem Publikum aufzwingen wollen.

Spielberg hatte es unter diesen Gesichtspunkten 1993 nicht gerade leicht gehabt, angesichts einer schon damals stets zu hochnervösen und unvereinbar auseinanderliegeneden Beiträgen neigenden öffentlichen Holocaust-Diskussion.
Auch für mich habe ich Spielberg erst durch "München" wieder entdeckt als ernsthaften und relevanten Deuter zeitgeschichtlicher Wunden, obwohl dieser Film sicher nicht ein "unbezweifelbares Meisterwerk" der Stufe 10/10 ist. Insbesondere ist mir erst durch "München" Spielbergs Haltung zur Sexualität bewußt geworden.
Eines der ältesten und wie ich finde, nicht unbedingt der dümmsten Kriterien, die Ernsthaftigkeit von Kunstwerken zu beurteilen, ist deren Haltung zu Sexualität und Tod. Hier hat Spielberg mehr zu bieten, als ich früher gedacht habe.

Meine Annäherung an das Spielbergsche Gefühlskino ist also keine einfache Sache gewesen, sondern Resultat eines längeren Nachdenkens. Die langsam gereifte Einsicht, dass die Spielbergsche Trauer ein legitimes, auch künstlerisch produktives Gefühl ist; dass diese Trauer, dieser wunde Punkt in seiner Seele, sich schon in symbolischer Verkleidung gerade in seinen vermeintlich "oberflächlichen" Werken des "Mainstream-Hollywood-Kinos" angelegt findet. "Schindlers Liste" gibt diesen Gefühlen eine historische Deutung.
Spielberg erhebt auch nicht den moralischen Zeigefinger und sagt: Der gute Onkel Schindler, der böse Onkel Göth. Er liefert eben nicht die fertige Moral für alle Fälle, sondern verteidigt die moralische Entscheidungsfreiheit.


       
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

McKenzie

17 November 2008, 03:09:53 #64 Letzte Bearbeitung: 17 November 2008, 03:27:10 von McKenzie (Peter Maffay)
In seiner Kürze sehr umfassendes (umfassend im Sinne von: Viele Aspekte zugleich abdeckend) Review zu FÜNF PATRONENHÜLSEN, dass du da als OFDb-Pionier in Sachen DEFA-Kino verfasst hast. Es ist einfach erfreulich, wenn man einen so vergessenen und, wie du eben richtigerweise mehrmals hervorhebst, einzigartigen Film des (ost)deutschen Kinos anklickt, um ihn zu bewerten, in der festen Erwartung, kein Review vorzufinden - und dann auf einen so adäquaten Text stößt.  :respekt:
Was mich im ersten Moment überrascht hat, war die scheinbare Beiläufigkeit, mit der du die stellenweise unschön plakativen und irgendwo auch deplazierten "Propaganda-Momente" des Films (der einer Bestrafung für unkameradschaftliches Verhalten gleich kommende Tod von Mueller-Stahls Charakter, die moralistisch aufgeladene, ausgesprochene dämonische Zeichnung der faschistischen Seite in Anbetracht einer ansonsten erfreulich und erstaunlich sachlichen Perspektive, die nicht unbedingt der subjektiven Sicht der Protagonisten entspricht) "abhakst". Aber - und hier tendierst du vielleicht in eine ähnliche Richtung - es ist eben doch erkenntlich, das Beyer den sozialistischen Holzhammer, der die Integrität seines grundehrlichen, unprätentiösen Films zu stören droht, umzubiegen versucht in Richtung eines Apells für Freundschaft, Solidarität, Empathie und selbstverständliche Menschlichkeit anstelle einer normiert-vernunftgesteuerten, politischen Variante dieser Werte. Das lese ich bei dir, dem kühlen Sachbearbeiter, so ähnlich zwischen den Zeilen.  :icon_mrgreen:

Ein interessanter Punkt, den ich sofort erwähnt hätte, ist die große atmosphärische und inszenatorische Nähe zum Italowestern, (Achtung, Schwelgerei) die karge Lyrik der sengenden audiovisuellen Eindrücke, die physisch geradezu unerträglich intimen, extremen Close-ups, die ikonographisch wirkenden Totalen, in denen die Figuren als kleine Punkte und Striche  umherirren, die rhytmisch montierte Überfall-Szene auf der Brücke bei Nacht und natürlich die Musik... Das Setting alleine würde diesen Eindruck sicher nicht unbedingt auslösen. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, das dies einer der Filme gewesen sein könnte, der die einflussreichsten Regisseure des Italowestern maßgeblich beeinflusste. Natürlich war das vermutlich nicht der Fall, trotzdem erhöht dieser spartanische und konzentrierte Minimalismus des Films in nahezu allen Bereichen seine Beständigkeit im Gefälle der deutschen Filmgeschichte.


Ach ja, weil ich es bin und nie locker lassen kann:

Zitat von: Fastmachine am 14 August 2008, 12:14:16
Er liefert eben nicht die fertige Moral für alle Fälle, sondern verteidigt die moralische Entscheidungsfreiheit.

Das kann ich so nicht einmal ansatzweise nachvollziehen. Der Film steckt seine moralischen Fronten klar ab (was prinzipiell erst einmal mein Wohlwollen hat, Moralismus an sich ist unerlässlich und mutig), und nur weil Spielberg zeigt, statt zu kommentieren, enthält er sich eines extremen moralischen Urteils nicht. Schließlich wählt er sehr genau, was er zeigt und was nicht - Schindler ist im Film für Spielberg-Verhältnisse ein erstaunlich ambivalenter Charakter während Göth nur ein irdischer Satansschlächter, ein 100%iger Sadist ist - "trotz" seiner "menschlichen" Regungen für das jüdische Mädchen. Gerade wenn man so ausgeprägt einzelne Personen als Repräsentanten eines politischen Phänomens wählt (Spielberg ist nun einmal ein Erzähler und kein Beobachter oder Fotograf), ist die Gratwanderung zwischen Schock und Distanzierung, Bewunderung und Glorifizierung, gerne besonders heikel - und Spielberg fehlt imho das nötige Fingerspitzengefühl, sie zu meistern. So absurd mir der Gedanke anfänglich erschien - gerade wenn Billy Wilder tatsächlich, wie von Spielberg einmal angedacht, Regie geführt hätte, wäre diese Gratwanderung vermutlich ein voller Erfolg geworden. (Polanski, der andere angedachte Regisseur, hätte sie vermutlich noch mehr in den Sand gesetzt)
ZitatPunctuality is the thief of time
- Oscar Wilde
ZitatOne problem with people who have no vices is that they're pretty sure to have some annoying virtues.
- Elizabeth Taylor

Fastmachine

Hoo...wer ist da in die Gruft meiner Review-Frühwerke gestiegen und hat die Ruhe der Toten, die sich in unterschiedlichen Stadien des Verwesungsprozesses befinden, gestört? Tomb-Raider McKenzie, soso.  :icon_lol:

,,Fünf Patronenhülsen" vom 23.4.2004 – ich erinnere mich noch halbwegs an eines meiner ersten Reviews. Sicher würde ich das Review heute nicht mehr so schreiben, manches, etwa die Bildsprache des Films, genauer betrachten.
Meine damalige Absicht war es hauptsächlich, so scheint mir heute, den Film historisch einzuordnen und Beyers Leistung, die im Gedächtnis der westdeutschen Öffentlichkeit fast nicht vorhanden ist, zu würdigen. Warum ein Film über den spanischen Bürgerkrieg in der DDR von 1960? Warum mit dieser Ausrichtung?

Deine Beobachtung, dass der Film gewisse Ähnlichkeiten mit den Italo-Western hat, trifft auf einzelne Szenen verblüffend gut, für die Erzählhaltung des Ganzen natürlich eher nicht.
Sicher: wie die halb verdursteten Interbrigaden-Kämpfer in ein Dorf kommen, wo die Bevölkerung vor Angst schweigend herumsteht, wo die katholische Pfarrer Agenten Francos sind, das lässt schon atmosphärische Vergleiche zu. Und die Sergio Leone reife Szene, als der Verdurstende den einsamen Brunnen in der endlosen Ebene der wogenden Kornfelder erreicht: das hat schon monumentale Kraft.
Allerdings glaube ich, dass die Ähnlichkeit, die in der Monumentalität der Totalen und den intimen Close-Ups zwischen Frank Beyer und Sergio Leone besteht, schlicht und einfach das Erbe des gemeinsamen Vorbildes Eisenstein ist. In meinen Frank-Beyer-Reviews habe ich aus gutem Grund versucht, auf die meiner Meinung nach herausragende Arbeit von Stammkameramann Marczinkowsky hinzuweisen: Ein Meister der s/w Fotografie.

Die z.T. extrem didaktischen Elemente der sozialistischen Geschichtsdeutung stören natürlich, ganz recht. Sie sind einerseits das unvermeidliche Zeugnis der stalinistischen Verhältnisse in der Ulbricht – DDR und ihrer offiziellen Pflege am geschönte Mythos der ,,Spanienkämpfer". Das habe ich eigentlich doch auch sehr deutlich so herausgestellt.

Andererseits haben damals viele Künstler, darunter auch Beyer, grundsätzlich mit dem Sozialismus in Einklang produziert, bzw. an seine Veränderbarkeit und Verbesserung geglaubt, so sehr sie die Zwänge des Zensur Alltags auch bedrückten. Gerade bei Beyer war es ein langer Weg bis in die Opposition, der erst später öffentlich deutlich wurde, mit dem Verbot von ,,Spur der Steine" 1965 und seinem Engagement gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976.

Aber die Sympathie Beyers für das Menschliche, die Individualität, gegen das Genormte, wie du schreibst: das ist hier schon spürbar. Und ich hätte es eigentlich als Qualität herausstreichen sollen. Da streift mein Review nur an den wichtigen Punkten entlang, statt genau hinzuschauen. Deine Kritik ist schon berechtigt, deine ,,Zwischen-den-Zeilen-Leserei" eine sehr freundliche Deutung meiner analytischen Unschärfe. Ob ich das Review allerdings noch mal anfasse oder lieber als ,,Frühwerk" so belasse, kann ich noch nicht sagen. Theoretisch natürlich am besten: Neu schreiben. Im Moment allerdings bei mir völlig unmöglich.

Meine Wertschätzung für Frank Beyers Frühwerk in der ersten Hälfte der sechziger Jahre bleibt trotz aller ,,DDR-Rhetorik" bestehen, auch für ,,Fünf Patronenhülsen", eines der ersten größeren selbständigen Werke des Regisseurs. Gerade unter diesem Aspekt scheint mir die künstlerische Leistung des jungen Frank Beyer, praktisch aus dem Stand einen solch eigenständigen Film zu erschaffen, umso staunenswerter. Auch wenn mein frühes Review dies nur unvollkommen ausdrückt. ,,Fünf Patronenhülsen", ,,Königskinder", ,,Karbid und Sauerampfer", ,,Nackt unter Wölfen", ,,Spur der Steine" – welcher deutsche Regisseur hat zwischen 1960-65 fünf Werke von solcher Qualität vorzuweisen?

Zu Spielberg später ein Extraposting. Ich bitte um Geduld.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

vodkamartini

27 Januar 2009, 16:17:23 #66 Letzte Bearbeitung: 27 Januar 2009, 16:18:55 von vodkamartini
Habe soeben deine Walküre Besprechung gelesen. Sprachlich wie immer über jeden Zweifel erhaben und sehr angenehm zu lesen.

Inhaltlich kann ich dir allerdings an der ein oder anderen Stelle nicht so recht folgen.

Stauffenbergs Motivation und Entwicklung wird historisch überbewertet? Das würde ich ganz und gar nicht unterschreiben. Gerade das ist ja das Interessante und Spannende an der Figur. Ein vormals Einverstandener und späterer Mitläufer wird zum Widerständler.

Der Film ist Ort- und zeitlos? Das solltest du etwas besser erklären. So wie es dasteht, ergibt es nicht viel Sinn.

Singer hätte den 20. Juli historisch einordnen sollen? Finde ich ebenfalls etwas wirr. Wie sollte das aussehen?

Den X-Men Vergleich finde ich arg bemüht und wenig passend.

Richtig ist, dass die Rezeption des Films sehr viel über unseren Umgang mit der Thematik und unsere Haltung zu Stauffenberg und der Umsturzbewegung offenbart. Man sieht das ja wieder ganz deutlich an dem ewigen Lamentieren bezüglich des "Antidemokraten" (wie unlängst wieder im SZ-Magazin).
Ein Argument, das m.E. zur Würdigung der Tat und des Entschlusses nicht taugt. Dieser Umstand wird Stauffenberg mehr oder weniger deutlich als Charakterfehler unterstellt, was ich für ausgemachten Blödsinn halte.
www.vodkasreviews.de

There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

Fastmachine

28 Januar 2009, 21:58:10 #67 Letzte Bearbeitung: 29 Januar 2009, 09:24:46 von Fastmachine
Dank für Lob und Kritik, die mir gerade hier helfen, mein Review zu präzisieren. Es ist nämlich sehr untypisch entstanden. Am Samstagabend habe ich den Film gesehen und am Sonntag gleich die frischen Eindrücke festgehalten. Dabei habe ich wohl die Argumentation an einigen Stellen zu locker geknüpft.
Andererseits wollte ich mich bewusst etwas kürzer fassen, da ich oft zu sehr langen Texten neige. Im Prinzip wurden von den vorhandenen Reviews ja schon viele wichtige Punkte für und gegen den Film diskutiert, deshalb habe ich nicht noch mal alles in voller Breite ausgerollt, sondern nur hier und da einige Akzente anders gesetzt.

Gerade dieser Film ist ja durchaus umstritten in der Bewertung. Von Mr. VVs Strafgericht mit Pech und Schwefel, ähnlich dem, das der Herr über Sodom und Gomorrha niedergehen ließ, bis hin zu deinem nur wenig eingeschränkten Lob, hinter dem man den begeisterten Historiker erkennt.

In einigen Punkten gehen wir konform. Die historische Faktentreue des Films ist für eine solche Produktion sehr gut, die Ausstattung überaus eindrucksvoll. Die wenigen Abweichungen des Drehbuchs vom historischen Ablauf sind nicht verfälschend, sondern künstlerisch sinnvoll, um dem Zuschauer das Wesentliche kompakt bildlich zu zeigen, anstatt umständlich nebenher auszubreiten.

Nun aber zu deiner Kritik:

Zitat von: vodkamartini am 27 Januar 2009, 16:17:23
Stauffenbergs Motivation und Entwicklung wird historisch überbewertet? Das würde ich ganz und gar nicht unterschreiben. Gerade das ist ja das Interessante und Spannende an der Figur. Ein vormals Einverstandener und späterer Mitläufer wird zum Widerständler.

Ok. Für sich allein ist der Satz missverständlich und schief. Aber er ist doch in meinem Review in einen (tatsächlich zu knappen) Argumentationszusammenhang eingebettet. Ich werde mein Review um einen Absatz ergänzen. Vorweg also:

Ich bemängle, dass der Film zwar historisch im Sinne von Faktentreue ist, aber fast gar nicht die geschichtlichen Kräfte andeutet oder gar verständlich macht, die zum 20. Juli geführt haben. Welche Personenkreise waren beteiligt, welchen Zusammenhalt gab es, welche Ziele hatte man. Und: Warum erst so spät im Krieg. Man könnte endlos so weiter machen, das ist dir ja als Historiker alles bekannt.

Unter den vielen historischen Faktoren, die für den 20. Juli wesentlich sind, ist der spezielle Werdegang von Stauffenberg nur einer. Sicher interessant, aber eben lange nicht repräsentativ oder allein entscheidend. Der Film ist keine Biographie Stauffenbergs, sondern ein Film über den 20. Juli. Trotzdem hängt sich ein erheblicher Teil der öffentlichen Diskussion, soweit ich sie wahrgenommen habe, an die Person Stauffenbergs. Hier wollte ich etwas relativieren.

ZitatDer Film ist Ort- und zeitlos? Das solltest du etwas besser erklären. So wie es dasteht, ergibt es nicht viel Sinn.

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich die Bedeutung dieses sicherlich polemisch überspitzten Satzes: Das Dekor, die äußerliche Faktentreue erzeugen nur eine historische Illusion, die vom Zuschauer aus dem eigenen Vorwissen ergänzt wird. Tatsächlich ist die Verschwörergruppe des Films eine ziemlich x-beliebige Ansammlung von Verschwörern. Stichwortgeber für Stauffenberg.

ZitatSinger hätte den 20. Juli historisch einordnen sollen? Finde ich ebenfalls etwas wirr. Wie sollte das aussehen?

Natürlich nicht in dem Sinne, dass hier ein weitschweifig erklärender Lehrfilm entstehen soll. Es fehlt Singer einfach der Wille, das historisch und menschlich Vieldeutige, ja Abgründige des 20. Juli in Bilder fassen zu wollen. Und dies war meiner Meinung zwar einerseits das Problematische dieser Verschwörung, aber auch das Interessante, bis heute Faszinierende, was die ganze Angelegenheit nicht nur zu einem Fall für Guido Knopp oder zur Vorlage für einfaches Spannungskino werden lässt.

ZitatDen X-Men Vergleich finde ich arg bemüht und wenig passend.

Hm. An dieser Stelle hast du einerseits Recht. Es ist dies ein etwas tollkühner Vergleich, den ich zudem nur anschneide und nicht weiter verfolge. Aber bitte schaue dir noch mal X-Men an. Körperlichkeit und charakterliche Selbstentdeckung sind bei Singer sehr eng mit gesellschaftlichen und historischen Erfahrungen verknüpft, insbesondere der Faschismuserfahrung. (Magneto entdeckt seine Fähigkeiten am Tor des KZs, in das er verschleppt wird). Ich überlege, ob ich das noch ausformuliere im Review oder streiche, da zu weit führend. 

An solchen Argumentationsweisen unterscheidet sich glaube ich unsere Art, Filme zu betrachten. Ob wir da jemals völlige Übereinstimmung erzielen können, erscheint mir nicht so ganz wahrscheinlich. Du bist in Vielem sehr stark bestimmten Blickwinkeln der Historiker verpflichtet.
Ich glaube, ich sollte vielleicht auch mal meine Sicht auf dein Walküre-Review formulieren, um meine Anliegen deutlicher werden zu lassen, bin aber im Moment zeitlich sehr eingeschränkt. Kann also leider nichts versprechen.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

vodkamartini

30 Januar 2009, 17:45:00 #68 Letzte Bearbeitung: 30 Januar 2009, 17:49:02 von vodkamartini
Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2009, 21:58:10
Nun aber zu deiner Kritik:

Zitat von: vodkamartini am 27 Januar 2009, 16:17:23
Stauffenbergs Motivation und Entwicklung wird historisch überbewertet? Das würde ich ganz und gar nicht unterschreiben. Gerade das ist ja das Interessante und Spannende an der Figur. Ein vormals Einverstandener und späterer Mitläufer wird zum Widerständler.

Ok. Für sich allein ist der Satz missverständlich und schief. Aber er ist doch in meinem Review in einen (tatsächlich zu knappen) Argumentationszusammenhang eingebettet. Ich werde mein Review um einen Absatz ergänzen. Vorweg also:

Ich bemängle, dass der Film zwar historisch im Sinne von Faktentreue ist, aber fast gar nicht die geschichtlichen Kräfte andeutet oder gar verständlich macht, die zum 20. Juli geführt haben. Welche Personenkreise waren beteiligt, welchen Zusammenhalt gab es, welche Ziele hatte man. Und: Warum erst so spät im Krieg. Man könnte endlos so weiter machen, das ist dir ja als Historiker alles bekannt.
Das ist richtig. Hier leistet der Film sehr wenig. Allerdings wäre es auch sehr schwierig, die zahlreichen ineinander verwobenen Widerstandskreise so zu beleuchten, dass ein verständliches Bild entsteht.
"So spät im Krieg" ist nicht ganz korrekt. Stauffenberg lies bereits Ende 1941 in Russland "alles sammeln, was die SS belastet". 1942 sind von ihm bereits massive negative Äußerungen über Behandlung von Zivilsten, Kriegsgefangenen und Juden sowie über Hitlers fatale Kriegführung überliefert.
Beck, der Kopf des militärischen Widerstands, war bereits 1938 zum Staatsstreich entschlossen. Auch Henning v. Tresckow war schon vor Stauffenberg aktiver Widerständler.
Die Ziele waren sehr diffus. Es herrschte keine Einigkeit (was im Film auch thematisiert wird). Stauffenberg wollte jedenfalls nicht die Monarchie zurück (was fälschlicherweise oft behauptet wird).
Die wesentlichen Peronenkreise werden im Film erwähnt. Als wichtige Figur fehlt lediglich Arbeitervertreter Julius Leber. Ein Spielfilm kann kaum die komplexen Beziehungen der verschiedenen Widerstandskreise untereinander entwirren.

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2009, 21:58:10Unter den vielen historischen Faktoren, die für den 20. Juli wesentlich sind, ist der spezielle Werdegang von Stauffenberg nur einer. Sicher interessant, aber eben lange nicht repräsentativ oder allein entscheidend. Der Film ist keine Biographie Stauffenbergs, sondern ein Film über den 20. Juli. Trotzdem hängt sich ein erheblicher Teil der öffentlichen Diskussion, soweit ich sie wahrgenommen habe, an die Person Stauffenbergs. Hier wollte ich etwas relativieren.
Ja und nein. Zwar war der Umsturzversuch ohen Frage ein Gemeinschaftsprojekt. Andererseits wäre er ohne die energische Leistung Stauffenbergs, der in der "heißen Phase" (was der Film auch völlig richtig darstellt) klar die Zügel in der Hand hielt, nicht zusatnde gekommen. Stauffenberg war der Motor der finalen Phase. Er riß die Anderen, die teilweise schon Ermüdungserscheinungen ob der vielen Fehlschläge zeigten, durch sein Auftreten und sein Engagement mit (was der Film m.E. eher sogar zu wenig herausstellt).

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2009, 21:58:10
ZitatDer Film ist Ort- und zeitlos? Das solltest du etwas besser erklären. So wie es dasteht, ergibt es nicht viel Sinn.

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich die Bedeutung dieses sicherlich polemisch überspitzten Satzes: Das Dekor, die äußerliche Faktentreue erzeugen nur eine historische Illusion, die vom Zuschauer aus dem eigenen Vorwissen ergänzt wird. Tatsächlich ist die Verschwörergruppe des Films eine ziemlich x-beliebige Ansammlung von Verschwörern. Stichwortgeber für Stauffenberg.
Wie gesagt. Es ist die Frage, ob ein Spielfilm hier befriedigend arbeiten kann. Obwohl ich dir mit Einschränkungen recht gebe. Der deutsche Film DER 20. JULI (1955) macht dies besser als Valkyrie. Singer drehte aber auch für ein internationales Publikum, das die innerdeutschen Verhältnise weit weniger gut kennt.

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2009, 21:58:10
ZitatSinger hätte den 20. Juli historisch einordnen sollen? Finde ich ebenfalls etwas wirr. Wie sollte das aussehen?

Natürlich nicht in dem Sinne, dass hier ein weitschweifig erklärender Lehrfilm entstehen soll. Es fehlt Singer einfach der Wille, das historisch und menschlich Vieldeutige, ja Abgründige des 20. Juli in Bilder fassen zu wollen. Und dies war meiner Meinung zwar einerseits das Problematische dieser Verschwörung, aber auch das Interessante, bis heute Faszinierende, was die ganze Angelegenheit nicht nur zu einem Fall für Guido Knopp oder zur Vorlage für einfaches Spannungskino werden lässt.
Ich weiß, was du sagen willst. Man kann das so sehen. Wobei es mich doch interessieren würde, was du genau mit "das Abgründige" meinst.


Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2009, 21:58:10
ZitatDen X-Men Vergleich finde ich arg bemüht und wenig passend.

Hm. An dieser Stelle hast du einerseits Recht. Es ist dies ein etwas tollkühner Vergleich, den ich zudem nur anschneide und nicht weiter verfolge. Aber bitte schaue dir noch mal X-Men an. Körperlichkeit und charakterliche Selbstentdeckung sind bei Singer sehr eng mit gesellschaftlichen und historischen Erfahrungen verknüpft, insbesondere der Faschismuserfahrung. (Magneto entdeckt seine Fähigkeiten am Tor des KZs, in das er verschleppt wird). Ich überlege, ob ich das noch ausformuliere im Review oder streiche, da zu weit führend.
Wie gesagt, das finde ich etwas weit hergeholt. Kann man aber diskutieren. Singer spielt jedenfalls mit der Nazisymbolik (v.a. das Hakenkreuz wird sehr häufig eingesetzt).

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2009, 21:58:10An solchen Argumentationsweisen unterscheidet sich glaube ich unsere Art, Filme zu betrachten. Ob wir da jemals völlige Übereinstimmung erzielen können, erscheint mir nicht so ganz wahrscheinlich. Du bist in Vielem sehr stark bestimmten Blickwinkeln der Historiker verpflichtet.
Da hast du sicher recht. Deshalb finde ich deinen anderen Ansatz auch sehr interessant.

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2009, 21:58:10Ich glaube, ich sollte vielleicht auch mal meine Sicht auf dein Walküre-Review formulieren, um meine Anliegen deutlicher werden zu lassen, bin aber im Moment zeitlich sehr eingeschränkt. Kann also leider nichts versprechen.
Das könnte hilfreich sein. Aber nur keine Hektik, ich bin momentan selbst sehr eingespannt (deshalb auch meine relative späte Antwort).
www.vodkasreviews.de

There's a saying in England: Where there's smoke, there's fire. (James Bond, From Russia with love)

Fastmachine

5 Februar 2009, 22:57:04 #69 Letzte Bearbeitung: 6 Februar 2009, 03:12:50 von Fastmachine
Deine Kritik und unsere kurze Diskussion haben mich dazu gebracht, mein Review nochmal in einigen Details zu überarbeiten. Dabei bin ich bei meiner Meinung zum Film geblieben, habe aber einige der von dir angeführten verkürzenden oder problematischen Passagen jetzt hoffentlich klarer gefasst. Ich habe einige Formulierungen aus meiner Antwort hier sozusagen weiterverwendet.

Sicher ist das Review nicht mein "letztes Wort" zum Film, sondern nur der spontane erste Eindruck, den ich aus dem Kino mitgenommen habe. Sollte ich den Film später nochmal in Ruhe auf DVD mir anschauen, mag sich manche Einschätzung ändern.

Dein Hinweis auf den alten Film "Der 20. Juli" von 1955 finde ich gut. Zufällig (oder eigentlich weniger zufällig) habe ich den Film jüngst wieder gesehen, so dass er mir gut in Erinnerung ist. Wenn man bedenkt, dass "Operation Walküre" 120 Minuten für einen ganz auf den Ablauf des Attentats und der Verschwörung ausgerichteten Thriller braucht, dann entfaltet "Der 20.Juli" in gerade einmal 92 Minuten ein ganzes Panorama der deutschen Gesellschaft und des Widerstandes in den Jahren 1943/44.
Insofern kann mir niemand erzählen, man könne nicht konzeptionell mehr bieten als Singer, weil 2 Stunden angeblich zu kurz sind, um die Reichweite des 20.Juli sinnfällig zu machen.
Sicher kann man das heute nicht mehr so machen, wie der Film von 1955, der seine eigenen inhaltlichen und formalen Probleme hat. Aber einfach die prinzipielle Möglichkeit wegzuwischen, wie ich manchmal lesen konnte: Das ist einfach eine fadenscheinige Behauptung.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

kruchtenkaiser

*hüstel* ... leicht angestaubt hier...  :king:

ich muss den Thread hier aber mal hoch holen, einfach um mich von Herzen zu bedanken...

Ich habe gestern abend nach langer Zeit wieder einmal "Im Westen nichts neues" geschaut... Danach habe ich längere Zeit mit mir gehadert, ob ich ein Review zu dem Gesehenen verfassen soll. Letztendlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich zu diesem Film keine auch nur annähernd "würdige" Besprechung zustande bringen kann, dafür waren es doch zu viele Punkte, die mich (wieder einmal) bei diesem Film beeindruckt und bewegt haben.

Weil ich trotzdem gerne nach einem solchen Film die Meinungen anderer lese, hab ich mal die ofdb konsultiert und war erfreut, deinen Namen unter den Rezensenten zu erblicken... Wo du mich ohnehin immer durch deine Art des Schreibens begeistern kannst, hast du bei "Im Westen nichts neues" noch eine Schippe drauf gelegt. Du hast hier (http://www.ofdb.de/review/1225,119114,Im-Westen-nichts-Neues) wirklich alles angemessen angesprochen, analysiert und bewertet, was mir (bewusst und unbewusst) beim Betrachten dieses Films unter den Nägeln brannte. Darüber hinaus noch historisch top eingeordnet und passend in den Kontext gebracht... Daher: Danke dafür, dass du mit diesem Review genau das zum Ausdruck gebracht hast, was ich ebenso empfunden/gesehen habe, was ich jedoch nie in dieser Art und Weise "zu Papier" gebracht hätte... Definitiv eine der besten Besprechungen, die ich je in der ofdb gelesen habe :gruppenanbetung:

So, das "musste" jetzt einfach mal raus (ich denke, für ein solches "Danke" und ein bisschen Lobhudelei sind diese Threads hier ja unter anderem auch geschaffen worden ;) )

Fastmachine

"Leicht angestaubt" ist gut - das Review ist bald zehn Jahre alt. :icon_lol: Ich war jung und brauchte das... - nein, stimmt gar nicht.  Ich war schon damals nicht mehr so jung. Trotzdem erinnere ich mich in diesem Fall ziemlich gut. Es freut mich natürlich sehr, dass es Dir auch nach so langer Zeit noch gefällt.
IM WESTEN NICHTS NEUES gehört zu den Filmen, die mich seit meiner Jugend begleiten. Schon bei der ersten Sichtung (und seither immer wieder) hat mich der Film sehr berührt.
Dieses Jahr gab es anlässlich des Jubiläums des Kriegsausbruchs 1914 ja jede Menge Veranstaltungen, Ausstellungen, Bücher und Filme, die auf erstaunliches Interesse stießen. Ich hatte bei mehreren Gelegenheiten gesprächsweise den Eindruck, dass es für viele eben mehr als nur ein beliebiges Jubiläum war. Überall gab es Geschichten in den Familien, Erinnerungen, die nicht erledigt waren. Zufällig habe ich mich letztes Jahr auch mit der Digitalisierung unserer eigenen Familienfotos beschäftigt. Eines der ältesten zeigt meinen Urgroßvater in einem Lazarett während des Ersten Weltkriegs im Kreise anderer Verwundeter. Alle blicken merkwürdig ernst, keine Spur mehr von der leichtsinnigen Atmosphäre, die noch viele Bilder vom August 1914 zeigen. Aber was in den Köpfen vorging, welche Spätfolgen der Krieg bei ihnen hatte: keine Ahnung. Mein Urgroßvater hat den Krieg überlebt, starb aber viele Jahre vor meiner Geburt.
Wenn ich dieses Foto meines Urgroßvaters betrachte, denke ich: das hätte ich sein können.
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

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